Tatbestand
Die Beteiligten streiten, ob der Kläger von der Beklagten vorläufige Leistungen beanspruchen kann.
Der in F. lebende Kläger ist als selbstständiger Unternehmensberater seit dem 9. Mai 2018 bei der Beklagten freiwillig gegen
die Folgen von Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten versichert. Aufgrund eines daneben bestehenden Arbeitsverhältnisses mit
der „P1 GmbH“, S. (1. März 2018 bis 31. Juli 2018) und der E. GmbH, V. (seit 11. Juni 2018), ist der Kläger seit 1. März 2018
bei der AOK B. gesetzlich krankenversichert. Am 23. Juni 2018 wurde der Kläger während der Ausübung seiner selbstständigen
Tätigkeit bei einem Verkehrsunfall verletzt, bei dem er eine HWS-Distorsion erlitt. In seinem Nachschaubericht vom 9. Juli
2018 diagnostizierte der Durchgangsarzt P. außerdem eine Gehirnerschütterung und eine posttraumatische Angststörung. Der Kläger
legte seitdem laufend Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vor.
Mit Bescheid vom 29. Januar 2019 stellte die Beklagte die Gewährung von Verletztengeld zum 30. September 2018 rückwirkend
ein.
Hiergegen legte der Kläger Widerspruch ein und stellte zugleich mit Schreiben vom 25. Januar 2019, am 29. Januar 2019 bei
der Deutschen Post aufgegeben, bei der Beklagten einen Antrag auf Gewährung vorläufiger Leistungen gemäß §
43 Abs.
1 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB I). Die Beklagte beschied den Antrag zunächst nicht.
Am 15. August 2019 hat der Kläger Untätigkeitsklage vor dem Sozialgericht Hamburg erhoben und vorgetragen, dass die Beklagte
seinen Antrag bisher nicht beschieden habe, obwohl er einen Anspruch nach §
43 Abs.
1 SGB I gegenüber der Beklagten habe, da zumindest eine Anspruchskongruenz mit Leistungen wegen Arbeitsunfähigkeit der Krankenkasse
bestehe.
Mit Bescheid vom 19. Februar 2020 hat die Beklagte die Gewährung vorläufiger Leistungen nach §
43 SGB I gegenüber dem Kläger abgelehnt, da eine Anspruchskongruenz mit Leistungen der Krankenkasse nicht bestehe. Diese habe der
Beklagten mitgeteilt, dass der Kläger im Falle von Arbeitsunfähigkeit keinen Anspruch auf Krankengeld habe. Dieser Bescheid
konnte dem Beklagten zunächst nicht förmlich zugestellt werden. Mit Schriftsatz vom 15. April 2021 hat der Kläger in dem Parallelverfahren
(Az. L 2 U 37/21) vorgetragen, dass der Bescheid vom 19. Februar 2020 bei Ihm „am 19.04.2020 im Briefkasten“ gewesen sei.
Das Sozialgericht hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 23. August 2021 als „unzulässig zurückgewiesen“. Der Kläger habe
kein Rechtsschutzbedürfnis mehr, da er nach Erlass des begehrten Bescheides der Beklagten vom 19. Februar 2020 nicht mehr
beschwert sei. Ein darüber hinaus gehender Anspruch, etwa auf Erlass eines Bescheides mit bestimmtem Inhalt, bestehe nicht.
Der Kläger hat gegen den ihm am 28. August 2021 zugestellten Gerichtsbescheid am 22. November 2021 Berufung eingelegt. Er
trägt vor, die Beklagt habe deutlich gemacht, dass sie kein Vorverfahren durchführen wolle, da sie in der Rechtsbehelfsbelehrung
ihres Bescheides vom 19. Februar 2020, lediglich darauf hingewiesen habe, dass der Bescheid Gegenstand dieses Streitverfahrens
werde. Da die Beklagte seinem Antrag nicht stattgegeben habe, könne er seine Untätigkeitsklage auch jetzt noch auf eine Fortsetzungsfeststellungsklage
umstellen. Daneben könne er auch auf eine Anfechtungs- und Leistungsklage oder eine Verpflichtungsklage umstellen, diese Klageänderung
sei sachdienlich. Auch ein Vorverfahren sei dann nicht notwendig.
Der Kläger beantragt,
1. den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Hamburg vom 23. August 2021 aufzuheben und festzustellen, dass die Beklagte den
Antrag des Klägers vom 25. Januar 2019 auf Erlass eines Verwaltungsaktes ohne zureichenden Grund in angemessener Frist nicht
entschieden hat, sowie
2. den Bescheid der Beklagten vom 19 Februar 2020 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, dem Kläger vorläufige Leistungen
im Sinne des §
43 Abs.
1 Satz 1
SGB I bis zum 28. Februar 2020 zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie wendet ein, es möge entschieden werden, ob das Sozialgericht dem Kläger mit der Zurückweisung seiner Klage als unzulässig
in unrechtmäßiger Weise das Recht auf ein Vorverfahren genommen habe.
