Rentenversicherung
Vormerkungsbescheid
Anerkennung rentenrechtlicher Zeiten
Kein Anspruch auf Berücksichtigung von Zeiten wegen schulischer Ausbildung vor dem 17. Lebensjahr als Anrechnungszeiten (LSG
Berlin-Brandenburg, Urteil vom 31.01.2013 – L 22 R 271/12)
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt von der Beklagten Feststellung der Zeit vom 28. Mai 1971 bis 27. Mai 1972 als Anrechnungszeit.
Mit Bescheid vom 04. April 2000 hatte die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (nachfolgend ebenfalls Beklagte genannt)
gegenüber der am 28. Mai 1955 geborenen Klägerin nach §
149 Abs.
5 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (
SGB VI) die im beigefügten Versicherungsverlauf enthaltenen Daten bis 31. Dezember 1993, insbesondere die Zeit vom 28. Mai 1972
bis 28. Juni 1973 als Anrechnungszeittatbestand Fachschulausbildung, verbindlich festgestellt. Die Zeit vom 28. Mai 1971 bis
27. Mai 1972 hatte sie hingegen abgelehnt. Diese Zeit könne insbesondere nicht als Anrechnungszeit anerkannt werden, weil
die Ausbildung vor Vollendung des 17. Lebensjahres zurückgelegt worden sei. Letztgenannte Zeit hatte sie im Versicherungsverlauf
mit dem Hinweis "keine Anrechnung" und ohne Zuordnung anzurechnender Monate als Schulausbildung (28. Mai bis 31. August 1971)
und als Fachschulausbildung (01. September 1971 bis 27. Mai 1972) ausgewiesen.
Mit dem - vom Kläger nicht vollständig vorgelegten und von der Beklagten nicht mehr reproduzierbaren - Bescheid vom 12. September
2003 hatte die Beklagte - vermutlich - ebenfalls nach §
149 Abs.
5 SGB VI die im beigefügten Versicherungsverlauf enthaltenen Daten bis 31. Dezember 1996, soweit sie nicht bereits früher festgestellt
worden waren, festgestellt. Im Versicherungsverlauf hatte sie die Zeit vom 28. Mai bis 31. August 1971 als Schulausbildung
und die Zeit vom 01. September 1971 bis 27. Mai 1972 als Fachschulausbildung weiterhin ohne Zuordnung anzurechnender Monate
"vorgemerkt".
Nachdem die Beklagte einen Versicherungsverlauf mit Aufklärungsersuchen versandt hatte, teilte die Klägerin mit, die im Versicherungsverlauf
ausgewiesenen Daten seien unrichtig, denn die Zeit vom 28. Mai bis 31. August 1971 Schulausbildung und die Zeit vom 01. September
1971 bis 27. Mai 1972 Fachausbildung fehlten.
Mit Bescheid vom 26. Mai 2010 stellte die Beklagte nach §
149 Abs.
5 SGB VI nunmehr die im beigefügten Versicherungsverlauf enthaltenen Daten bis 31. Dezember 2003, soweit diese nicht bereits früher
festgestellt worden sind, verbindlich fest. Zugleich hob sie den Bescheid vom 04. April 2000 hinsichtlich der "vorgemerkten
Anrechnungszeiten wegen schulischer Ausbildung" für die Zeit vom 28. Mai 1971 bis 27. Mai 1972 mit Wirkung für die Zukunft
auf. Diese Zeit könne wegen einer Rechtsänderung nicht mehr berücksichtigt werden.
Den dagegen eingelegten Widerspruch, mit dem die Klägerin den Bescheid als rechtsunwirksam, weil nicht unterschrieben, rügte
und geltend machte, dass aus dem Bescheid nicht hervorgehe, welche Rechtsänderung vorgenommen worden sei, wies die Beklagte
mit Widerspruchsbescheid vom 04. März 2011 zurück, nachdem sie bereits zuvor auf Art. 1 des Wachstums- und Beschäftigungsförderungsgesetzes
vom 25. September 1996 als Rechtsgrundlage der Berücksichtigung von Anrechnungszeittatbeständen wegen schulischer Ausbildung
und auf § 33 Abs. 5 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) zum Fehlen einer Unterschrift hingewiesen hatte.
