Vergütung von Rechtsanwälten im sozialgerichtlichen Verfahren
Anforderungen an das Entstehen einer Terminsgebühr bei einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid
Gründe
I.
Streitgegenständlich ist das Rechtsanwaltshonorar nach dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG), das dem Beschwerdeführer für ein Klageverfahren nach Beiordnung im Rahmen der Prozesskostenhilfe (PKH) aus der Landeskasse
als Beschwerdegegner zusteht.
In dem seit dem 26. Februar 2015 beim Sozialgericht Dessau-Roßlau (SG) anhängigen und mittlerweile erledigten Klageverfahren S 22 AS 381/15 vertrat der Beschwerdeführer eine Klägerin im Streit um Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II). Die Klägerin begehrte mit ihrer Klage die Gewährung von Leistungen für Erstausstattung für die Wohnung einschließlich Haushaltsgeräten
nach § 24 Abs. 3 SGB II, welche das beklagte Jobcenter abgelehnt hatte.
Der Beschwerdeführer begründete die Klage bei Erhebung und fertigte nach Einsichtnahme in die Verwaltungsakte weitere Stellungsnahmen
vom 24. August 2015, 29. Oktober 2015, 1. März 2016 und 1. November 2016.
Mit Beschluss vom 6. März 2017 bewilligte das SG PKH und ordnete den Beschwerdeführer bei.
Die für den 7. Dezember 2018 und 15. Februar 2019 geladenen Erörterungstermine wurden jeweils wegen Verhinderung des Beschwerdeführers
aufgehoben. Auf einen richterlichen Hinweis fertigte der Beschwerdeführer eine weitere Stellungnahme vom 4. April 2019. Mit
Schreiben vom 8. Mai 2019 wies das SG darauf hin, dass es eine Entscheidung des Rechtsstreits durch Gerichtsbescheid in Betracht ziehe und dies bedeute, dass keine
mündliche Verhandlung stattfinde. Mit Gerichtsbescheid vom 16. Juli 2019 wies das SG die Klage ab. Die Berufung sei zulässig, da der Wert des Beschwerdegegenstands (Anschaffungswert der benötigten Möbel und
Elektrogeräte) 750 € übersteige.
Mit Kostenfestsetzungsantrag vom 26. August 2019 beantragte der Beschwerdeführer die Festsetzung seiner Vergütung aus der
PKH wie folgt:
Verfahrensgebühr Nr. 3102 VV RVG 300,00 €
Anrechnung Geschäftsgebühr gem. Vorbem. 3 (4) VV RVG
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- 150,00 €
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Terminsgebühr Nr. 3106 VV RVG
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280,00 €
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Post- und Telekom.Pauschale Nr. 7002 VV RVG
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20,00 €
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Dokumentenpauschale Nr. 7000 VV RVG
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19,00 €
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Anrechnung Beratungshilfe § 58 RVG
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- 42,50 €
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Zwischensumme
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426,50 €
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Mehrwertsteuer Nr. 7008 VV RVG
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81,04 €
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Kostenforderung
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507,54 €
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Mit PKH-Festsetzungsbeschluss vom 13. September 2019 setzte der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle des SG (UdG) die PKH-Vergütung auf 174,34 € fest und wies diesen Betrag an den Beschwerdeführer an. Eine fiktive Terminsgebühr entstehe
bei Entscheidungen durch Gerichtsbescheid nur in den Fällen, in denen mündliche Verhandlung beantragt werden könne. Die Vergütung
berechne sich wie folgt:
Verfahrensgebühr Nr. 3102 VV RVG
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300,00 €
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Anrechnung Geschäftsgebühr gem. Vorbem. 3 (4) VV RVG
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- 150,00 €
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Anrechnung Beratungshilfe § 58 RVG
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- 42,50 €
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Dokumentenpauschale Nr. 7000 VV RVG
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19,00 €
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Post- und Telekom.Pauschale Nr. 7002 VV RVG
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20,00 €
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Zwischensumme
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146,50 €
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Mehrwertsteuer Nr. 7008 VV RVG
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27,84 €
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Kostenforderung
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174,34 €
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Am 29. November 2019 hat der Beschwerdeführer Erinnerung eingelegt. Die Terminsgebühr sei zu Unrecht nicht berücksichtigt
worden. Maßgeblich sei, dass die Klägerin jederzeit eine mündliche Verhandlung habe beantragen können. Ein solcher Antrag
sei nur im Falle eines fehlenden Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig.
