Voraussetzungen der Anerkennung einer Berufskrankheit für einen nicht unter deutscher Flagge gefahrenen Seeschiffer
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Anerkennung einer Malariaerkrankung als Berufskrankheit nach der Nr. 3104 der Anlage 1 der
Berufskrankheiten-Verordnung (
BKV) – „Tropenkrankheiten, Fleckfieber“.
Der am xxxxx 1945 in P. geborene und dort lebende Kläger war als Kapitän tätig und litt an einer Malariaerkrankung. Mit Schreiben
des Bevollmächtigten vom 11. Juli 2017 erhielt die Beklagte Kenntnis davon, dass der Kläger während seiner beruflichen Tätigkeit
als Kapitän für die deutsche Reederei M. auf dem Schiff A. ab dem 5. Dezember 2010 für ca. 4 bis 5 Monate tätig gewesen war.
Das Schiff war seit dem 21. April 2010 ausgeflaggt und fuhr unter der Flagge der Republik L.. Im Arbeitsvertrag des Klägers
ist als Arbeitgeber die M. in H., Deutschland ausgewiesen.
Am 25. März 2011 erkrankte der Kläger an Malaria und wurde im Krankenhaus in M1 in der Republik L. bis zum 27. März 2011 behandelt.
Eine Beitragsabführung für den Kläger zur deutschen gesetzlichen Sozialversicherung konnte die Beklagte nicht ermitteln. Die
Deutsche Rentenversicherung K. teilte mit, dass für den Kläger keine Beiträge dorthin abgeführt worden seien. Ebenso wurden
keine Beiträge zur gesetzlichen Unfallversicherung für den Kläger gezahlt. Der Arbeitgeber teilte entsprechend ebenfalls mit,
dass keine Beiträge an die gesetzliche Unfall- oder Krankenversicherung abgeführt worden seien.
Mit Bescheid vom 20. Dezember 2017 lehnte die Beklagte die Anerkennung einer Berufskrankheit nach Nr. 3104 der Anlage 1 zur
BKV mit der Begründung ab, der Kläger gehöre nicht zum Kreis der versicherten Personen. Das Schiff sei seit dem 21. April 2010
befristet ausgeflaggt gewesen und unter der Flagge der Republik L. gefahren. Es seien keine Beiträge zur Deutschen Rentenversicherung
K. und auch keine Beiträge an die Beklagte abgeführt worden. Dies habe der Arbeitgeber bestätigt.
Der Kläger legte hiergegen am 14. März 2018 Widerspruch ein. Sein Arbeitgeber sei verpflichtet gewesen, ihn auch gegen Berufskrankheiten
zu versichern. Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 4. Oktober 2018 zurückgewiesen. Der Widerspruchsbescheid
folgte der Begründung des Ausgangsbescheids.
Mit Schriftsatz vom 18. Dezember 2018, eingegangen beim Beklagten am 7. Januar 2019, hat der Kläger bei der Beklagten Klage
gegen die Beklagte und die M. gegen den ihm am 15. Oktober 2018 zugestellten Widerspruchsbescheid erhoben. Die Beklagte hat
die Klage am 9. September 2019 an das Sozialgericht weitergeleitet. Der Kläger hat vorgetragen, dass die Reederei verpflichtet
gewesen wäre, den Kläger gegen Versicherungsfälle bei der Beklagten zu versichern.
Das Sozialgericht hat die Klage gegen die Beklagte nach Anhörung der Beteiligten mit Gerichtsbescheid vom 9. Juli 2020 abgewiesen.
