Erstattung eines Arbeitnehmeranteils von Beiträgen zur gesetzlichen Rentenversicherung
Versicherungsfreiheit
Nicht beamtenähnliche Versorgungsanwartschaften
Voraussetzungen richterlicher Rechtsfortbildung
Tatbestand
Streitig ist, ob die Beklagte der Klägerin den Arbeitnehmeranteil von Beiträgen zur gesetzlichen Rentenversicherung für die
Zeit 01.11.2011 bis 30.06.2012 zu erstatten hat.
1. Die 1965 geborene Klägerin war seit 01.04.1983 gesetzlich krankenversichertes Mitglied der Beklagten und seit 01.07.1991
bei der Beigeladenen zu 2), einem Bankinstitut in der Rechtsform einer Anstalt des öffentlichen Rechts, beschäftigt. Die Beklagte
ist trotz mittlerweile eingetretener Versicherungsfreiheit der Klägerin in der Kranken- und Pflegeversicherung zuständige
Einzugsstelle iSd §
28h SGB IV.
Arbeitnehmern mit langjähriger Betriebszugehörigkeit hatte die Beigeladene zu 2) in der Vergangenheit bei Vorliegen bestimmter
Umstände (z.B. 20 Jahre Dienstzeit im Bank- oder Sparkassenbereich, davon mindestens 10 Jahre bei der Beigeladenen zu 2))
in Ergänzung zum Arbeitsvertrag eine Versorgung nach beamtenrechtlichen Grundsätzen angeboten und geleistet, welcher auch
Ansprüche auf Bezügefortzahlung im Krankheitsfall und Beihilfe sowie einen besonderen Kündigungsschutz umfasste. Diese Versorgungsverträge
hatten regelmäßig die Versicherungsfreiheit in der gesetzlichen Rentenversicherung nach §
5 Abs.
1 Satz 1 Nr.
2 SGB VI zur Folge, da die Versorgungsanwartschaften durch einen allgemeinen Gewährleistungsbescheid der zuständigen obersten Verwaltungsbehörde
iSd §
5 SGB VI, hier des Bayerischen Staatsministeriums der Finanzen, gesichert war.
Im Gefüge der globalen Banken- und Finanzkrise 2007 stellte die Beigeladene zu 2) zum 31.03.2009 die Versorgungszusagen im
Zuge von Umstrukturierungsmaßnahmen zunächst ein. Dagegen nahmen betroffene Beschäftigte arbeitsgerichtliche Hilfe in Anspruch.
Mit Urteilen zu Musterverfahren vom 15.05.2012 (Az.: 3 AZR 128/11, 3 AZR 129/11, 3 AZR 281/11, 3 AZR 509/11, 3 AZR 511/11, 3 AZR 610/11, 3 AZR 279/11, 3 AZR 469/11) gab das Bundesarbeitsgericht den Klagen betroffener Arbeitnehmer gegen die Beigeladene zu 1) und andere Bankinstitute, welche
vergleichbar gehandelt hatten, statt und erklärte die Einstellung der langjährigen Versorgungspraxis wegen betrieblicher Übung
für rechtswidrig. Den jeweiligen Arbeitnehmern sprach das BAG einen Anspruch zu auf Abschluss eines Versorgungsvertrages nach
beamtenrechtlichen Grundsätzen rückwirkend zu dem Zeitpunkt, in welchem sie die persönlichen Voraussetzungen für die Erteilung
der Versorgungszusage erfüllt hatten.
2. Die Klägerin hatte am 03.03.2010 Klage zum Arbeitsgericht C-Stadt (Az.: XXX) gegen die Beigeladene zu 2) erhoben mit dem
Ziel, ab dem 12.05.2013 eine den Vorgenannten entsprechende Ruhegehaltsanwartschaft zu erhalten. Zudem hatte die Klägerin
die Feststellung begehrt, dass die Beigeladene zu 2) verpflichtet sei, ihr mit Wirkung zum 13.10.2011 eine Vertragsänderung
mit Versorgungszusage nach beamtenrechtlichen Grundsätzen anzubieten. Das Arbeitsgericht C-Stadt hat mit Endurteil vom 15.05.2012
die Beigeladene zu 2) verurteilt, der Klägerin mit Wirkung vom 14.10.2011 eine Vertragsänderung mit Versorgungszusage nach
beamtenrechtlichen Grundsätzen zu gewähren. Zum Inhalt der Entscheidung wird auf Blatt 290 - 316 der sozialgerichtlichen Akte
