Kostenerstattungsanspruch aufgrund selbst beschaffter Krankenhausbehandlungen zur Durchführung abdomineller Chemoperfusionen
und -filtrationen
Fall einer unaufschiebbaren Leistung
Tatbestand
Streitig ist ein Kostenerstattungsanspruch aufgrund selbst beschaffter Krankenhausbehandlungen zur Durchführung abdomineller
Chemoperfusionen und -filtrationen.
Der am … 1980 geborene Kläger ist bei der Beklagten krankenversichert. Nach einer im Oktober 2013 erfolgten Entfernung des
Hodens links und einer Probenentnahme aus dem rechten Hoden in der Universitätsmedizin Greifswald wurde bei ihm ein maligner
Keimzelltumor Stadium 1 nach Lugano linksseitig, „high risk“ (Gefäßinvasion) festgestellt. Nachdem im Rahmen des anschließenden
ambulanten Stagings zunächst keine bildgebenden Befunde mit Hinweis auf Absiedlungen gefunden wurden, kam es im Mai 2014 zu
einem Harnstau durch eine 4 x 3 cm Lymphknotenmetastase im Retroperitoneum. In der Universitätsmedizin Greifswald wurde am
28. Mai 2014 ein transurethraler Stent eingesetzt. Laut OP-Bericht sollte die Wiedervorstellung des Klägers „zur Durchführung
der CTX“, also einer systemischen Chemotherapie, erfolgen.
Am 23. Juni 2014 klärte Dr. Br., in B-Stadt niedergelassener Privatarzt und Facharzt für Radiologie und Strahlentherapie,
den Kläger u. a. über die Methode und das Wirkprinzip der Elektrohyperthermie auf (wegen der Einzelheiten wird auf den genauen
Inhalt des Aufklärungsbogens verwiesen). Einen undatierten „Aufklärungsbogen zur intraarteriellen Chemotherapie im Stopflowverfahren
mit Hyperoxygenierung, Hyperthermie und Chemofiltration unter Verwendung einer für diesen Zweck weiterentwickelten Herz-/
Lungenmaschine…“ unterschrieb Dr. Br. als „aufklärender, die Chemotherapie intraoperativ applizierender Arzt.“
Mit einem am 26. Juni 2014 bei der Beklagten eingegangenen Schreiben des Prof. Dr. Bi., Chefarzt der Klinik für Allgemein-,
Viszeral-, Thorax- und Gefäßchirurgie des HELIOS Hanseklinikums S., vom 24. Juni 2014 wurde die Beklagte über eine geplante
stationäre Krankenhausbehandlung zur Durchführung einer regionalen Chemoperfusion und -filtration mit Hyperoxygenierung/Hyperthermie
informiert und um eine Erklärung zur Übernahme der entstehenden Kosten gebeten. In dem Schreiben heißt es:
„Da die Kostenübernahme für dieses Therapieverfahren in der Vergangenheit in Einzelfällen durch die Krankenkassen nicht erfolgte
bzw. strittig ist, bitten wir Sie vor der anstehenden Behandlung eine Kostenübernahmeerklärung durch ihre Krankenkasse einzuholen
und dies dann schnellstmöglich uns zukommen zu lassen. Ohne diese Erklärung ist eine stationäre Aufnahme zu diesen Therapieverfahren
zur Zeit nicht möglich !“
Mit Schreiben vom 27. Juni 2014 bestätigte die Beklagte dem Kläger den Eingang des Schreibens und informierte ihn darüber,
dass es sich bei der abdominellen Chemoperfusion und Cehmofiltration nicht um eine durch den Gemeinsamen Bundesausschuss ausgeschlossene
Methode handele. Dem Krankenhaus stehe es frei, die nach Einschätzung der Krankenhausärzte als notwendig angesehene Methode
im Rahmen einer vollstationären Behandlung anzuwenden. Da der Kläger einen Anspruch auf diese Krankenhausleistung als Sachleistung
habe, komme eine Kostenerstattung nicht in Betracht. Der Kläger solle auch nicht die Rechnung des Krankenhauses als Vorleistung
begleichen, da das Krankenhaus zur direkten Abrechnung mit der Krankenkasse verpflichtet sei. Die Beklagte bat den Kläger
zudem um Übersendung von Unterlagen zu den bisher erfolgten Therapien. Mit Schreiben vom 8. Juli bzw. 21. Juli 2014 informierte
sie den Kläger darüber, dass für eine notwendige Stellungnahme des MDK weitere Unterlagen vom Hanseklinikum S. bzw. vom behandelnden
Arzt Dr. Br. angefordert worden seien. Das Krankenhaus bat sie u. a. um Übersendung eines Protokolls einer interdisziplinären
Tumorkonferenz, von Details zu einer bislang durchgeführten Chemotherapie und eines Ethikvotums.
Mit einem auf den 30. Juni 2014 datierten „Behandlungsvertrag für eine stationäre Chemoperfusion“ (Regionale hypertherme,
oxygenierte Chemoperfusion in stop-flow-Technik mit anschließender Chemofiltration) verpflichtete sich der Kläger gegenüber
dem HELIOS Hanseklinikum als Selbstzahler hinsichtlich der für die Behandlung (einschließlich Chefarztwahlleistungen) anfallenden
Kosten. Weitere entsprechende Behandlungsverträge (nunmehr ohne Wahlleistungen) datieren auf den 29. Juli 2014 und 26. August
2014. In allen Verträgen heißt es jeweils u. a.: „Der behandlungswillige Patient wurde darauf eindeutig hingewiesen, dass
die gewünschte Leistung von ihm selbst zu finanzieren ist, unabhängig einer evtl. Erstattung seitens der Krankenkasse.“ In
dem jeweiligen Vordruck „Aufklärungsbogen und Einwilligungserklärung“ wurde auf mögliche Nebenwirkungen und Komplikationen
hingewiesen. Auf das Risiko einer extraabdominellen Metastasierung des Keimzelltumors und auf die Möglichkeit und die Heilungschancen
einer systemischen Chemotherapie wurde hierin nicht ausdrücklich hingewiesen, ebenso nicht auf den diese Behandlungsmethode
umfassenden Sachleistungsanspruch gegen die Beklagte. Abschließend heißt es in der vorgefertigten Erklärung:“…Über Art, Zweck
und Hergang des Eingriffs sowie seine wesentlichen Vor- und Nachteile sowie Risiken wurde ich mündlich informiert...“
Am 2. Juli 2014, 30. Juli 2014 und 27. August 2014 wurde bei dem Kläger im HELIOS Hanseklinikum S. im Rahmen dreier, jeweils
wenige Tage umfassender vollstationärer Behandlungen, jeweils eine intraoperative, intraarterielle, lokoregionäre, rein abdominelle,
hypertherme Chemoperfusionsbehandlung durchgeführt. Dem Kläger wurden dabei die Zytostatika Cytarabin, Gemcitabine und Etoposid
verabreicht. Ausweislich der vorliegenden Operationsberichte erfolgte die Injektion dieser Chemotherapeutika jeweils durch
den Dr. Br..