Der Senat hat über die Berufung am 9. März 2022 mündlich verhandelt. Auf die Sitzungsniederschrift wird Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Der Senat konnte durch den Berichterstatter und die ehrenamtlichen Richter entscheiden, da der Senat das Verfahren nach §
153 Abs.
5 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) übertragen hatte.Der Senat konnte in der mündlichen Verhandlung vom 9. März 2022 auch in Abwesenheit des Klägers entscheiden,
da der Kläger mit Postzustellungsurkunde vom 21. Februar 2022 ordnungsgemäß geladen und in der Ladung darauf hingewiesen worden
war, dass im Falle seines Ausbleibens ein Urteil nach Lage der Akten ergehen könne (§§
110 Abs.
1 Satz 2,
126 SGG).
Die statthafte (§§
143,
144 SGG) und auch im Übrigen zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte (§
151 SGG) Berufung hat keinen Erfolg, da das Sozialgericht die Klage zu Recht als unzulässig abgewiesen hat (1) und die im Berufungsrechtszug
umgestellte Fortsetzungsfeststellungklage (2) sowie die im Wege der Klageänderung erhobene Anfechtungs- und Verpflichtungsklage
(3) ebenfalls unzulässig sind.
1. Das Sozialgericht hat zu Recht die ursprünglich gemäß §
88 Abs.
1 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) zulässige Untätigkeitsklage als unzulässig abgewiesen. Wenn – wie im Streitfall - der Kläger zwar beschieden, sein Antrag
aber abgelehnt worden ist, kann er entweder den Rechtsstreit für erledigt erklären oder die Klage in eine Anfechtungs- und
Verpflichtungsklage umstellen. Im ersten Fall hätte der Kläger dann ohne Nachteil seine Rechte im Hinblick auf die Sachentscheidung
in einem neuen Verfahren geltend machen können. Der die Untätigkeit beendende Bescheid wird auch nicht gemäß §
96 SGG Gegenstand der Untätigkeitsklage (vgl. LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 18. Oktober 2007 – L 7 SO 4334/06, juris; LSG Nordrhein-Westfalen,
Urteil vom 10. Januar 2007 – L 12 AL 34/06, juris). Die im Streitfall fehlerhafte Rechtsmittelbelehrung zieht lediglich die Rechtsfolge des §
66 Abs.
2 SGG nach sich. Gibt der Kläger die Erledigungserklärung jedoch nicht ab (und ändert er die Klage auch nicht), ist die Klage als
unzulässig abzuweisen, weil kein Rechtsschutzbedürfnis mehr besteht (vgl. B. Schmidt in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt,
SGG, 13. Aufl. §
88 Rn. 11). Das war hier der Fall. Der Kläger hat seine Anträge erst im Berufungsverfahren umgestellt.
2. Die Umstellung des Klageantrags im Berufungsrechtszug in eine Fortsetzungsfeststellungsklage ist gemäß §
99 Abs.
3 Nr.
3 SGG keine Klageänderung. Sie kommt hier grundsätzlich in Betracht. §
131 Abs.
1 SGG ist nämlich auch anzuwenden, wenn sich eine Untätigkeitsklage durch den Erlass des begehrten Verwaltungsaktes erledigt. Die
Rechtsprechung hat die Regelung der Fortsetzungsfeststellungsklage in §
131 Abs.
1 SGG stets weit ausgelegt. Sie hat die Vorschrift auch angewandt, wenn sich der angefochtene Verwaltungsakt nicht erledigt hatte,
sondern das Rechtsschutzinteresse für die erhobene Anfechtungsklage aus vergleichbaren Gründen entfallen war (BSG, Urteil vom 8. Dezember 1993 – 14a RKa 1/93, BSGE 73, 244). Das BSG geht davon aus, dass der Kläger sonst keine wie in dem in §
131 SGG genannten Fall der Erledigung des angefochtenen Verwaltungsaktes Möglichkeit hätte, die Rechtswidrigkeit des Verhaltens der
Behörde gerichtlich feststellen zu lassen, selbst wenn mit einer Wiederholung konkret zu rechnen sei und die gerichtliche
Feststellung der Rechtswidrigkeit einer solchen Wiederholung vorbeugen könnte. Ein spezielles Fortsetzungsfeststellungsinteresse
kann allerdings in derartigen Fällen in Anbetracht sich ständig wandelnder Lebenssachverhalte nur äußerst selten vorliegen.
