Tatbestand
Die Klägerin begehrt im Wege eines Überprüfungsantrags nach § 44 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) die Bewilligung einer Rente wegen Erwerbsminderung.
Die 1971 geborene Klägerin beantragte am 10. Dezember 2012 bei der Beklagten die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung.
Die Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 15. Oktober 2013 ab und führte aus, dass die Klägerin seit dem 13. Oktober
2011 unter Berücksichtigung der Lage auf dem Arbeitsmarkt befristet voll erwerbsgemindert sei. Eine Rente könne jedoch nicht
gewährt werden, da die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nicht erfüllt seien. In dem maßgeblichen Zeitraum
vom 13. Oktober 2006 bis 12. Oktober 2011 lägen nur 26 Monate mit Pflichtbeiträgen, sodass die Mindestzahl von 36 Monaten
mit Pflichtbeiträgen nicht erfüllt sei. Mit ihrem dagegen erhobenen Widerspruch machte die Klägerin geltend, die Beklagte
gehe von einem unrichtigen Leistungsfall aus. Tatsächlich sei sie am 13. Oktober 2011 noch nicht erwerbsgemindert gewesen.
Eine grundsätzliche Verschlechterung ihres Krankheitszustandes sei erst im März 2013 eingetreten. Die Beklagte wies den Widerspruch
mit Widerspruchsbescheid vom 28. März 2014 zurück und hielt daran fest, dass der Leistungsfall am 13. Oktober 2011 eingetreten
sei, sodass die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nicht vorlägen.
Hiergegen erhob die Klägerin am 7. Mai 2014 Klage vor dem Sozialgericht (Az. 11 R 481/14) und machte geltend, dass sie erst seit März 2013 unter einem Zervikobrachial-Syndrom leide, aufgrund dessen sie seit dem
21. Mai 2013 arbeitsunfähig und nicht mehr in der Lage sei, auf dem Arbeitsmarkt eingesetzt zu werden. Eine Reha-Maßnahme
vom 21. Mai bis 7. Juni 2013 sei erfolglos geblieben und sie sei arbeitsunfähig aus dieser entlassen worden.
Im Rahmen des Klageverfahrens holte das Sozialgericht verschiedene medizinische Gutachten ein. Der Facharzt für Orthopädie
Dr. N. gelangte nach Untersuchung der Klägerin in seinem Gutachten vom 9. März 2015 zu folgenden Diagnosen: Minderbelastbarkeit
des linken Arms bei einem Beschwerdebild im Sinne eines chronischen HWS-/Schulter-/Armsyndroms multifaktorieller Genese, resultierend
aus einem Verschleißleiden der HWS mit ausstrahlenden Beschwerden, einem Impingementsyndrom der linken Schulter bei Schultereckgelenksarthrose,
auch wohl eines Reizzustandes des in den linken Arm hineinführenden Gefäßnervenbündels im Sinne eines milden Thoracic-outlet-Syndroms,
im Sinne einer somatoformen Störung psychogen überlagert; Minderbelastbarkeit der Rumpfwirbelsäule nach operativ behandeltem
Bandscheibenvorfall an der unteren LWS sowie rezidivierenden funktionellen Störungen im Sinne sogenannter Blockierungen an
der oberen und mittleren BWS; Minderbelastbarkeit des rechten Beines bei Verschleißleiden des femoropatellaren Kniegelenksanteils
bei instabiler Kniescheibe. Damit seien mittelschwere und schwere körperliche Arbeiten, Arbeiten in Wirbelsäulenzwangshaltungen,
im Knien und Hocken, auf Leitern und Gerüsten oder an gefährdenden Arbeitsplätzen, Arbeiten mit häufigem und anhaltendem Einsatz
des linken Arms über der Horizontale, einseitige langanhaltende Tätigkeiten im Gehen und Stehen sowie Tätigkeiten unter erhöhtem
Zeitdruck nicht mehr zumutbar. Die Klägerin könne aber leichte körperliche Arbeiten in wechselnder Körperhaltungen, überwiegend
im Sitzen regelmäßig vollschichtig ausüben. Ihre Wegefähigkeit sei erhalten. Dieses Leistungsbild gelte sowohl für Oktober
2011 als auch für März/Juni 2013; die objektive Befundlage habe keine wesentliche Änderung erfahren.
Der Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. L. hat die Klägerin ebenfalls untersucht und hat in seinem Gutachten vom 3.
