Eingliederungsvereinbarung als Verwaltungsakt im Grundsicherungsrecht
Anforderung an erforderliche Bestimmtheit
Gründe:
Die am 20. Dezember 2013 beim Hessischen Landessozialgericht eingegangene Beschwerde des Antragstellers mit dem sinngemäßen
Antrag,
den Beschluss des Sozialgerichts Gießen vom 19. November 2013 aufzuheben und die aufschiebende Wirkung der Klage vom 17. Dezember
2013 (S 27 AS 1020/13) gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 18. September 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. November
2013 anzuordnen,
hat Erfolg.
Die Beschwerde ist zulässig. Sie ist nicht nach §
172 Abs.
3 Nr.
1 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) ausgeschlossen. Da der Eingliederungsverwaltungsakt nicht auf eine Geldleistung, sondern auf Handlungspflichten des Antragstellers
gerichtet ist, findet eine kostenmäßige Beschränkung der Beschwerde nach § 172 Abs. 3 Nr.
1 i. V. m. §
144 Abs.
1 Satz 1 Nr.
1 SGG nicht statt (vgl. Beschluss des erkennenden Senats vom 30. Juli 2013 - L 9 AS 490/13 B ER -; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 12. April 2013 - L 12 AS 374/13 B ER - m.w.N.).
Die Beschwerde ist auch begründet.
Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage ist nach §
86b Abs.
1 Satz 1 Nr.
2 SGG statthaft, da Widerspruch und Anfechtungsklage gegen den Eingliederungsverwaltungsakt nach § 39 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) keine aufschiebende Wirkung entfalten. Der Antrag ist auch sonst zulässig, insbesondere ist das Rechtsschutzbedürfnis für
den vorliegenden Eilantrag zu bejahen. Dieses ergibt sich daraus, dass dem Antragsteller durch den Eingliederungsverwaltungsakt
konkrete Handlungspflichten (hier u. a. Nachweis von Bewerbungsbemühungen) auferlegt werden. Aus diesen Handlungspflichten
ergibt sich bereits unmittelbar eine Beschwer im Sinne des §
54 Abs.
2 SGG (Beschluss des erkennenden Senats vom 30. Juli 2013 s.o. m.w.N.).
Der Antrag ist auch begründet.
Die Entscheidung nach §
86b Abs.
1 Satz 1 Nr.
2 SGG erfolgt auf der Grundlage einer Interessenabwägung. Abzuwägen sind das private Interesse des Antragstellers, vom Vollzug
des Verwaltungsaktes bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens verschont zu bleiben und das öffentliche Interesse an
der Vollziehung der behördlichen Entscheidung. Im Rahmen dieser Interessenabwägung kommt den Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs
in der Hauptsache eine wesentliche Bedeutung zu.
Dabei ist die Wertung des § 39 Nr. 1 SGB II zu berücksichtigen, wonach der Gesetzgeber aufgrund einer typisierenden Abwägung der Individual- und öffentlichen Interessen
dem öffentlichen Interesse am Sofortvollzug prinzipiell Vorrang gegenüber entgegenstehenden privaten Interessen einräumt (vgl.
Greiser in: Eicher, SGB II, 3. Aufl. 2013, § 39 Rdnr. 4). Eine Abweichung von diesem Regel-Ausnahmeverhältnis kommt nur in Betracht, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit
der angefochtenen Bescheide bestehen oder wenn ausnahmsweise besondere private Interessen überwiegen (vgl. Keller in: Meyer-Ladewig
u.a.,
SGG, 10. Aufl. 2012, §
86b Rdnr. 12c).
Vorliegend bestehen durchgreifende Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Eingliederungsverwaltungsakts vom 18. September 2013.
Nach § 15 Abs. 1 SGB II soll die Agentur für Arbeit im Einvernehmen mit dem kommunalen Träger mit jeder erwerbsfähigen leistungsberechtigten Person
die für ihre Eingliederung erforderlichen Leistungen vereinbaren (Eingliederungsvereinbarung). Die Eingliederungsvereinbarung
soll insbesondere bestimmen,
1. welche Leistungen die oder der Erwerbsfähige zur Eingliederung in Arbeit erhält,
2. welche Bemühungen erwerbsfähige Leistungsberechtigte in welcher Häufigkeit zur Eingliederung in Arbeit mindestens unternehmen
müssen und in welcher Form diese Bemühungen nachzuweisen sind,
3. welche Leistungen Dritter, insbesondere Träger anderer Sozialleistungen, erwerbsfähige Leistungsberechtigte zu beantragen
haben. Die Eingliederungsvereinbarung soll für sechs Monate geschlossen werden. Danach soll eine neue Eingliederungsvereinbarung
abgeschlossen werden. Bei jeder folgenden Eingliederungsvereinbarung sind die bisher gewonnenen Erfahrungen zu berücksichtigen.