Der Kläger unterzeichnete den erwähnten Vordruck „Aufklärungsbogen und Einwilligungserklärung“ jeweils am Tag der stationären
Aufnahme (30. Juni 2014, 29. Juli 2014 und 26. August 2014).
Der von der Beklagten eingeschaltete MDK (Gutachterin N. R.) kam in einer sozialmedizinischen Stellungnahme vom 12. November
2014 zu dem Ergebnis, dass es sich bei der beantragten Chemoperfusionsbehandlung um eine neue Untersuchungs- und Behandlungsmethode
handele, die nicht im Einheitlichen Bewertungsmaßstab (EBM) genannt werde. Die medizinischen Voraussetzungen für eine Leistungsgewährung
nach den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts in dem („Nikolaus“-)Beschluss vom 6. Dezember 2005 seien nicht erfüllt. Bei
dem angegebenen Tumorstadium handele es sich um keine lebensbedrohliche Erkrankung mit notstandsähnlichem Charakter. Zudem
stehe nach den gängigen Leitlinien eine konventionelle schulmedizinische Therapie im Rahmen einer systemischen Chemotherapie
mit diversen gängigen Chemotherapeutika zur Verfügung. Hodentumore zählten zu den bestbehandelbaren Tumoren des Erwachsenen
überhaupt. Nach der Literatur bestehe eine gute Prognose mit einer 3-Jahres-Überlebensrate nach Chemotherapie von über 98
%. Bei minimaler nodaler und/oder extranodaler Metastasierung betrage die 3-Jahres-Überlebensrate nach Chemotherapie über
90%. Bei optimalem therapeutischen Vorgehen würden 95% aller Patienten (alle Stadien zusammengenommen) geheilt.
Daraufhin lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 24. November 2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. Januar 2015
die beantragte Kostenerstattung wegen der bereits vor Bescheiderteilung erfolgten Selbstbeschaffung und unter Hinweis auf
die vorliegende Stellungnahme des MDK ab.
Mit seiner am 16. Februar 2015 beim Sozialgericht S. erhobenen Klage hat der Kläger einen Kostenerstattungsanspruch geltend
gemacht. Nach der Antragstellung am 26. Juni 2014 habe die unaufschiebbare Behandlung eingeleitet und am 2. Juli, 30. Juli
und 27. August 2014 durchgeführt werden müssen. Durch die Chemoperfusion sei das zelluläre Immunsystem geschont und der Lymphknoten-Tumor
deutlich verkleinert worden. Die Therapie habe zu einer Vollremission geführt, was mit einer systemischen Chemotherapie nicht
erreicht worden wäre. Wesentliche Vorteile der komplementären Therapie seien die bessere Lebensqualität, dass oftmals keine
Schmerztherapie erforderlich sei und Überlebenszeiten, die die mittleren Überlebenszeiten konventioneller Konzepte häufig
weit überträfen. Es sei „Mumpiz“ von ihm zu verlangen, die erfahrungsgemäß ablehnende Entscheidung der Krankenkasse abzuwarten.
Die Behauptung, die Methode sei nicht ausreichend erprobt und ein experimentelles Therapieverfahren, sei blanker Hohn. Die
streitige Behandlung sei zudem wirtschaftlich günstiger als die teure schulmedizinische Behandlung. Weiter seien die vom Bundesverfassungsgericht
formulierten drei Voraussetzungen zur Kostentragungspflicht gegeben. Hier liege eine lebensbedrohende oder regelmäßig tödlich
verlaufende Krankheit vor. Jede Chemotherapie sei Chemie und Gift und führe im Palliativbereich unweigerlich zum Tod. Damit
habe auch er rechnen müssen, wenn er die streitige Behandlung nicht erhalten hätte, die zur Vollremission geführt habe. Ziel
seiner Behandlung habe nur sein können, seine begrenzte Lebenszeit bis zur Heilung bei möglichst guter Lebensqualität zu verlängern.
Biete die Schulmedizin wie in seinem Fall nur noch eine palliative Therapie an, weil sie jede Möglichkeit kurativer Behandlung
als aussichtslos erachten müsse, komme die Alternativbehandlung in Betracht, wenn die auf Indizien gestützte Aussicht auf
einen über die palliative Standardtherapie hinausreichenden Erfolg bestehe. Angesichts seiner schweren Situation habe es ihm
erlaubt sein müssen, von einer belastenden, nutzlosen, ja verschlimmernden Therapie Abstand zu nehmen und eine Therapie bei
einem erfahrenen Arzt zu wählen, der Methoden anwende, die nach dessen Erkenntnissen mit ziemlicher Sicherheit nicht schaden
und mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit nützten. Entscheidend sei nicht, ob eine Methode aus wissenschaftlicher Sicht anerkannt
sei, sondern in erster Linie, welche Erfahrungen der behandelnde Arzt mit dieser Methode bei anderen Patienten gemacht habe.
Die von Prof. Bi. durchgeführte Methode sei schon über 270mal äußerst erfolgreich gewesen, wie der weitere Krankheitsverlauf
auch im vorliegenden Fall gezeigt habe. Ferner habe von Anfang an eine nicht ganz entfernt (hier sehr nahe) liegende Aussicht
auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf bestanden.
Zum Nachweis der entstandenen Kosten hat der Kläger Rechnungen des HELIOS Hanseklinikum S. vom 23. Juli 2014 (stationäre Behandlung
vom 30. Juni bis 4. Juli 2014) i. H. v. 12.530,48 EUR, vom 7. August 2014 (stationäre Behandlung vom 29. Juli bis 1. August
2014) i. H. v. 8.976,37 EUR und vom 4. September 2014 (stationäre Behandlung vom 26. bis 29. August 2014) i. H. v. 8.976,37
EUR vorgelegt. Ausweislich der Rechnungen hatte der Kläger bereits vor der jeweiligen Krankenhausaufnahme Anzahlungen in den
Endbetrag übersteigender Höhe geleistet, wobei als Datum der ersten Anzahlung der 25. Juni 2014 angegeben ist. In die Rechnung
vom 23. Juli 2014 wurde für „Ärztliche Wahlleistung- Pauschale“ ein Betrag i. H. v. 2500 EUR eingestellt. Der Kläger hat ferner
drei Rechnungen des Herrn Dr. Br. über ambulante Hyperthermie-Behandlungen im Zeitraum vom 23. Juni bis 1. September 2014
i. H. v. insgesamt 3.355,20 EUR zu den Akten gereicht. Auch diese Rechnungen seien von ihm sämtlich beglichen worden.
