Bedarfsdeckende Anrechnung des Kindergeldes in entsprechender Anwendung des § 1612b Abs. 3 BGB gegenüber einer volljährigen Halbwaise, die bei einem Stiefelternteil lebt
Entscheidungsgründe:
Die Berufung des Klägers hat einen Teilerfolg. Der Kläger schuldet der Beklagten ab Februar 2004 nur noch Kindesunterhalt
in Höhe von 182 EUR monatlich. Dementsprechend war das Urteil des Senats vom 21. Januar 1998 -9 UF 492/97- abzuändern.
Die Abänderungsklage ist begründet, weil sich die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse der Parteien so wesentlich
geändert haben, dass eine Abänderung des Urteils vom 21. Januar 1998, wonach der Kläger einen monatlichen Kindesunterhalt
von 835 DM (426,93 EUR) zu zahlen hat, geboten ist. Eine wesentliche Änderung ist bereits darin zu sehen, dass die Beklagte
am 19. Januar 2004 volljährig geworden ist. Außerdem bezieht sie aufgrund des Todes ihrer Mutter nun eine Halbwaisenrente.
Diese ist bedarfsdeckend anzurechnen. Schließlich ist das Kindergeld jetzt voll anzurechnen. Obwohl der Bedarf der Klägerin
sich wegen Vollendung des 18. Lebensjahres erhöht hat, vermindert sich ihr Unterhaltsanspruch gegenüber dem Kläger wegen der
Anrechnungen wesentlich, sodass eine Abänderung des Titels auf Unterhalt gerechtfertigt ist.
Der Unterhaltsanspruch der Beklagten beruht auf §§ 1601ff.
BGB. Sie ist noch Schülerin und daher unterhaltsbedürftig (§
1610 Abs.1
BGB). Nachdem die Mutter der Beklagten verstorben ist, hat der Kläger allein für ihren Unterhalt aufzukommen (§§
1601,
1606 Abs.2
BGB). Hierüber besteht zwischen den Parteien auch kein Streit.
Die Parteien streiten um den Bedarf der Beklagten. Die Beklagte ist der Auffassung, sie sei als privilegiert volljähriges
Kind wie eine betreuungsbedürftige Minderjährige zu behandeln. Deshalb entspreche ihr Bedarf dem doppelten Tabellensatz der
4. Alterstufe der Düsseldorfer Tabelle. So hat auch das Familiengericht die Rechtslage gesehen und den Barunterhaltsbedarf,
den es mit 556 EUR angenommen hat, um einen geschätzten Betreuungsbedarf erhöht. Dabei hat das Familiengericht übersehen,
dass mit dem Eintritt der Volljährigkeit Erziehungs- und Betreuungsleistungen nicht mehr geschuldet werden (BGH FamRZ 1994,
696,698; FamRZ 2002, 815), es sei denn es handelt sich um ein geistig oder körperlich behindertes Kind. Auch bei privilegiert volljährigen Kindern,
die noch im Haushalt der Eltern oder eines Elternteils wohnen, findet eine Betreuung im Rechtssinne nicht mehr statt (Wendl-Scholz,
Das Unterhaltsrecht in der familienrichterlichen Praxis 6. A. § 2 Rn 361). Eine Ausweitung des neben dem Barunterhalt stehenden
Betreuungsunterhalt auf privilegiert volljährige Kinder ist nicht zulässig (OLG Karlsruhe FamRZ 1999, 45; BGH FamRZ 2002, 815; Kalthoener/Büttner/Niepmann, Die Rechtsprechung zur Höhe des Unterhalts 8. A. Rn 151 m. w. N.; Palandt-Diederichsen
BGB 63. A. §
1606 Rn 11 ; Bamberger/Roth-Reiniken
BGB §
1606 Rn 6, 19; a. A. OLG Naumburg FamRZ 2001, 371; OLG Rostock FamRZ 2002, 696; Johannsen/Henrich-Graba EheR 4.A. §
1606 Rn. 10). Die Gleichstellung des §
1603 Abs.2 Satz 2
BGB für privilegiert volljährige Kinder bezieht sich nur auf die Leistungsfähigkeit (§
1603 Abs.2 Satz 2
BGB) und die Rangfolge, nicht aber auf §
1606 Abs.3 Satz 2
BGB (Wendl/Scholz aaO. §
2 Rn 515c). Diese Differenzierung hat der Gesetzgeber auch beabsichtigt (BGH FamRZ 2002, 815, 817 unter Hinweis auf die Gesetzesmaterialien). Deshalb kann hier dahinstehen, ob die Beklagte, weil sie noch bei ihrem
Stiefvater wohnt und zur Schule geht, privilegiert volljähriges Kind im Sinne von §
1603 Abs.2 Satz 2
BGB ist.