Juli 2015 nebst ergänzenden Stellungnahmen vom 24. November 2015 und 14. Februar 2017 dargelegt, dass die Leistungsfähigkeit
der Klägerin durch die von Dr. N. bezeichneten orthopädischen Diagnosen beeinträchtigt sei. Eine anlaufende somatoforme Schmerzstörung
oder differentialdiagnostisch ein Fibromyalgiesyndrom sei zusätzlich möglich und bedinge auch eine psychische Minderbelastbarkeit.
Die Klägerin könne leichte körperliche Tätigkeiten ohne alle Stressoren, auch ohne Publikumsverkehr, nur in wechselnder Körperhaltung,
unter Witterungsschutz, nicht an laufenden Maschinen, nicht mit erhöhten Anforderungen an die Ein- und Umstellfähigkeit, konzentrative
Belastung und Durchhaltevermögen vollschichtig und regelmäßig ausüben. Die Wegefähigkeit sei nicht beeinträchtigt. Das Leistungsvermögen
sei wie beschrieben im Oktober 2011 und auch im Mai und Juni 2013.
Es erfolgte sodann eine erneute Begutachtung durch den Facharzt für Psychiatrie und Neurologie Dr. N1, der nach Untersuchung
der Klägerin in seinem Gutachten vom 10. März 2018 zu folgenden Diagnosen gelangt ist: Multifaktorielle Zervikobrachialgie
links bei Thoracic-outlet-Syndrom links, degenerativen HWS-Veränderungen sowie chronischer Schmerzstörung mit somatischen
und psychischen Faktoren; Somatoform autonome Funktionsstörung des Verdauungssystems mit rezidivierenden Diarrhöen; Rezidivierende
depressive Störung, leichte bis mittelschwere Episode; Kombinierte Persönlichkeitsstörung mit im Vordergrund stehenden asthen
dependenten, aber auch ängstlich vermeidenden Akzenten; Gonalgien rechts, Kombinationskopfschmerz mit Spannungskopfschmerzkomponente,
zervikogenem Kopfschmerz, gelegentlicher Migräne sowie Verdacht auf Analgetika-induzierten Kopfschmerz bei Ibuprofen-Übergebrauch.
Die Klägerin könne leichte körperliche Arbeiten einfacher bis durchschnittlicher geistiger Art mit geringer bis durchschnittlicher
Verantwortung verrichten. Sie solle die Tätigkeiten aus wechselnder Körperhaltung heraus ausüben, körperliche Zwangshaltungen,
insbesondere Überkopfarbeiten und Tätigkeiten, bei denen es ständigen Armvorhaltes beiderseits bedürfe, seien auszuschließen.
Arbeiten unter besonderem Zeitdruck, unter Akkord- und unter Nachtarbeitsbedingungen seien ebenfalls auszuschließen. Sie solle
wegen ihres Kniegelenkleidens auch nur zur ebener Erde tätig sein. Die hiernach zumutbaren Arbeiten könne sie regelmäßig sechs
Stunden und mehr pro Arbeitstag ausüben. Sie sei wegefähig. Die psychischen Grundstörungen seien nicht so ausgeprägt, dass
sie unfähig wäre, Hemmungen gegenüber einer Arbeitsleistung zu überwinden. Die genannten Einschränkungen bestünden seit Antragstellung,
Änderungen im Leistungsvermögen seien nicht eingetreten.
Das Sozialgericht hat die Klage im Verfahren S 11 R 481714 daraufhin mit Urteil vom 7. Juni 2018 abgewiesen. Zwar seien die
besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen erfüllt, die Klägerin sei nach den übereinstimmenden Gutachten jedoch
weder voll noch teilweise erwerbsgemindert. Das Urteil wurde rechtskräftig.
Am 16. August 2018 beantragte die Klägerin die Überprüfung des ablehnenden Rentenbescheides vom 15. Oktober 2013 gemäß § 44 SGB X und machte erneut geltend, dass eine Erwerbsminderung erst im Zeitpunkt der Entlassung aus der Reha-Klinik eingetreten sei.
Die Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 26. November 2018 ab und verwies darauf, dass nach dem Urteil des Sozialgerichts
vom 7. Juni 2018 weder eine teilweise noch eine volle Erwerbsminderung vorliege.
