Anspruch auf Verletztenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung; Bemessung der MdE bei einem Wirbelkörperbruch mit Bandscheibenbeteiligung
und instabiler Ausheilung
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Klägerin Anspruch auf Verletztenrente auf Dauer und in welcher Höhe hat.
Die 1954 geborene Klägerin erlitt bei Aufräumarbeiten auf dem Hof des landwirtschaftlichen Anwesens am 15.04.2006 einen Arbeitsunfall,
als sie rückwärts über eine Anhängerdeichsel stolperte und stürzte. Laut Durchgangsarztbericht des Dr. H. vom 19.04.2006 zog
sie sich hierbei eine Kontusion der Lendenwirbelsäule (LWS) und eine frische LWK-3-Fraktur zu. Am 19.04.2006 wurde ein CT
der Lendenwirbelsäule erstellt. Dieses zeigte eine frische Kompressionsfraktur in Höhe LWK 3 mit starker Höhenminderung des
Wirbelkörpers im ventro-medialen Bereich und Einbruch der Deck- und Grundplatte. Die Frakturlinie ziehe sich durch den gesamten
Wirbelkörper. Desweiteren wurde eine ausgeprägte Spondylolisthesis von LWK 4 nach LWK 5 mit einem Dorsalversatz LWK 5 um mehr
als 1 cm festgestellt und eine knöcherne Umbauungsreaktion mit Höhenminderung des Bandscheibenfaches LWK 4/5.
Die Beklagte zog zur weiteren medizinischen Sachaufklärung Unterlagen der behandelnden Ärzte Dr. H. und Dr. S. bei und veranlasste
im Anschluss daran eine Begutachtung bei dem Orthopäden Dr. M. Dieser kam in seinem Gutachten vom 27.02.2008 zum Ergebnis,
dass als wesentliche Unfallfolge ein Zustand nach Kompressions-Berstungsfraktur des LWK 3 festzustellen sei, der knöchern
fest konsolidiert sei. Auch bei der aktuellen Röntgenuntersuchung habe sich die Hinterkante des LWK 3 stabil gezeigt. Nach
dem Ende der unfallbedingten Arbeitsunfähigkeit sei eine Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) ab 19.07.2006 zunächst in Höhe
von 30 v.H. und anschließend ab 15.10.2006 bis 26.02.2007 in Höhe von 20 v.H. und danach eine MdE von nur noch 10 v.H. gegeben.
Mit Bescheid vom 16.04.2008 stellte die Beklagte daraufhin einen Stauchungsbruch des 3. Lendenwirbelkörpers als Unfallfolge
fest und gewährte für die Zeit vom 19.07.2006 bis 14.10.2006 Verletztenrente nach einer MdE von 30 v.H. und im Anschluss daran
bis einschließlich 26.02.2007 Verletztenrente nach einer MdE von 20 v.H. Darüber hinaus lehnte die Beklagte die Gewährung
von Rente ab, weil eine MdE in rentenberechtigendem Ausmaß nicht mehr gegeben sei.
Der hiergegen erhobene Widerspruch blieb erfolglos; der Widerspruchsbescheid erging am 08.10.2008. Die noch bestehenden Beschwerden
seien überwiegend unfallfremd, durch die Wirbelsäulenveränderungen (Spondylolisthesis) bedingt.
Hiergegen erhob die Klägerin am 28.10.2008 Klage beim Sozialgericht Landshut (SG). Zur Begründung verwies sie u.a. darauf, dass sie aufgrund der Vorerkrankung selten Schmerzen seitens der Wirbelsäule gehabt
habe. Diese Beschwerden hätten sich seit dem Arbeitsunfall drastisch verschlechtert. Die MdE betrage nach wie vor 20 v.H.
