Tatbestand
Die Klägerin wendet sich gegen eine Beitragsnachforderung nach durchgeführten Statusfeststellungen im Rahmen eines Betriebsprüfungsverfahrens.
Die Klägerin ist ein Unternehmen, welches Montage- und Trockenbauarbeiten, Wärmeschutz- und Schallschutzinstallationen sowie
Sanierungen und Elektrotechnik vornimmt. Der Beigeladene zu 1. war in den Zeiträumen 1. Juli 2006 bis 31. Dezember 2007 und
1. März 2008 bis 30. Juni 2008 im Auftrag der Klägerin auf Baustellen tätig. Der Beigeladene zu 2. war dort im Zeitraum 23.
April 2007 bis 31. Dezember 2007 und 1. März 2008 bis 30. Juni 2008 im Auftrag der Klägerin auf Baustellen tätig.
Im Zeitraum 30. September bis 6. April 2011 führte die Beklagte betreffend den Zeitraum 1. Dezember 2005 bis 31. Dezember
2008 eine – angekündigte – Betriebsprüfung bei der Klägerin durch und wertete im Zuge dessen verschiedene Unterlagen, unter
anderem diverse Kontenauskünfte, aus.
Mit Bescheiden vom 15. November 2011 stellte die Beklagte die Versicherungspflicht der Beigeladenen zu 1. und 2. in der gesetzlichen
Renten- und Krankenversicherung, der sozialen Pflegeversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung fest. Die hiergegen
gerichteten Widersprüche der Klägerin wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheiden vom 11. Dezember 2012 zurück. Die dagegen
erhobenen Klagen blieben erfolglos (Urteile des SG vom 16.1.2020 [Az. S 33 R 62/13 und S 33 R 63/13]), die Berufungen ebenso (Urteile des Senats vom 8.3.2022 [Az. L 3 BA 6/20 und L 3 BA 7/20]) .
Mit Anhörungsschreiben vom 23. Mai 2011 teilte die Beklagte der Klägerin die Feststellungen aus der Betriebsprüfung mit. Es
sei beabsichtigt, Beiträge in Höhe von 86.847,57 EUR für den Zeitraum 1. Dezember 2005 bis 31. Dezember 2008 nachzufordern.
Darin enthalten seien Säumniszuschläge in Höhe von 26.420,50 EUR. In ihrer Stellungnahme vom 22. Juli 2011 hat sich die Klägerin
nicht zur Beitragshöhe oder -berechnung geäußert.
Mit Bescheid vom 16. November 2011 setzte die Beklagte die sich aus der Betriebsprüfung ergebenden Beträge für den Zeitraum
1. Dezember 2005 bis 31. Dezember 2008 auf 86.874,57 EUR fest. In der Nachforderung seien Säumniszuschläge in Höhe von 26.420,50
EUR enthalten. Zur Begründung verwies sie auf ihre Feststellungen aus den Bescheiden vom 15. November 2011 betreffend die
Versicherungspflicht der Beigeladenen zu 1. und 2. Für Arbeitsentgelt aus einer versicherungspflichtigen Beschäftigung habe
ein Arbeitgeber Beiträge als Gesamtsozialversicherungsbeitrag an die zuständige Einzugsstelle zu zahlen. Bemessungsgrundlage
für die Beiträge abhängig Beschäftigter sei jeweils das Arbeitsentgelt des Beschäftigten. Sei ein Nettoarbeitsentgelt vereinbart,
gälten nach §
14 Abs.
2 Sozialgesetzbuch Viertes Buch (
SGB IV) als Arbeitsentgelt die Einnahmen des Beschäftigten einschließlich der darauf entfallenden Steuern sowie seiner gesetzlichen
Beitragsanteile zur Sozialversicherung und zur Arbeitsförderung. Seien bei illegalen Beschäftigungsverhältnissen Steuern und
Beiträge zur Sozialversicherung sowie zur Arbeitsförderung nicht gezahlt worden, gelte ein Nettoarbeitsentgelt als vereinbart.