Der Bedarf des volljährigen Kindes richtet sich, wenn er nicht wie z. B. bei einem Kind mit eigenem Hausstand zu pauschalieren
ist, grundsätzlich nach dem zusammengerechneten Einkommen beider Elternteile (vgl. BGH aaO; Ziff. 13.1 Koblenzer Leitlinien).
Da die Mutter der Beklagten verstorben ist, richtet er sich allein nach dem Einkommen des Klägers als allein Unterhaltsverpflichteten.
Damit ist hier ein Bedarf von 556 EUR anzunehmen (10. Einkommensstufe der Tabelle, da eine Höherstufung um 2 Stufen wegen
der ausschließlichen Unterhaltsverpflichtung gegenüber der Beklagten angezeigt ist). Die Beklagte lebt nach ihren Angaben
im Haushalt des Stiefvaters. Dieser erhält das Kindergeld. Die Tabellensätze der 4. Stufe der Düsseldorfer Tabelle sind auf
ein volljähriges Kind zugeschnitten, welches noch keinen eigenen Hausstand hat. Irgendwelche konkreten Umstände, die eine
Erhöhung ihres Bedarfs rechtfertigen könnten, hat die Beklagte nicht aufgezeigt.
Auf den Bedarf der Beklagten ist nach §
1606 Abs.1
BGB die Halbwaisenrente in Höhe von insgesamt monatlich 195 EUR anzurechnen (OLG Naumburg FamRZ 2001, 1480; BGH NJW 1981, 168; Wendl/Haußleitner aaO. § 1 Rn 340).
Die Beklagte hat weiter ein Bankguthaben in Höhe von rund 5.800 EUR aus dem sie monatlich im Durchschnitt Zinsen in Höhe von
25 EUR erzielt. Auch diese Zinsen sind als Erträge aus Vermögen anzurechnen. Entgehen der Auffassung des Klägers ist die Beklagte
jedoch nicht gehalten, den Vermögensstamm zu verwerten. Ob dies zumutbar ist, ist eine Frage, die nur anhand der konkreten
Verhältnisse zu beurteilen ist (vgl. BGH FamRZ 1998, 367, 368).Insoweit sieht das Gesetz im Bereich des Verwandtenunterhalts eine allgemeine Billigkeitsgrenze wie beim nachehelichen
Unterhalt nicht vor (BGH FamRZ 1986, 48, 50). Die Grenze der Unzumutbarkeit ist daher etwas enger als bei §
1577 Abs.3
BGB zu ziehen, angenähert etwa dem Begriff der groben Unbilligkeit. Der Bundesgerichtshof hat jedoch anerkannt, dass dem Unterhaltsberechtigten
ein sog. Notgroschen für Fälle plötzlich auftretenden (Sonder-) Bedarfs zu belassen ist (BGH FamRZ 1998, 368). Dabei kann die Grenze sich an den Vorschriften des Sozialrechts orientieren. Wenn auch der Geldbetrag, der nach § 88 Abs.2 Nr.8 BSHG anrechnungsfrei für die Bewilligung von Sozialhilfe zu belassen ist, niedriger ist (2.301 EUR), ist der Senat der Auffassung,
dass die Beklagte ihr Vermögen nicht für ihren Unterhalt verbrauchen muss. Die Beklagte wird im Frühjahr voraussichtlich das
Abitur machen und dann ein Studium aufnehmen. Das ist regelmäßig mit besonderen Kosten verbunden wie Anschaffung kleinerer
Hausratsgegenstände, die auch bei vollmöbilierter Vermietung nicht vorhanden sind, einem Erwerb eines Computers und Studienliteratur.
Außerdem hat die Beklagte Kosten durch dieses Unterhaltsverfahren. Was der Beklagten dann noch verbleibt liegt sicherlich
unter der Grenze, die nach § 88 Abs.2 BSHG zu belassen ist.
Anzurechnen ist nach §
1612 b Abs.3
BGB (analog) schließlich das Kindergeld von 154 EUR. Derzeit bezieht der Stiefvater der Beklagten nach §§
63 Abs.1 Nr.1, 64 Abs.2 Satz 1
EStG das Kindergeld. Dieser ist vor dem Kläger vorrangig berechtigt, weil die Beklagte in seinem Haushalt lebt. Die Vorschrift
des §
1612 Abs.
1 BGB, die eine nur hälftige Verrechnung des Kindergeldes anordnet, passt bei Drittbetreuung nicht (Wendl/Scholz aaO. § 2 Rn 293).