Das SG zog Befundberichte der behandelnden Ärzte Dr. H. und Dr. S. sowie eine Auskunft der AOK Bayern bei. Im Anschluss daran ernannte
es den Unfallchirurgen Dr. D. vom Städtischen Krankenhaus C-Stadt zum ärztlichen Sachverständigen. Dr. D. kam in seinem Gutachten
vom 28.08.2009 zum Ergebnis, dass als Folge des Unfalls vom 15.04.2006 ein Spalt-/Berstungsbruch des 3. Lendenwirbelkörpers
anzuerkennen sei. Dies habe zu einem chronischen Lendenwirbelsäulensyndrom leichter Prägung geführt. Die MdE betrage ab 27.02.2007
10 v.H ... Unfallunabhängig lägen ein Bandscheibenvorfall L 5/S 1 sowie ein Wirbelgleiten L 4/5 und eine seit 1990 aktenkundige
Behandlungsbedürftigkeit vor. Es bestehe zwischen den unfallunabhängigen Gesundheitsstörungen und den Unfallfolgen eine funktionelle
Wechselwirkung der Gestalt, dass der Vorschaden zu einer Verstärkung der unfallbedingten Funktionsstörung führe, womit eine
Minderung der Erwerbsfähigkeit mit 15 v.H. als befundadäquat angesehen werden könne.
Auf Antrag der Klägerin erstellte der Orthopäde Dr. S. am 24.03.2010 ein weiteres Gutachten. Er sah als Unfallfolgen die Fraktur
des Lendenwirbelkörpers 3 mit Statikänderung und Bandscheibenveränderung L2/3 und L3/4. Desweiteren den Übergang von der stabilen
Spondylolisthese L 4/5 in eine instabile Spondylolisthese L 4/5. Die MdE betrage 30 v.H. bis 10.09.2009 und danach 20 v.H.
Dr. D. blieb in einer ergänzenden Stellungnahme vom 20.04.2010 bei seiner Einschätzung. Die am 10.09.2009 durchgeführte dorsale
Korrektur-Spondylodese L 2 auf L 5 sei ausschließlich dem Wirbelgleiten operativ gewidmet gewesen. Eine Verschlimmerung des
Wirbelgleitens sei durch den Unfall nicht wesentlich verursacht.
Mit Urteil vom 22.06.2010 wies das Sozialgericht Landshut die Klage ab. Es stützte sich im Wesentlichen auf das Gutachten
des Dr. D ...
Hiergegen hat die Klägerin am 09.08.2010 Berufung eingelegt. Sie hat im Wesentlichen auf das Gutachten des Dr. S. Bezug genommen.
Der Senat hat Beweis erhoben und den Facharzt für Chirurgie und Orthopädie Dr. A. zum gerichtlichen Sachverständigen ernannt.
Dieser ist in seinem Gutachten vom 28.12.2010 zum Ergebnis gekommen, dass es bei dem Unfall vom 15.04.2006 neben der Wirbelkörperfraktur
L 3 mit deutlich überwiegender Wahrscheinlichkeit auch zu einer erheblichen Strukturschädigung im bereits vorgeschädigten
Segment L 4/5 gekommen sei. Der Unfall stelle eine nicht wegzudenkende Teilursache des im Sommer 2009 festgestellten Zustandes
dar. Somit habe der Unfall zu einer Berstungsfraktur LWK 3 mit Zerreißung der anliegenden Bandscheiben, einer sekundären Destabilisierung
einer vorbestehenden Spondylolyse und Olisthesis L 4-5 und einer Drei-Etagen-Spondylodese L 2 bis L 5 geführt. Die Versteifungsoperation
im September 2009 sei infolge des Unfalls notwendig geworden. Die MdE betrage bis 31.10.2009 40 v.H., seither und auf Dauer
30 v.H.
Die Beklagte hat daraufhin eine Stellungnahme ihres beratenden Arztes Dr. D. vorgelegt. Der Chirurg Dr. D. ist in einer ergänzenden
Stellungnahme vom 12.04.2011 zum Ergebnis gekommen, dass er sich den Ausführungen des Dr. A. nicht anschließen könne. Die
Operation habe sich ausschließlich degenerativen Veränderungen gewidmet.