Eine Beschäftigung sei u.a. dann als illegale Beschäftigung anzusehen, wenn diese ohne Vorliegen einer notwendigen Arbeitserlaubnis
ausgeübt werde. Grundlage der jetzigen Beitragsnachforderung seien die in den Bescheiden vom 15. November 2011 ausgewiesenen
Bruttoarbeitsentgelte. In Fällen einer nicht ausgeübten Krankenkassenwahl sei eine Zuweisung anhand der letzten beiden Ziffern
der Betriebsnummer des Arbeitgebers vorzunehmen. In den Fällen der Beigeladenen zu 1. und 2 sei dies die Beigeladene zu 3.
Für Beiträge und Beitragsvorschüsse, die ein Arbeitgeber nicht bis zum Ablauf des Fälligkeitstages zahle, sei nach §
24 Abs.
1 SGB IV für jeden angefangenen Monat der Säumnis ein Zuschlag in Höhe von 1 % zu zahlen. Die Klägerin habe Kenntnis von ihrer Zahlungspflicht
gehabt. Beigefügt war eine Beitragsberechnung.
Hiergegen erhob die Klägerin am 13. Dezember 2011 Widerspruch. Am 28. Dezember 2011 beantragte sie die Aussetzung der Vollziehung
des Beitragsbescheides. Den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 2. Januar 2012 ab.
Es bestünden keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides. Eine unbillige Härte für die Klägerin
liege nicht vor.
Nach Versendung eines aufklärenden Schreibens vom 28. August 2012 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin gegen die
Beitragsnachforderung mit Widerspruchsbescheid vom 11. Dezember 2012 zurück. Mit der Widerspruchsbegründung sei die Klägerin
nicht gegen die Beitragsberechnung an sich, sondern gegen die Feststellung von Beschäftigungsverhältnissen in den Bescheiden
vom 15 November 2011 vorgegangen. Trotz Aufforderung zur Vorlage einer geeigneten Begründung des Widerspruchs sei eine solche
nicht erfolgt. Die Überprüfung nach Aktenlage habe ergeben, dass der angefochtene Nachforderungsbescheid der Sach- und Rechtslage
entspreche.
Am 11. Januar 2013 erhob die Klägerin zum Sozialgericht Hamburg. Die Begründung glich dem klägerischen Vorbringen betreffend
die Feststellungen zum versicherungsrechtlichen Status der Beigeladenen zu 1. und 2. in den Verfahren S 33 R 62/13 und S 33 R 63/13. Ergänzend führte sie aus, dass die Zugrundelegung der Steuerklasse VI unzulässig sei, da feststehe, dass die Beigeladenen
zu 1. und 2. während der in Ansatz gebrachten Zeiträume bei anderen Arbeitgebern nicht in einem Verhältnis abhängiger Beschäftigung
gestanden hätten. Die Abrechnung sei daher unter Einstufung in die Lohnsteuergruppe I vorzunehmen. Hierdurch verringere sich
die Forderung der Beklagten um knapp 20.000 EUR.
Die Beklagte bezog sich auf ihre Ausführungen im Bescheid sowie im Widerspruchsbescheid. Ergänzend führte sie aus, die Lohnsteuerklasse
VI sei zu Recht zugrunde gelegt worden (Bezugnahme auf LSG Schleswig-Holstein, Beschl. v. 17.9.2015 – L 5 KR 146/15 B ER).
Die Klägerin leistete in der Folge Zahlungen in Höhe von 21.000 EUR. Sie stellte beim Sozialgericht einen Antrag auf Anordnung
der aufschiebenden Wirkung (Az.: S 11 R 233/14 ER). Dieses Verfahren endete durch Vergleich, nachdem die Klägerin der Beigeladenen zu 3. eine Bürgschaftsurkunde erteilte und
die Beigeladenen zu 3. im Gegenzug auf eine Vollstreckung der Forderung bis zum Ende des Hauptsacheverfahrens absieht. Mit
Stand Dezember 2018 betrug die Forderung noch 71.089,61 EUR. Sie ist aber vorübergehend befristet niedergeschlagen.
Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 16. Januar 2020 abgewiesen. Die Beklagte habe zutreffend festgestellt, dass
für die Beigeladenen zu 1. und 2. hinsichtlich der im Zeitraum 1. Dezember 2005 bis 31. Dezember 2008 gezahlten Entgelte Beiträge
und Säumniszuschläge in Höhe von insgesamt 86.847,57 EUR zu entrichten seien, da sie in ihrer Tätigkeit als Trockenbauer für
die Klägerin der Versicherungspflicht in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung
unterlegen hätten. Das Sozialgericht verwies auf die Ausführungen im angefochtenen Bescheid und führte ergänzend aus, dass
die Beklagte die Beiträge zutreffend anhand der Lohnsteuerklasse VI berechnet habe. Dem stünde nicht entgegen, dass nach Aussage
der Beigeladenen zu 1. und 2. neben der Beschäftigung bei der Klägerin keine weiteren Beschäftigungsverhältnisse bestanden
hätten. Es sei vom Nettoarbeitsentgelt auszugehen, da weder Steuern noch Beiträge für die Beigeladenen zu 1. und 2. abgeführt
worden seien. Diesbezüglich liege bedingter Vorsatz der Klägerin vor. Die Kenntnis der Vertretungsorgane sei ihr zuzurechnen,
denn die Geschäftsführer B.A., D.A. und S.M. hätten bewusst die Augen davor verschlossen, dass es sich bei den Auftragsverhältnissen
und abhängige Beschäftigung hätte handeln können. Eine den Vorsatz indizierende Kenntnis von der Beitragspflicht könne regelmäßig
dann angenommen werden, wenn für das gesamte typische Arbeitsentgelt überhaupt keine Beiträge entrichtet würden. Etwas Anderes
habe die Klägerin nicht vorgetragen. Eine Steuerkarte sei von den Beigeladenen zu 1. und 2. nicht vorgelegt worden. Dies zu
prüfen, sei Aufgabe der Klägerin gewesen. Die Berücksichtigung der Steuerklasse VI folge aus §
39c Einkommensteuergesetz (
EStG). Die Beigeladenen zu 1. und 2. seien unbeschränkt steuerpflichtig gewesen, weil sie ihren gewöhnlichen, zukunftsoffenen Aufenthalt
in Deutschland gehabt hätten. Ohne Belang sei, ob sie eine weitere abhängige Beschäftigung ausgeübt hätten.
Gegen das ihr am 7. April 2020 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 8. April 2020 Berufung eingelegt. Ergänzend zu ihrem
bisherigen Vorbringen trägt sie vor, es sei nunmehr ermittelt worden, dass die Beigeladenen zu 1. und zu 2. zwei weitere Auftraggeber
gehabt hätten, einen in S. und einen weiteren in W.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 16. Januar 2020 sowie den Bescheid der Beklagten vom 16. November 2011 in der Gestalt
des Widerspruchsbescheides vom 11. Dezember 2012 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie schließt sich den Ausführungen im angefochtenen Urteil und verweist im Übrigen auf den Inhalt der angefochtenen Bescheide.
Die Berufungsbegründung enthalte keinerlei neue Aspekte hinsichtlich einer möglichen Fehlerhaftigkeit der vorgenommenen Beitragsnachberechnung.
Die Beigeladenen stellen keine Anträge. Einen zunächst gestellten Antrag auf Beiladung zum Verfahren gemäß §
75 Abs.
2b Sozialgerichtsgesetz (
SGG) hat die Bundesagentur für Arbeit zurückgezogen.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie den Inhalt
der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen, die sämtlich Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Entscheidungsfindung
gewesen sind.