Bezug genommen, §§
153 Abs.
1,
136 Abs.
2 SGG. Diese Entscheidung ist rechtskräftig geworden. Deshalb hat die Beigeladene zu 2) mit der Klägerin am 02./07.07.2012 rückwirkend
zum 01.11.2011 eine schriftliche Vereinbarung über eine entsprechende Versorgungszusage abgeschlossen, zu deren Inhalt auf
Blatt 24 - 24 der sozialgerichtlichen Akte (Anlage K 7 zum Klageschriftsatz vom 14.06.2013) Bezug genommen wird, §§
153 Abs.
1,
136 Abs.
2 SGG. Die Beigeladene zu 2) hat sodann die Klägerin bei der Beklagten am 10.08.2012 im Wege der Beitragsmeldung nach §
28a SGB IV für den Zeitraum vom 01.01.2012 bis 31.07.2012 abgemeldet und der Klägerin eine entsprechende Meldebescheinigung zur Sozialversicherung
nach § 25 DEÜV ausgestellt.
Die Klägerin bat am 11.09.2012 per email die Beklagte um Rückerstattung der Arbeitnehmeranteile von zu Unrecht entrichteten
Sozialversicherungsbeiträgen zur Renten- und Arbeitslosenversicherung seit dem 01.11.2011 und nahm dabei Bezug auf ein Telefongespräch
mit einer Mitarbeiterin der Beklagten (Frau P.). Am 15.05.2012 habe das BAG in sechs Musterfällen entschieden, dass, wie bis
in das Jahr 2008 bei der Beigeladenen zu 2) praktiziert, allen Mitarbeitern welche die persönlichen Voraussetzungen erfüllen,
ein Angebot auf einen Vertrag mit beamtenrechtlicher Versorgung aufgrund betrieblicher Übung anzubieten wäre. Die daraus folgende
sozialversicherungsrechtliche Statusänderung sei im Falle der Klägerin wegen des arbeitsgerichtlichen Urteils bereits zum
01.11.2011 eingetreten. Auch wenn die Vertragsänderung erst im Juli 2012 ausgehändigt worden sei, müssten die ab 01.11.2011
abgeführten arbeitnehmerbezogenen Beitragsanteile, weil zu Unrecht gezahlt, an die Klägerin zurückgezahlt worden. Sie legte
in Kopie ein Schreiben vom 10.10.2012 der Deutschen Rentenversicherung Bayern Süd (Az.: XXX) an die Beklagte vor, in welchem
zu einem gleich gelagerten Falle festgestellt wurde, dass Versicherungsfreiheit rückwirkend entsprechend der Versorgungszusage
der Beigeladenen zu 2) als Arbeitgeberin begründet werden könne. Vorliegend habe zudem das Bayerische Staatsministerium der
Finanzen als oberste Landesbehörde iSd §
5 SGB VI bereits 1993 festgestellt, dass die Versorgungszusagen der Beigeladenen zu 2) zur Versicherungsfreiheit führten. Nach den
Entscheidungen des BAG vom 15.05.2012 wäre eine Verweigerung der Versorgungszusage durch die Beigeladene zu 2) rechtswidrig.
Zudem sei auch kein Missbrauchstatbestand anzunehmen, welchen der Gesetzgeber habe verhindern wollen.
Die Klägerin hat mit Schreiben vom 22.11.2012 und 11.12.2012 von der Beklagten Bearbeitung sowie Beitragserstattung für die
Zeit ab 01.11.2011 iHv 5.689,10 EUR angemahnt. Dazu ist bei der Beklagten am 27.11.2012 eine Entgelt- und Beitragsaufstellung
eingegangen. Mit Schreiben vom 13.12.2012 hat die Beklagte die begehrte Erstattung der Beiträge zur Arbeitslosenversicherung
anerkannt. Die entsprechende Zahlung ist sodann erfolgt. Die Erstattung der Rentenbeiträge sei hingegen erst abzuklären, so
dass noch keine Entscheidung getroffen werden könne.