In einer weiteren Stellungnahme hat der Sachverständige Dr. A. nochmals dargelegt, dass eine relevante Instabilität vor dem
Unfall aus den radiologischen Befunden nicht erkennbar sei. Abschließend ist er bei seiner gutachterlichen Einschätzung geblieben.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 22.06.2010 sowie den Bescheid der Beklagten vom 16.04.2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 08.10.2008 aufzuheben und festzustellen, dass eine Berstungsfraktur LWK 3 mit Zerreißung der anliegenden Bandscheiben
sowie eine sekundäre Destabilisierung einer vorbestehenden Spondylolyse mit Olisthesis L 4 bis L 5 und eine 3-Etagen-Spondylolyse
L 2 bis L 5 weitere Folgen des Arbeitsunfalls sind. Ferner beantragt sie, die Beklagte zu verurteilen, eine Verletztenrente
in Höhe von 40 v.H bis 31.10.2009, anschließend von 30 v.H. auf Dauer zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie die Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig und teilweise begründet. Die Klägerin hat Anspruch auf Feststellung
weiterer Unfallfolgen und Verletztenrente in Höhe von 20 v.H. über den 26.02.2007 hinaus.
Die auf Feststellung weiterer Gesundheitsstörungen als Unfallfolgen und Aufhebung der insoweit ablehnenden Verwaltungsakte
der Beklagten gerichtete Anfechtungs- und Feststellungsklage ist gemäß §§
54 Abs.1, 55 Abs.
1 Nr.
1 bzw. 3
SGG statthaft (vgl. BSG vom 05.07.2011 - B 2 U 17/10 R). Dies gilt auch für die auf Gewährung einer Verletztenrente gerichtete Leistungsklage nach §
54 Abs.
4 SGG.
Bei der Klägerin sind als Folgen des Arbeitsunfalls nicht nur ein "Stauchungsbruch des 3. Lendenwirbelkörpers" anzuerkennen,
sondern auch eine Berstungsfraktur LWK 3 mit Zerreißung der anliegenden Bandscheiben, eine sekundäre Destabilisierung einer
vorbestehenden Spondylolyse und Olisthesis L 4-5 und eine Drei-Etagen-Spondylodese L 2 bis L 5. Diese weiteren Unfallfolgen
sind nach dem Gutachten des Sachverständigen Dr. A. vom 28.12.2010 und seiner ergänzenden Stellungnahme vom 14.06.2011 bewiesen.
Dabei ist zu beachten, dass das Vorliegen eines Gesundheitserstschadens bzw. eines Gesundheitsfolgeschadens (Unfallfolgen)
im Wege des Vollbeweises, also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, für das Gericht feststehen muss, während für
den Nachweis der wesentlichen Ursachenzusammenhänge zwischen dem Unfallereignis und dem Gesundheitserst- bzw. -folgeschaden
die "hinreichende" Wahrscheinlichkeit, nicht allerdings die bloße Möglichkeit genügt (vgl. BSG vom 02.04.2009 Az.: B 2 U 29/07 R).
Für die erforderliche Kausalität zwischen Unfallereignis und Gesundheits(erst)schaden sowie für die Kausalität zwischen Gesundheits(erst)schaden
und weiteren Gesundheits-schäden gilt die Theorie der wesentlichen Bedingung (BSG vom 17.02.2009 Az.: B 2 U 18/07 R). Diese beruht auf der naturwissenschaftlich-philosophischen Bedingungstheorie. Danach ist jedes Ereignis Ursache eines Erfolges,
das nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg entfiele (conditio sine qua non). Als rechtserheblich werden allerdings
nur solche Ursachen angesehen, die wegen ihrer besondere Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt haben
(sogenannte Theorie der wesentlichen Bedingung). Welche Ursache wesentlich ist, muss aus der Auffassung des praktischen Lebens
über die besondere Beziehung der Ursache zum Eintritt des Erfolgs abgeleitet werden (vgl. BSG vom 17.02.2009 - B 2 U 18/07 R) sowie auf Basis des aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstandes über die Möglichkeit von Ursachenzusammenhängen zwischen
bestimmten Ereignissen und der Entstehung bestimmter Krankheiten (vgl. BSG vom 09.05.2006 Az.: B 2 U 1/05 R). Gesichtspunkte für die Beurteilung sind neben der versicherten Ursache als solcher, einschließlich Art und Ausmaß der Einwirkung,
u.a. die konkurrierende Ursache (nach Art und Ausmaß), der zeitliche Ablauf des Geschehens, das Verhalten des Verletzten nach
dem Unfall, Befunde und Diagnosen des erstbehandelnden Arztes sowie die gesamte Krankengeschichte (vgl. BSG vom 09.05.2006
Az. B 2 U 1/05 R).