Entscheidungsgründe
Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht (vgl. §§
143,
151 Abs.
1 SGG) eingelegte Berufung der Klägerin ist unbegründet.
Das Sozialgericht Hamburg hat die Klage mit Urteil vom 16. Januar 2020 zu Recht abgewiesen, denn der Bescheid der Beklagten
vom 16. November 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. Dezember 2012 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin
nicht in ihren Rechten. Die Beklagte darf von der Klägerin Beiträge in Höhe von 86.847,57 EUR für an die Beigeladenen zu 1.
und 2. gezahlte Entgelte einschließlich der dazugehörigen Säumniszuschläge nachfordern.
Rechtsgrundlage des Bescheides ist § 28p Abs. 1 Sätze 1 und 5
SGB IV. Danach prüfen die Träger der Rentenversicherung bei den Arbeitgebern, ob diese ihre Meldepflichten und ihre sonstigen Pflichten
nach dem
SGB IV, die im Zusammenhang mit den Gesamtsozialversicherungsbeiträgen stehen, ordnungsgemäß erfüllen; sie prüfen insbesondere die
Richtigkeit der Beitragszahlungen und der Meldungen (§
28a SGB IV), und zwar mindestens alle vier Jahre (Satz 1). Die Träger der Rentenversicherung erlassen nach § 28p Abs. 1 Satz 5
SGB IV im Rahmen der Prüfung Verwaltungsakte (den hier gegenständlichen Prüfbescheid, vgl. BSG, Urt. v. 16.12.2015 – B 12 R 11/14 R, BSGE 120, 209) zur Versicherungspflicht und Beitragshöhe in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung
einschließlich der Widerspruchsbescheide gegenüber den Arbeitgebern. Mit dem letzten Halbsatz der Vorschrift ist klargestellt,
dass die Zuständigkeit der Träger der Rentenversicherung unabhängig von den eigentlich nach §
28h Abs.
2 Satz 1
SGB IV für solche Feststellungen zuständigen Einzugsstellen besteht.
Der angefochtene Bescheid ist formell rechtmäßig ergangen. Insbesondere hat die Beklagte die Klägerin vor Erlass des Bescheides
nach § 24 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) angehört. Die Anhörung erfolgte im Wege der Mitteilung des Prüfergebnisses mit der Gelegenheit, sich hierzu zu äußern. Der
Bescheid ist auch ordnungsgemäß begründet worden (vgl. § 35 SGB X).
Zudem erweist sich der angefochtene Bescheid als materiell rechtmäßig. Nach §
28e Abs.
1 SGB IV hat der Arbeitgeber den Gesamtsozialversicherungsbeitrag für die bei ihm Beschäftigten zu entrichten. Im streitigen Zeitraum
unterlagen Personen, die gegen Arbeitsentgelt beschäftigt waren, in der gesetzlichen Rentenversicherung, der gesetzlichen
Krankenversicherung, der sozialen Pflegeversicherung und nach dem Recht der Arbeitsförderung der Versicherungspflicht (§ 1 Satz 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch [SGB VI], § 5 Abs. 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch [SGB V], § 20 Abs.
1 Satz 1 und Satz 2 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Elftes Buch [SGB XI], § 25 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Drittes Buch [SGB III]). Der Beitragsbemessung für den vom Arbeitgeber zu zahlenden Gesamtsozialversicherungsbeitrag liegt gemäß §§ 28d, 28e
SGB IV das Arbeitsentgelt zugrunde (vgl. §
342 SGB III, §
226 Abs.
1 Satz 1 Nr.
1 SGB V, §
162 Nr.
1 SGB VI, §
57 SGB XI). Der Beigeladene zu 1. war in den Zeiträumen 1. Juli 2006 bis 31. Dezember 2007 sowie 1. März 2008 bis 30. Juni 2008 und
der Beigeladene zu 2. in den Zeiträumen 23. April 2007 bis 31. Dezember 2007 sowie ebenfalls 1. März 2008 bis 30 Juni 2008
bei der Klägerin beschäftigt. Auf die Ausführungen in den Entscheidungsgründen der den Beteiligten bekannten Urteile des Senats
vom 8. März 2022 in den Rechtssachen L 3 BA 6/20 und L 3 BA 7/20 wird diesbezüglich verwiesen.