Dagegen hat die Klägerin am 29. März 2011 beim Sozialgericht Berlin Klage erhoben und sich gegen den "Entwurf" eines Widerspruchsbescheides
vom 04. März 2011 gewandt. § 33 Abs. 5 SGB X ersetze keine rechtsverbindliche Unterschrift (Hinweis auf höherwertige Gesetze
BGB und Verwaltungsverfahrensgesetz). Das SGB und das
SGG seien nichtig, denn es fehle der territorial-räumliche Geltungsbereich. Es werde durch die Beklagte versucht, das
BGB auszuhebeln.
Mit Gerichtsbescheid vom 01. März 2012 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen: Soweit die Klägerin bemängele, die angefochtenen
Bescheide seien aufgrund fehlender Unterschrift nicht rechtswirksam, sei dies gemäß § 33 SGB X unzutreffend. Entgegen der Auffassung der Klägerin seien im Verwaltungsverfahren nicht zivil- oder verwaltungsverfahrensrechtliche
Vorschriften, sondern das SGB X als Sozialverwaltungsverfahrensrecht anzuwenden. Soweit die Klägerin davon ausgehe, es handele sich um eine öffentlich-rechtliche
Streitigkeit von verfassungsrechtlicher Art, die den ordentlichen Gerichten zugewiesen sei, sei dies ebenso unzutreffend.
In Angelegenheiten der gesetzlichen Rentenversicherung seien Streitigkeiten gemäß §
51 Abs.
1 Nr.
1 SGG den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit zugewiesen. In der Sache selbst sei die Aufhebung des Bescheides vom 04. April 2000
hinsichtlich der streitigen Zeiten rechtmäßig. Gemäß §
149 Abs.
5 Satz 2
SGB VI sei bei Änderung der einem Feststellungsbescheid zugrunde liegenden Vorschriften dieser durch einen neuen Feststellungsbescheid
mit Wirkung für die Vergangenheit aufzuheben. Einer vorherigen Anhörung nach § 24 SGB X bedürfe es nicht, Vertrauensschutzgründe des § 48 SGB X seien nicht zu berücksichtigen. Durch Art. 1 Wachstums- und Beschäftigungsförderungsgesetz könnten mit Wirkung ab 01. Januar 1997 schulische Ausbildungsanrechnungszeiten
erst nach Vollendung des 17. Lebensjahres berücksichtigt werden.
Gegen den ihrem Prozessbevollmächtigten am 13. März 2012 zugestellten Gerichtsbescheid richtet sich die am 16. März 2012 eingelegte
als "jedes geeignete Rechtsmittel" bezeichnete Berufung der Klägerin.
Sie meint, bei diesem Gerichtsbescheid handele es sich um einen "Scheinbeschluss", da er nicht unterzeichnet und zudem nicht
rechtswirksam zugestellt sei. Es sei auch nicht ersichtlich, dass der zuständige Richter entschieden habe. Es fehle auch ein
Nachweis des gesetzlichen Richters vom Landessozialgericht.
Die Klägerin beantragt nach ihrem schriftsätzlichen Vorbringen,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 01. März 2012 zu ändern und den Bescheid vom 26. Mai 2010 in der Gestalt
des Widerspruchsbescheides vom 04. März 2011 insoweit aufzuheben, als darin die im Bescheid vom 04. April 2000 festgestellten
vorgemerkten Anrechnungszeiten wegen schulischer Ausbildung für die Zeit vom 28. Mai 1971 bis 27. Mai 1972 mit Wirkung für
die Zukunft aufgehoben worden sind,
hilfsweise unter Änderung des Bescheides vom 26. Mai 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04. März 2011 die
Beklagte zu verpflichten, die Zeit vom 28. Mai 1971 bis 31. August 1971 als Anrechnungszeit Schulausbildung und die Zeit vom
01. September 1971 bis 27. Mai 1972 als Anrechnungszeit Fachschulausbildung festzustellen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der
Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten (...), der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen
ist, verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Zur Entscheidung über die Berufung ist der erkennende Senat gemäß I. und IV. Geschäftsverteilungsplan 2013 des Landessozialgerichts
Berlin-Brandenburg zuständig. Die Besetzung im Einzelnen folgt wegen des Eintritts von Vertretungsfällen bei einem Berufsrichter
und einem ehrenamtlichen Richter aus VI. Nr. 3.1. Sätze 1 und 2 i. V. m. Anlage 2 und VII. Nr. 5.2 Sätze 1 und 2 Geschäftsverteilungsplan
2013 des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg.
