Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II; Sanktion wegen Meldeversäumnisses; Bestreitung des Zugangs der Meldeaufforderung
Gründe:
Die gemäß §§
172,
173 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) zulässige Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts (SG) Bremen vom 17. Oktober 2012 ist nicht begründet.
Das SG hat es zu Recht abgelehnt, den Antragsgegner im Wege einer einstweiligen Anordnung nach §
86b Abs.
2 S. 2
SGG zu verpflichten, dem Antragsteller für die Zeit vom 1. September 2012 bis 31. Januar 2013 vorläufig ungekürzte Leistungen
nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) zu gewähren, und gemäß §
86b Abs.
1 S. 1 Nr.
2 SGG die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen den Sanktionsbescheid des Antragsgegners vom 24. September
2012 anzuordnen. Zutreffend hat das SG ausgeführt, dass dem Begehren des Antragstellers auf Gewährung ungekürzter Leistungen für den genannten Zeitraum mehrere
bestandskräftige Sanktionsbescheide entgegen stehen und der mit dem Widerspruch angefochtene Sanktionsbescheid vom 24. September
2012 sich nach summarischer Prüfung als rechtmäßig darstellt, insbesondere der Antragsteller vor Erlass dieses Bescheides
ordnungsgemäß angehört worden ist. Der Senat weist die Beschwerde daher nach eigener Sachprüfung aus den zutreffenden Gründen
des angefochtenen Beschlusses zurück und sieht gemäß §
142 Abs.
2 S. 3
SGG von einer weiteren Begründung ab, zumal der Antragsteller im Beschwerdeverfahren auch nichts gegen die Ausführungen des SG vorgebracht hat. Ergänzend ist lediglich darauf hinzuweisen, dass - wovon das SG offenbar auch ausgegangen ist - für eine Rechtswidrigkeit der bestandskräftigen Sanktionsbescheide, die zu der Minderung
der Leistungsansprüche für den laufenden Bewilligungszeitraum geführt haben, nach Aktenlage nichts ersichtlich ist. Seinen
diesbezüglich gestellten Überprüfungsantrag hat der Antragsteller auch nicht begründet.
Soweit der Antragsteller im Beschwerdeverfahren erstmals geltend gemacht hat, die Einladung zu dem Meldetermin am 16. August
2012, der dem Sanktionsbescheid vom 24. September 2012 zugrunde liegt, nicht erhalten zu haben, rechtfertigt dieses Vorbringen
keine anderslautende rechtliche Beurteilung. Zwar setzt die Sanktion eines Meldeversäumnisses nach § 32 SGB II eine Meldeaufforderung voraus, die nur dann vorliegt, wenn das entsprechende Einladungsschreiben dem Leistungsberechtigten
auch zugegangen ist. Hiervon ist im vorliegenden Fall aber auszugehen. Dabei kommt dem Antragsgegner die Zugangsfiktion des
§ 37 Abs. 2 S. 1 Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) indes nicht zugute. Nach dieser Regelung gilt ein schriftlicher Verwaltungsakt, der im Inland durch die Post übermittelt
wird, am dritten Tag nach der Aufgabe zur Post als bekannt gegeben. Bei einer Meldeaufforderung handelt es sich um einen Verwaltungsakt
(vgl. Bundessozialgericht - BSG -, Beschluss vom 19. Dezember 2011 - B 14 AS 146/11 B), so dass die vorgenannte Regelung grundsätzlich eingreift. Es fehlt vorliegend aber an dem erforderlichen Vermerk über
die Aufgabe zur Post (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 3. März 2009 - B 4 AS 37/08 R - Rn. 17). In dem vom Antragsgegner vorgelegten verbis-Vermerk vom 18. Juli 2012 über die persönliche Vorsprache eines
Mitarbeiters der Initiative für Betreutes Wohnen heißt es, dass der Antragsteller die für ihn bestimmte Post des Jobcenters
entgegen der getroffenen Vereinbarung dort nicht mehr abgeholt habe, so dass diese zukünftig auch nicht mehr an die Adresse
der Initiative für Betreutes Wohnen gesandt werden solle. Weiter heißt es in dem Vermerk: "Somit jetzt heute zurück gegebene
Einladung für den 16.08.12 (...) zur Anschrift des Vaters, wo der Herr D. wohnt (...)". Ob das Einladungsschreiben vom 12.
Juli 2012 auch tatsächlich noch am 18. Juli 2012 erneut, nunmehr an die Wohnadresse des Antragstellers, abgesandt worden ist,
lässt sich dem Vermerk nicht sicher entnehmen. Auf den vom Antragsgegner vorgelegten ursprünglichen Absendevermerk vom 12.
Juli 2012 kann nicht abgestellt werden, da das Schreiben - wie sich aus dem verbis-Vermerk vom 18. Juli 2012 ergibt - zunächst
an die Initiative für Betreutes Wohnen zwecks Weiterleitung an den Antragsteller gesandt worden, es an den Antragsteller aber
tatsächlich nicht ausgehändigt werden konnte.