Mit Bescheid vom 25.03.2013 hat die Beklagte die Erstattung der Rentenversicherungsbeiträge abgelehnt. §
5 Abs.
1 Satz 4
SGB VI stelle klar, dass die Versicherungsfreiheit erst mit Beginn des Monates einsetzte, indem die Versorgungszusage vertraglich
erteilt sei, vorliegend also ab dem 01.07.2012. Das anschließende Widerspruchsverfahren blieb für die Klägerin ohne Erfolg
(Widerspruchsbescheid vom 25.03.2013).
3. Dagegen hat die Klägerin Klage zum Sozialgericht München erhoben und Erstattung der Arbeitnehmeranteile zur gesetzlichen
Rentenversicherung vom 01.11.2011 bis 30.06.2012 beantragt. Ein Anspruch auf Leistung aus dem Versorgungsvertrag bei von der
Klägerin erfüllter Wartezeit sei entsprechend der arbeitsgerichtlichen Entscheidung ab dem 14.10.2011 und somit ab dem Folgemonat,
also ab dem 01.11.2011 wirksam entstanden. §
5 Abs.
1 Satz 4
SGB VI ziele auf Beseitigung der Auslegungsprobleme aus der Vergangenheit, welche wegen rückwirkender Anwartschaftsbegründungen
entstanden waren. Ein entsprechender Sachverhalt liege hier aber nicht vor. Zudem hat sich die Klägerin auf den Gewährleistungsbescheid
für die Versicherungsfreiheit in der gesetzlichen Rentenversicherung gemäß §
5 Abs.
1 Satz 1 Nr.
2 SGB VI der Bayerischen Staatsministerien für Finanzen und des Inneren vom 11.03.1993/24.03.1993 und das bestätigende Schreiben des
Bayerischen Staatsministeriums der Finanzen vom 16.07.2012 bezogen, zu deren Inhalt auf Blatt 21 - 23 der sozialgerichtlichen
Akte Bezug genommen wird gem. §§
153 Abs.
1,
136 Abs.
2 SGG. Die Beklagte hat vorgetragen, die Rentenversicherungsfreiheit der Klägerin infolge der ihr von der Beigeladenen zu 2) erteilten
Versorgungsanwartschaften sei nicht strittig. Streitig sei allein der Zeitpunkt der Rentenversicherungsfreiheit. Diese sei
erst mit Beginn des Monats eingetreten, in welchem die Beigeladene zu 2) und die Klägerin die Versorgungszusage vereinbart
hatten. Vorliegend sei dies wegen der Unterzeichnung am 02.07.2012 sowie am 14.07.2012 der 01.07.2012. Die dort vereinbarte
Rückwirkung zum 01.11.2011 sei nicht maßgeblich. Diese Auffassung hat auch die Beigeladene zu 1) als für die Klägerin zuständiger
Träger der gesetzlichen Rentenversicherung vertreten.
Das Sozialgericht hat die Beklagte antragsgemäß verurteilt mit Urteil vom 13.11.2014 und seine Entscheidung im Wesentlichen
darauf gestützt, dass die Rentenversicherungsfreiheit rückwirkend eingetreten sei. Nicht wann der konkrete Vertrag zwischen
der Klägerin und der Beigeladenen zu 2) abgeschlossen wurde sei relevant, sondern wegen der rechtskräftigen arbeitsgerichtlichen
Verurteilung der Beigeladenen zu 2) am 15.05.2012, mit Wirkung vom 14.10.2011 eine Vertragsänderung vorzunehmen. Der Vertragsschluss
am 02.07.2012 setzte lediglich das Urteil des Arbeitsgerichtes C-Stadt um. Dies entspreche nach den Materialien auch dem Willen
des Bundesgesetzgebers. §
5 Abs.
1 SGB VI bezwecke, dass die Versichertengemeinschaft in Zeiten, in denen sie faktisch das Risiko vorzeitiger Erwerbsminderung oder
vorzeitigen Todes getragen hatte, auch die entsprechenden risikoabdeckenden Beiträge erhalte. In Fällen, in welchen sich die
Risiken nicht realisiert hatten, müsse ein nachträglicher Entzug der Beiträge verhindert werden. So sei der Fall der Klägerin
wegen des arbeitsgerichtlichen Verfahrens und dessen Ausganges aber nicht gelagert. 4. Hiergegen richtet sich die Berufungen
der Beklagten und der Beigeladenen zu 1), die ihren Rechtsstandpunkt bei unstreitigem Sachverhalt wiederholt und bekräftigt
haben.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts München vom 13.11.2014 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Beigeladene zu 1) beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts München vom 13.11.2014 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin hat die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend erachtet und beantragt,
die Berufung zurückzuweisen, hilfsweise die Revision zuzulassen.