In der Literatur findet sich zwar unter Bezugnahme auf die Gesetzesmaterialien (BT-Drucks 13/7338 S. 29,30) der Hinweis, dass
Absatz 1 einschlägig ist, wenn das Kind sich bei Groß-, Pflege- oder Stiefeltern aufhält und diese daher nach §
64 Abs.2
EStG vorrangig kindergeldberechtigt sind (Palandt-Diederichsen
BGB 63. A. §
1612 b Rn 8; Bamberger/Roth-Reinken aaO. §
1612 b Rn 11). Das erscheint jedoch nicht gerechtfertigt. Der hier zu entscheidende Sachverhalt ist vergleichbar mit demjenigen
eines volljährigen Kindes, welchem gegenüber nur ein Elternteil barunterhaltspflichtig ist, weil der andere Elternteil nicht
leistungsfähig und deshalb nicht zu Barunterhalt verpflichtet ist. Es handelt sich jeweils um eine Ausfallhaftung. Für diese
Fälle ist allerdings streitig, ob insoweit die Anrechnungsvorschrift des §
1612 b Abs.1
BGB oder die des Absatz
3 zur Anwendung kommt (vgl. Palandt-Diederichsen aaO Rn 6 m.w.N.). Diejenigen, die Absatz 1 anwenden wollen, argumentieren,
dieses Ergebnis sei sachgerecht, weil dem Kind in aller Regel Naturalleistungen durch den gemeinsamen Haushalt entgegengebracht
werden, auch wenn sie nicht geschuldet wären (Wendl-Scholz aaO § 2 Rn 515; OLG Celle FamRZ 2001,47,48; OLG Brandenburg FamRZ
2002, 1216; OLG Nürnberg NJW-RR 2000, 598).
Der Senat schließt sich der Auffassung an, die für eine entsprechende Anwendung des §
1612 b Abs.
3 BGB eintritt (OLG Braunschweig FamRZ 2000, 1246; OLG Schleswig FamRZ 2000,1245; OLG Naumburg FamRZ 2002, 1589; OLG Stuttgart FamRZ 2004, 219; OLG Koblenz -13.Senat - FamRZ 2004, 562; OLG Celle FamRZ 2004, 218; Ziff. 14 der Koblenzer Leitlinien). §
1612 b Abs.1
BGB beruht auf dem Grundgedanken, dass beide Eltern für ein minderjähriges Kind Unterhalt erbringen, der eine in der Form des
Naturalunterhalts, der andere in Form von Barunterhalt (§
1606 Abs.3 S.2
BGB). Weil der Halbteilungsgrundsatz es gebietet, dass das beiden Eltern zustehende Kindergeld je zur Hälfte auf die beiden Eltern
aufgeteilt wird, ermöglicht §
1612 Abs.1
BGB eine entsprechende Verrechnung auf den jeweiligen Unterhalt. Da aber dem volljährigen Kind gegenüber kein Betreuungsunterhalt
geschuldet ist, passt die Regelung des §
1612 Abs.1
BGB nicht als Verrechnungsanordnung. Dem kann nicht entgegengehalten werden, dass dem Kind noch Naturalleistungen in Form von
Wohnung und Verpflegung entgegengebracht werden, für die das anteilige Kindergeld verwendet wird. Diese Argumentation lässt
außer Acht, dass dem Kind insoweit eine nicht geschuldete Leistung erbracht wird. Tatsächlich mindert sie den Bedarf des Kindes.
Andererseits wird sie nicht zur Entlastung des allein Unterhaltsverpflichteten erbracht, weshalb er gleichwohl den vollen
Unterhalt schuldet. Dann aber ist es unangemessen und entspricht nicht dem gesetzgeberischen Gedanken, dass das Kindergeld
die Unterhaltslast verringern soll, den allein Unterhaltsverpflichteten nicht in den Genuss des vollen Kindergeldes kommen
zu lassen. Deshalb ist §
1612 b Abs.3
BGB anwendbar, dem der Gedanke zu Grunde liegt, dass dem Unterhaltsschuldner das Kindergeld dann in voller Höhe angerechnet werden
muss, wenn er im Wege der Ausfallhaftung den gesamten Unterhaltsbedarf des Kindes zu befriedigen hat (BT-Drucks. 13/7338,
30). Wenn auch die Vorschrift nach ihrem Wortlaut voraussetzt, dass nur der barunterhaltspflichtige Elternteil Anspruch auf
Kindergeld hat, ist die Norm nach ihrem Sinn und Zweck auf sämtliche Fälle einer Ausfallhaftung entsprechend anwendbar.
Nach alledem schuldet der Kläger einen monatlichen Unterhalt von 182 EUR (556 EUR - 195 EUR - 25 EUR - 154 EUR).
Die Revision wird nicht zugelassen.
Der Senat hat den Streitwert für den Rechtsstreit in Abänderung der Festsetzung in der ersten Instanz auf 4.114,68 EUR festgesetzt
(12 x > 426,93 EUR - 84,04 EUR <).