Die Berufung ist zulässig. Sie ist insbesondere statthaft, denn sie richtet sich gegen eine wirksame anfechtbare Entscheidung.
Nach §
143 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) findet die Berufung an das Landessozialgericht gegen die Urteile der Sozialgerichte statt, soweit sich aus den Vorschriften
dieses Unterabschnitts nicht anderes ergibt. Die Berufung ist ebenfalls das Rechtsmittel gegen einen Gerichtsbescheid, denn
nach §
105 Abs.
2 Satz 1
SGG können die Beteiligten innerhalb eines Monats nach Zustellung des Gerichtsbescheids das Rechtsmittel einlegen, das zulässig
wäre, wenn das Gericht durch Urteil entschieden hätte.
Der Gerichtsbescheid ist wirksam. Es mangelt ihm insbesondere nicht an der Unterschrift.
Nach §
134 Abs.
1 SGG ist das Urteil vom Vorsitzenden zu unterschreiben. Diese Vorschrift gilt auch für den Gerichtsbescheid, denn nach § 105 Abs.
1 Satz 3 gelten die Vorschriften über Urteile entsprechend.
Der Gerichtsbescheid vom 01. März 2012 ist von dem nach dem Beschluss des Präsidiums des Sozialgerichts Berlin vom 06. Dezember
2011 gemäß dessen § 23 zuständigen Richter am Sozialgericht Barz unterschrieben worden. Es handelt sich um eine Unterschrift
und nicht lediglich um eine Paraphe.
Die der Klägerin zugestellte Ausfertigung dieses Gerichtsbescheides bedarf keiner Unterschrift.
Nach §
137 Satz 1 i. V. m. §
105 Abs.
1 Satz 3
SGG sind die Ausfertigungen des Urteils und damit auch des Gerichtsbescheides von dem Urkundsbeamten der Geschäftsstelle zu unterschreiben
und mit dem Gerichtssiegel zu versehen.
Es wird selbst von der Klägerin nicht vorgetragen, dass dies nicht geschehen sei.
Die Zustellung des Gerichtsbescheides ist wirksam.
Zustellung ist die Bekanntgabe eines Dokuments an eine Person in der in diesem Titel bestimmten Form (§
166 Abs.
1 ZPO). Die Geschäftsstelle führt die Zustellung nach den §§
173 bis
175 ZPO aus. Sie kann einen nach § 33 Abs. 1 des Postgesetzes beliehenen Unternehmer (Post) oder einen Justizbediensteten mit der Ausführung der Zustellung beauftragen. Den Auftrag an
die Post erteilt die Geschäftsstelle auf dem dafür vorgesehenen Vordruck (§
168 Abs.
1 ZPO). Wird der Post, einem Justizbediensteten oder einem Gerichtsvollzieher ein Zustellungsauftrag erteilt oder wird eine andere
Behörde um die Ausführung der Zustellung ersucht, übergibt die Geschäftsstelle das zuzustellende Schriftstück in einem verschlossenen
Umschlag und ein vorbereitetes Formular einer Zustellungsurkunde (§
176 Abs.
1 ZPO). Die Ausführung der Zustellung erfolgt nach den §§
177 bis
181 ZPO (§
176 Abs.
2 ZPO). Wird die Person, der zugestellt werden soll, in ihrer Wohnung, in dem Geschäftsraum oder in einer Gemeinschaftseinrichtung,
in der sie wohnt, nicht angetroffen, kann das Schriftstück zugestellt werden 1. in der Wohnung einem erwachsenen Familienangehörigen,
einer in der Familie beschäftigten Person oder einem erwachsenen ständigen Mitbewohner, 2. in Geschäftsräumen einer dort beschäftigten
Person, 3. in Gemeinschaftseinrichtungen dem Leiter der Einrichtung oder einem dazu ermächtigten Vertreter (§
178 Abs.
1 ZPO). Ist die Zustellung nach §
178 Abs.
1 Nr.
1 oder 2
ZPO nicht ausführbar, kann das Schriftstück in einen zu der Wohnung oder dem Geschäftsraum gehörenden Briefkasten oder in eine
ähnliche Vorrichtung eingelegt werden, die der Adressat für den Posteingang eingerichtet hat und die in der allgemein üblichen
Art für eine sichere Aufbewahrung geeignet ist. Mit der Einlegung gilt das Schriftstück als zugestellt. Der Zusteller vermerkt
auf dem Umschlag des zuzustellenden Schriftstücks das Datum der Zustellung (§
180 ZPO).
Diesen Zustellungsvorschriften entsprechend ist der Gerichtsbescheid nach dem Inhalt der Zustellungsurkunde zugestellt worden.