Die gewährten Zuwendungen unterlagen als Arbeitsentgelt der Beitragspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung, der gesetzlichen
Krankenversicherung, der sozialen Pflegeversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung. Arbeitsentgelt sind nach §
14 Abs.
1 Satz 1
SGB IV alle laufenden oder einmaligen Einnahmen aus einer Beschäftigung, gleichgültig, ob ein Rechtsanspruch auf die Einnahmen besteht,
unter welcher Bezeichnung oder in welcher Form sie geleistet werden und ob sie unmittelbar aus der Beschäftigung oder im Zusammenhang
mit ihr erzielt werden. Unerheblich ist daher, ob die Einnahme in Form von Geld oder als Sach- bzw. Dienstleistung gewährt
wird (Werner in Schlegel/Voelzke, jurisPK-
SGB IV, 4. Aufl. 2021, §
14 Rn. 71). Die den Beigeladenen zu 1. und zu 2. in Geld gewährten Beträge sind ohne Weiteres als Arbeitsentgelt anzusehen, die ihnen
als Gegenleistung für die auf Baustellen verrichteten Tätigkeiten erbracht worden sind.
Die Beklagte hat die Beiträge zu Recht auf Grundlage der Steuerklasse VI von den tatsächlich gewährten Zahlungen als Nettolohnvereinbarung
gewertet und diese Löhne auf Bruttolöhne hochgerechnet. Seit 1.8.2002 besteht gemäß §
14 Abs.
2 Satz 2
SGB IV eine Rechtsgrundlage dafür, bei illegalen Beschäftigungsverhältnissen sozialversicherungsrechtlich eine Nettolohnvereinbarung
zu unterstellen. Eine illegale Beschäftigung in diesem Sinn lag hier vor. Das Gesetz enthält keine Legaldefinition des Begriffs
illegale Beschäftigung. Der Inhalt des Begriffes ist daher im Wege der Auslegung zu ermitteln. Der Wortlaut könnte dafür sprechen,
jedes nicht den jeweils geltenden Rechtsvorschriften entsprechende Beschäftigungsverhältnis als illegal einzustufen. Aus der
Gesetzeshistorie (vgl. BT-Drucks. 14/8221, S. 11) ergibt sich, dass es sich um einen „Sammelbegriff“ handelt, der eine Vielzahl verschiedener Ordnungswidrigkeitentatbestände
oder Straftaten erfasst, von Verstößen gegen das Arbeitnehmerüberlassungsrecht bis hin zu Verstößen gegen das Steuerrecht
oder zum Leistungsmissbrauch (BSG, Urt. v. 9.11.2011 – B 12 R 18/09 R, BSGE 109, 254). Sinn und Zweck des Gesetzes legen nahe, dass eine Illegalität bereits dann zu bejahen ist, wenn geschuldete Steuern und
Beiträge nicht gezahlt werden (Vor in Winkler,
SGB IV, 3. Aufl. 2020, §
14 Rn. 82; Zieglmeier in Kasseler Kommentar Sozialversicherungsrecht,
SGB IV, §
14 Rn. 151 [2021]). Werden darüber hinaus zentrale arbeitgeberbezogene Pflichten des Sozialversicherungsrechts verletzt (z.B. Zahlungs-, Melde-,
Aufzeichnungs- oder Nachweispflichten), ist ebenso von einer Illegalität des Beschäftigungsverhältnisses auszugehen (BSG, Urt. v. 9.11.2011 – B 12 R 18/09 R, BSGE 109, 254). Hier liegt es so, dass die Klägerin objektiv keine Beiträge zur Sozialversicherung entrichtet hat. Darüber hinaus ist sie
auch ihren Meldepflichten nicht ordnungsgemäß nachgekommen.