Der Kläger hat beantragt,
den Bescheid vom 24. November 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. Januar 2015 aufzuheben und die Beklagte
zu verpflichten, die durch die stationär durchgeführten Krankenhausbehandlungen zwecks abdomineller Chemoperfusion und -filtration
entstandenen Kosten in Höhe von 33.838,42 EUR zu erstatten.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung hat sie auf ihre Ausführungen in dem angefochtenen Widerspruchsbescheid sowie auf das Gutachten des MDK vom
12. November 2014 Bezug genommen. Zudem sei bislang nicht abschließend geklärt, ob die von der urologischen Abteilung der
Universitätsmedizin Greifswald empfohlene Chemotherapie abgebrochen oder gar nicht erst begonnen worden sei.
Das Sozialgericht hat die Verwaltungsakten der Beklagten, die Behandlungsunterlagen des HELIOS Hanseklinikum von Juni, Juli
und August 2014 und der Universitätsmedizin Greifswald über die Behandlung im Oktober 2013 bzw. Mai und September 2014, von
der behandelnden FÄ für Urologie Dr. P. sowie einen Befundbericht und die Behandlungsakten des Herrn Dr. Br. beigezogen.
Darüber hinaus hat das Sozialgericht Beweis erhoben durch ein fachurologisches Gutachten nach Aktenlage des Herrn Dr. von
D. vom 8. März 2016. Zusammenfassend hat der Sachverständige ausgeführt, dass die Erkrankung des Klägers nach Auftreten der
Metastase unbehandelt eine lebensbedrohliche, regelmäßig tödlich verlaufende Erkrankung dargestellt habe. Ohne Behandlung
sei mit einem raschen Fortschreiten zu rechnen gewesen. Zum damaligen Zeitpunkt sei die Erkrankung durch eine leitliniengerechte
systemische Chemotherapie in über 90% der Fälle heilbar gewesen. Eine kurative systemische Chemotherapie mit Cisplatin, Etoposid
und Bleomycin hätte bei dem malignen Hodentumor eine exzellente Heilungschance gehabt. Aus der Krankenakte ergäben sich insoweit
keine Kontraindikationen. Etwas Anderes folge nicht aus dem Ergebnis der molekulargenetischen Untersuchung, zumal die patientengerechte
Auswahl von Chemotherapeutika noch Gegenstand der Forschung sei. Die tatsächlich durchgeführte invasive, nicht systemisch
wirkende Chemoperfusionsbehandlung weise hingegen keine hohen Heilungschancen auf. Zwar sei seien hierdurch die radiologisch
festgestellten Metastasen mit hoher Wahrscheinlichkeit behandelbar gewesen. Allerdings habe ein erhöhtes, radiologisch nicht
auszuschließendes Risiko einer weiteren Metastasierung im Bereich der Lungen bestanden, welche durch die nur im Bauchraum
wirkende Therapie nicht beeinflusst worden wäre. Din einem solchen Fall hätte dann eine systemische Chemotherapie noch zusätzlich
erfolgen müssen, was durch die Kumulation mit den bereits eingesetzten Chemotherapeutika mit weiteren Risiken verbunden gewesen
wäre. Zudem erschließe sich der der Nutzen der Chemoperfusionsbehandlung deshalb nicht, weil sie in keiner Weise minimal-invasiv
oder schonender sei als eine systemische Chemotherapie; auch habe die eingesetzte PET CET keinerlei prognostischen Vorteil.
Die Behandlungsmethode sei mit weiteren Stahlen-Risiken verbunden, weil zusätzlich zu der nach dem 2. Zyklus erforderlichen
Kontroll-CT bei jeder Chemoperfusion zur Ballonkontrolle eine Durchleuchtung erforderlich sei. Schließlich sei der Nutzen
der streitigen Behandlungsmethode insgesamt nicht erwiesen, weil er in Ermangelung wissenschaftlicher Publikationen nicht
nachprüfbar sei. Die „individualisierte Chemotherapie“ habe bis heute keinen Einzug in die Leitlinien zur Behandlung des Hodentumors
gefunden. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt des Gutachtens Bezug genommen.
Der Kläger ist der Einschätzung des Sachverständigen nicht gefolgt und hat demgegenüber auf eine Stellungnahme des Herrn Dr.
Br. vom 28. Juni 2014 verwiesen, wonach die im Sachverständigengutachten genannten drei Chemotherapeutika wegen ihrer erheblichen
Nebenwirkungen, einschließlich der zerstörerischen Auswirkung auf das Immunsystem, zur Behandlung ungeeignet gewesen seien.
Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 28. April 2017 abgewiesen, weil die Beklagte zu Recht die Erstattung der dem
Kläger im Zusammenhang mit der Chemoperfusionsbehandlung entstandenen Kosten abgelehnt habe.
Einen Sachleistungsanspruch gegenüber der Beklagten habe der Kläger zum Zeitpunkt der streitigen Chemoperfusionsbehandlung
nicht gehabt. Deshalb könne er von der Beklagten auch nicht die Erstattung der ihm entstandenen Kosten verlangen. Nach dem
Ergebnis der Beweisaufnahme sei zwar festzustellen, dass bei dem Kläger zum Zeitpunkt der streitigen Behandlung eine „notstandsähnliche
Situation“, d. h. eine große Wahrscheinlichkeit für einen drohenden tödlichen Behandlungsverlauf innerhalb eines kürzeren
überschaubaren Krankheitsverlaufs, bestanden habe. Es sei hier jedoch nicht mit der erforderlichen – an Sicherheit grenzenden
– Wahrscheinlichkeit vom Fehlen einer allgemein anerkannten, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung, auszugehen.