Danach ist er am 13. März 2012 durch den Postbediensteten H der PIN Mail AG in den zur Wohnung/zum Geschäftsraum gehörenden
Briefkasten oder in eine ähnliche Vorrichtung eingelegt worden, weil die Übergabe in der Wohnung/in dem Geschäftsraum nicht
möglich war.
Selbst wenn gegen zwingende Zustellungsvorschriften verstoßen worden sein sollte, wäre die Zustellung des Gerichtsbescheides
wirksam.
Dies folgt aus §
189 ZPO: Lässt sich die formgerechte Zustellung eines Dokuments nicht nachweisen oder ist das Dokument unter Verletzung zwingender
Zustellungsvorschriften zugegangen, so gilt es in dem Zeitpunkt als zugestellt, in dem das Dokument der Person, an die die
Zustellung dem Gesetz gemäß gerichtet war oder gerichtet werden konnte, tatsächlich zugegangen ist.
Dass der Gerichtsbescheid tatsächlich zugegangen ist, wird selbst von der Klägerin nicht in Zweifel gezogen, denn dagegen
ist der am 16. März 2012 eingegangene Schriftsatz gerichtet, mit dem "jedes geeignete Rechtsmittel" dagegen eingelegt worden
ist.
Anhaltspunkte dafür, dass das
SGG nichtig ist, sind nicht ersichtlich. Die Ansicht der Klägerin, wonach es eines Einführungsgesetzes mit der genauen Definition
des territorial-räumlichen Geltungsbereiches bedarf, ist unzutreffend, denn als Bundesgesetz gilt das
SGG im territorial-räumlichen Bereich der Bundesrepublik Deutschland.
Die Berufung ist jedoch unbegründet.
Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Bescheid vom 26. Mai 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 04. März 2011 ist rechtmäßig. Die Klägerin hat weder Anspruch darauf, dass diese Bescheide insoweit aufgehoben werden,
als darin die im Bescheid vom 04. April 2000 festgestellten vorgemerkten Anrechnungszeiten wegen schulischer Ausbildung für
die Zeit vom 28. Mai 1971 bis 27. Mai 1972 mit Wirkung für die Zukunft aufgehoben worden sind, noch darauf, die Zeit vom 28.
Mai 1971 bis 31. August 1971 als Anrechnungszeit Schulausbildung und die Zeit vom 01. September 1971 bis 27. Mai 1972 als
Anrechnungszeit Fachschulausbildung festzustellen.
Der Bescheid vom 26. Mai 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04. März 2011 ist nicht deswegen rechtswidrig
oder unwirksam, weil es an einer eigenhändigen Unterschrift fehlt.
Wie bereits das Sozialgericht, findet das SGB X Anwendung. Auch beim SGB X handelt es sich um ein Bundesgesetz, so dass die obigen Ausführungen zum
SGG in gleicher Weise gelten.
§ 33 Abs. 5 Satz 1 1. Halbsatz SGB X bestimmt: Bei einem Verwaltungsakt, der mit Hilfe automatischer Einrichtungen erlassen wird, können abweichend von § 33 Abs. 3 Satz 1 SGB X Unterschrift und Namenswiedergabe fehlen.
Sowohl beim Bescheid vom 26. Mai 2010 als auch beim Widerspruchsbescheid vom 04. März 2011 handelt es sich um Verwaltungsakte,
die mit Hilfe automatischer Einrichtungen erlassen worden sind. Der Schriftform (§ 33 Abs. 2 Satz 1 SGB X, §
85 Abs.
3 Satz 1
SGG) ist damit auch ohne eigenhändige Unterschrift genügt.