Die Klägerin erhob dagegen Widerspruch und vertrat die Auffassung, dass sie nicht mehr in der Lage sei, irgendeine Tätigkeit
auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu verrichten. Die Wegefähigkeit sei auch nicht ausreichend geprüft worden. Sie habe ausgeprägte
Schäden an allen Abschnitten der Wirbelsäule. Bereits leichte Anstrengungen führten zu unerträglichen Schmerzen. Die Beklagte
wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 23. April 2019 zurück. Es sei bei Erlass des Bescheides vom 15. Oktober
2013 weder von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen worden noch sei eine falsche Rechtsanwendung ersichtlich.
Hiergegen hat die Klägerin am 29. Mai 2019 Klage erhoben und vorgetragen, dass aufgrund der Gesamtheit der gutachterlich festgestellten
Gesundheitsstörungen ein „Summierungsfall“ vorliege. Es seien aktuelle Befundberichte sowie ein berufskundliches Sachverständigengutachten
einzuholen. Es werde sich ergeben, dass sich die gesundheitliche Situation der Klägerin weiter verschlechtert habe.
Das Sozialgericht hat die Klage nach Anhörung der Beteiligten mit Gerichtsbescheid vom 31. März 2021 abgewiesen. In den Entscheidungsgründen
hat es ausgeführt, dass die Voraussetzungen für die Rücknahme eines rechtswidrigen nicht begünstigenden Verwaltungsakts gemäß
§ 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X nicht erfüllt seien. Bei der Überprüfung sei lediglich aus rechtlicher Sicht zu würdigen, ob der der bestandskräftig gewordenen
Entscheidung zu Grunde gelegte Sachverhalt zutreffend beurteilt und rechtlich in nicht zu beanstandender Weise bewertet worden
sei. Weitergehende Sachermittlungen seien nicht geboten. Anhaltspunkte dafür, dass das Recht bei Erlass der Verwaltungsakte
unrichtig angewandt worden sei, seien nicht ersichtlich. Dies ergebe sich bereits aus dem Verfahren unter dem Aktenzeichen
S 11 R 481/14, denn sämtliche dort beteiligten Gutachter seien zu der Einschätzung gelangt, dass die Voraussetzungen für eine teilweise
oder volle Erwerbsminderung nicht vorgelegen hätten. Es bestünden keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass die Gutachter die Gesundheitsstörungen
der Klägerin nicht hinreichend ermittelt oder gewürdigt hätten. Es gebe auch keine Anhaltspunkte dafür, dass eine Summierung
ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine besondere spezifische Leistungsbeeinträchtigung vorgelegen hätten. Auch
in der Summe seien die bei der Klägerin vorliegenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen nicht in der Lage, typische Arbeitsplätze
für körperlich leichte Tätigkeiten zu versperren. Besondere, weiterreichende Einschränkungen als solche, wie sie üblicherweise
bei physisch und teilweise psychisch geschwächten Erwerbsfähigen zu beobachten seien, seien nicht ersichtlich. Insbesondere
hätten sämtliche Gutachter den Gesundheitszustand der Klägerin nicht so eingeschätzt, dass die Klägerin über keinerlei Konzentrations-
und Durchhaltevermögen verfügen würde. Soweit Dr. L. in seinem Gutachten ausgeführt habe, sämtliche Stressoren seien zu vermeiden,
sei diese Einschätzung auf der Grundlage des von ihm erstatteten Gutachtens nicht nachvollziehbar. Von den gutachterlich benannten
Gesundheitsstörungen sei auch keine für sich genommen so schwer, dass der Arbeitsmarkt als verschlossen anzusehen wäre. Soweit
die Klägerin vortrage, ihr Gesundheitszustand habe sich weiter verschlechtert, komme es darauf im Rahmen des Überprüfungsverfahrens
nicht an.