Zur Überzeugung des Senats sind bei der Klägerin die weiteren Unfallfolgen Berstungsfraktur LWK 3 mit Zerreißung der anliegenden
Bandscheiben, sekundäre Destabilisierung einer vorbestehenden Spondylolyse und Olisthesis L4-5 und eine Drei-Etagen-Spondylodese
L2 bis L5 mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nachgewiesen und der Ursachenzusammenhang mit dem Unfall vom 15.04.2006
mit hinreichender Wahrscheinlichkeit festgestellt. Dies ergibt sich aus dem überzeugenden Gutachten des vom Senat beauftragten
Sachverständigen Dr. A. vom 28.12.2010 sowie seiner ergänzenden Stellungnahme vom 14.06.2011. Dr. A. führt aus, dass die Klägerin
bei dem Sturz eine quere Wirbelkörperfraktur L3 erlitten hat mit mehrfacher Fragmentierung des abgesprengten ventralen Drittels
des LWK 3. Es besteht weiterhin eine deutliche Deformierung des LWK 3, wenn auch nicht als typischer Keilwirbel, da die Vorderkante
in ihrer Höhe weitgehend erhalten ist. Eine anlagebedingte Fehlform ist bei unauffälligen Röntgenbefunden dieses Wirbelkörpers
vor dem Unfall auszuschließen. Diese Fraktur belegt jedenfalls das Auftreten erheblicher Krafteinwirkungen bei diesem Unfall.
Laut Dr.A. hat der Unfall auch zu einer Schädigung der anliegenden Bandscheiben geführt.
Hinsichtlich der vorbestehenden Bogenanomalie mit Wirbelgleiten LWK 4 um bis zu einem Viertel Gesamtdurchmesser, dokumentiert
seit 1991, lag zum Zeitpunkt des Unfalls keine relevante Instabilität vor. Die deutliche Beschwerdebesserung nach der langstreckigen
Spondylodese der LWS durch die Operation im September 2009 deutet laut Dr. A. darauf hin, dass die Hauptbeschwerden von diesem
Segment ausgelöst wurden. Hier ist mit Dr. A. eine richtunggebende Verschlimmerung der Instabilität im Segment L 4-5 durch
den Unfall festzustellen. Dafür spricht zunächst die Schilderung der Klägerin, die angibt, vor dem 15.04.2006 auch schwere
körperliche Arbeit beschwerdefrei durchgeführt zu haben. Allerdings wurden wiederholt Röntgenuntersuchungen durchgeführt einschließlich
Funktionsaufnahmen, die wohl nicht ohne entsprechende Beschwerden erfolgt wären. Ebenso hatten ambulante Reha-Maßnahmen stattgefunden,
allerdings viele Jahre vor dem aktuellen Unfall. Die Aufnahmen aus der Zeit vor dem Unfall belegen andererseits, dass zumindest
bis 1996 keine relevante Instabilität in Höhe des Wirbelgleitens bestand. Dies ist ein durchaus häufiger Befund, nicht selten
wird ein Wirbelgleiten Grad I auch erst als "Zufallsbefund" ohne vorherige Beschwerden festgestellt. Laut Schönberger/Mehrtens/Valentin,
Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Aufl. S. 451 ist die Spondylolisthesis, Wirbelgleitverschiebung nach vorne, im Erwachsenenalter
ein abgeschlossener Vorgang, also nicht etwa ein noch im Fortschreiten begriffener Gleitvorgang. Deshalb bezeichnet die Wortwahl
"Verschiebung" (für einen abgeschlossenen Prozess) die Situation besser als der missverständliche Ausdruck "Wirbelgleiten".