Die Beigeladene zu 2) hat keinen Antrag gestellt.
Beigezogen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren die Verwaltungsakten der Beklagten. Darauf sowie auf die Gerichtsakten
beider Rechtszüge wird zur Ergänzung des Tatbestandes Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die form- und fristgerecht eingelegten Berufungen der Beklagten und der Beigeladenen zu 1) sind zulässig (§§
143,
151 SGG) und begründet. Das Sozialgericht hat zu Unrecht den streitgegenständlichen Bescheid der Beklagten vom 25.03.2012 in Gestalt
des Widerspruchsbescheides vom 29.05.2013 mit dem angefochtenen Urteil vom 13.11.2014 aufgehoben und die Beklagte zur Erstattung
des Arbeitnehmeranteiles der Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung vom 01.11.2011 bis 30.06.2012 verurteilt. Die entsprechenden
Beiträge hat die Beigeladene zu 2) zu Recht an die Beklagte abgeführt. Denn die Klägerin war in diesem Zeitraum auf Grund
Beschäftigung rentenversicherungspflichtig gem. §
1 Abs.
1 S. 1 Nr.
1 SGB VI. Rentenversicherungsfreiheit war gem. §
5 Abs.
1 S. 4
SGB VI erst zum 01.07.2012 eingetreten.
1. Rechtsgrundlage des geltend gemachten Erstattungsanspruchs ist §
26 SGB IV. Danach sind zu Unrecht entrichtete Beiträge zu erstatten, es sei denn, dass der Versicherungsträger bis zur Geltendmachung
des Erstattungsanspruchs auf Grund dieser Beiträge oder für den Zeitraum, für den die Beiträge zu Unrecht entrichtet worden
sind, Leistungen erbracht oder zu erbringen hat; Beiträge, die für Zeiten entrichtet worden sind, die während des Bezugs von
Leistungen beitragsfrei sind, sind jedoch zu erstatten.
Der Erstattungsanspruch steht dem zu, der die Beiträge getragen hat, §
26 Abs.
3 Satz 1
SGB IV. Dazu ist festzustellen, dass dies bei den hier strittigen, vom 01.11.2011 bis 30.06.2012 von der Beigeladenen zu 2) als
Arbeitgeberin und Beitragsschuldnerin gem. §
28e SGB IV abgeführten und in Folge Entgeltabzugsverfahren gem. §
28g SGB IV von der Klägerin getragenen, aus der Pflichtversicherung gem. §
1 Abs.
1 S. 1 Nr.
1 SGB VI aus §
168 SGB VI resultierenden Beiträgen zur gesetzlichen Rentenversicherung in zutreffender Höhe gem. §§
157 ff
SGB VI entsprechend der am 27.11.2012 bei der Beklagten eingegangenen Aufstellung von der Klägerin von dieser tatsächlich getragen
worden sind.
2. Im streitgegenständlichen Zeitraum vom 01.11.2011 bis 30.06.2012 ist die Entrichtung der Arbeitnehmeranteile der Beiträge
zur gesetzlichen Rentenversicherung nicht zu Unrecht erfolgt. Denn die Klägerin war in dieser Zeit rentenversicherungspflichtig
beschäftigt (§
1 Satz 1 Nr.
1 SGB VI) und nicht versicherungsfrei iSd §
5 Abs.
1 S. 1 Nr.
2 SGB VI. Denn ihr war als Arbeitnehmerin der Beklagten zu 2) als Anstalt des öffentlichen Rechts nach beamtenrechtlichen Vorschriften
oder Grundsätzen eine Anwartschaft auf Versorgung bei verminderter Erwerbsfähigkeit und im Alter sowie auf Hinterbliebenenversorgung
nicht gewährleistet und die Erfüllung der Gewährleistung nicht gesichert gewesen. Dies setzte nämlich voraus, dass sie nach
beamtenrechtlichen Vorschriften oder Grundsätzen Anspruch auf Vergütung und bei Krankheit auf Fortzahlung der Bezüge gehabt
hätte oder nach beamtenrechtlichen Vorschriften oder Grundsätzen bei Krankheit Anspruch auf Beihilfe oder Heilfürsorge. Entscheidend
ist, dass gem. §
5 Abs.
1 Satz 4
SGB VI die Gewährleistung von Anwartschaften die Versicherungsfreiheit erst vom Beginn des Monats an begründet, in dem die Zusicherung
der Anwartschaften vertraglich erfolgt.
