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OLG Stuttgart, Urteil vom 23.07.2003 - 4 U 42/03
Schadensersatz- und Schmerzensgeldanspruch eines minderjährigen Kindes gegen das zuständige Jugendamt wegen schwerster Misshandlungen durch die unzureichend überwachten Pflegeeltern
»1. Ein Träger der Jugendhilfe verletzt seine gegenüber dem Kind oder Jugendlichen bestehenden Amtspflichten, wenn es trotz des aus Gründen der Ortsnähe eingetretenen Zuständigkeitswechsels gemäß § 86 Abs. 6 SGB VIII rechtswidrig die Übernahme der Hilfeleistung ablehnt.
2. Bei der gemäß § 86 Abs. 6 SGB VIII anzustellenden Prognose über den dauerhaften Verbleib des Kindes in der Pflegefamilie sind alle bekannten Umstände einzubeziehen. Für diese Prognose ist die Vorlage eines Hilfeplans keine unabdingbare Voraussetzung. Liegt ein Hilfeplan vor, wird das neu zuständig werdende Jugendamt in der Regel an die Prognose im Hilfeplan gebunden sein.
3. Nach einem Zuständigkeitswechsel gemäß § 86 Abs. 6 SGB VIII auf das jetzt ortsnahe Jugendamt entlastet eine fortdauernde Leistungserbringung des bisher zuständig gewesenen Jugendamts gemäß § 86 c SGB VIII weder vom Wortlaut noch vom Zweck dieser Vorschrift, Versorgungslücken zu verhindern, das neu zuständig gewordene Jugendamt von seiner Zuständigkeit und der sich daran anknüpfenden Verpflichtung zu Leistungserbringung. Vielmehr tritt die Leistungsverpflichtung des früher zuständig gewesenen Jugendamts lediglich ergänzend neben die primäre Leistungsverpflichtung des neuen Trägers.
4. Sowohl der Grundrechtsschutz des Kindes oder Jugendlichen als auch die Vorschriften des SGB VIII gebieten es, neben den Pflegeeltern auch das Kind persönlich anzuhören und in die es betreffenden Entscheidungen einzubeziehen, soweit dies seine Entwicklung gestattet. Nach einem Zuständigkeitswechsel wird das neu zuständig gewordene, ortsnahe Jugendamt sich regelmäßig innerhalb eines angemessenen, kurzen Zeitraums ein eigenes Bild vom Kind oder Jugendlichen und dessen Lebensumstände machen und sich als Ansprechpartner auch des Kindes anbieten müssen. Ein Träger der Jugendhilfe, der unbesehen und ohne jegliche Mitwirkung des Kindes die Gewährung von Leistungen nach dem SGB VIII fortsetzt, verletzt seine gegenüber dem Kind bestehenden Amtspflichten und haftet für Missstände der Versorgung des Kindes, wenn diese bei einem Besuch des Kindes in der Pflegefamilie erkennbar gewesen wären.«
Fundstellen: NJW 2005, 96, OLGReport-Stuttgart 2003, 459
Normenkette:
BGB § 839 Abs. 1
,
BGB § 847 Abs. 1
,
GG Art. 34
,
GG Art. 2 Abs. 1
,
GG Art. 6 Abs. 1
,
SGB VIII § 86 Abs. 6
,
SGB VIII § 86c
,
SGB VIII § 8 Abs. 1
,
SGB VIII § 27
,
SGB VIII § 33
,
SGB VIII § 36 Abs. 2 Satz 2
Vorinstanzen: LG Stuttgart 07.02.2003 15 O 276/02

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