Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Klägerin gegen die Beklagte einen Anspruch auf Zahlung einer Aufwandspauschale hat.
Die Klägerin ist eine rechtsfähige Stiftung des öffentlichen Rechts mit Sitz in R. Sie betreibt neben weiteren Kliniken das
St. E -Krankenhaus L in Rheinland-Pfalz. In diesem Krankenhaus war die bei der Beklagten Versicherte N O wegen einer Entbindung
vom 9. Mai bis 13. Mai 2008 stationär aufgenommen worden.
Mit Rechnung vom 24. Juli 2008 machte die Klägerin für den stationären Aufenthalt der Versicherten eine DRG-Fallpauschale
O02B (vaginale Entbindung mit komplizierender OR-Prozedur, Schwangerschaftsdauer mehr als 33 vollendete Wochen, ohne intrauterine
Therapie) mit einem Gesamtbetrag von 1.717,07 EUR geltend. Als Hauptdiagnose gab sie an: Dammriss 1. Grades unter der Geburt
(O70.0). Als Nebendiagnosen teilte sie mit: akute Blutungsanämie (D62), Schwangerschaftsdauer: 37. Woche bis 41 vollendete
Wochen (O09.6), Infektionen der Niere in der Schwangerschaft (O23.0), sonstige unmittelbar postpartal auftretende Blutung
(O72.1), hypovolämischer Schock (R57.1), lebendgeborener Einling (Z37.0).
Weil sie Zweifel an der Richtigkeit der Nebendiagnosen D62, O23.0, O72.1 und R57.1 hatte, veranlasste die Beklagte eine Überprüfung
durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK). Dieser kam in seinem Gutachten vom 23. Juli 2008 zu dem Ergebnis,
dass die Nebendiagnose "Infektionen der Niere in der Schwangerschaft" (O23.0) zu streichen sei. Die Voraussetzungen einer
Fallpauschale nach DRG O02B sah der Gutachter des MDK allerdings als erfüllt an. Aufgrund des Ergebnisses der Begutachtung
durch den MDK führte die Beklagte keine Rechnungskürzung durch.
Die Klägerin machte gegenüber der Beklagten eine Aufwandspauschale in Höhe von 100,00 EUR gemäß §
275 Abs.
1c Satz 3 Sozialgesetzbuch, Fünftes Buch (
SGB V) geltend. Mit Schreiben vom 7. August 2008 lehnte die Beklagte die Zahlung ab. Zur Begründung führte sie aus, dass §
275 Abs.
1c SGB V nicht auf eine Entbindungsanstaltspflege nach § 197
Reichsversicherungsordnung (
RVO) anwendbar sei. Nachdem die Klägerin dagegen Einwände erhoben hatte, lehnte die Beklagte mit Schreiben vom 29. August 2008
erneut die Zahlung der geforderten Aufwandspauschale ab.
Mit dem am 19. Dezember 2008 beim Sozialgericht Koblenz eingegangenen Schriftsatz ihres Prozessbevollmächtigten hat das St.
E -Krankenhaus L daraufhin Klage erhoben. Mit Beschluss vom 3. März 2009 hat das Sozialgericht Koblenz den Rechtsstreit an
das örtlich zuständige Sozialgericht Lübeck verwiesen. In der mündlichen Verhandlung vom 20. Januar 2011 hat die Klägerin
nach einem Beteiligtenwechsel das Verfahren fortgeführt. Die Beklagte hat dem Beteiligtenwechsel zugestimmt.