Die Klägerin hat gegen den ihr am 6. April 2021 zugestellten Gerichtsbescheid am 6. Mai 2021 Berufung eingelegt. Sie trägt
vor, ein Anspruch auf Überprüfung nach § 44 SGB X bestehe auch bei Vorliegen eines rechtskräftigen Urteils, ein alleiniges Berufen auf das Urteil reiche nicht aus. Die im
Verfahren S 11 R 481/14 beauftragten Gutachter seien zu dem Ergebnis gekommen, dass die Klägerin unter Beachtung der aufgeführten Einschränkungen
noch vollschichtig erwerbsfähig sei. Tatsächlich sei sie aber bereits im Zeitpunkt der ablehnenden Bescheide und seit Langem
nicht mehr in der Lage, auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt irgendeine Tätigkeit auszuüben. Mit der Gesamtheit der gutachterlich
festgestellten Einschränkungen habe die Klägerin nicht mehr das Restleistungsvermögen, um typische Verrichtungen wie das Bedienen
von Maschinen oder das Zureichen, Abnehmen, Transportieren, Reinigen, Kleben, Sortieren, Verpacken, Zusammensetzen von Teilen
oder auch einfache Büro- oder Montagetätigkeiten vorzunehmen. Alle diese Tätigkeiten enthielten Stressfaktoren und ein gewisses
Maß an Konzentrationsfähigkeit und Durchhaltevermögen, was bei der Klägerin nicht gegeben sei. Soweit das Sozialgericht der
Auffassung sei, dass die Einschätzung des Gutachters Dr. L., wonach sämtliche Stressfaktoren zu vermeiden seien, nicht nachvollziehbar
sei, handele es sich um eine medizinische Einschätzung, die nicht das Gericht hätte vornehmen dürfen. Vielmehr sei insoweit
ein ergänzendes medizinisches Gutachten einzuholen.
Die Klägerin beantragt,
den Gerichtsbescheid vom 31. März 2021 sowie den Bescheid vom 26. November 2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom
23. April 2019 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, den Bescheid vom 15. Oktober 2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 28. März 2014 zurückzunehmen und der Klägerin eine Rente wegen Erwerbsminderung zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält den angefochtenen Gerichtsbescheid sowie die Leistungseinschätzung der im Verfahren S 11 R 481/14 beauftragten Gutachter für zutreffend.
Die Klägerin hat ein Attest des Arztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. H. vom 9. Juni 2021 eingereicht, in dem es heißt,
dass sich die Klägerin dort seit Anfang Dezember 2020 in Behandlung befinde. Die Ausübung einer geregelten beruflichen Tätigkeit
sei ihr aus gesundheitlichen Gründen seit etwa einem Jahrzehnt nicht mehr möglich. Das Berufungsgericht hat außerdem aktuelle
Befundberichte der behandelnden Ärzte angefordert.
Der Senat hat die Berufung mit Beschluss vom 7. März 2022 der Berichterstatterin zur Entscheidung mit den ehrenamtlichen Richtern
übertragen.
Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Prozessakte, die Verwaltungsakte der Beklagten und auf die
Prozessakte des Verfahrens S 11 R 481/14 Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die form- und fristgerecht eingelegte und auch sonst zulässige Berufung (§§
143,
151 Sozialgerichtsgesetz –
SGG) ist nicht begründet, denn das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die
Rücknahme des Bescheides vom 15. Oktober 2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. März 2014, da diese rechtmäßig
sind. Die Voraussetzungen für die Rücknahme eines rechtswidrigen nicht begünstigenden Verwaltungsakts gemäß § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X liegen nicht vor.
Gemäß § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit
sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt
ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder
Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind. Die Rücknahme nach dieser Vorschrift setzt einen bei Erlass rechtswidrigen Verwaltungsakt
voraus, wobei die Rechtswidrigkeit auf fehlerhafter Rechtsanwendung oder fehlerhafter Sachverhaltsfeststellung beruhen kann.
Abzustellen ist auf die bei Erlass des Bescheides maßgebliche Sach- und Rechtslage, wobei es nicht auf den Stand der Erkenntnisse
bei Erlass des Verwaltungsakts, sondern im Zeitpunkt seiner Überprüfung ankommt. Erforderlich ist somit eine rückschauende
Betrachtungsweise im Lichte einer eventuell geläuterten Rechtsauffassung zu der bei Erlass des zu überprüfenden Verwaltungsakts
geltenden Sach- und Rechtslage (Schütze in Schütze, SGB X, 9. Auflage 2020, § 44 Rn. 6 und 11; BSG, Urteil vom 26.10.2017 - B 2 U 6/16 R – Juris).
Wie das Sozialgericht zutreffend festgestellt hat, ist nicht ersichtlich, dass die Beklagte bei Erlass des Bescheides vom
15. Oktober 2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. März 2014 das Recht unrichtig angewandt oder von einem unrichtigen
Sachverhalt ausgegangen wäre. Darüber hinaus sind der Klägerin nicht Sozialleistungen zu Unrecht vorenthalten worden, denn
die Beklagte hat die beantragte Rente wegen Erwerbsminderung im Ergebnis zu Recht abgelehnt.
Versicherte haben gemäß § 43 Abs. 1 S. 1 und Abs.