a) Wie die vorgelegten Vertragsdokumente sowie die gewechselten Schriftsätze einschließlich der Anlagen belegen und wie auch
unter den Beteiligten nicht strittig, sind mit den Versorgungszusagen der Beigeladenen zu 2) die tatbestandlichen Voraussetzungen
des §
5 Abs.
1 SGB V erfüllt. Zudem besteht hierzu die gem. §
5 Abs.
1 S. 3
SGB VI erforderliche Entscheidung des Bayernischen Staatsministeriums der Finanzen als zuständiger oberster Landesbehörde des Freistaates
Bayern.
b) Zutreffend hat die Beklagte aber entschieden, dass diese Versicherungsfreiheit erst zum 01.07.2012 eingetreten ist.
Denn die entsprechende Anwartschaft der Klägerin resultiert erst aus der Vereinbarung der auf fünf Seiten geregelten Versorgungszusage,
welche auf Seiten der Arbeitgeberin, der Beklagten zu 2), durch die entscheidungs- und zeichnungsbefugten Herren M. R. und
K. Z. am 02.07.2012 sowie auf Seiten der Klägerin von dieser am 14.07.2012 unterschrieben worden sind. Die Vereinbarung ist
somit erst durch die Annahme der Willenserklärungen vom 02.07.2012 am 14.07.2012 zustande gekommen, ein früheres Entstehensdatum
ist nicht dokumentiert und auch nicht anderweitig nachweisbar.
c) Darauf, dass die Versorgungszusage rückwirkend zum 01.11.2011 vereinbart wurde, kommt es nach dem eindeutigen Wortlaut
des §
5 Abs.
1 Satz 4
SGB VI nicht an.
Mit der Einführung des §
5 Abs.
1 Satz 4
SGB VI sollte gerade sichergestellt werden, dass nicht beamtenähnliche Versorgungsanwartschaften rückwirkend für Zeiten verliehen
werden, in welchen die Rentenversicherung bereits das Versicherungsrisiko getragen sowie refinanziert hatte, aber eine beamtenähnliche
Versorgungsanwartschaft und Risikoabdeckung in ex-ante-Betrachtung nicht bestanden hatte (Fichte in: Hauck/Noftz,
SGB VI, Stand 4/2014, §
5 Rn. 162; Segebrecht in: Kreikebohm,
SGB VI, 4. Auflage, 2013, §
5 Rn. 15; Gürtner in: Kasseler Kommentar Sozialversicherungsrecht, Stand Juni 2016, §
5 SGB VI Rn. 27a). In der streitgegenständlichen Zeit bestand das Risiko, dass die Klägerin aufgrund der entrichteten Beiträge Leistungen
von der Beigeladenen zu 2) in Form einer Rente oder Rehamaßnahme beanspruchen hätte können. Dieses Risiko ist im Zeitraum
seines Bestehens finanziell abzusichern. Dass es sich tatsächlich nicht realisiert hatte, ist vom versicherungsrechtlichen
Risikoabdeckungs- und Finanzierungsprinzip her nicht maßgeblich. Es kommt vielmehr darauf an, dass die Klägerin in jenem Zeitraum
tatsächlich diesen Versicherungsschutz der gesetzlichen Rentenversicherung innehatte.
Der klare Normenwortlaut verbietet eine Erweiterung im Wege richterlicher Rechtsfortbildung. Richterliche Rechtsfortbildung
ist von Verfassungswegen zwar nicht zu beanstanden, aber nur, wenn sie den erkennbaren Willen des Gesetzgebers nicht beiseite
schiebt und diesen nicht durch eine autark getroffene Interessenabwägung ersetzt. Die Gerichte sind nicht ermächtigt, ihre
eigene materielle Gerechtigkeitsvorstellung an die Stelle derjenigen des Gesetzgebers zu setzen. Vielmehr ist es ihre Aufgabe,
den vom Gesetzgeber festgelegten Sinn und Zweck eines Gesetzes zur Geltung zu bringen oder eine planwidrige Regelungslücke
zu füllen (vgl. BVerfG, Urteil vom 11.07.2012 - 1 BvR 3142/07, Rn 74f - zitiert nach Juris).