Zur Begründung der Klage wurde im Wesentlichen ausgeführt: Die Klägerin habe einen Anspruch auf Zahlung einer Aufwandspauschale
gemäß §
275 Abs.
1c Satz 3
SGB V in Höhe von 100,00 EUR. Der Tatbestand dieser Norm sei erfüllt. Die Beklagte habe eine Rechnungsprüfung gemäß §
275 Abs.
1 Satz 1
SGB V veranlasst. Diese Prüfung habe nicht zu einer Änderung der abgerechneten DRG und Minderung der Rechnung geführt. §
275 Abs.
1c SGB V sei auf stationäre Entbindungsfälle im Sinne des § 197
RVO anwendbar. Bei einem Krankenhausaufenthalt zur Entbindung gemäß § 197
RVO handele es sich auch um eine Krankenhausbehandlung. Diese Krankenhausbehandlung könne mit einer entsprechenden DRG-Fallpauschale
abgerechnet und Gegenstand einer MDK-Prüfung sein.
Die Klägerin hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, ihr 100,00 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basissatz seit
dem 19. Dezember 2008 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat die Auffassung vertreten, dass §
275 Abs.
1c SGB V nicht auf Fälle des § 197
RVO anwendbar sei, da es sich nicht um eine Krankenhausbehandlung, sondern um eine Entbindung handele. Dies habe auch das Landessozialgericht
Rheinland-Pfalz im Urteil vom 19. August 2010 (L 5 KR 184/09) bestätigt.
Mit Urteil vom 20. Januar 2011, in dem die Berufung zugelassen wurde, hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Zur Begründung
hat es im Wesentlichen ausgeführt, dass die Voraussetzungen für die Zahlung einer Aufwandspauschale nach §
275 Abs.
1c Satz 3 in Verbindung mit Satz 1
SGB V nicht erfüllt seien, da die Klägerin keine Krankenhausbehandlung nach §
39 SGB V durchgeführt habe, sondern eine Entbindungspflege nach § 197
RVO. Eine Anwendung des §
275 Abs.
1c SGB V im Wege einer erweiterten Auslegung des Wortlauts auch bei einer Entbindungspflege sei nicht möglich. Der Wortlaut des §
275 Abs.
1c Satz 1
SGB V sei eindeutig. In dieser Vorschrift werde ausdrücklich nur die Krankenhausbehandlung nach §
39 SGB V genannt. Dieser klare Wortlaut stelle eine Grenze der Auslegung dar. §
275 Abs.
1c SGB V könne auch nicht entsprechend auf die Fälle der Entbindungspflege nach § 197
RVO angewandt werden. Die Voraussetzungen einer Analogie lägen nicht vor. Insbesondere sei nicht erkennbar, dass eine planwidrige
Regelungslücke vorliege. Der Gesetzgeber habe ausdrücklich nur §
39 SGB V in den Regelungsbereich des §
275 Abs.
1c SGB V einbezogen. Es gebe keine Anhaltspunkte dafür, dass er die Prüfungen auch auf die Entbindungspflege erstrecken wollte, diese
aber bei Einführung des §
275 Abs.
1c SGB V durch das Gesetz vom 26. März 2007 übersehen habe. Vielmehr sprächen die Regelungen in § 197
RVO gegen das Vorliegen einer planwidrigen Regelungslücke. Der Gesetzgeber habe in der mit dem Gesetz durchgeführten Neufassung
des § 197
RVO die Differenzierung zwischen Entbindungspflege und Krankenhausbehandlung aufrechterhalten. Mit demselben Gesetz sei auch
§
275 Abs.
1c SGB V eingeführt worden. Die vom Gesetzgeber vorgesehene Differenzierung zwischen Entbindungspflege und Krankenhausbehandlung ergebe
sich insbesondere aus § 197 Satz 2 und 3
RVO. Nach § 197 Satz 2
RVO bestehe für die Zeit der Aufnahme zur Entbindung kein Anspruch auf Krankenhausbehandlung. § 197 Satz 3
RVO sehe die entsprechende Anwendung von §
39 Abs.
2 SGB V vor. Eine solche Regelung wäre nicht erforderlich, wenn Entbindungspflege und Krankenhausbehandlung gleichgesetzt werden
könnten.