2 S. 1 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch – Gesetzliche Rentenversicherung (
SGB VI) bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen voller bzw. teilweiser Erwerbsminderung, wenn sie voll
bzw. teilweise erwerbsgemindert sind, in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge
für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt
haben. Voll erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind,
unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein (§
43 Abs.
2 S. 2
SGB VI). Teilweise erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande
sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein
(§
43 Abs.
1 S. 2
SGB VI). Erwerbsgemindert ist nicht, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden
täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (§
43 Abs.
3 SGB VI).
Vorliegend ergibt sich insbesondere aus der im Verfahren S 11 R 481/14 erfolgten Beweisaufnahme, dass bei der Klägerin im Erlasszeitpunkt der Bescheide weder eine volle noch eine teilweise Erwerbsminderung
bestanden hat. Sämtliche in diesem Verfahren beauftragten medizinischen Sachverständigen sind zu dem Ergebnis gelangt, dass
bei der Klägerin zwar verschiedene Gesundheitsstörungen vorliegen, die jedoch nur zu qualitativen Einschränkungen, nicht aber
zu einer zeitlichen Limitierung ihres Leistungsvermögens führen. Auf die diesbezüglichen Darlegungen in dem Urteil des Sozialgerichts
vom 7. Juni 2018 im Verfahren S 11 481/14 sowie in dem hier angefochtenen Gerichtsbescheid vom 31. März 2021 (§
153 Abs.
2 SGG) wird zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen. Es bestehen auch weiterhin keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass die
Gutachter die Gesundheitsstörungen der Klägerin nicht hinreichend ermittelt oder gewürdigt hätten.
Das Sozialgericht hat in dem hier angefochtenen Gerichtsbescheid auch zu Recht dargelegt, dass Anhaltspunkte für das Vorliegen
einer Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder einer besonderen spezifischen Leistungsbehinderung nicht bestehen.
Eine schwere spezifische Leistungsbehinderung liegt nur vor, wenn bereits eine erhebliche (krankheitsbedingte) Behinderung
ein weites Feld von Verweisungsmöglichkeiten versperrt. Hierzu können beispielsweise Einäugigkeit, Einarmigkeit, erhebliche
Einschränkungen der Arm- und Handbeweglichkeit sowie besondere Schwierigkeiten hinsichtlich der Gewöhnung und Anpassung an
einen neuen Arbeitsplatz zählen (BSG, Urteil vom 09.05.2012 - B 5 R 68/11 R – Juris, m.w.N.). Derartige Beeinträchtigungen liegen bei der Klägerin nicht vor. Die von den medizinischen Sachverständigen
aufgeführten qualitativen Einschränkungen des Leistungsvermögens sind weder besonders ungewöhnlich noch besonders schwerwiegend.
Es ist nicht ersichtlich, dass sie dazu führen könnten, gerade auch typische Arbeitsplätze für körperlich leichte Tätigkeiten
zu versperren. Insbesondere konnte eine erhebliche Einschränkung der Armbeweglichkeit nicht festgestellt werden. Zwar hat
Dr. N. eine multifaktoriell bedingte Funktionsstörung des linken Arms bestätigt, dieser ist jedoch dadurch Rechnung getragen
worden, dass Arbeiten mit häufigem und anhaltendem Einsatz des linken Arms ausgeschlossen werden. Eine stärkere Funktionseinschränkung
ist nicht belegt, da Dr. N. eine Atrophie der Muskulatur im Bereich der linken Hand und des linken Arms einschließlich des
linken Schultergürtels ausdrücklich verneint hat.
Eine andere Beurteilung ergibt sich auch nicht daraus, dass Dr. L. leichte körperliche Tätigkeiten „ohne alle Stressoren“
als zumutbar bezeichnet hat. Dass er selbst nicht jegliche – auch leichtere – Stressfaktoren ausschließen wollte, ergibt sich
bereits aus seinen weiteren Ausführungen, wonach lediglich keine „erhöhten Anforderungen“ an die Ein- und Umstellfähigkeit,
die konzentrative Belastung sowie das Durchhaltevermögen gestellt werden dürfen. Auch aus dem von ihm erhobenen Befund ergeben
sich keine derart schwerwiegenden Störungen, die es rechtfertigen würden, jegliche Stressoren auszuschließen. Er hat die Klägerin
zwar als nachvollziehbar zermürbt über ihre Schmerzen, aber auch über weite Strecken als ausgeglichen beschrieben. Weiter
heißt es in seinem Gutachten, die Klägerin wirke in ihren psychischen Grundfunktionen durchgehend weitestgehend intakt. Weder
finde sich das Bild einer vitalen Depressivität noch eine entsprechende Antriebsminderung oder eine andere schwerwiegende
Einschränkung der psychischen Grundfunktionen. Auch Dr. N1 hat keinen sehr schwerwiegenden Befund auf psychiatrischem Fachgebiet
erhoben. Er hat vielmehr geschildert, dass die Klägerin in der Lage sei, sich auf die jeweiligen Gesprächsinhalte ein- und
umzustellen, ihr Denken und Handeln sei ausreichend differenziert, Merkfähigkeit sowie Kurz- und Langzeitgedächtnis seien
intakt. Auch Einschränkungen im Hinblick auf Konzentration, Umstellungsfähigkeit und Gedächtnis konnte Dr. N1 nicht feststellen.