Die Aufhebung dieser Bescheide insoweit, als darin die im Bescheid vom 04. April 2000 festgestellten vorgemerkten Anrechnungszeiten
wegen schulischer Ausbildung für die Zeit vom 28. Mai 1971 bis 27. Mai 1972 mit Wirkung für die Zukunft aufgehoben worden
sind, kann die Klägerin nicht beanspruchen, weil tatsächlich eine solche Aufhebung nicht erfolgt ist. Voraussetzung einer
solchen Aufhebung von Anrechnungszeiten wegen schulischer Ausbildung wäre, dass im Bescheid vom 04. April 2000 solche Anrechnungszeiten
festgestellt worden wären. Dies ist jedoch nicht der Fall, denn in diesem Bescheid ist (ausdrücklich) verfügt, dass die Zeit
vom 28. Mai 1971 bis 27. Mai 1972 nicht als Anrechnungszeit anerkannt werden kann, weil die Ausbildung vor Vollendung des
17. Lebensjahres zurückgelegt wurde. Der Versicherungsverlauf weist dementsprechend "keine Anrechnung" aus und nimmt auch
keine Zuordnung anzurechnender Monate vor. Damit geht die Verfügung im Bescheid vom 26. Mai 2010, soweit damit der Bescheid
vom 04. April 2002 hinsichtlich der "vorgemerkten Anrechnungszeiten wegen schulischer Ausbildung" für die Zeit vom 28. Mai
1971 bis 27. Mai 1972 aufgehoben wird, ins Leere.
Die Klägerin hat auch keinen Anspruch darauf, dass die Zeit vom 28. Mai 1971 bis 31. August 1971 als Anrechnungszeit Schulausbildung
und die Zeit vom 01. September 1971 bis 27. Mai 1972 als Anrechnungszeit Fachschulausbildung festgestellt wird.
Als Rechtsgrundlage einer solchen Feststellung kommt §
149 Abs.
5 SGB VI in Betracht, dessen Voraussetzungen jedoch nicht erfüllt sind.
Danach stellt der Versicherungsträger die im Versicherungsverlauf enthaltenen und nicht bereits festgestellten Daten, die
länger als sechs Kalenderjahre zurückliegen, durch Bescheid fest, wenn der Versicherungsträger das Versicherungskonto geklärt
oder der Versicherte innerhalb von sechs Kalendermonaten nach Versendung des Versicherungsverlaufs seinem Inhalt nicht widersprochen
hat. Soweit diese Daten rentenrechtliche Zeiten im Sinne von §
54 Abs.
1 SGB VI sind, wird beweissichernd für einen später eintretenden Leistungsfall für die im Bescheid aufgeführten Zeiträume verbindlich
geklärt, dass sie den Tatbestand der jeweiligen rentenrechtlichen Zeit erfüllen. Der Versichte hat Anspruch darauf, dass die
festgestellten Daten den im jeweils maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt gültigen materiell-rechtlichen Vorschriften entsprechen
(vgl. Bundessozialgericht - BSG, Urteil vom 24. Oktober 1996 - 4 RA 108/95, abgedruckt in SozR 3-2600 § 58 Nr. 9).
Die Zeit vom 28. Mai 1971 bis 27. Mai 1972 kann nicht als Anrechnungszeit festgestellt werden, da sie keine Anrechnungszeit
ist.
Nach §
58 Abs.
1 Satz 1 Nr.
4 SGB VI in der Fassung des Wachstums- und Beschäftigungsförderungsgesetzes vom 25. September 1996 (BGBl. I 1996, 1461) - WFG - sind Anrechnungszeiten Zeiten, in denen Versicherte nach dem vollendeten 17. Lebensjahr eine Schule, Fachschule
oder Hochschule besucht oder an einer berufsvorbereitenden Bildungsmaßnahme teilgenommen haben (Zeiten einer schulischen Ausbildung),
insgesamt jedoch höchstens bis zu drei Jahren, seit dem 01. Januar 2002 in der Fassung des Gesetzes vom 21. März 2001 (BGBl.
I 2001, 403), insgesamt jedoch höchstens bis zu acht Jahren.
Die Klägerin vollendete am 28. Mai 1972 ihr 17. Lebensjahr. Damit sind Zeiten einer schulischen Ausbildung ab dem 28. Mai
1972, nicht jedoch solche vor diesem Zeitpunkt als Anrechnungszeiten Schulausbildung und Fachschulausbildung berücksichtigungsfähig.