Der Sachverständige habe überzeugend dargelegt, dass zur Behandlung des Klägers eine kurative primäre, systemische Chemotherapie
mit Cisplatin, Etoposid und Bleomycin eine exzellente Heilungschance geboten hätte und dass beide Behandlungen, also auch
die vom Kläger bevorzugte Chemoperfusionsbehandlung, auf das gleiche Ziel, nämlich die Heilung der Krebserkrankung gerichtet
gewesen seien. Die beiden Behandlungen unterschieden sich allein dadurch, dass eine systemische Chemotherapie auf eine Heilung
aller möglichen Tumorabsiedelungen im Körper gerichtet gewesen wäre, während das Ziel der Chemoperfusionsbehandlung nur die
lokale Heilung des Hodentumors bzw. der Lymphknotenmetastasen gewesen sei. Bei dieser Sachlage komme ein Kostenerstattungsanspruch
nur in Betracht, wenn die Standardtherapie wegen erheblicher gesundheitlicher Risiken, vor allem schwerwiegender Nebenwirkungen,
nicht nutzbar gewesen wäre. Das sei jedoch nicht der Fall. Vielmehr habe der Sachverständige dargelegt, dass ausweislich der
Krankenakten keinerlei Kontraindikationen für die oben beschriebene Chemotherapie vorgelegen hätten. An der erforderlichen
Expertise des Sachverständigen bestünden keinerlei Zweifel. Entgegen der Ansicht des Klägers sei durch die molekular-genetische
Testung des bei der systemischen Chemotherapie voraussichtlich eingesetzten Chemotherapeutikums Cisplatin eine Resistenz nicht
mit der erforderlichen Sicherheit nachgewiesen worden, denn die Findung von individuellen Chemotherapeutika sei auch derzeit
noch Gegenstand der Forschung und habe bis heute keinen Einzug in die Leitlinien zur Behandlung des Hodentumors gefunden.
Es seien auch erhebliche Zweifel an einer Wirksamkeit der Chemoperfusionsbehandlung angebracht, ohne dass dies noch entscheidungserheblich
sei. Der Sachverständige habe insoweit jedoch schlüssig und überzeugend dargelegt, dass zum Zeitpunkt der Feststellung der
Lymphknotenmetastasen bei dem Kläger ein erhöhtes Risiko für eine weitere Metastasierung im Körper bestanden habe, so dass
bei einer auf den Abdominalraum beschränkten Chemoperfusionsbehandlung (eine Durchführung der Chemotherapie unter Einschluss
der Lungen sei nicht dokumentiert), bei dem Kläger trotz des Rückgangs der Lymphknotenmetastasen ein hohes Restrisiko für
ein Fortschreiten der Erkrankung bestanden habe, denn kleinste Metastasen im zellulären Bereich könnten auch von modernen
Computertomographen nicht detektiert werden.
Gegen dieses dem Kläger am 15. Mai 2017 zugestellte Urteil richtet sich seine am 11. Juni 2017 eingelegte Berufung.
Das Urteil sei im Ergebnis rechtsfehlerhaft, weil das Sozialgericht sich nicht mit seinen Einwänden gegen das Gutachten auseinandergesetzt
habe, sondern die überwiegend unzutreffenden Ausführungen des Sachverständigen ohne eigene Prüfung zur Grundlage seiner Entscheidung
gemacht habe. Dem Sozialgericht hätte auffallen müssen, dass sich der Sachverständige überhaupt nicht mit der Stellungnahme
Dr. Brockmanns vom 25. August 2015 und mit den beigefügten umfangreichen Anlagen auseinandergesetzt habe. Das Sozialgericht
habe nicht voll davon überzeugt sein dürfen (wodurch?), dass die Möglichkeit einer kurativen Behandlung mit Cisplatin, Etoposid
und Bleomycin bestanden habe. Nach Ansicht des behandelnden Arztes sei Cisplatin im Falle eines Harnstaus mit verzögerter
Nierenausscheidung nicht einsetzbar, da es nephrotoxisch (Nieren-giftig) sei. Das Bleomycin beinhalte ein besonders gefährliches
Nebenwirkungspotential, nämlich u. a. das Risiko einer progredienten Lungenzirrhose (eine mitunter rasch einsetzende bindegewebige,
möglicherweise sogar letale (tödliche) Umwandlung des Lungengewebes). Demgegenüber habe der behandelnde Arzt die Zytostatika
Fludarabin, Etoposid und Gemzitabin erfolgreich eingesetzt. Das Sozialgericht hätte feststellen müssen, welche Chemotherapeutika
im konkreten Fall geeignet gewesen wären. Mangels eigenen medizinischen Sachverstands wäre es verpflichtet gewesen, zu diesem
Zweck einen weiteren Sachverständigen zu beauftragen.
Dem Gutachten könne nicht gefolgt werden. Auf Seite 7 des Gutachtens bezeichne der Sachverständige die Dosis der Chemotherapeutika
bei der streitgegenständlichen Therapie als „niedrig" und bei der Systemischen Chemotherapie als "Hoch". Genau das Umgekehrte
sei der Fall (Anlage 6 d). Bei der intraarteriellen Chemotherapie betrage die Dosis kurzfristig (ca. 45 Minuten) das 36-fache
der systemischen Chemotherapie. Unzutreffend sei es auch, bei der Polychemotherapie von einer hohen Heilungschance zu sprechen.
Der ganze Körper werde vergiftet (inkl. gesunde Zellen); die meisten Chemotherapien führten zum Tode, was allgemein bekannt
sei. Die streitgegenständliche Methode sei hunderte Male bei verschiedenen Tumorentitäten erfolgt und habe in den meisten
Fällen zur Vollremissionen geführt. Der Vorteil bei der intraarteriellen Chemoperfusion sei, dass die Chemotherapeutika bis
zu 90 % (!) aus dem Blut im Bereich des Ortes des Geschehens ultrarefiltriert würden.
Der Hinweis des Sachverständigen auf einen vermehrten Einsatz von Röntgenstrahlen mit Risiko von Strahlenspätschäden sei tendenziös.
In beiden gegenübergestellten Verfahren kämen Kontroll-CTs zum Einsatz. Mit dem eingesetzten PET-CT sei festgestellt worden
sei, dass die Lunge nicht von Metastasen befallen gewesen sei, weshalb eine Chemotherapie der Lunge nicht notwendig gewesen
sei. Es bestehe auch kein operatives Risiko (vgl. Seite 11 des Gutachtens). Zusammenfassend sei festzustellen, dass der Sachverständige
sachunkundig sei und sich auf Vermutungen stütze. Wenn man die Stellungnahme Dr. Brockmanns nebst beigefügten Anlagen mit
dem Gutachten vergleiche, sei festzustellen, dass der Sachverständige in fast allen Punkten falsch liege.
Schließlich habe das Sozialgericht den eingetretenen Behandlungserfolg, der selbst vom Sachverständigen eingeräumt worden
sei, nicht zur Kenntnis genommen. Tatsächlich sei er schon vier Monate nach seiner Behandlung wieder in seinem schweren Handwerkerberuf
tätig gewesen. Inzwischen sei er auch Vater geworden.
