Sozialhilferecht: Rechtsnatur der Aufrechnungsverfügung, § 25a BSHG
Gründe:
I.
Der Antragsgegner rechnete laufende Hilfeleistungen zum Lebensunterhalt, die er in seiner Zuständigkeit als Sozialhilfeträger
zugunsten der Antragsteller festgesetzt hatte, diesen gegenüber durch Bescheid vom 30.5.1996 gemäß § 25 a Abs. 1 BSHG mit Ansprüchen aus bestandskräftigen Rückforderungsbescheiden auf und ordnete die sofortige Vollziehung des Bescheides vom
30.5.1996 an. Ein Aussetzungsantrag der Antragsteller nach §
80 Abs.
5 VwGO hatte in zweiter Instanz Erfolg.
II.
Die Rechtmäßigkeit des Bescheides begegnet nach vorläufiger Erkenntnis durchgreifenden Bedenken. Diese ergeben sich allerdings
nicht schon daraus, daß der Antragsgegner für die Erklärung der Aufrechnung die Handlungsform des Verwaltungsaktes gewählt
hat.
Zwar hat der BayVGH in einem Urteil vom 9.11.1995 - 13 A 95.1646 -, BayVBl 1996, S. 660, 662, auch mit Blick auf die Regelung des § 25a BSHG die Auffassung vertreten, der Sozialhilfeträger sei nicht befugt, die Aufrechnung durch Verwaltungsakt zu erklären.
Dieser Auffassung folgt der Senat jedoch für den Anwendungsbereich des dem Bescheid des Antragsgegners zugrundeliegenden §
25a BSHG nicht.
Es kann dahinstehen, ob im Sozialrecht die Aufrechnung bzw. Verrechnung durch einen Leistungsträger generell durch Verwaltungsakt
zu erfolgen hat, wie vom BSG für seinen Zuständigkeitsbereich entschieden worden ist,
vgl. Urteil vom 12.7.1990 - 4 RA 47/88 - BSGE 67, S. 143, 146,
oder ob auch in Betracht kommt, daß die Aufrechnungserklärung eines Trägers hoheitlicher Verwaltung sich als rechtsgeschäftliche
Ausübung eines Gestaltungsrechts darstellt und für sich allein kein Verwaltungsakt ist, wie dies für Bereiche außerhalb des
Sozialrechts in der höchstrichterlichen Rechtsprechung vertreten wird.
Vgl. z.B. BVerwG, Urteile vom 27.10.1982 - 3 C 6.82 - BVerwGE 66, S. 218, 220 und vom 13.6.1985 - 2 C 43.82 - DVBl 1986, S. 146, sowie BFH, Urteil vom 31.8.1995 - VII R 58/94 - BFHE 178 S. 306, 307; vgl. ferner den zu dem Urteil des BayVGH vom 9.11.1995, a.a.O., ergangenen Beschluß des BVerwG vom
6.11.1995 - 5 B 154.95 -, in dem die Frage, ob die in § 25a BSHG vorgesehene Aufrechnung ein Verwaltungsakt ist, offengelassen wird.
Dem weiter nachzugehen erübrigt sich, weil die Regelung des § 25a BSHG im Vergleich zu den aus den §§
387 ff.
BGB in entsprechender Anwendung herzuleitenden allgemeinen Voraussetzungen einer Aufrechnung im öffentlichen Recht Besonderheiten
aufweist, die zur Folge haben, daß einer in Anwendung des § 25a BSHG erklärten Aufrechnung der Charakter einer den Begriff eines Verwaltungsakts im Sinne von § 31 SGB X ausfüllenden Regelung nicht abgesprochen werden kann. § 25a BSHG gestattet nämlich dem Sozialhilfeträger nicht, die für die Aufrechnung in Betracht kommenden Forderungen auf einer Gleichordnungsebene
zum Erlöschen zu bringen, um damit einen Erfüllungsersatz zu bewirken,
vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 27.10.1982, a.a.O.,
sondern ermächtigt den Sozialhilfeträger, eine in sein Ermessen ("kann") gestellte Entscheidung über den Hilfefall zu treffen,
die nicht nur die in Abs. 1 der Vorschrift gesetzten Grenzen, sondern - neben Wirkungen für den Hilfesuchenden selbst - nach
der Regelung ihres Abs. 3 i. V. m. § 25 Abs. 3 BSHG auch die Belange anderer zu berücksichtigen hat. Sie kann zudem einen Eingriff in einen zuvor bereits geregelten Anspruch
auf laufende Hilfe zum Lebensunterhalt bewirken, wenn - wie dies in aller Regel der Fall ist - die Leistungen zeitabschnittsweise
(monatlich) gewährt werden und der Anspruch für den Zeitraum mit Dauerwirkung geregelt ist.
Vgl. hierzu das Urteil des Senats vom 24.3.1993 - 24 A 1093/90 -, FEVS 44, S. 330.
Damit wird deutlich, daß der Sozialhilfeträger bei der Anwendung des § 25a BSHG - möglicherweise im Unterschied zur Ausübung eines Aufrechnungsrechtes in anderen Bereichen des öffentlichen Rechts - in
hoheitlicher Funktion handelt.
Daß die Aufrechnung nach § 25a BSHG ein Verwaltungsakt ist, kommt auch darin zum Ausdruck, daß sie vom Gesetzgeber der Regelung des auch für die Verwaltungstätigkeit
der Sozialhilfebehörden geltenden § 24 SGB X unterworfen worden ist, der bestimmt, daß einem Beteiligten vor Erlaß eines in seine Rechte eingreifenden Verwaltungsakts
grundsätzlich Gelegenheit zur Äußerung zu geben ist. Dies ist aus der Regelung des Abs. 2 Nr. 7 dieser Vorschrift herzuleiten.
Diese gestattet zwar ein Absehen von der Anhörung, wenn gegen Ansprüche oder mit Ansprüchen von weniger als 100,-- DM aufgerechnet
(oder verrechnet) werden soll, läßt aber nur den Schluß zu, daß der Gesetzgeber die Aufrechnung als belastenden Verwaltungsakt
im Sinne der Regelungen über das Verwaltungsverfahren ansieht, denn mit den durch die Regelung des § 24 Abs. 2 SGB X erfaßten Fallgestaltungen werden nur Ausnahmen von der grundsätzlich bestehenden Anhörungspflicht zugelassen.
Ist somit unter verfahrensrechtlichen Gesichtspunkten nicht zu beanstanden, daß der Antragsgegner die Aufrechnung durch Verwaltungsakt
erklärt hat, so erweist sich dieser doch wegen mangelnder Bestimmtheit seiner Regelungen als offensichtlich rechtswidrig (wird
ausgeführt).