Gegen dieses dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 28. März 2011 zugestellte Urteil richtet sich ihre Berufung, die
am 1. April 2011 bei dem Schleswig-Holsteinischen Landessozialgericht eingegangen ist. Zur Begründung führt die Klägerin aus,
dass es sich bei einem Krankenhausaufenthalt zur Entbindung gemäß § 197
RVO um eine Krankenhausbehandlung (allgemeine Krankenhausleistung) handele, auch wenn keine Krankheit im Sinne von §
39 SGB V vorliege. Die stationäre Entbindung werde im Krankenhaus erbracht und über die DRG abgerechnet. Die DRG-Leistungen stellten
Entgelte für allgemeine Krankenhausleistungen dar und würden u. a. mit Fallpauschalen abgerechnet. Daraus sei zu schließen,
dass die stationäre Entbindung eine Krankenhausbehandlung darstelle. Wäre die stationäre Entbindung keine Krankenhausbehandlung,
könnte mangels Rechtsgrundlage auch keine DRG-Fallpauschale abgerechnet werden, da sich § 7 KHEntgG auf allgemeine Krankenhausleistungen
beziehe. Die Krankenhausleistungen nach § 1 Abs. 1 KHEntgG umfassten vollstationäre und teilstationäre Leistungen. Damit werde
auch die stationäre Entbindung als vollstationäre Krankenhausleistung definiert und sowie in §
39 SGB V mit einbezogen. Der Hinweis in § 197
RVO, wonach für die Zeit der stationären Entbindung kein Anspruch auf Krankenhausbehandlung nach §
39 SGB V bestehe, diene der Abgrenzung der versicherungsrechtlichen Ansprüche und führe dazu, dass z. B. der Versicherte keine Zuzahlung
nach §
39 Abs.
4 SGB V leisten müsse. Im vorliegenden Fall hätten sich sowohl die Beklagte als auch der MDK für ihre Prüfungsberechtigung ausdrücklich
auf §
275 Nr. 1
SGB V bezogen und damit zum Ausdruck gebracht, dass sie im vorliegenden Fall auch von einer Krankenhausbehandlung im Sinne des
§
39 SGB V ausgingen. Die Klägerin habe sich auf diese Prüfung gemäß §
275 Nr. 1
SGB V eingelassen und die Begehung im Krankenhaus zugelassen. Der nachträgliche Einwand der Beklagten, es bestünde keine Rechtsgrundlage
für die Aufwandspauschale, verstoße daher gegen Treu und Glauben. Die Auffassung des Sozialgerichts würde des Weiteren zur
Folge haben, dass der MDK für stationäre Entbindungsfälle keine Prüfungsberechtigung nach §
275 Abs.
1 Nr.
1 SGB V hätte. Das Sozialgericht habe in der Urteilsbegründung lediglich auf den Wortlaut des §
275 Abs.
1c SGB V abgestellt. Zu berücksichtigen sei jedoch auch der Sinn und Zweck des Gesetzes. Nach der Gesetzesbegründung zur Änderung
des §
275 SGB V habe im Krankenhausbereich Handlungsbedarf im Hinblick auf den Umfang der gutachterlichen Stellungnahme des MDK bestanden,
die Krankenkassen im Rahmen der Einzelfallprüfung nach §
275 Abs.
1 Nr.
1 SGB V anforderten. Von einzelnen Krankenkassen sei die Prüfungsmöglichkeit in unverhältnismäßiger und nicht sachgerechter Weise
zur Einzelfallsteuerung genutzt worden. Wille des Gesetzgebers sei gewesen, die Einzelfallprüfungen insgesamt wieder auf ein
angemessenes Maß zurückzuführen. In der Gesetzesbegründung finde sich kein Anhaltspunkt dafür, dass stationäre Entbindungsfälle
gemäß § 197
RVO anders behandelt werden sollten als die übrigen Krankenhausfälle.