Gilt nach alledem die Zugangsfiktion nicht, muss der Antragsgegner - im Hauptsacheverfahren - den Zugang beweisen. Nach derzeitigem
Sach- und Streitstand spricht Überwiegendes dafür, dass das Einladungsschreiben vom 12. Juli 2012 dem Antragsteller tatsächlich
zugegangen ist. Zu berücksichtigen ist, dass nach dem Inhalt der beigezogenen Verwaltungsakten weder hinsichtlich dieses Schreiben
noch der zahlreichen anderen für den Antragsteller bestimmten Schriftstücke (Meldeaufforderungen, Anhörungen, Sanktionsbescheide
etc.) ein Postrücklauf zu verzeichnen gewesen ist. Bezeichnenderweise hat der Antragssteller weder im Anhörungsverfahren (Anhörungsschreiben
vom 16. August 2012), noch im Widerspruchsverfahren oder im erstinstanzlichen Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes zu
dem ihm gemachten Vorwurf, er sei einer Meldeaufforderung für den 16. August 2012 nicht nachgekommen, vorgebracht, dass er
eine derartige Aufforderung gar nicht erhalten habe. Vielmehr hat er sich im Anhörungsverfahren überhaupt nicht geäußert,
den am 2. Oktober - zeitgleich mit dem Eilantrag - eingereichten Widerspruch nicht begründet und im Eilverfahren lediglich
- zu Unrecht (vgl. die zutreffenden Ausführungen in dem angefochtenen Beschluss) - geltend gemacht, dass er nicht ordnungsgemäß
zu der beabsichtigten Sanktionierung angehört worden sei. Auch die am 29. Oktober 2012 gegen den SG-Beschluss vom 17. Oktober 2012 erhobene Beschwerde ist zunächst nicht begründet worden, insbesondere ist nicht gerügt worden,
dass das SG von einem unzutreffenden Sachverhalt ausgegangen sei, da er - der Antragsteller - entgegen den Ausführungen in dem Beschluss
nicht mit einem Schreiben des Antragsgegners vom 12. Juli 2012 für den 16. August 2012 eingeladen worden sei. Erst anlässlich
seiner Befragung im Rahmen des Erörterungstermins am 28. November 2012 hat der Antragsteller behauptet, er habe "viele, viele
Briefe des Jobcenters", zu denen er offenbar auch das in Rede stehende Einladungsschreiben hat zählen wollen, nicht erhalten.
Diese erstmals im Laufe des Beschwerdeverfahrens erfolgte Einlassung ist angesichts der dargestellten Vorgeschichte als bloße
Schutzbehauptung zu werten.
Aber selbst wenn im Hinblick auf das Beschwerdevorbringen Zweifel am Zugang der Meldeaufforderung angebracht wären, müsste
sich der Antragsteller nach dem Grundsatz von Treu und Glauben (§
242 BGB), der auch im öffentlichen Recht Geltung beansprucht, so behandeln lassen, als hätte das fragliche Schreiben ihn erreicht.
Zwar besteht keine allgemeine Pflicht, Empfangsvorkehrungen zu treffen. Im Einzelfall kann sich jedoch aus einer besonderen
Rechtsbeziehung zwischen dem Absender und dem Adressaten eine Verpflichtung ergeben, sich zum Empfang von Erklärungen bereit
zu halten. Im Falle einer schuldhaften Verletzung dieser Pflicht muss sich der Empfänger eines Verwaltungsakts nach §
242 BGB so behandeln lassen, als sei ihm dieser zugegangen (Fall der sog. Zugangsvereitelung, vgl. Bayerischer Verwaltungsgerichtshof,
Urteil vom 22. Januar 2009 - 4 B 08.1591 - Rn. 35ff m. w. N.).