Das Wirbelgleiten nach vorne spielt sich in der Kindheit (Schulkindalter, Adoleszenz), am häufigsten in der Pubertät ab und
kommt zwischen dem 20. und 25. Lebensjahr zum Stillstand. Im Erwachsenenalter anlässlich einer Wirbelsäulenverletzung aufgedeckte
Fälle von Olisthesis sind meist nur Rückstände eines vor Abschluss des Skelettwachstums unbemerkt abgelaufenen und inzwischen
stabilisierten Prozesses, also nicht das Ergebnis einer frischen Verletzung.
In den zehn Jahren zwischen 1996 und 2006 sind keine Befunde dokumentiert. Die Annahme, dass bereits vor dem aktuellen Unfall
eine relevante Instabilität der Spondylolisthese bestanden hat, ist durch nichts belegt und im Gesamtkontext als unwahrscheinlich
zu bezeichnen. Auch die CT-Aufnahmen bringen hier keine verwertbaren Ergebnisse. Die ersten Funktionsaufnahmen erfolgten nach
längerer Beschwerdephase im Sommer 2009 und hier zeigt sich laut Sachverständigem Dr. A. nun eine massive Zunahme der Instabilität,
das Wirbelgleiten hat um 1 Grad zugenommen (mehr als ein Viertel Gesamtdurchmesser). Da das primäre Trauma und die Schädigung
der Wirbelsäule voll bewiesen sind, kann hier nur festgestellt werden, dass es bei dem Unfall vom 15.04.2006 neben der Wirbelkörperfraktur
L 3 mit deutlich überwiegender Wahrscheinlichkeit auch zu einer erheblichen Strukturschädigung im bereits vorgeschädigten
Segment L4 bis 5 gekommen ist. Der Unfall stellt eine nicht wegzudenkende Teilursache des im Sommer 2009 festgestellten Zustandes
dar. Demnach sind auch die Folgen dieser Instabilität, einschließlich Operation, als Unfallfolge anzusehen. Hier findet sich
Dr. A. in Übereinstimmung mit dem Sachverständigen Dr. S., der in seinem Gutachten vom 24.03.2010 ausgeführt hat, dass es
durch den Unfall zu einem Übergang der stabilen Spondylolisthese zu einer instabilen Spondylolisthese gekommen ist. Zuvor
waren die Beschwerden nicht in dem Maße vorhanden wie nach dem Unfall. Erst hierdurch kam es zur Notwendigkeit der OP.
Zwar hat Dr. D. in seinem Gutachten vom 28.08.2009 mit ergänzender Stellungnahme vom 12.04.2011 eine solche richtunggebende
Verschlimmerung verneint. Hierzu führt Dr. A. jedoch überzeugend aus, dass die Röntgenbilder vom 08.03.1991 nochmals von ihm
angefordert, nachbefundet und exakt ausgemessen wurden. Laut Dr. A. liegt zum Zeitpunkt dieser Röntgenaufnahmen eindeutig
eine Spondylolyse mit Olisthesis L 4/5 Grad I nach Meyerding vor. Eine Instabilität ist nicht gesichert. Auch fünf Jahre später,
am 09.07.1996, ist auf Standardaufnahmen wiederum nur ein geringes Wirbelgleiten Grad I festzustellen. Danach wurden zehn
Jahre keine Aufnahmen mehr gemacht, so dass in dieser Zeit, in Übereinstimmung mit den Angaben der Klägerin, nicht vom Vorliegen
gravierender Beschwerden durch die Veränderungen der LWS ausgegangen werden kann. Damit ist kein Vorschaden anzunehmen, der
so ausgeprägt gewesen wäre, dass der Unfall vom 15.04.2006 lediglich noch als "Gelegenheitsursache" für die nachfolgenden
Beschwerden und Behandlungen gelten könnte. Unfallfolge ist deshalb die massive Zunahme der radiologisch nachgewiesenen Instabilität
im Segment L 4-5 und zwar bis zum Grad II bis III nach Meyerding. Somit ist auch die Operation an der Wirbelsäule im September
2009 unfallbedingt. Die weiteren Unfallfolgen sind deshalb anzuerkennen.