Hinsichtlich der illegalen Beschäftigung der Beigeladenen zu 1. und zu 2. lag auch ein auf die Verletzung bezogener Vorsatz
der Klägerin vor. Diesbezüglich verweist der Senat auf die zutreffenden Ausführungen im Urteil der Vorinstanz. Darüber hinaus
ist im Berufungsverfahren vonseiten der Beteiligten nichts weiter vorgetragen worden oder sonst ersichtlich, was Anlass zu
Zweifeln an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils gegeben hätte.
Bei der Hochrechnung gemäß §
14 Abs.
2 Satz 2
SGB IV auf Bruttolöhne ist grundsätzlich nach §
39c Abs.
1 Einkommensteuergesetz (
EStG) die Lohnsteuerklasse VI zugrunde zu legen (BSG, Urt. v. 9.11.2011 – B 12 R 18/09 R, BSGE 109, 254; LSG Schleswig-Holstein, Beschl. v. 17.9.2015 – L 5 KR 146/15 B ER, NZS 2015, 103; Wagner in BeckOK-Sozialrecht,
SGB IV, §
14 Rn. 28 [2021]; vgl. auch BGH, Urt. v. 2.12.2008 – 12 StR 416/08, BGHSt 53, 71). Hierauf hat die Beklagte – formell ordnungsgemäß – bereits im Anhörungsschreiben und nochmals deutlicher im Beitragsnachforderungsbescheid
hingewiesen. Die Durchführung des Lohnsteuerabzugs nach Steuerklasse VI bei Nichtvorlage einer Lohnsteuerkarte durch den Arbeitnehmer
erfordert nach §
39c Abs.
1 Satz 1
EStG zum einen, dass der Arbeitnehmer unbeschränkt einkommensteuerpflichtig ist, und zum anderen, dass die Lohnsteuerkarte von
diesem schuldhaft nicht vorgelegt wurde.
Soweit die Norm eine unbeschränkte Einkommensteuerpflicht voraussetzt, ergeben sich die Voraussetzungen aus §
1 EStG. Gemäß §
1 Abs.
1 Satz 1
EStG sind natürliche Personen, die im Inland einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, unbeschränkt steuerpflichtig.
Einen Wohnsitz hat jemand gemäß §
9 Abgabenordnung (
AO) dort, wo er eine Wohnung innehat, die darauf schließen lässt, dass er sie beibehalten und benutzen wird. Als gewöhnlicher
Aufenthalt ist stets und von Beginn an ein zeitlich zusammenhängender Aufenthalt von mehr als sechs Monaten Dauer anzusehen.
Kurzfristige Unterbrechungen bleiben unberücksichtigt. Als kurzfristige Unterbrechung sind bspw. Heimataufenthalte von Ausländer:innen
bei ihren Familien anzusehen, wenn ein Rückkehrwille in das Bundesgebiet besteht, auch wenn der Heimaturlaub zwei bis drei
Monate andauert (FG Baden-Württemberg, Urt. v. 23.9.1975 – IV 253/73, EFG 1976, 13; Drüen in Tipke/Kruse, AO/FGO,
AO, §
9 Rn. 7 [2016]; Deppe, StuW 1982, 332, 335 ff.). Diese Voraussetzungen sind sowohl im Fall des Beigeladenen zu 1. als auch des Beigeladenen zu 2. gegeben. Dabei ist es als
irrelevant anzusehen, dass der Beigeladene zu 1. seine Wohnung nicht von Beginn seines Aufenthaltes in Deutschland angemietet
hatte, sondern erst zu einem späteren Zeitpunkt dort eingezogen ist. Jedenfalls war sein Aufenthalt in Deutschland auf unbestimmte
Zeit und damit „zukunftsoffen“ angelegt. Auch die Angabe der Wohnung im Gewerbeschein spricht für die Ernsthaftigkeit eines
längeren Aufenthaltes bzw. einer Wohnsitznahme. Die Beigeladenen zu 1. und 2. haben im Verfahren erster Instanz glaubhaft
und von der Klägerin unwidersprochen angegeben, dass ihr Aufenthalt in Deutschland unter der angegebenen Wohnadresse auf lange
Dauer geplant war. Der zwischenzeitlich angetretene Heimaturlaub in den Monaten Januar und Februar 2008 ist für die Annahme
eines gewöhnlichen Aufenthalts im Inland unschädlich, denn es bestand ein zukunftsoffener Rückkehrwille, wie die tatsächliche
Entwicklung belegt.