Eine Wiederholungsgefahr ist nur anzunehmen, wenn die hinreichend bestimmte (konkrete) Gefahr besteht, dass unter im Wesentlichen
unveränderten tatsächlichen und rechtlichen Umständen eine gleichartige Entscheidung ergeht (BSG, Urteil vom 14. Februar 2013 – B 14 AS 195/11 R, juris). Davon ist im Streitfall nicht auszugehen. Selbst wenn der Kläger in Zukunft erneut einen Arbeitsunfall erleiden
sollte, läge eine derart veränderte Sachlage vor, dass nicht von "im Wesentlichen unveränderten tatsächlichen und rechtlichen
Umständen" gesprochen werden könnte. Die Beklagte hat ihr Vorgehen auch nicht verteidigt, sodass nicht davon auszugehen ist,
dass sie auch künftig Anträge des Klägers nicht rechtzeitig bescheiden wird.
3. Die im Wege der Klageänderung im Berufungsrechtszug erhobene Anfechtungs- und Verpflichtungsklage ist ebenfalls unzulässig,
da deren Prozessvoraussetzungen nicht vorliegen.
Im Streitfall wurde der Kläger nach Erheben der Untätigkeitsklage zwar beschieden, hinsichtlich seines sachlichen Begehrens
blieb er aber erfolglos. Nach überwiegender Meinung kann eine Untätigkeitsklage auf eine Anfechtungsklage, gegebenenfalls
auch auf eine kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage oder eine kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage umgestellt
werden.
Die Absicht, die Klage umzustellen, muss vom Kläger eindeutig zum Ausdruck gebracht werden; zumindest muss dem Vorbringen
des Klägers eine Erklärung dieses Inhalts im Wege der Auslegung entnommen werden können.
Der Kläger hat hier mit seinem Berufungsschriftsatz neue Anträge gestellt. Diese Umstellung der Klage stellt eine Klageänderung
dar, die auch im Berufungsverfahren noch erfolgen kann; ihre Zulässigkeit ist an §
99 Abs.
1 und
2 SGG zu messen. Nach überwiegender Ansicht ist die Klageänderung im Regelfall sachdienlich. Von der Zulässigkeit einer Klageänderung
ist jedoch die Zulässigkeit der geänderten Klage selbst zu unterscheiden. Eine wirksame Klageänderung ersetzt nicht die für
die Zulässigkeit der geänderten Klage fehlenden Prozessvoraussetzungen (BSG, Urteil vom 2. Dezember 2008 – B 2 KN 2/07 U R, juris). Diese müssen vielmehr in jeder Lage des Verfahrens gegeben sein und
stehen nicht zur Disposition der Beteiligten (BSG, Urteil vom 18. März 2015 – B 2 U 8/13 R, juris). Voraussetzung ist somit, dass zum Zeitpunkt der Umstellung sämtliche Sachurteilsvoraussetzungen vorliegen. Insbesondere
ist, wenn gegen einen Widerspruchsbescheid vorgegangen wird, die Klagefrist des §
87 SGG zu wahren. Gegen einen ablehnenden Bescheid ist gemäß §
84 SGG rechtzeitig Widerspruch einzulegen. Wenn der angefochtene Bescheid zum Zeitpunkt der Klageänderung bereits bestandskräftig
ist, ist die geänderte Klage unzulässig (vgl. B. Schmidt in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt,
SGG, 13. Aufl., §
99 Rn.13a) und damit eine Umstellung nicht sachdienlich. Die Einhaltung der Frist ist nicht entbehrlich, weil kein Fall des
§
96 SGG vorliegt und der Bescheid bzw. Widerspruchsbescheid nicht automatisch Gegenstand der Untätigkeitsklage wird.
Im Streitfall konnte der Bescheid vom 19. Februar 2020 zunächst nicht zugestellt werden. Die Beklagte hat den Bescheid deshalb
zwischen dem 26. März 2020 und 2. April 2020 noch einmal mit einfacher Post an den Kläger gesandt. Der Kläger hat ihn nach
eigenen Angaben am 19. April 2020 erhalten, sodass der Zustellungsmangel gemäß §
63 Absatz
2 SGG in Verbindung mit §
189 Zivilprozessordnung zu diesem Zeitpunkt geheilt ist. Da der Bescheid eine unzutreffende Rechtsbehelfsbelehrung enthielt, konnte er gemäß §
66 Abs.
2 SGG binnen eines Jahres angefochten werden. Da dies nicht fristgerecht gemäß §
64 Abs.
1 und
2 SGG bis zum 19. Oktober 2021 geschehen ist, war der Bescheid zum Zeitpunkt der Klageänderung (22. November 2021) bereits bestandskräftig,
sodass die Klagefrist nicht gewahrt ist.
Die Klageänderung ist damit nicht sachdienlich und somit unzulässig.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus §
193 SGG. Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.