Diese Regelung ist nicht verfassungswidrig. Insbesondere liegt keine Verletzung von Eigentum (Art.
14 Abs.
1 Satz 1
Grundgesetz -
GG -) oder des Gleichheitssatzes (Art.
3 Abs.
1 GG) vor.
Gegenstand der Eigentumsgarantie des Art.
14 Abs.
1 GG sind Ansprüche und Anwartschaften aus der gesetzlichen Rentenversicherung in ihrem Gesamtbestand, wie sie sich aus dem funktionalen
Zusammenwirken der verschiedenen Elemente nach der jeweiligen Gesetzeslage ergeben, nicht hingegen einzelne Anspruchs- bzw.
Berechnungselemente (BSG, Urteil vom 19. April 2011 - B 13 R 27/10 R -, zitiert nach juris; BSG, Urteil vom 18. April 1996 - 4 RA 36/94 -, abgedruckt in SozR 3-2600 § 71 Nr. 1 = BSGE 78, 138; BSG, Urteil vom 23. Mai 1995 - 13/4 RA 13/94 -, zitiert nach juris).
Die Anrechnungszeiten beruhen - da ohne eigene Beitragsleistung erworben - überwiegend auf staatlicher Gewährung und sind
somit Ausdruck besonderer staatlicher Fürsorge (Bundesverfassungsgericht - BVerfGE - 58, 81, 112 = SozR 2200 § 1255 a Nr.
7). Sie sind zwar Bestandteil der Rente - bzw. der Rentenanwartschaft - und unterliegen damit dem Bestandsschutz des Art.
14 Abs.
1 GG; als ein Element des sozialen Ausgleichs vom Gesetzgeber gedacht, für die mit der Ausbildung für den Einzelnen verbundene
Minderung der sozialen Sicherheit (BVerfGE 58, 81, 113), liegt es jedoch in seinem besonders weiten Gestaltungsspielraum, ob er diesen Ausgleich weitergewähren oder bei einer
angespannten finanziellen Lage kürzen will (BSG, Urteil vom 18. April 1996 - 4 RA 36/94 -). Bei der Ausgestaltung (und rentenrechtlichen Bewertung) von Ausbildungszeiten hat der Gesetzgeber unabhängig von der
Frage, ab welchem Zeitpunkt eine rentenversicherungsrechtliche Rechtsposition so verfestigt ist, dass sie durch Art.
14 Abs.
1 GG geschützt ist, (somit) eine größere Gestaltungsfreiheit als bei auf Beiträgen beruhenden Berechnungsgrößen, weil diese Zeiten
auf einem allgemeinen fürsorgerischen Gedanken beruhen (BSG, Urteil vom 02. März 2010 - B 5 KN 1/07 R -, abgedruckt in SozR 4-2600 § 72 Nr. 3).
Die Begrenzung der Ausbildungszeiten auf Zeiten nach Vollendung des 17. Lebensjahres erfolgte durch das WFG. Der Gesetzgeber
verfolgte mit dem WFG das Ziel, die Finanzgrundlagen der gesetzlichen Rentenversicherung zu verbessern. Die vorgenommenen
Änderungen des
SGB VI, insbesondere die Neugestaltung der Anrechnungszeiten wegen schulischer Ausbildung, dienten dazu, die Funktions- und Leistungsfähigkeit
des Systems der gesetzlichen Rentenversicherung im Interesse aller zu erhalten, zu verbessern und den veränderten wirtschaftlichen
Bedingungen anzupassen. Sie waren geeignet, zur finanziellen Konsolidierung der gesetzlichen Rentenversicherung beizutragen.
Der dadurch bewirkte Wertverlust der Rentenanwartschaft kann als erforderlich angesehen werden. Dem Gesetzgeber stand kein
milderes, die Betroffenen weniger belastendes Mittel zur Verfügung, mit denen er seine Ziele ebenso gut hätte erreichen können.