Erfüllt ist auch die zweite Voraussetzung: Die Lohnsteuerkarte wurde schuldhaft nicht von den Beigeladenen zu 1. und 2. vorgelegt.
Die Prüfung dessen oblag der Klägerin. Eine solche Prüfung hat indes zu keinem Zeitpunkt stattgefunden. Die Klägerin hätte
nach §
42e EStG die Möglichkeit gehabt, eine sog. Anrufungsauskunft einzuholen. Macht ein Arbeitgeber hiervon jedoch keinen Gebrauch, trifft
ihn das Haftungsrisiko (BFH, Urt. v. 29.5.2008 – VI R 11/07, BFHE 221, 182). Dass diese finanzgerichtliche Rechtsprechung auf sozialversicherungsrechtliche Sachverhalte übertragbar ist, hat das Bundessozialgericht
in seiner Rechtsprechung bereits anerkannt (BSG, Urt. v. 9.11.2011 – B 12 R 18/09 R, BSGE 109, 254; i.d.S. auch LSG Schleswig-Holstein, Beschl. v. 17.9.2015 – L 5 KR 146/15 B ER, NZS 2015, 913). Dem schließt sich das erkennende Gericht nach eigener Prüfung der Sach- und Rechtslage an. Die Haftung eines Arbeitgebers
besteht solange fort, wie ihm keine Lohnsteuerkarte vorgelegt wurde. So liegt es auch hier.
Eine andere Steuerklasse, insbesondere die Steuerklasse I, kann nur dann bei der Hochrechnung berücksichtigt werden, falls
eine entsprechende Bescheinigung des Betriebsstättenfinanzamtes vorliegt und im Laufe des Verfahrens vorgelegt wird (Zieglmeier in Kasseler Kommentar Sozialversicherungsrecht,
SGB IV, §
14 Rn. 146 [2021]). Eine solche Bescheinigung lag im hier zu beurteilenden Fall indes zu keinem Zeitpunkt vor. Die Lohnsteuerklasse VI wäre
auch dann nicht zugrunde zu legen, wenn die tatsächlichen Verhältnisse der Arbeitnehmer bekannt waren oder ohne Weiteres hätten
festgestellt werden können (vgl. BGH, Beschl. v. 24.9.2019 – 1 StR 346/18, BGHSt 64, 195). Auch dies war hier nicht der Fall. Der Beklagten waren die familiären Verhältnisse der Beigeladenen zu 1. und 2. nicht bekannt.
Die Klägerin hat zudem widersprüchliche Angaben dazu gemacht, ob die Beigeladenen zu 1. und 2. weitere Auftraggeber hatten
bzw. sich in weiteren Beschäftigungsverhältnissen befunden haben oder nicht. So wurde zunächst behauptet, es stünde „nach
so langer Zeit“ fest, sie hätten keine weiteren Auftraggeber gehabt. Zuletzt hat die Klägerin vorgetragen, die Beigeladenen
zu 1. hätten sicher weitere Auftraggeber gehabt. Ausgehend hiervon kann der Beklagten nicht der Vorwurf gemacht werden, sie
habe die tatsächlichen Verhältnisse gekannt und ihrer Berechnung zu Unrecht die Lohnsteuerklasse VI zugrunde gelegt. Auch
die familiären Verhältnisse des Beigeladenen zu 1. waren der Beklagten nicht bekannt.