Zwischen dem Antragsteller und dem Antragsgegner bestand eine solche besondere Rechtsbeziehung in Form eines Sozialrechtsverhältnisses,
in dessen Rahmen sich der Antragsteller u. a. in der Eingliederungsvereinbarung vom 5. März 2012 (gültig bis 4. September
2012) verpflichtet hatte, seine Erreichbarkeit an jedem Werktag an seinem Wohnsitz unter der von ihm benannten Anschrift (Wohnung)
durch Briefpost sicherzustellen. Gegen diese Verpflichtung hat der Antragsteller verstoßen. Ausweislich des von dem Antragsgegner
vorgelegten EDV-Vermerks vom 18. Juli 2012 hat er seine Post bei der Initiative für Betreutes Wohnen, die er zuvor als Postanschrift
angegeben hatte, nicht mehr abgeholt. Der Betreuungsauftrag wurde zum 15. Juli 2012 beendet, so dass auch die Post nicht mehr
unter dieser Anschrift zugestellt werden sollte. Es war danach Sache des Antragstellers, für die Folgezeit seine Erreichbarkeit
unter der Postanschrift seines Vaters sicherzustellen, insbesondere Vorkehrungen dafür zu treffen, dass er für ihn bestimmte
Schriftstücke auch tatsächlich zur Kenntnis nehmen konnte. Soweit der Antragsteller geltend macht, dass ihm sein Vater die
für ihn bestimmte Post vorenthalten habe, mithin offenbar auch die Schreiben des Antragsgegners, vermag der Senat auch dieser
Behauptung nicht zu folgen. Nach dem Inhalt der beigezogenen Verwaltungsakten hat sich der Vater - etwa durch Stellung der
erforderlichen Anträge - regelmäßig um die Geltendmachung der Leistungsansprüche des Antragstellers gekümmert. Einem Gesprächsvermerk
über eine persönliche Vorsprache mit dem Antragsteller am 29. November 2011 ist zu entnehmen, dass er sich über die Untätigkeit
seines Sohnes beklagte. Vor diesem Hintergrund spricht nichts für die Richtigkeit der Behauptung des Antragstellers, dass
ihm sein Vater die Schreiben des Antragsgegners nicht ausgehändigt habe. Vielmehr spricht alles dafür, dass es das Bestreben
des Vaters war, dass sein Sohn derartige Schreiben unverzüglich zur Kenntnis erhielt, um ggf. anstehende Meldetermine, Vorstellungsgespräche
o. ä. einhalten zu können. Selbst wenn aber die Behauptung des Antragstellers zuträfe, wäre dieser aufgrund der in der Eingliederungsvereinbarung
eingegangenen Verpflichtung gehalten gewesen, besondere Vorkehrungen zur Sicherstellung seiner Erreichbarkeit zu treffen.
Gerade weil dem Antragsteller - nach seiner Sachdarstellung - bekannt war, dass er wegen des Verhaltens seines Vaters "viele,
viele Briefe des Jobcenters" nicht erhalten hatte, hätte er nicht untätig bleiben dürfen. Er hätte etwa seinen Vater regelmäßig
auf für ihn bestimmten Posteingang ansprechen oder aber seine Post persönlich bei dem Antragsgegner abholen können. Alternativ
hätte er dem Antragsgegner die Postanschrift einer Vertrauensperson benennen können. Soweit der Antragsteller in diesem Zusammenhang
geltend macht, der Antragsgegner habe ihm zu Unrecht eine Zusicherung zu den Aufwendungen für eine neue (eigene) Unterkunft
verweigert, so dass er notgedrungen in der Wohnung seines Vaters habe verweilen müssen, ändert dies nichts an der Wirksamkeit
der sich aus der Eingliederungsvereinbarung ergebenden Pflichten.
Die Kostenentscheidung ergeht in entsprechender Anwendung des §
193 SGG.
Der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe (PKH) für das Beschwerdeverfahren ist wegen fehlender Erfolgsaussicht der
Rechtsverfolgung abzulehnen (§
73a Abs.
1 S. 1
SGG i. V. m. §
114 S. 1
Zivilprozessordnung). Der Senat nimmt insoweit auf die vorstehenden Ausführungen Bezug. Entgegen der in dem Schriftsatz vom 28. Januar 2013 vertretenen
Auffassung des Antragstellers ist ihm PKH für das Beschwerdeverfahren nicht deshalb zu bewilligen, weil der Berichterstatter
des Senats einen Erörterungstermin durchgeführt und dem Antragsgegner danach die Vorlage weiterer Unterlagen (Einladungsschreiben
vom 12. Juli 2012) aufgegeben hat. Die Beurteilung der hinreichenden Erfolgsaussichten durch das Fachgericht setzt unter anderem
eine entsprechende Kenntnis der tatsächlichen Grundlagen des Rechtsschutzbegehrens voraus. Dem dienen zum einen Darlegungsobliegenheiten
der Rechtsschutzsuchenden, zum anderen aber auch die Befugnis des Gerichts, vor der Entscheidung über die Bewilligung der
Prozesskostenhilfe Erhebungen anzustellen, insbesondere die Vorlegung von Urkunden anzuordnen und Auskünfte einzuholen (§
73a Abs.
1 S. 1
SGG in Verbindung mit §
118 Abs.
2 S. 2
ZPO - vgl. hierzu Bundesverfassungsgericht - BVerfG - Beschluss vom 25. April 2012 - 1 BvR 2869/11 - Rn. 17ff). Hier hatte der Antragsteller seine am 21. Oktober 2012 erhobene Beschwerde nicht begründet, so dass der am 28.
November 2012 durchgeführte Erörterungstermin allein der Klärung des Rechtsschutzbegehrens diente. Die aufgrund des neuen
Vorbringens im Erörterungstermin veranlasste Beiziehung des Einladungsschreibens für den streitbefangenen Meldetermin zählt
zu den Erhebungen, die das Gericht nach den genannten Vorschriften im Rahmen der Prüfung der hinreichenden Erfolgsaussichten
der Rechtsverfolgung durchzuführen hat.
Dieser Beschluss ist gemäß §
177 SGG unanfechtbar.