Kommt eine Eingliederungsvereinbarung nicht zustande, sollen die Regelungen nach Satz 2 durch Verwaltungsakt erfolgen.
Die eine Eingliederungsvereinbarung ersetzende Regelung durch Verwaltungsakt ist nach § 15 Abs. 1 Satz 6 SGB II zulässig (zur Zulässigkeit eines Eingliederungsverwaltungsaktes vgl. LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 23. August 2013
- L 7 AS 1398/13 B ER - m.w.N. zur Rspr. des BSG). Die Zulässigkeit der Ersetzung einer Eingliederungsvereinbarung durch Verwaltungsakt folgt hier schon daraus, dass der
Antragsteller den Abschluss einer Eingliederungsvereinbarung abgelehnt hat.
Der Eingliederungsverwaltungsakt wird aber den gesetzlichen Anforderungen nicht gerecht. Die Regelung unter Nr. 1 des Bescheides
vom 18. September 2013, wonach die Übernahme von Bewerbungskosten eine vorherige Antragstellung voraussetzt, ist nicht eindeutig
und damit nicht hinreichend bestimmt im Sinne des § 33 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X). Der Senat hat bereits mit Beschluss vom 30. Juli 2013 (s.o.) die Regelung eines Eingliederungsverwaltungsaktes, wonach
die Kosten für schriftliche Bewerbungen zuvor zu beantragen sind, als nicht hinreichend bestimmt angesehen. Der Senat hat
in dem Beschluss ausgeführt:
"Die Formulierung kann zum einen dahingehend verstanden werden, dass die Kosten für schriftliche Bewerbungen nur erstattungsfähig
sind, wenn ein entsprechender Antrag vor dem erstmaligen Entstehen von Ausgaben gestellt wurde mit der Folge, dass die Erstattung
verauslagter Kosten (Bewerbungsmappen, Portokosten) insgesamt ausscheidet. Der Wortlaut der Bestimmung kann aber auch so verstanden
werden, dass ein Antrag auf Erstattung der Kosten jedenfalls vor Erstellung und Absendung der Bewerbungsunterlagen zu erfolgen
hat. Dagegen dürfte die Regelung nicht so verstanden werden können, dass die Erstattung von Kosten lediglich von einem vorher
gestellten Antrag abhängig ist. Denn dann hätte es des Wortes "zuvor" in der Bestimmung nicht bedurft. Die Regelung unter
Nr. 1 des Bescheides vom 12. Juni 2013 ist daher schon nicht bestimmt genug. Im Übrigen ist es nicht nachvollziehbar, dass
der Antragsteller die Kosten jedenfalls für die Anzahl an Bewerbungen, zu der er nach dem Bescheid verpflichtet ist, "zuvor"
zu beantragen hat. Eine solche Verpflichtung erscheint ungeachtet ihrer Rechtmäßigkeit auch nicht sinnvoll, da die vorherige
Beantragung der Kostenerstattung und die Bescheidung durch den Antragsgegner zu zeitlichen Verzögerungen im Bewerbungsverfahren
führt und daher häufig die Erfolglosigkeit solcher Bewerbungsbemühungen zur Folge haben wird."
Für den vorliegenden Eingliederungsverwaltungsakt ergibt sich keine andere Beurteilung. Auch hier ist unklar, zu welchem Zeitpunkt
ein Antrag auf Übernahme von Bewerbungskosten spätestens gestellt werden muss. Die weitere Regelung unter Nr. 1 des Bescheides
vom 18. September 2013, wonach die Erstattung von Reisekosten für Vorstellungstermine davon abhängig gemacht wird, dass der
Antragsteller den Antragsgegner vorher über den Vorstellungstermin informiert, spricht jedenfalls nicht dafür, dass die Übernahme
von Bewerbungskosten lediglich von der Stellung eines Antrages abhängig gemacht werden soll.
Außerdem wird dem Antragsteller die Übernahme von Bewerbungskosten entsprechend der gesetzlichen Regelung des § 16 Abs. 1 SGB II i. V. m. §
44 SGB III in der Fassung des Gesetzes vom 12. April 2012 (BGBl. I 579) nur für Bewerbungsbemühungen um sozialversicherungspflichtige
Beschäftigungsverhältnisse in Aussicht gestellt. Für Bemühungen um andere Beschäftigungsverhältnisse enthält der Eingliederungsverwaltungsakt
dagegen keine Regelung.
Auch die unter Nr. 2 des Eingliederungsverwaltungsaktes getroffenen Bestimmungen unterliegen erheblichen Bedenken. Zwar ist
die Verpflichtung des Antragstellers zur Vorlage von mindestens vier schriftlichen Bewerbungen monatlich nicht zu beanstanden.
