Sozialhilferecht: Keine Tragung rückständiger Energiekosten
Tatbestand:
Die Kläger begehren vom Beklagten die Übernahme der vom Stromversorgungsunternehmen in Rechnung gestellten Nachzahlung für
den Bezug von Strom in der Zeit vom 30. 12.1993 bis 3.1.1995 in Höhe von 122,73 DM. Das VG gab der Klage statt, die Berufung
des Beklagten hatte Erfolg.
Entscheidungsgründe:
Die Kläger haben keinen Anspruch auf Übernahme des streitigen Nachzahlungsbetrages durch den Beklagten.
Die Aufwendungen für Haushaltsenergie sind gemäß § 1 Abs. 1 der Verordnung zur Durchführung des § 22 BSHG (Regelsatzverordnung) vom 20.7.1963 - BGBl I 515 - in der hier maßgeblichen Fassung, die die Verordnung durch die Änderungsverordnung vom 7.10.1991
- BGBl I 1971 - erhalten hat, Bestandteil des im Regelsatz zusammengefaßten Monatsbedarfs (BVerwG, Beschluß vom 14. 1.1998
- 6 B 92.97 -; Senatsbeschluß vom 15.5.1998 - 24 B 785/98 -). Eine Besonderheit des Einzelfalls, die eine abweichende Bemessung des Regelsatzes des § 22 Abs. 1 Satz 2 BSHG gebietet, liegt nicht vor. Davon könnte nur ausgegangen werden, wenn Besonderheiten vorlägen, die einen besonders hohen Energieverbrauch
zwingend notwendig machten. Der Energieverbrauch der Kläger war im Jahre 1994 aber nicht besonders hoch, er bewegte sich mit
3.291 kwh durchaus im Normbereich. Im Zuge der Ermittlungen für die neue Bemessung der Regelsätze nach dem Statistikmodell
wurde für ein Ehepaar ohne Kinder bei Haushalten mit geringem Nettoeinkommen eine jährliche durchschnittliche Stromverbrauchsmenge
von 2.604 kwh und für eine dreiköpfige Familie ein Verbrauch von 4.416 kwh festgestellt. Der letztgenannte hohe Wert soll
durch die Berücksichtigung eines Tiefkühlgerätes in Haushalten dieser Größenordnung erklärbar sein (vgl. zu allem Schellhorn
"Neues Bedarfsbemessungssystem für die Regelsätze der Sozialhilfe: Ableitung der Regelsätze für sonstige Haushaltsangehörige",
Nachrichtendienst des deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge 1989, 157).
Ob der Hilfeempfänger viel oder wenig Energie verbraucht, obliegt seiner freien Entscheidung. Der Regelsatz steht ihm zur
Befriedigung seiner notwendigen Bedürfnisse zur Verfügung. Ob er Ausgaben an einer Stelle stark einschränkt zugunsten höherer
Ausgaben für andere Bedürfnisse, kann er selbst bestimmen, solange er mit dem Regelsatz auskommt. Vorliegend haben die Kläger
im vorhergehenden Abrechnungszeitraum wenig Strom verbraucht mit der Folge, daß die Abschlagszahlungen für das Jahr 1994 gering
waren. Verbrauchen sie dann mehr Haushaltsenergie, sind sie gehalten, entsprechende Rücklagen zu bilden. Die Ausführungen
des VG, daß der Energieabnehmer nur mit erheblichem Aufwand und Mühe erkennen könne, ob die entrichteten Abschlagszahlungen
ausreichen, treffen nicht zu. Für diese Kontrolle genügt schon ein gelegentlicher Blick auf den Stromzähler und ein Festhalten
der Verbrauchswerte sowie der Vergleich mit dem aus der Abrechnung des Energieversorgungsunternehmens ersichtlichen Vorjahresverbrauch.
Auf Preisänderungen, die jeweils vorher bekanntgemacht werden, können sich Verbraucher einstellen. Warum dies den Klägern
nicht möglich gewesen sein sollte, ist nicht ersichtlich.