Der Kläger leide zwar an der Tropenkrankheit Malaria, aber er sei im Zeitraum der Infektion nicht in der deutschen gesetzlichen
Unfallversicherung versichert gewesen. Es seien für den Kläger weder Sozialversicherungsbeiträge abgeführt worden noch ergebe
sich die Versicherteneigenschaft über die Vorschriften der Ein- oder Ausstrahlung nach §§
3 ff. des
Vierten Buches Sozialgesetzbuch (
SGB IV). In §
3 SGB IV (Persönlicher und räumlicher Geltungsbereich) sei geregelt: Die Vorschriften über die Versicherungspflicht und die Versicherungsberechtigung
gelten, 1. soweit sie eine Beschäftigung oder eine selbständige Tätigkeit voraussetzen, für alle Personen, die im Geltungsbereich
dieses Gesetzbuchs beschäftigt oder selbständig tätig sind, 2. soweit sie eine Beschäftigung oder eine selbständige Tätigkeit
nicht voraussetzen, für alle Personen, die ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Geltungsbereich dieses Gesetzbuchs
haben. Unter §
4 SGB IV (Ausstrahlung) sei geregelt: (1) Soweit die Vorschriften über die Versicherungspflicht und die Versicherungsberechtigung
eine Beschäftigung voraussetzen, gelten sie auch für Personen, die im Rahmen eines im Geltungsbereich dieses Gesetzbuchs bestehenden
Beschäftigungsverhältnisses in ein Gebiet außerhalb dieses Geltungsbereichs entsandt werden, wenn die Entsendung infolge der
Eigenart der Beschäftigung oder vertraglich im Voraus zeitlich begrenzt ist. (2) Für Personen, die eine selbständige Tätigkeit
ausüben, gilt Absatz
1 entsprechend. In §
5 SGB IV (Einstrahlung) werde geregelt: (1) Soweit die Vorschriften über die Versicherungspflicht und die Versicherungsberechtigung
eine Beschäftigung voraussetzen, gelten sie nicht für Personen, die im Rahmen eines außerhalb des Geltungsbereichs dieses
Gesetzbuchs bestehenden Beschäftigungsverhältnisses in diesen Geltungsbereich entsandt werden, wenn die Entsendung infolge
der Eigenart der Beschäftigung oder vertraglich im Voraus zeitlich begrenzt ist. (2) Für Personen, die eine selbständige Tätigkeit
ausüben, gilt Absatz 1 entsprechend.
Diese Voraussetzungen erfülle der Kläger nicht. Er habe weder ein Beschäftigungsverhältnis im Geltungsbereich des deutschen
Sozialgesetzbuches, denn sein Schiff sei ausgeflaggt gewesen und nicht unter hoheitlicher „Deutscher Flagge“ gefahren, noch
habe er zum maßgeblichen Zeitpunkt seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland gehabt. Es reiche insoweit
nicht aus, dass der Kläger einen Arbeitsvertrag mit einer deutschen Reederei geschlossen habe, wenn ansonsten kein weiterer
Bezug zum deutschen Sozialversicherungssystem bestehe.
Der Kläger hat gegen den ihm am 28. August 2020 zugestellten Gerichtsbescheid am 20. Oktober 2020 Berufung eingelegt. Er beantragt,
die Aufhebung des Gerichtsbescheids und die Anerkennung eines Anspruchs des Klägers gegen die Beklagte auf Zahlung von 250.000
Euro nebst Zinsen. Der Kläger sei Angestellter einer deutschen Reederei gewesen. Er habe das Schiff in Deutschland betreten.
Der deutsche Arbeitgeber sei nach §
4 SGB IV verpflichtet gewesen, seine Arbeitnehmer zu versichern. Die Beklagte sollte die Entschädigung nach deutschem Recht zahlen
und die Versicherungsprämie dann vom Arbeitgeber verlangen.
Der Kläger beantragt nach Aktenlage,
den Gerichtsbescheid vom 9. Juli 2020 und den Bescheid vom 22. Dezember 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom
4. Oktober 2018 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, 250.000 Euro nebst Zinsen an ihn zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie beruft sich auf ihr bisheriges Vorbringen und ihre Ausführungen im Verwaltungsverfahren.
Mit Übertragungsbeschluss vom 22. September 2021 hat der Senat der Berichterstatterin, die zusammen mit den ehrenamtlichen
Richtern entscheidet, das Verfahren nach §
153 Abs.
5 des
Sozialgerichtsgesetzes (
SGG) übertragen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wir auf die Prozessakte, die Verwaltungsakte sowie die Sitzungsniederschrift
vom 16. Februar 2022 ergänzend Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Der Senat konnte im Termin vom 16. Februar 2022 in Abwesenheit des Klägers entscheiden, da er ordnungsgemäß geladen war und
in der Ladung darauf hingewiesen worden war, dass auch ohne ihn verhandelt und entschieden werden kann (§
110 Abs.
1 SGG).
Die Berufung, über die der Senat gemäß §
153 Abs.
5 SGG durch die Berichterstatterin und die ehrenamtlichen Richter entscheiden konnte, hat keinen Erfolg.
Die statthafte (§§
143,
144 SGG) und auch im Übrigen zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte (§
151 SGG) Berufung ist unbegründet. Dabei geht der Senat davon aus, dass das Begehren des Klägers bei einer am sozialprozessualen
Meistbegünstigungsprinzip (§
123 SGG) orientierten Auslegung des Klageantrags auf Feststellung einer Berufskrankheit und der ggfs. daraus folgenden Entschädigungsleistungen
gerichtet ist. Das Sozialgericht hat die zulässige kombinierte Anfechtungs-, Feststellungs- und Leistungsklage zu Recht abgewiesen.