Einwände gegen die Art und Weise der Beitragsberechnung außerhalb der Frage nach der im Rahmen der Hochrechnung vom Netto-
auf einen Bruttolohn zu berücksichtigenden Steuerklasse hat die Klägerin nicht vorgetragen. Insoweit sind auch sonst keine
Mängel erkennbar.
Die Beklagte durfte zu Recht Säumniszuschläge auf die geschuldeten, aber nicht gezahlten Beiträge erheben. Gemäß §
24 Abs.
1 Satz 2
SGB IV in der seit 1.1.2002 unveränderten Fassung des 4. Euro-Einführungsgesetzes v. 21.12.2000 (BGBl. 2000 I, S. 1983) ist für Beiträge, die ein Zahlungspflichtiger nicht bis zum Ablauf des Fälligkeitstages gezahlt hat, für jeden angefangenen
Monat der Säumnis ein Säumniszuschlag von eins vom Hundert des rückständigen, auf 50 EUR nach unten abgerundeten Betrags zu
zahlen. Die objektiven Voraussetzungen für die Erhebung von Säumniszuschlägen sind im vorliegenden Fall erfüllt. Die Klägerin
hat es zum Datum der Fälligkeit unterlassen, die geschuldeten Beiträge zu entrichten.
Von der Erhebung von Säumniszuschlägen bei einer Beitragsnachforderung mit Wirkung für die Vergangenheit – wie dies im vorliegenden
Fall gegeben ist – ist nach §
24 Abs.
2 SGB IV Abstand zu halten, soweit der Beitragsschuldner glaubhaft macht, dass er unverschuldet keine Kenntnis von der Zahlungspflicht
hatte. Das Fehlen einer Kenntnis von der Beitragszahlungspflicht steht der Festsetzung von Säumniszuschlägen nicht entgegen.
Säumniszuschläge sind nur dann nicht zu erheben, wenn die Unkenntnis unverschuldet ist. Insoweit gelten vergleichbare Maßstäbe
wie im Rahmen des §
14 Abs.
2 Satz 2
SGB IV (vgl. BSG, Urt. v. 12.12.2018 – B 12 R 15/18 R, BSGE 127, 125). Von einer unverschuldeten Kenntnis der Klägerin kann hier indes nicht ausgegangen werden. Der Klägerin als juristischer
Person des Privatrechts ist das Handeln ihrer Organe – hier: ihrer drei Geschäftsführer – zuzurechnen. Insoweit wird nochmals
auf die Ausführungen im Urteil des Sozialgerichts verwiesen. Zweifel an der Richtigkeit der Berechnung der Säumniszuschläge
sind letztlich weder von der Klägerin vorgetragen worden noch sonst ersichtlich.
Die Kostenentscheidung beruht auf der Anwendung des §
197a Abs.
1 Satz 1
SGG i.V.m. §
154 Abs.
2, Abs.
3 Verwaltungsgerichtsordnung und trägt dem Ausgang des Rechtsmittelverfahrens in der Hauptsache Rechnung.
Die Revision war nicht zuzulassen, weil die gesetzlichen Voraussetzungen (vgl. §
160 SGG) hierfür nicht vorliegen. Grundsätzliche Rechtsfragen, die nicht bereits durch die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts
geklärt wären, werden durch den hier zu beurteilenden Fall nicht aufgeworfen. Das Urteil des erkennenden Gerichts beruht auch
nicht auf einer Divergenz von der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, des Gemeinsamen Senates der obersten Gerichtshöfe
des Bundes oder des Bundessozialgerichts. Vielmehr folgt der Senat dieser Rechtsprechung.