Mit Beschluss vom 1. September 2021 hat das SG die Erinnerung zurückgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die allein streitige fiktive Terminsgebühr sei nicht anzusetzen.
Eine solche entstehe nach Nr. 3106 Ziff. 2 des Vergütungsverzeichnisses (VV) der Anlage 1 des RVG, wenn nach §
105 Abs.
1 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) durch Gerichtsbescheid entschieden werde und eine mündliche Verhandlung beantragt werden könne. Nach dem ausdrücklichen
Wortlaut der Vorschrift sei erforderlich, dass bei dem Gericht erster Instanz die Durchführung der mündlichen Verhandlung
beantragt werden könne. Nur in diesem Fall solle ein Unterlassen der Beantragung einer mündlichen Verhandlung honoriert werden.
Eine mündliche Verhandlung habe hier nicht beantragt werden können, da der Streitgegenstand über 750 € gelegen habe und damit
die Berufung gegen den Gerichtsbescheid zulässig gewesen sei. Auch im Rahmen der richterlichen Anhörung vom 8. Mai 2019 habe
die Klägerin keine mündliche Verhandlung erzwingen können, da der Erlass des Gerichtsbescheids nicht von deren Zustimmung
abhängig gewesen sei.
Gegen den ihm am 6. September 2021 zugestellten Beschluss hat der Beschwerdeführer am 20. September 2021 Beschwerde eingelegt
und vorgetragen, der Anspruch auf die Terminsgebühr entstehe nur für denjenigen Rechtsanwalt, der zulässigerweise eine mündliche
Verhandlung habe beantragen können. Dieser solle seine Entscheidung auf den Verzicht der mündlichen Verhandlung nicht von
finanziellen Anreizen abhängig machen, sondern allein nach verfahrensbezogenen Gesichtspunkten treffen. Nur infolge des Einverständnisses
der Beteiligten habe das SG letztlich ohne mündliche Verhandlung entscheiden können.
Der Beschwerdegegner hat auf die zutreffenden Ausführungen im angegriffenen Beschluss und die Gesetzesbegründung zum 2. Kostenrechtsmodernisierungsgesetz
(KostRMoG) verwiesen.
II.
Die Beschwerde hat keinen Erfolg.
Gegen die Entscheidung des SG über die Erinnerung ist abweichend von §
178a SGG der weitere Rechtsbehelf der Beschwerde zum LSG eröffnet (§
73a Abs.
1 SGG; § 1 Abs. 3 RVG) i.V.m. § 56 Abs. 2 RVG, § 33 Abs. 3 bis 8 RVG; vgl. LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 3. März 2017, L 4 AS 141/16 B ). Die Entscheidung über die Beschwerde ergeht durch die Berichterstatterin als Einzelrichterin (§ 56 Abs. 2 Satz 1 RVG i.V.m. § 33 Abs. 8 Satz 1 RVG).
Gegenstand des Beschwerdeverfahrens ist nicht die Festsetzung einzelner Gebührentatbestände, sondern der gesamte Kostenfestsetzungsbeschluss
des UdG vom 13. September 2019 in der Fassung des Beschlusses des SG vom 1. September 2021. Aufgrund des Rechtsbehelfs des Beschwerdeführers ist die gesamte Kostenfestsetzung noch nicht rechtskräftig.
Die Beschwerde ist zulässig. Sie ist insbesondere statthaft, da der Wert des Beschwerdegegenstands 200 € übersteigt (§ 56 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 33 Abs. 3 Satz 1 RVG). Die Beschwerde ist zudem fristgerecht innerhalb der Zweiwochenfrist (§ 56 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 33 Abs. 3 Satz 3 RVG) eingelegt worden.
Die Beschwerde des Beschwerdeführers ist jedoch unbegründet. Das SG hat die dem Beschwerdeführer aus der Staatskasse zu zahlenden Gebühren und Auslagen richtig festgesetzt. Die - hier allein
streitige - Terminsgebühr ist nicht angefallen.