Gleiches gilt, soweit dem Antragsteller angesonnen wird, sich auch um so genannte "Helferstellen" zu bewerben. Soweit der
Kläger unter Bezugnahme auf die Klagebegründung beanstandet, derartige Tätigkeiten könne er aufgrund der bestehenden gesundheitlichen
Belastungen nicht ausüben, ist darauf hinzuweisen, dass die in dem Bescheid genannten "Helferstellen" nicht eingegrenzt sind,
insbesondere nicht auf körperlich belastende Tätigkeiten. Im Übrigen sind die Regelungen des Eingliederungsverwaltungsaktes
entsprechend der gesetzlichen Vorgaben in § 10 Abs. 1 Nr. 1 SGB II dahingehend zu verstehen, dass von dem Antragsteller nur zumutbare Tätigkeiten, zu denen er körperlich, geistig und seelisch
in der Lage ist, verlangt werden. Die Frage der Zumutbarkeit einer bestimmten Tätigkeit betrifft den Einzelfall und kann nicht
Regelungsgegenstand eines Eingliederungsverwaltungsaktes sein. Bedenken unterliegt aber bereits die Verpflichtung des Antragstellers,
sich innerhalb von drei Tagen auf alle Stellenangebote des Jobcenters oder der Arbeitsagentur zu bewerben. Diese Regelung
lässt nicht erkennen, in welchem Umfang von dem Antragsteller Bewerbungsbemühungen verlangt werden. Sie enthält nicht einmal
eine Obergrenze der erwarteten Bemühungen. Die in der Eingliederungsvereinbarung oder in dem sie ersetzenden Verwaltungsakt
festgelegten Pflichten müssen aber hinreichend bestimmt sein. Es muss dem Leistungsberechtigten - nach seinem Empfängerhorizont
- klar erkennbar und nachvollziehbar sein, was von ihm gefordert wird (vgl. S. Knickrehm/Hahn in: Eicher, SGB II, 3. Aufl. 2013, § 31 Rdnr. 22 f.). Diesen Anforderungen genügt die genannte Regelung ebenso wenig wie die weitere Regelung, wonach der Antragsteller
Arbeitgebern eine kostenlose Probearbeit mit dem Ziel der Festeinstellung anbietet bzw. eine Praktikumsstelle (betriebliche
Trainingsmaßnahme) annimmt mit dem Ziel des Erhalts und Erlangung beruflicher Kenntnisse und einer späteren Übernahme in ein
Beschäftigungsverhältnis. Insoweit ist schon fraglich, ob von dem Antragsteller das Anbieten einer kostenlosen Probearbeit
oder die Aufnahme einer Praktikumsstelle verlangt werden kann. Ungeachtet dieser Frage lässt aber auch diese Bestimmung in
keiner Weise erkennen, welches konkrete Handeln und in welchem Umfang von dem Antragsteller gefordert wird. Es fehlt daher
schon an der hinreichenden Bestimmtheit der dem Antragsteller auferlegten Pflichten.
Unter Berücksichtigung der erheblichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Eingliederungsverwaltungsakts vom 18. September 2013
überwiegt das private Interesse des Antragstellers, vom Vollzug des Verwaltungsaktes bis zum rechtskräftigen Abschluss des
Verfahrens verschont zu bleiben, das öffentliche Interesse an der Vollziehung der behördlichen Entscheidung.
Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs bzw. der Klage ist nach §
86b Abs.
1 Satz 1 Nr.
2 SGG grundsätzlich ganz anzuordnen, wenn sich einzelne Regelungen eines Eingliederungsverwaltungsakts nach § 15 Abs. 1 Satz 6 SGB II als rechtswidrig erweisen. Eine Eingliederungsvereinbarung bzw. ein sie ersetzender Verwaltungsakt stellt sich als das Instrument
einer auf den Einzelfall angepassten Eingliederungsstrategie mit einer Vielzahl aufeinander abgestimmter Maßnahmen dar, so
dass die für die Teilbarkeit eines derartigen Verwaltungsakts erforderliche Annahme, dass dieser von der Behörde auch ohne
die als rechtswidrig erkannten Regelungen erlassen worden wäre, grundsätzlich nicht gerechtfertigt ist (Beschluss des erkennenden
Senats vom 30. Juli 2013 s.o.; LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 4. April 2012 - L 15 AS 77/12 B ER - info also 2012, 220; a. M. LSG Hamburg, Beschluss vom 10. April 2013 - L 4 AS 93/13 B ER -; Berlit in LPK-SGB II, 4. Aufl. 2011, § 15 Rdnr. 61).
Die Kostenentscheidung folgt aus der entsprechenden Anwendung des §
193 SGG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§
177 SGG).