Unter Berücksichtigung dieser Tatsachen seien die Voraussetzungen des sog. Nikolaus-Beschlusses (vgl. BVerfGE 1 BvR 2045/12) bzw. die Voraussetzungen des §
2 Abs.
1a SGB V gegeben. Der Kläger verweist zudem auf einen Beschluss des BVerfG vom 19. März 2009 – 1 BvR 316/09 – sowie auf ein Urteil des LSG Baden-Württemberg vom 19. März 2014 – L 5 KR 1496/13. Danach sei §
13 Absatz
3 SGB V verfassungskonform auszulegen, wenn – wie hier – Leib und Leben bedroht seien. Dem Umstand, dass der Beschaffungsweg nicht
eingehalten worden sei, komme deshalb keine anspruchsvernichtende Wirkung zu. Zudem sei zu berücksichtigen, dass die Krankenkassen
noch in keinem Fall vergleichbare Behandlungen „genehmigt“ hätten, so dass die Einhaltung des Beschaffungswegs eine „bloße
Förmelei“ sei.
Der Kläger legte eine Stellungnahme des behandelnden Arztes Dr. Br. vom 10. März 2022 nebst Anlagen (Aufsatz „Oxygenierende
refiltrierende Chemo-Perfusionen- ORCPs in der praktischen Onkologie“, Teil 1 und Teil 2, veröffentlicht in „Die Naturheilkunde,
Ausgabe 2/21 und 4/21) vor, worin die von ihm vorgenommene Behandlung „verteidigt“ und auf die Heilung des Klägers verwiesen
wird. Demgegenüber sei die Ansicht des Gerichtsgutachters keinesfalls neutral. Dieser versuche lediglich, die ökonomischen
Interessen/ Vorteile der onkologisch pharmazeutischen Standardmedizin zu bewahren. Vor seiner Behandlung habe der Kläger bei
seinem schon weit fortgeschrittenen Hodenkarzinom mit pathologisch bedingt schlechter Prognose in seinem Tumorrezidiv-Fall
kaum noch Heilungschancen gehabt. Eine abdominale Operation wäre mit hohen Risiken und mit verstümmelnden Konsequenzen verbunden
gewesen und hätte nur noch in eine Palliativsituation gemündet. Mit der systemischen Chemotherapie wären etwaig tödliche Nebenwirkungen
verbunden gewesen, ohne dass diese Behandlung zugleich eine ausreichende Heilungssicherheit aufweise. Demgegenüber seien durch
die Chemoperfusion und -filtration die Nachteile der systemischen Chemotherapie vermieden worden: einerseits die mangelnde
Konzentration der Wirkstoffe direkt im Metastasen-Bereich selbst und andererseits reziprok dazu die viel zu stark schädigende
Konzentration der Wirkstoffe im Bereich der Zellen, die für das weitere Überleben notwendig seien. In dem übersandten Aufsatz
heißt es u. a.: „Aus dieser differenzierten Gesamtbetrachtung miteinander verwobener Behandlungsergebnisse, die sicherlich
nicht mit der Evidenz mehrarmiger Therapiestudien Schritt hält, lassen sich jedoch auch jetzt schon erste Schlussfolgerungen
in dem Sinne ableiten, dass in ORCPs ein überragendes Potential steckt. [...] Dessen ungeachtet sind zukünftige klinische
Studien zu ORCPs unverzichtbar, wenn man bei Krebspatienten auf breiterer Basis, d. h. häufiger und gezielt auch in Palliativsituationen
doch noch Heilungen erzielen will und sich dabei auf eine entsprechende wissenschaftliche Evidenz stützen möchte. Eine Klinik-übergreifende
Vereinheitlichung von ORCPs und intraarteriellen Stopflow-Chemotherapien wäre unabhängig hiervon ebenfalls wünschenswert.“
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Stralsund vom 28. April 2017 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, ihm Kosten in Höhe
von EUR 33.838,42 zu erstatten.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte verteidigt unter Bezugnahme auf ihr gesamtes Vorbringen die erstinstanzliche Entscheidung. Überdies habe der
Kläger den Beschaffungsweg nicht eingehalten, denn der Behandlungsvertrag sei bereits am 23. Juni 2014 vor Antragsstellung
unterschrieben worden.
Entscheidungsgründe
Die gemäß §§
143,
151 Abs.
1 SGG form- und fristgerecht eingelegte und auch ansonsten zulässige Berufung hat keinen Erfolg.
Das Sozialgericht hat die kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§
54 Abs.
1 und 4
SGG) im Ergebnis zur Recht abgewiesen. Der Bescheid vom 24. November 2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. Januar
2015 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger kann von der Beklagten nicht die Erstattung
seiner ihm für die streitige Behandlung entstandenen Kosten verlangen.
Soweit der Kläger mit seiner Klage auch die Erstattung der Kosten i. H. v. insgesamt 3.355,20 EUR geltend macht, die ihm von
Herrn Dr. Br. in Rechnung gestellt worden sind, ist die Klage mangels Durchführung eines Vorverfahrens allerdings bereits
unzulässig, §
78 Absatz
1 SGG. Das als Antrag des Klägers zu wertende Schreiben des Helios Hanseklinikum S. vom 24. Juni 2014 verhielt sich ausschließlich
zu einer „Kostenübernahmeerklärung für eine stationäre Therapie der regionalen Chemoperfusion“. Folgerichtige waren Gegenstand
des Bescheides vom 24. November 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. Januar 2015 ausschließlich die Kosten
einer stationären abdominellen Chemoperfusion- und filtration im Helios Hanseklinikum S.. Die von Dr. Br. ambulant erbrachten
Leistungen und nach GOÄ abgerechnete Leistungen („lokoregionale Tiefenhyperthermie“ und „moderate Ganzkörperthermien“) waren hingegen eindeutig weder
Gegenstand des Antrags des Klägers und der hierauf ergangenen Bescheide der Beklagten, noch lassen sie sich als Teil der stationären
Behandlung im Krankenhaus ansehen.
In diesem Zusammenhang merkt der Senat daher lediglich an, dass die ambulante Hyperthermie-Behandlung in allen ihren Ausprägungen
als nicht anerkannte Methode von der Leistungserbringung zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung ausgeschlossen ist,
vgl. die Beschlüsse des Gemeinsamen Bundesausschusses vom 21. September 2004 zur Systemischen Krebs-Mehrschritt-Therapie nach
von Ardenne (welche u. a. eine Ganzkörperhyperthermie beinhaltet), in Kraft getreten am 5. Januar 2005 und vom 18. Januar
2005 zur Hyperthermie selbst (u. a. Ganzkörperhyperthermie, regionale Tiefenhyperthermie, Oberflächen-Hyperthermie, Hyperthermie
in Kombination mit Radiatio und/oder Chemotherapie), in Kraft getreten am 15. Mai 2005. Als Nr. 41 und 42 der Anlage B der
Richtlinie Vertragsärztliche Versorgung (ehemals: BUB-Richtlinie) sind diese Behandlungsmethoden seither unverändert der Liste
der Methoden zugeordnet, die nicht als vertragsärztliche Leistungen zu Lasten der Krankenkassen erbracht werden dürfen, womit
ein Sachleistungsanspruch und erst Recht (im Falle der Erbringung durch einen Nichtvertragsarzt ein Kostenerstattungsanspruch)
ausscheidet. Nach dem zusammenfassenden Bericht des Unterausschusses“Ärztliche Behandlung“ des Gemeinsamen Bundesausschusses
vom 15. Juni 2005 gab es zum damaligen Zeitpunkt keinen Nachweis eines therapeutischen Nutzens alleiniger oder begleitender
Hyperthermie bei Krebserkrankungen, insbesondere auch nicht bei Keimzelltumoren (a. a. O., S. 74). Auch zu Verträglichkeit,
Standardisierung bzw. Sicherheit der untersuchten Hyperthermieverfahren konnten anhand der vorliegenden Daten keine Schlussfolgerungen
gezogen werden. Das entspricht – soweit ersichtlich – auch heute noch dem Stand der Wissenschaft.