Dem Gesetzgeber steht ein weiter Ermessensspielraum zur Verwirklichung seiner Ziele zu. Er kann mithin nicht darauf verwiesen
werden, eine Einsparung in anderen, vom betroffenen Gesetz nicht erfassten Bereichen zu erzielen. Er war damit ebenfalls nicht
verpflichtet, auf andere Maßnahmen auszuweichen, insbesondere die Beitragssätze zu erhöhen, die Bestandsrenten abzusenken
oder auf eine Anpassung der Renten an die Lohn- und Gehaltsentwicklung zu verzichten, einen höheren Bundeszuschuss vorzusehen
und ggf. zu diesem Zweck Steuern einzuführen oder zu erhöhen. Der Eingriff in die Rentenanwartschaft ist auch verhältnismäßig
(BVerfG, Beschluss vom 27. Februar 2007 - 1 BvL 10/00, abgedruckt in BVerfGE 117, 272 = SozR 4-2600 § 58 Nr. 7: speziell zum WFG). Das mit der Verkürzung der Anrechnung schulischer Ausbildungszeiten verfolgte
Ziel der Erhaltung der Funktions- und Leistungsfähigkeit des Systems der gesetzlichen Rentenversicherung ist von hoher Bedeutung
und damit geeignet, Einschränkungen zu rechtfertigen (BSG, Urteil vom 02. März 2010 - B 5 KN 1/07 R).
Die Rentenanwartschaft der Klägerin beruht, soweit ihr Anrechnungszeiten wegen schulischer Ausbildung zugrunde liegen, nicht
auf ihrer Beitragsleistung zugunsten der versicherungsrechtlichen Solidargemeinschaft, die die Rente finanziert.
Die betroffenen Versicherten mit beitragsfreien Zeiten wie Anrechnungszeiten wegen schulischer Ausbildung konnten mithin nicht
darauf vertrauen, dass ihnen ungeachtet der weiteren Entwicklung der gesetzlichen Rentenversicherung solche Anrechnungszeiten
im bisherigen Umfang bei der Rente berücksichtigt würden. Es musste ihnen klar sein, dass es sich um eine besondere Privilegierung
handelt, deren Fortbestand auch von der Finanzierbarkeit und deren Akzeptanz innerhalb der Versichertengemeinschaft abhängt
(BVerfG, Beschluss vom 16. März 2006 - 1 BvR 1311/96 - m. w. N., abgedruckt in SozR 4-2600 § 250 Nr. 3).
Art.
3 Abs.
1 GG gebietet, alle Menschen vor dem Gesetz gleich zu behandeln. Damit ist dem Gesetzgeber allerdings nicht jede Differenzierung
verwehrt. Er verletzt das Grundrecht nur dann, wenn er eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten
anders behandelt, obwohl in beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche
Behandlung rechtfertigen könnten (BVerfGE 112, 50, 67 m. w. N.). Dem Gesetzgeber wird insbesondere durch Art.
3 Abs.
1 GG nicht verwehrt, zur Regelung bestimmter Lebenssachverhalte Stichtage einzuführen, obwohl jeder Stichtag unvermeidlich gewisse
Härten mit sich bringt. Voraussetzung ist allerdings, dass sich die Einführung des Stichtages überhaupt und die Wahl des Zeitpunkts
am gegebenen Sachverhalt orientiert und damit sachlich vertretbar ist (BVerfG, Beschluss vom 16. März 2006 - 1 BvR 1311/96 - m. w. N.; BVerfGE 101, 239, 270).
Die Einführung des Stichtages und die Wahl des Zeitpunkts der Neuregelung der Anrechnungszeiten wegen schulischer Ausbildung
orientieren sich an der aufgezeigten Notwendigkeit, die Funktions- und Leistungsfähigkeit des Systems der gesetzlichen Rentenversicherung
zu erhalten. Wenn der Gesetzgeber hierbei unter dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes zwischen Versicherten, die bei In-Kraft-Treten
der Neuregelung bereits Rentner waren, und solchen Versicherten, die erst zukünftig eine Rente erhalten werden, differenziert,
ist dies an einem sachlichen Gesichtspunkt anknüpfend nicht zu beanstanden.
Davon ausgehend wird die Klägerin nicht gleichheitswidrig behandelt, denn es gibt keine andere Gruppe von Normadressaten,
die Anrechnungszeiten wegen schulischer Ausbildung vor Vollendung des 17. Lebensjahres erhalten können.
Die Berufung muss daher erfolglos bleiben.
Die Kostenentscheidung folgt aus §
193 Abs.
1 SGG und entspricht dem Ergebnis des Rechtsstreits.
Die Revision ist nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen hierfür (§
160 Abs.
2 Nrn. 1 und 2
SGG) nicht vorliegen.