Die Kläger können sich auch nicht mit Erfolg darauf berufen, die Regelsätze seien lediglich für den notwendigen Bedarf bestimmt,
für Nachzahlungen bestehe darin keine Reserve.
Die überall in Deutschland übliche Praxis der Energieversorgungsunternehmen, während des Abrechnungszeitraums lediglich Abschlagszahlungen
zu verlangen und dann eine Jahresrechnung zu erstellen, war dem Gesetzgeber bekannt. Ebenso war ihm bewußt, daß die Summe
der Abschlagszahlungen praktisch nie mit dem Endabrechnungsbetrag übereinstimmt und daß es regelmäßig zu Nachzahlungen oder
Guthaben kommt. Wenn der Gesetzgeber dennoch keine Regelung hinsichtlich erforderlicher Nachzahlungen getroffen hat, kann
daraus nur sein Wille entnommen werden, daß auch die Nachzahlungsbeträge - gegebenenfalls ratenweise - aus den Regelsätzen
zu zahlen sind, sofern nicht eine Situation vorliegt, in der die Voraussetzungen des § 15a BSHG gegeben sind.
Einen Anspruch auf Übernahme des Nachzahlungsbetrages können die Kläger auch nicht aus § 15a BSHG herleiten. Nach Satz 1 dieser Vorschrift kann Hilfe zum Lebensunterhalt in Fällen, in denen nach den vorstehenden Bestimmungen
des Gesetzes die Gewährung von Hilfe nicht möglich ist, gewährt werden, wenn dies zur Sicherung der Unterkunft oder zur Behebung
einer vergleichbaren Notlage gerechtfertigt ist. Eine dem Verlust der Unterkunft vergleichbare Notlage ist dann gegeben, wenn
die Lebensführung des Hilfesuchenden in so empfindlicher Weise beeinträchtigt ist, daß der "Interventionspunkt der Sozialhilfe"
erreicht wird. Dies ist in der Regel der Fall, wenn die Belieferung des Haushalts mit Energie - insbesondere elektrischer
Energie und Energie für die Beheizung - auf Dauer in Frage gestellt wird. Denn die Energieversorgung gehört angesichts des
Zuschnitts nahezu aller privater Haushalte nach den heutigen Lebensverhältnissen in der Bundesrepublik Deutschland zum sozialhilferechtlich
anerkannten Mindeststandard (vgl. OVG NW, Beschluß vom 9. 5.1985 - 8 B 2185/84 -, FEVS 35, 24).
Vorliegend war nicht einmal ersichtlich, daß das Energieversorgungsunternehmen wegen des geringen Nachzahlungsbetrages mit
einer Stromsperre drohte. Ebenso ist nicht ersichtlich, daß die Kläger eine sonst zu befürchtende Stromsperre nicht durch
die Zahlung von Raten auf Grund einer Vereinbarung mit dem Energieversorgungsunternehmen oder dem Beklagten hätten abwenden
können. Die vom Beklagten angebotenen Ratenzahlungen hätten sie aus der laufenden Hilfe zum Lebensunterhalt erbringen können.
Eine dazu erforderliche Einschränkung ihres Lebensunterhalts durch Verzicht auf die Befriedigung anderer persönlicher Bedürfnisse,
die ansonsten auch durch die Regelsätze abgedeckt sind, konnte den Klägern angesichts der geringen Höhe des in Rede stehenden
Betrages vorübergehend zur Abwendung einer Stromsperre zugemutet werden, so daß es schon von daher des Eingreifens des Beklagten
nicht bedurfte. "Gerechtfertigt" im Sinne des § 15a Abs. 1 Satz 1 BSHG ist die Gewährung von Hilfe zum Lebensunterhalt zur Beseitigung der Notlage nur dann, wenn die Notlage durch den Hilfesuchenden
nicht selbst beseitigt werden kann.