Im Übrigen ist die erhobene Klage zwar zulässig, jedoch unbegründet, weil die Voraussetzungen eines Kostenerstattungsanspruchs
nicht vorliegen, wie das Sozialgericht im Ergebnis zutreffend entschieden hat.
Da der Versicherte nicht nach §
13 Abs.
2 SGB V anstelle der Sach- oder Dienstleistung Kostenerstattung gewählt hatte, kommen als Rechtsgrundlage des geltend gemachten Erstattungsanspruchs
allein §
13 Abs.
3 Satz 1 Fall 1
SGB V (unaufschiebbare Leistung), §
13 Abs.
3 Satz 1 Fall 2
SGB V (rechtswidrige Leistungsablehnung) und §
13 Abs. Abs.
3a SGB V (Genehmigungsfiktion) in Betracht.
Da sich der Kläger spätestens mit der Überweisung der vom Krankenhaus geforderten Vorauszahlung für die erste stationäre
Behandlung am 25. Juni 2014 auf die Inanspruchnahme der „Alternativbehandlung“ vorfestgelegt hat, scheiden sowohl §
13 Abs.
3 Satz 1 Fall 2
SGB V (rechtswidrige Leistungsablehnung) als auch §
13 Abs. Abs.
3a SGB V (Genehmigungsfiktion) als Anspruchsgrundlage aus. Die Vorschrift setzt voraus, dass die Krankenkasse eine Leistung zu Unrecht
abgelehnt hat und dadurch dem Versicherten für die selbst beschaffte Leistung Kosten entstanden sind. Da dem Kläger die Kosten, deren Erstattung er
vorliegend geltend macht, schon zu einem Zeitpunkt entstanden sind, bevor die Beklagte über seinen Antrag entschieden hatte,
scheidet die vom Gesetz geforderte kausale Beziehung zwischen Leistungsablehnung und Kosten des Versicherten denknotwendig
aus. Die Einhaltung des Beschaffungsweges, d. h. das Abwarten auf die Entscheidung der Krankenkasse über die Sachleistungsgewährung
vor der Selbstbeschaffung, stellt nach der zutreffenden Rechtsprechung des BSG selbst dann keine unbeachtliche, bloße Förmelei dar, wenn mit einer Leistungsablehnung zu rechnen ist, vgl. BSG vom 14. Dezember 2006 – B 1 KR 8/06 R – juris Rn. 12, seither ständige Rechtsprechung. Insoweit ist allerdings der Hinweis geboten, dass nach den Ausführungen
in dem vom Kläger bei der Beklagten eingereichten Schreiben des Prof. Dr. Bi. vom 24. Juni 2014 keineswegs fest mit einer
Ablehnung zu rechnen war; vielmehr heißt es darin, dass „die Kostenübernahme [...] in der Vergangenheit in Einzelfällen [...]
nicht erfolgte bzw. strittig ist“.
Aus dem gleichen Grund scheidet auch ein Anspruch aus §
13 Abs. Abs.
3a SGB V (Genehmigungsfiktion) aus. Die Beklagte hat hier zwar die maßgeblichen Entscheidungsfristen nach §
13 Absatz
3a SGB V (weit) verstreichen lassen. Jedoch hat ein Versicherter, der schon vor Ablauf der Fristen nach §
13 Absatz
3a SGB V auf die Selbstbeschaffung der beantragten Leistung vorfestgelegt ist, keinen Anspruch auf Kostenerstattung gegen seine Krankenkasse
aufgrund einer Genehmigungsfiktion (BSG, Urteil vom 27. Oktober 2020 – B 1 KR 3/20 R –, juris Rn. 12 ff.). Auch dieser Rechtsprechung schließt sich der Senat nach eigener Prüfung an. Der Kläger hat sich vorliegend
– nach jeweiliger Vorauszahlung der voraussichtlichen Behandlungskosten – bereits 4 Tage nach Antragseingang bei der Beklagten
in die erste stationäre Behandlung begeben und weniger als fünf Wochen nach Antragseingang in die zweite. Lediglich die dritte
der von vornherein auf mehrere Einzelbehandlungen angelegten Serie von stationären Behandlungen hat überhaupt nach Ablauf
der für den Eintritt der Genehmigungsfiktion maßgeblichen fünfwöchigen Frist stattgefunden, welche gemäß §
13 Abs. Abs.
3a Satz 1
SGB V in Fällen maßgeblich ist, in denen eine gutachtliche Stellungnahme eingeholt wird. Auch auf diese Fristüberschreitung kommt
es indes nicht an, weil der sich aus der Vorfestlegung ergebende Ausschluss nicht nur die „vorfristigen“ der drei einzelnen
stationären Behandlungen umfasst, sondern die gesamte, als Einheit zu betrachtende Behandlungsserie. Von einer endgültigen
Vorfestlegung war bereits in dem Zeitpunkt auszugehen, in dem der Kläger die erste Vorauszahlung geleistet hatte. Mit dieser
Selbstzahlung hat er nach außen eindeutig dokumentiert, das Sachleistungssystem der gesetzlichen Krankenversicherung (§
2 Absatz
2 Satz 1
SGB V) im Hinblick auf die beabsichtigte Chemoperfusionsbehandlung insgesamt verlassen zu wollen, zu einem Zeitpunkt, bevor er
die Beklagte überhaupt mit dieser Leistung erstmals befasst hatte.