3. Dass die Klägerin im streitgegenständlichen Zeitraum noch keine beamtenähnliche Versorgungsanwartschaft besaß, ergibt sich
zunächst auch aus den Urteilen des BAG vom 15.05.2012 (u.a. Az. 3 AZR 610/11).
Denn das BAG hat dort lediglich einen Anspruch der betroffenen Arbeitnehmer gegen die Beigeladene zu 1) dahingehend festgestellt,
dass diese den Arbeitnehmern den Abschluss eines Versorgungsvertrages anbietet (3 AZR 610/11, Rn. 72, 95). Damit sind aber die entsprechenden vertraglichen Vereinbarungen noch nicht zustande gekommen. Hierfür bedurfte
es erst eines Angebots durch die Beigeladene zu 2) und die Annahme des Angebots durch die Klägerin. Das Angebot datiert im
vorliegenden Falle vom 02.07.2012, die Annahme erfolgte rechtswirksam am 14.07.2012.
4. Ebenso wenig kann aus dem Gewährleistungsschreiben des Bayerischen Staatsministeriums der Finanzen vom 11./24.03.1993 abgeleitet
werden, dass die Klägerin bereits zum 01.11.2011 eine relevante Versorgungsanwartschaft besaß. Zum einen enthält dieses Schreiben
keine Aussage zur Frage des Zeitpunkts des Eintritts der Versicherungsfreiheit im Fall einer vereinbarten rückwirkenden Versorgungszusage.
Zum anderen besaß das Ministerium nach Einführung des §
5 Abs.
1 Satz 4
SGB VI keine Rechtsmacht (mehr), den Zeitpunkt des Eintritts der Versicherungsfreiheit zu bestimmen (vgl. Fichte, in Hauck/Noftz,
SGB VI §
5 Rn. 158). Das Gewährleistungsschreiben ist vielmehr als Erfüllung der tatsächlichen Voraussetzung des §
5 Abs.
1 S. 3
SGB IV und damit als Erfüllung einer von mehreren erforderlichen Voraussetzungen zu werten.
Dieses Ergebnis findet auch eine Stütze in §
230 Abs.
5 SGB VI. Danach ist §
5 Abs.
1 Satz 4
SGB VI nur dann nicht anzuwenden, wenn vor dem 1. Februar 2002 aufgrund einer Entscheidung nach §
5 Abs.
1 Satz 3
SGB VI bereits Versicherungsfreiheit nach §
5 Abs.
1 Satz 1 Nr.
2 oder 3
SGB VI vorlag. Dies war vorliegend tatsächlich nicht der Fall.
Das Nämliche gilt für das Schreiben des Bayerischen Staatsministeriums der Finanzen vom 16.07.2012.
5. Zwar wurde die Beigeladene zu 2) mit rechtskräftigem Urteil des Arbeitsgerichts C-Stadt vom 15.05.2012 verurteilt, der
Klägerin mit Wirkung zum 14.10.2011 die einschlägige Versorgungszusage zu leisten. Allein daraus hat aber am 14.10.2011 die
Versorgungsanwartschaft im gesetzlichen Sinne noch nicht faktisch bestanden.
Tatsächlich ist der Tenor wie folgt gefasst: "Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin mit Wirkung zum 14.10.2011 eine Versorgungszusage
mit folgendem Inhalt anzubieten." Sodann ist die Versorgungszusage auf den folgenden sieben Blättern des Urteiles abgedruckt,
bevor die Entscheidung zu den Kosten und zum Streitwert tenoriert ist.