Ebenso wenig liegt eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen vor. Dieses Merkmal berücksichtigt, dass auch eine
Mehrzahl von Einschränkungen, die jeweils nur einzelne Verrichtungen oder Arbeitsbedingungen betreffen, zusammengenommen das
noch mögliche Arbeitsfeld soweit einengen können, dass Versicherte keine Chance haben, einen Arbeitsplatz zu erhalten. Dies
würde voraussetzen, dass zu den Einschränkungen der Belastbarkeit, wie sie üblicherweise bei physisch und teilweise psychisch
geschwächten Erwerbsfähigen zu beobachten sind, besondere weiterreichende Einschränkungen hinzutreten. Solche Leistungseinschränkungen
müssten geeignet erscheinen, gerade auch typische Arbeitsplätze für körperlich leichte Tätigkeiten zu versperren. Hierfür
gibt es nach den vorliegenden Sachverständigengutachten indes keine Anhaltspunkte. Angesichts der dort beschriebenen Einschränkungen
ist vielmehr davon auszugehen, dass das Restleistungsvermögen der Klägerin noch körperliche Verrichtungen zulässt, wie sie
in ungelernten Tätigkeiten – wie beispielsweise Zureichen, Abnehmen, Transportieren, Reinigen, Bedienen von Maschinen, Kleben,
Sortieren, Verpacken, Zusammensetzen von Teilen – üblicherweise gefordert werden.
Auch die im Berufungsverfahren eingereichten bzw. angeforderten medizinischen Unterlagen führen zu keiner abweichenden Beurteilung.
Dr. H. hat in seinem Attest vom 9. Juni 2021 zwar die Auffassung vertreten, dass die Klägerin schon seit etwa einem Jahrzehnt
keiner regelmäßigen beruflichen Tätigkeit mehr nachgehen könne, allerdings fehlt es für diese rückwirkende Feststellung an
einer Begründung, zumal die Klägerin dort erst seit Anfang Dezember 2020 in Behandlung ist. Auch aus den übrigen Befundberichten
ergeben sich keine Anhaltspunkte dafür, dass die Feststellungen der gerichtlichen Sachverständigen unrichtig gewesen sein
könnten. Auf etwaige Verschlechterungen nach dem Erlass der Bescheide kommt es im Überprüfungsverfahren nach § 44 SGB X nicht an.
Unerheblich ist schließlich, dass die Beklagte im Bescheid vom 15. Oktober 2013 und im Widerspruchsbescheid vom 28. März 2014
davon ausgegangen ist, dass die Rente wegen der Nichterfüllung der versicherungsrechtlichen Voraussetzungen abzulehnen war,
während es tatsächlich an einer vollen oder teilweisen Erwerbsminderung der Klägerin fehlt. Derartige Begründungsfehler wirken
sich bei gebundenen Verwaltungsakten nicht auf die Rechtmäßigkeit der Regelung selbst aus und rechtfertigen grundsätzlich
nicht die Aufhebung des Verwaltungsaktes. Maßgeblich ist insoweit nur, ob die im Entscheidungssatz zum Ausdruck gekommene
Regelung mit dem objektiven Recht in Einklang steht (Engelmann in Schütze, SGB X, 9. Aufl. 2020, § 35 Rn. 31; BSG, Urteil vom 20.06.2000 – B 11 Al 85/99 R – Juris). Dies ist der Fall, da die Voraussetzungen für einen Anspruch der Klägerin
auf eine Erwerbsminderungsrente nicht gegeben sind.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
Der Senat hat die Revision nicht zugelassen, weil die Voraussetzungen von §
160 Abs.
2 SGG nicht vorliegen.