Schließlich scheidet auch ein Anspruch aus §
13 Abs.
3 Satz 1 Fall 1
SGB V (unaufschiebbare Leistung) aus. Dabei kann aus Rechtsgründen letztlich sogar sowohl dahinstehen, ob die Behandlung Ende Juni/Anfang
Juli 2014 aus medizinischen Gründen derart eilbedürftig war, dass von Unaufschiebbarkeit im Sinne des Gesetzes auszugehen
ist, als auch, ob – wie das Sozialgericht zutreffend festgestellt hat – ein Sachleistungsanspruch auf die konkret in Anspruch
genommene Behandlung (Chemoperfusion) wegen vorrangiger, wissenschaftlich gesicherter Behandlungsmethoden (systemische Chemotherapie)
nicht bestanden hat. Dahinstehen kann auch, ob der oben dargelegte Umstand der Vorfestlegung bereits vor erstmaliger Befassung
der Krankenkasse letztlich auch in Fällen der unaufschiebbaren Leistung (anders als bei Notfällen, welche dem Regime des §
76 SGB V unterfallen) einen Kostenerstattungsanspruch entfallen lässt, so bspw. Kingreen in: Becker/Kingreen,
SGB V §
13 Rn. 25, oder ob die zumindest wenige Tage vor Behandlungsbeginn erfolgte Benachrichtigung der Beklagten insoweit ausreicht.
Ein Kostenerstattungsanspruch kommt jedenfalls deshalb nicht in Betracht, weil es auch bei unterstellter Unaufschiebbarkeit
an der Voraussetzung der Nichterfüllung seitens der Beklagten fehlt, die mithin auch nicht für eine zivilrechtlich wirksame
Kostenbelastung des Klägers ursächlich gewesen sein kann. Die Beklagte hat den Kläger auf seinen Antrag vom 26. Juni 2014
bereits mit Schreiben vom folgenden Tage – in jeder Hinsicht zutreffend – auf seinen Anspruch auf Sachleistung und die hiermit
korrespondierende Behandlungspflicht des zugelassenen (Plan)krankenhauses (vgl. §
108 Nr. 2
SGB V) Helios Klinikum S. hingewiesen. Dieser Vertragsleistungserbringer war offenkundig auch zur Behandlung des Klägers bereit
und in der Lage, wie die tatsächlich durchgeführten Behandlungen belegen. Dass die Beklagte im Sinne von §
13 Abs.
3 Satz 1 Fall 1
SGB V eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen konnte, kann mithin vorliegend in keiner Weise angenommen werden.
Wie die Beklagte mit ihrem Schreiben an den Kläger vom 27. Juni 2014 völlig zutreffend ausgeführt hat, hatte der Kläger „grundsätzlich
Anspruch auf vollstationäre Behandlung“. In der Tat stand es dem Krankenhaus „frei, die [streitige] Methode anzuwenden, wenn
[...] die Anwendung dieser Methode notwendig ist.“ Die Abrechnung hätte dann, wie es das Sachleistungssystem vorsieht, allein
und unmittelbar zwischen Krankenhaus und Beklagter erfolgen können. Auch hierauf hat die Beklagte den Kläger in dem vorgenannten
Schreiben hingewiesen und zugleich eindringlich von einer Selbstzahlung abgeraten.
Hieraus folgt zugleich: Wenn beim Kläger (wie von ihm mit Nachdruck vorgetragen) eine systemische Chemotherapie aus medizinischen
Gründen ausgeschlossen gewesen sein sollte, hätte sein gegen die Beklagte gerichteter und vom Klinikum S. zu erfüllender Sachleistungsanspruch
die streitige Behandlung mittels Chemoperfusion durchaus umfassen können. Der stattdessen vom Kläger mit dem Krankenhaus geschlossene
zivilrechtliche Behandlungsvertrag wäre in diesem Falle wegen Verstoßes gegen §
32 SGB I nichtig, weil er zum Nachteil des Sozialleistungsberechtigten von Vorschriften des SGB abwiche. Dem Vertragsleistungserbringer
steht es gerade nicht frei, sein Vergütungsrisiko im Verhältnis zur Krankenkasse auf den Versicherten abzuwälzen, indem er
diesem – in Negation seines Sachleistungsanspruchs – eine zivilrechtliche Vergütungspflicht abnötigt, vgl. BSG, Urteil vom 03. Juli 2012 – B 1 KR 6/11 R –, juris Rn. 24.
Allerdings ist der Senat nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens zu der Überzeugung gelangt, dass dem Kläger vorliegend mit
der systemischen Chemotherapie eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung zur Verfügung
stand, die auch individuelle Anpassungen (z. B. durch die Zusammenstellung der konkret einzusetzenden Zytostatika) zuließ,
womit die als neue Behandlungsmethode einzustufende Chemoperfusionsbehandlung gerade nicht von seinem Sachleistungsanspruch
umfasst war. Der Senat gewinnt diese Überzeugung insbesondere auf der Grundlage des vom Sozialgericht eingeholten Sachverständigengutachtens,
in welchem in Übereinstimmung mit den seinerzeit (und noch heute) maßgeblichen Leitlinien die systemische Chemotherapie als
Methode der Wahl (first line Therapie) zur kurativen Behandlung des metastasierenden keimzell-Karzinoms beschrieben wird.
Ausgehend von der „S3-Leitlinie Diagnostik, Therapie und Nachsorge der Keimzelltumoren des Hodens (Version 01. Januar 2020)“
steht fest, dass die systemische Chemotherapie auch aktuell noch immer die anerkannte und evidenzbasierte Standardtherapie
ist. In dieser Leitlinie werden auch jetzt noch für Patienten mit Hodenkrebs keine Medikamente oder Maßnahmen empfohlen, die
nicht für solche Patienten zugelassen sind, also auch nicht die hier streitige Chemoperfusion und -filtration. Die streitige
Behandlungsmethode wird dort noch nicht einmal erwähnt. Danach bietet die „herkömmliche Methode“ evidenzbasiert trotz bekannter
Nebenwirkungen Heilungschancen von deutlich über 90 %.
Soweit Dr. Br. auf erhebliche, das Immunsystem schädigende Nebenwirkungen der systemischen Chemotherapie verwiesen hat, findet
sich im o. g. Sachverständigengutachten der Hinweis, dass bei einer Kontraindikation hinsichtlich Bleomycin zur kurativen
Behandlung vier Zyklen Cisplatin und Etoposid verabreicht werden können. Der Sachverständige hat in seinem Gutachten zudem
weitere Alternativen dargestellt und überzeugend ausgeführt, dass sich aus der Krankenakte gerade keine Kontraindikation für
die Chemotherapie ergeben. Welche konkreten Zytostatika durch die Universitätsmedizin Greifswald oder auch durch das Helios
Klinikum S. tatsächlich eingesetzt worden wären, steht nach Aktenlage nicht fest und bedarf auch keiner weiteren Aufklärung.
Die vom behandelnden Arzt des Klägers abgelehnten Zytostatika werden vom GBA hingegen ausdrücklich empfohlen. Insofern ist
auf den o. g. Bericht des G-BA vom 15. Juni 2005 (Seite 68 unten) zu verweisen, in dem es heißt:
„Die Chemotherapie erfolgt grundsätzlich als Kombinations-Chemotherapie, bestehend aus drei – seltener zwei – Zytostatika.