Das Urteil hat damit nicht selbst die Versorgungszusage hergestellt, geschaffen oder ersetzt. Es verpflichtet die Beklagte
vielmehr, der Klägerin ein im Detail bestimmtes Angebot zu unterbreiten. Daraus folgt, dass die Versorgungszusage erst erstellt
und der Klägerin offeriert werden musste. Im nächsten Schritt hatte die Klägerin die Versorgungszusage anzunehmen. Erst dann
war deren Wirksamwerden hergestellt. Dieser gerichtlich ausgesprochenen Angebotspflicht ist die Beigeladene zu 2) am 02.07.2012
nachgekommen, die Annahme des Angebotes ist erst am 14.07.2012 erfolgt. Die Versorgungszusage war damit erst mit diesem Datum
existent. Darauf aber stellt §
5 Abs.
1 Satz 4
SGB VI ab, nicht jedoch auf eine entsprechende Pflicht - und sei sie auch durch rechtskräftiges Urteil tituliert und jederzeit durchsetzbar.
Das gilt in gleicher Weise, wenn durch nachträgliche Vollzugserfüllung ein entsprechendes arbeitsgerichtliches Urteil umgesetzt
wird.
An dieser Beurteilung ändert sich nichts dadurch, dass das Arbeitsgericht C-Stadt die Beigeladene zu 2) verpflichtet hatte,
"mit Wirkung zum 14.10.2011" das Angebot zu unterbreiten. Denn wie dargelegt ist die gesetzliche Befreiung nach §
5 Abs.
1 S. 1 Nr.
2 SGB VI nicht durch nachträgliche Vereinbarungen zu erreichen, sondern die Voraussetzungen müssen im Monat der Befreiung tatsächlich
vollständig erfüllt sein. An dieser gesetzlichen Voraussetzung vermögen selbst titulierte, zivilrechtliche auf arbeitsrechtlichem
Gebiet liegende Ansprüche sowie Verabredungen nichts zu ändern, §
31 SGB I.
6. Etwas Anderes folgt auch nicht daraus, dass die Deutschen Rentenversicherung Bayern Süd mit Schreiben vom 10.10.2012 (Az.:
XXX) die gegenteilige Auffassung vertreten hat.
Das Schreiben enthält nach seinem eindeutigen Wortlaut weder eine verbindliche Einzelfallregelung oder Allgemeinverfügung
iSd § 31 SGB X oder eine Zusicherung iSd § 34 SGB X. Als für die Klägerin unzuständige Träger hätte es insoweit der Deutschen Rentenversicherung Bayern Süd auch an der aus der
Zuständigkeit resultierenden Rechtsmacht gefehlt.
7. Schließlich kann sich die Klägerin weder darauf berufen, dass einige Versicherungsträger tatsächlich vergleichbaren Beschäftigten
die Versicherungsfreiheit rückwirkend zugestanden und Beiträge für die Vergangenheit erstattet haben.
Denn dies ist wie dargelegt mit der geltenden Regelung in §
5 SGB VI nicht zu vereinbaren. Für eine durchgängige Rückerstattungspraxis der Beklagten und der Beigeladenen zu 1) im Sinne einer
Selbstbindung der Verwaltung, von der nur im Falle der Klägerin ohne sachlichen Grund abgewichen würde, fehlt es an Vortrag
sowie an Anhaltspunkten. Und nur dann würde das aus Art.
3 GG resultierende Willkürverbot zu Gunsten der Klägerin eingreifen können. Die Rückerstattung der Beiträge nach dem
SGB III war ohne Gleichheitsverletzung möglich, weil es dort an einer Bestimmung wie in §
5 Abs.
1 Satz 4
SGB VI fehlt.
Schließlich kann die Klägerin ihren Anspruch auch nicht auf den Grundsatz von Treu und Glauben stützen. Dieser ist zwar auch
im Sozialrecht anerkannt, soll aber wegen der besonderen Ausgestaltungen im Sozialgesetzbuch selbst nur in Gestalt bestimmter
Ausprägungen Berücksichtigung finden (BSG, Urteil vom 23.05.2017 - B 12 KR 9/16 R, Rn. 18 - zitiert nach Juris). Für eine solche Sonderkonstellation, die ein Abweichen von der gesetzlichen Regelung und dem
dargestellten rentenversicherungsrechtlichen Risikoschutz- und -Finanzierungsprinzip veranlassen könnte, fehlt es vorliegend
an Anhalt.
Weil somit die Versicherungsfreiheit der Klägerin in der Rentenversicherung erst zum 01.07.2012 eingetreten war, ist den Berufungen
vollumfänglich stattzugeben.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§
183,
193 SGG.
Die Revision ist nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des §
160 Abs.
2 SGG nicht erfüllt sind.