Aufgrund der Unfallfolgen ergibt sich ein Anspruch auf Gewährung einer Verletztenrente gemäß §
56 SGB VII.
Nicht gefolgt werden kann jedoch dem Sachverständigen Dr. A. bei der Einschätzung der MdE. Dr. A. schätzt die MdE bis 31.10.2009
auf 40 v.H., danach auf 30 v.H. Er beruft sich insoweit auf die Berechnung nach "Segmentwerten". Unter Anwendung der segmentbezogenen
Beweglichkeitswerte nach Weber und Wimmer (Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Aufl., S.443)
ist die Gesamtbeweglichkeit der Wirbelsäule nach Versteifung um 13,7 % eingeschränkt. Eine Instabilität von über einem Viertel
WK-Durchmesser im Segment L4 bis 5 hat vor der Operation 2009 bestanden, dies allein entspreche einer MdE von 5,6 x 5 = 28.
Hinzu käme eine teilinstabile alte Fraktur L 2. Hier wäre unter Übernahme des Ankylose-Satzes der Segmentwert mit 3 zu multiplizieren,
also 3,6 x 3 = 10,8. Dies ergibt insgesamt 38,8, aufgerundet 40. Dr. A. weist jedoch darauf hin, dass trotz subjektiv und
objektiv erfolgreicher Operation die MdE nach der Operation höher wäre, wenn man bei Versteifung von drei Segmenten den Satz
von 13,7 x 3 anwenden würde. Dies zeigt nach seinen Worten die Grenzen dieser Berechnungsmethode auf. Die Diskrepanz zu den
bisher akzeptierten 10 v.H. ist nach seiner Meinung allerdings offensichtlich zu hoch.
Der Sachverständige Dr. A. hat zu Recht die Schwächen der Berechnung nach dem Segmentprinzip aufgezeigt. Die MdE bezeichnet
den Verlust an Erwerbsmöglichkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt. Es kommt also darauf an, wie sich der Gesundheitsschaden
im Erwerbsleben auswirkt. In der Praxis gelten seit langem für bestimmte Folgen bestimmte MdE-Sätze (sog. Regel- oder Normalsätze),
die nach der Rechsprechung auf Grund ständiger Übung zu beachten sind (vgl. KassKomm-Ricke, §
56 SGB VII Rdnr. 19 m.w.N.).
Danach ist bei einem Wirbelkörperbruch mit Bandscheibenbeteiligung und instabiler Ausheilung eine MdE von 20 v.H. angemessen.
Kommt hierzu ein statisch wirksamer Achsenknick dazu, ist die MdE mit 20 bis 30 v.H. einzuschätzen (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin,
aaO., S. 442). Vor diesem Hintergrund ist hier die MdE mit 20 v.H. über den 26.02.2007 hinaus festzusetzen. Die Wirbelsäule
ist durch die OP stabilisiert und nach den eigenen Angaben der Klägerin ist hierdurch eine deutliche Besserung der Funktionsfähigkeit
eingetreten. Auch unter Berücksichtigung des Segmentprinzips kommt Dr. S. auf Dauer zur selben MdE. Dr. A. hat hingegen den
Vorschaden nicht ausreichend berücksichtigt und setzt deshalb die MdE zu hoch an. Solche Wechselwirkungen mit einem Vorschaden
sind jedoch zu berücksichtigen (vgl. KassKomm-Ricke, aaO., Rdnr. 21).
Der Berufung war deshalb teilweise stattzugeben. Da der Berufungsantrag auf eine Verletztenrente nach einer MdE um 40 v.H.
bis 31.10.2009 und anschließend um 30 v.H. auf unbestimmte Zeit gerichtet ist, war die Berufung im Übrigen zurückzuweisen.
Die Kostenfolge ergibt sich aus §
193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision gemäß §
160 Abs.2 Nrn.1 und 2
SGG liegen nicht vor.