Der Kläger gehörte zum Zeitpunkt des Auftretens seiner Malariaerkrankung nicht zum versicherten Personenkreis der gesetzlichen
Unfallversicherung. Nach §
3 Nr. 1
SGB IV gelten die Vorschriften über die Versicherungspflicht und die Versicherungsberechtigung, soweit sie eine Beschäftigung oder
selbständige Tätigkeit voraussetzen, für alle Personen, die im Geltungsbereich des SGB, also in der Bundesrepublik Deutschland,
beschäftigt oder selbstständig tätig sind. Aus dieser dem Territorialprinzip Rechnung tragenden Vorschrift folgt, dass diejenigen
Beschäftigten, deren Beschäftigungsort (§
9 SGB IV) im Ausland liegt, grundsätzlich nicht von den Vorschriften über die Versicherungspflicht und die Versicherungsberechtigung
erfasst werden. Nach §
13 Abs.
2 SGB IV gelten als deutsche Seeschiffe auch alle zur Seefahrt bestimmten Schiffe, die berechtigt sind, die Bundesflagge zu führen.
Weder lag der Beschäftigungsort des Klägers in der Bundesrepublik Deutschland noch war er auf einem Schiff tätig, das berechtigt
war, die Bundesflagge zu führen. Das Schiff war bereits ausgeflaggt und fuhr unter der Flagge der Republik L..
Auch eine Einbeziehung auf Antrag des Reeders nach §
2 Abs.
3 SGB IV ist nicht erfolgt. Nach §
2 Abs.
3 Satz 1 Nr.
2 SGB IV werden deutsche Seeleute, die auf einem Seeschiff beschäftigt sind, das nicht berechtigt ist, die Bundesflagge zu führen,
auf Antrag des Reeders in der gesetzlichen Unfallversicherung versichert, wenn der Reeder das Seeschiff der Unfallverhütung
und Schiffssicherheitsüberwachung durch die Berufsgenossenschaft Verkehrswirtschaft Post-Logistik Telekommunikation unterstellt
hat und der Staat, dessen Flagge das Seeschiff führt, dem nicht widerspricht. Für deutsche Seeleute, die ihren Wohnsitz oder
gewöhnlichen Aufenthalt im Inland haben und auf einem Seeschiff beschäftigt sind, das im überwiegenden wirtschaftlichen Eigentum
eines deutschen Reeders mit Sitz im Inland steht, ist der Reeder verpflichtet, unter den Voraussetzungen des §
2 Abs.
3 Satz 1 Nr.
2 SGB IV einen solchen Antrag zu stellen. Die Anwendbarkeit der Vorschrift scheitert schon daran, dass der Reeder weder einen solchen
Antrag gestellt hat noch hierzu verpflichtet war, da der Kläger seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt nicht im Inland
gehabt hat.
Ebenso sind die Voraussetzungen für eine Ausstrahlung nach §
4 Abs.
1 SGB IV nicht erfüllt. Wer – wie hier der Kläger – zum Zwecke der Entsendung ins Ausland eingestellt wird, unterliegt während der
Beschäftigung im Ausland auch bei beabsichtigter Rückkehr an den deutschen Wohnsitz nicht dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung,
wenn für die Zeit nach Beendigung der Entsendung eine Weiterbeschäftigung beim entsendenden Arbeitgeber im Inland nicht gewährleistet
ist (BSG, Urteil vom 10. August 1999 – B 2 U 30/98 R, SozR 3-2400 § 4 Nr. 5; s.a. BSG, Urteile vom 19. Dezember 2013 – B 2 U 14/12 R, SozR 4-2700 § 140 Nr. 1, und vom 17. Dezember 2015 – B 2 U 1/14 R, SozR 4-2400 § 4 Nr. 2, sowie Zieglmeier in: Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, 101. EL September 2018, §
4 SGB IV Rn. 13 f., jeweils m.w.N.). Vorliegend lag weder vor noch nach Entsendung ein deutscher Wohnsitz vor noch war eine Weiterbeschäftigung
beim entsendenden Arbeitgeber im Inland gewährleistet.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG und folgt dem Ausgang des Rechtsstreits.
Gründe für die Zulassung der Revision nach §
160 Abs.
2 Nr.
1 oder 2
SGG liegen nicht vor.