Grundlage des Erstattungsbegehrens des Beschwerdeführers ist § 45 Abs. 1 RVG. Danach sind dem im Wege der PKH beigeordneten Rechtsanwalt die gesetzlichen Gebühren aus der Landeskasse zu erstatten. In
den Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit, in denen das Gerichtskostengesetz (GKG) nicht anzuwenden ist, entstehen gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 RVG Betragsrahmengebühren. Gemäß § 2 Abs. 2 RVG bestimmt sich die Höhe der Vergütung nach dem VV der Anlage 1.
Nach Nr. 3106 Ziff. 2 VV RVG in der seit dem 1. August 2013 geltenden und hier anzuwendenden Fassung entsteht eine Terminsgebühr dann, wenn nach §
105 Abs.
1 Satz 1
SGG durch Gerichtsbescheid entschieden wird und eine mündliche Verhandlung beantragt werden kann. Da hier der Gerichtsbescheid
mit dem statthaften Rechtsmittel der Berufung hätte angefochten werden können, weil der Wert der Beschwer für die Klägerin
750 € überstieg, war die Beantragung einer mündlichen Verhandlung nach §
105 Abs.
2 Satz 2 des
SGG nicht statthafter Rechtsbehelf (vgl. Schmidt in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt,
SGG, 13. Auflage 2020, §
105 Rn. 16 1. Spiegelstrich; Sächsisches Landessozialgericht, Beschluss vom 14. September 2015, L 8 AS 417/15 B KO, juris Rn. 15).
Dies ergibt sich sowohl aus dem Wortlaut als auch aus Sinn und Zweck dieser Gebührenvorschrift. Der Gebührentatbestand spricht
davon, dass "eine mündliche Verhandlung beantragt werden kann". Damit ist naheliegenderweise nur der Fall gemeint, dass der
Gerichtsbescheid nicht mit dem Rechtsmittel der Berufung angefochten werden kann, weil der Wert der Beschwer 750 € nicht übersteigt.
Würde man den Wortlaut der Gebührenvorschrift anders verstehen, würde es sich bei der Antragsmöglichkeit nicht um eine Tatbestandsvoraussetzung,
sondern um eine überflüssige Beifügung handeln, da eine mündliche Verhandlung vor jedem Erlass eines Gerichtsbescheids ohne
Weiteres beantragt werden "kann", denn Anträge können vor Gericht bekanntlich immer gestellt werden, seien sie auch nur im
Sinne einer Anregung zu verstehen oder gar rechtsmissbräuchlich (Bayerisches Landessozialgericht, Beschluss vom 28. September
2016, L 15 SF 113/16 E, juris Rn. 25).
Der Gesetzgeber wollte durch die Neuregelung die Entstehung der Terminsgebühr, ohne dass ein Termin stattgefunden hat (sog.
fiktive Terminsgebühr), auf Fälle beschränken, in denen der Anwalt durch sein Prozessverhalten eine mündliche Verhandlung
erzwingen kann, weil nur in diesem Fall die beabsichtigte Steuerungswirkung notwendig sei (vgl. amtl. Begründung in BT-Drucksache
17/11471, Seiten 148 und 275 [zu Nr. 28 lit. a]). Entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers war der Erlass des Gerichtsbescheids
nicht vom Einverständnis der Beteiligten abhängig. Diese sind gemäß §
105 Abs.
1 Satz 2
SGG vor Erlass des Gerichtsbescheids lediglich anzuhören. Mithin konnte der Beschwerdeführer eine mündliche Verhandlung nicht
erzwingen.
Die weiteren Gebühren- und Auslagentatbestände (Verfahrensgebühr, Auslagenpauschale und Umsatzsteuer auf die Vergütung) sind
nicht streitig und der Höhe nach zutreffend festgesetzt.
Das Verfahren über die Beschwerde ist gebührenfrei; Kosten werden nicht erstattet (§ 56 Abs. 2 Satz 2 und 3 RVG).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar; eine Beschwerde zum BSG ist nicht gegeben (§ 56 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 33 Abs. 4 Satz 3 RVG).