Die Klägerin beantragt ausweislich ihres schriftlichen Vorbringens,
das Urteil des Sozialgerichts Lübeck vom 20. Januar 2011 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, an sie 100,00 EUR nebst
Zinsen in Höhe von 5 % über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 19. Dezember 2008 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt ausweislich ihres schriftlichen Vorbringens,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil des Sozialgerichts für zutreffend. Es sei vom Wortlaut des §
275 Abs.
1c SGB V auszugehen, der eine Krankenhausbehandlung nach §
39 SGB V fordere. Bei der stationären Aufnahme zur Entbindung handele es sich nicht um eine Krankenhausbehandlung im Sinne von §
39 SGB V, da für diese Zeit ausdrücklich kein Anspruch auf Krankenhausbehandlung bestehe. Folglich könne die Aufwandspauschale nicht
abgerechnet werden. Dies habe das Landessozialgericht Rheinland-Pfalz bestätigt (Urteil vom 19. August 2010, L 5 KR 184/09). Das Sozialgericht habe sich zu Recht nicht mit dem Begriff der allgemeinen Krankenhausleistung aus dem Krankenhausfinanzierungsrecht
beschäftigt. Die Klägerin unterstelle auf der Grundlage des KHEntgG, dass jede allgemeine Krankenhausleistung auch eine Krankenhausbehandlung
im Sinne von §
39 SGB V darstelle. Diese Ausführungen gingen an der Sache vorbei und seien auch unzutreffend. Für diesen Kunstgriff fehle es aufgrund
des Wortlauts der maßgeblichen Vorschriften bereits an einer Regelungslücke. Das KHEntgG regele zudem nur "das Procedere"
der Entgeltverhandlungen und stelle sicher, dass ein Krankenhaus für seine Leistungen, zu denen unzweifelhaft auch Entbindungen
gehörten, die in DRGs abgebildet werden, eine adäquate Vergütung erhalte. Keinesfalls regele das Krankenhausfinanzierungsrecht
die sozialrechtliche Frage, ob bestimmte Krankenhausleistungen als Krankenhausbehandlung im Sinne des §
39 SGB V anzusehen seien und damit dem §
275 Abs.
1c SGB V unterfielen. Der Hinweis der Klägerin auf das Krankenhausfinanzierungsrecht führe daher nicht weiter.
Außerdem spreche §
275 Abs.
1 Nr.
SGB V davon, dass bei der "Erbringung von Leistungen" eine gutachterliche Stellungnahme des Medizinischen Dienstes einzuholen sei,
wohingegen §
275 Abs.
1c SGB V von "Krankenhausbehandlungen" nach §
39 SGB V die Rede sei. Dies zeige, dass der Gesetzgeber hier einen Unterschied mache und in der Zusammenschau der genannten Vorschriften
mit § 197
RVO die Konsequenz, dass Entbindungen nicht unter §
275 Abs.
1c SGB V zu subsummieren seien, bekannt gewesen sei.
Nicht aus der Hand genommen worden sei den Krankenkassen damit bewusst die Möglichkeit, alle Leistungen (d. h. auch Entbindungen)
und nicht nur Krankenhausbehandlungen einer Überprüfung durch den MDK zuzuführen. Insoweit habe sich die Klägerin nicht wohlwollend
auf eine Überprüfung eingelassen. Sie sei zur Mitwirkung verpflichtet gewesen. Es könne auch kein Verstoß gegen Treu und Glauben
geltend gemacht werden. Der Gesetzgeber habe die Konsequenzen, die durch das Zusammenwirken der unterschiedlichen Normen entstünden,
gekannt. Der Wortlaut der Vorschriften sei derart eindeutig, dass es auch keines Rückgriffs auf Sinn und Zweck des Gesetzes
im Wege einer Auslegung bedürfe. Hierfür fehle es bereits an einer Regelungslücke.
Die Klägerin (Schriftsatz vom 2. November 2012) und die Beklagte (Schriftsatz vom 5. November 2012) haben sich mit einer Entscheidung
des Senats ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird Bezug genommen auf den Inhalt der
Gerichtsakten und der Verwaltungsakten der Beklagten. Diese haben dem Senat vorgelegen und sind Gegenstand der Beratung gewesen.