Die wichtigste Substanz ist nach wie vor Cisplatin. Weitere hochwirksame Zytostatika sind Etoposid, Ifosfamid, Vinblastin
und Bleomycin sowie Carboplatin als Alternative zu Cisplatin. Auch wirksam haben sich Actinomycin D, Cyclophosphamid, Methotrexat
und Doxorubicin erwiesen.“
Demnach stehen die Ausführungen des gerichtlichen Gutachters zum zumutbaren Einsatz der Zytostatika im Einklang mit den Empfehlungen
des Gemeinsame Bundesausschuss und dem medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisstand, der durch die allenfalls als vereinzelte
Expertenmeinung einzustufende gegenteilige Auffassung des Herrn Dr. Br. in keiner Weise in Frage gestellt wird. Auf die unzureichende
Evidenz der eigenen Therapieerfahrungen und die Notwendigkeit zukünftiger Studien verweist Dr. Br. bezeichnenderweise selbst
in seinem oben zitierten, klägerseits zu den Akten gereichten Aufsatz. Auch kommt dem (erfreulichen) Behandlungsverlauf im
vorliegenden Fall bei der Beurteilung von Geeignetheit und Notwendigkeit der streitigen Behandlungsmethode insgesamt als bloße
anekdotische Fallgeschichte keine nennenswerte Evidenz zu. Weiterer Ermittlungen bedurfte es vor diesem Hintergrund nicht.
Lediglich ergänzend sei angemerkt, dass eine zivilrechtlich wirksame Zahlungsverpflichtung des Klägers gegenüber dem Krankenhaus
auch dann nicht anzunehmen sein dürfte, wenn man – wie der Senat – die streitige Chemoperfusionsbehandlung nicht als vom Sachleistungsanspruch
des Klägers umfasst ansieht. Ob dem Kläger in Folge hieraus ein Rückzahlungsanspruch zusteht, hat der Senat indes nicht zu
entscheiden.
Für eine wirksame Kostenbelastung des Klägers aufgrund der vorgelegten Rechnungen des Krankenhauses (und des Dr. Br.) dürfte
es jedenfalls an einer wirksamen Einwilligung in die streitige Behandlungsmethode fehlen. Insoweit verweist der Senat nochmals
auf die Ausführungen des BSG in seinem Urteil vom 03. Juli 2012 – B 1 KR 6/11 R –, juris Rn. 24, wonach die Verletzung von Aufklärungspflichten durch den behandelnden Arzt zum Ausschluss des Vergütungsanspruchs
führen kann. Dem Gebot der vollständigen Aufklärung liegt zugrunde, dass der Patient zur Wahrung seines aus der Menschenwürde
und dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht abgeleiteten Selbstbestimmungsrechts und seines Recht auf körperliche Unversehrtheit
umfassend und ungefragt darüber aufgeklärt werden muss, dass die in Betracht gezogenen Behandlungsmethoden unterschiedliche
Risiken oder Erfolgschancen haben (vgl. Hauck, SGb 2014, 8-17: „Die Bedeutung der Patientenautonomie für Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV)“, S. 16 Ziffer 4c und
5 mit weiteren Rechtsprechungshinweisen sowie BGH, Urteil vom 22. Februar 2000 – VI ZR 100/99 –, juris Rn. 9). Nur aufgrund einer solchen Aufklärung kann der Patient in den ärztlichen Eingriff rechtswirksam einwilligen
und einen gültigen Behandlungsvertrag schließen.
Der Senat bezweifelt, dass der Kläger gemessen an diesen Voraussetzungen ordnungsgemäß aufgeklärt wurde. Insoweit fällt auf,
dass die Aufklärungsbögen des Krankenhauses unerwähnt lässt, dass der Kläger mit der Behandlung durch eine systemische Chemotherapie
eine herausragende Heilungschance hatte und er sich andererseits mit der lokoregionalen, rein abdominellen Chemoperfusion
und -filtration dem Risiko einer Metastasierung in die Lungen hinein (und damit ggf. zusätzlich einer erforderlichen systemischen
Chemotherapie) aussetzte. Angesichts des Umstandes, dass der Keimzellhumor mit den Mitteln der „Schulmedizin“ und auf Kosten
der Gesetzlichen Krankenversicherung zu den bestbehandelbaren Tumoren gehört, wäre zu verlangen, dass hierauf auch angesichts
der drohenden Kostenfolge für den Patienten gesondert eingegangen und dies auch zu Beweiszwecken dokumentiert wird. Das gilt
noch deutlicher für die Gefahr der Metastasierung. Weiter erscheint es als nicht ganz fernliegend, dass bei dem Kläger der
Eindruck hervorgerufen wurde, dass lediglich die Chemoperfusion und -filtration auf eine kurative Behandlung abzielte, während
die systemische Chemotherapie nur eine palliative Behandlung bezweckte. Tatsächlich hätte jedoch auch die systemische Chemotherapie
einen kurativen Ansatz verfolgt.
Die Einwilligung des Klägers, die dieser jeweils am Aufnahmetag mit Unterzeichnung des Aufklärungsbogens erteilte, könnte
auch deshalb unwirksam sein, weil ihm keine ausreichende Bedenkzeit zwischen dem Aufklärungsgespräch über die Risiken des
Eingriffs und der Entscheidung über die Einwilligung gemäß §
630e Abs.
2 Nr.
2 BGB eingeräumt worden ist. Eine wohlüberlegte Entscheidung kann schon nach dem Wortlaut des §
630e Abs.
2 Nr.
2 BGB nur treffen, wer ausreichend Zeit zum Überlegen hat. Wenn ein Krankenhaus aus organisatorischen Gründen die Übung hat, den
Patienten unmittelbar im Anschluss an die Aufklärung zur Unterschrift unter die Einwilligungserklärung zu bewegen, kann nicht
von einer wohl überlegten Entscheidung ausgegangen werden (vgl. OLG Bremen, Urteil vom 25. November 2021 – 5 U 63/20 –, juris Rn. 50 mit Verweis auf Martis/Winkhart-Martis, MDR 2020,1421, 1424; OLG Köln, Urteil vom 16. Januar 2019 – 5 U 29/17 –, Rn. 21, juris). Sie wird vielmehr unter dem Eindruck einer großen Fülle von dem Patienten regelmäßig unbekannten und schwer
verständlichen Informationen und in einer persönlich schwierigen Situation abgegeben (OLG Bremen, a.a.O.).
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 Abs.
1 Satz 1
SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision im Sinne des §
160 Absatz
2 SGG liegen nicht vor.