Sozialhilfe - Zuflussprinzip; Nachzahlung von Wohngeld
Gründe:
I.
Der Kläger wendet sich gegen die Anrechnung von einer Wohngeldnachzahlung auf eine laufende Sozialhilfeleistung.
Wegen des erstinstanzlichen Vorbringens und der gestellten Anträge nimmt der Senat auf den Tatbestand der angefochtenen Entscheidung
Bezug, den er sich zu eigen macht (§
130 b Satz 1
VwGO in entsprechender Anwendung).
Durch Urteil vom 27.05.2003 hat das Verwaltungsgericht der Klage stattgegeben. In den Entscheidungsgründen hat es ausgeführt:
Der Anrechnung des für die Monate März bis Mai 2001 nachgezahlten Wohngeldes stehe die Vorschrift des § 77 Abs. 1 BSHG entgegen. In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts sei geklärt, dass es sich bei Wohngeld um eine zweckbestimmte
Leistung handelt. Andererseits handele es sich bei der Übernahme von Unterkunftskosten im Rahmen der Bewilligung von laufender
Hilfe zum Lebensunterhalt gem. §§ 11, 12 BSHG i.V.m. § 3 RegelsatzVO um Leistungen, die dem selben Zweck wie die Bewilligung von Wohngeld dienten. Wenn Wohngeld als Einkommen nicht
berücksichtigt werden würde, würden Doppelleistungen aus öffentlichen Mitteln für die Erhaltung der Unterkunft gewährt. Dies
wolle § 77 BSHG gerade vermeiden. Das Wohngeld sei daher als Einkommen zu berücksichtigen, wenn (und soweit) in Höhe der Aufwendungen für
die Unterkunft Leistungen der Sozialhilfe gewährt würden. Hiervon ausgehend sei die Anrechnung der Nachzahlung im Juli 2001
zu Unrecht erfolgt. Zwar habe der Beklagte in diesem Monat die Unterkunftskosten des Klägers im Rahmen der Bewilligung von
laufender Hilfe zum Lebensunterhalt übernommen - allerdings unter Anrechnung eines gleichfalls gewährten besonderen Mietzuschusses
-, diese Leistung habe sich aber nur auf den Monat Juli 2001 bezogen. Das nachgezahlte Wohngeld hingegen sei für den vergangenen
Zeitraum von März bis Mai 2001 bewilligt worden. Nach Auffassung der Kammer könne die Frage, ob es sich hinsichtlich des Wohngeldes
einerseits und der Sozialhilfe andererseits um zweckidentische Leistungen handele, nicht losgelöst von dem Zeitraum, für den
die Leistungen bewilligt werden, beantwortet werden. Andernfalls würde der mit der Nachzahlung des Wohngeldes bezweckte Zuschuss
zu den in der Vergangenheit zu leistenden Mietaufwendungen vereitelt werden. Nichts anderes ergebe sich aus der Rechtsprechung
des Bundesverwaltungsgerichts, nach der die Qualifizierung als Einkommen grundsätzlich nicht Identität der Zweckbestimmung
sowie Zeitraumidentität voraussetze, sondern entscheidend sei, was der Hilfesuchende im jeweiligen Bedarfszeitraum wertmäßig
dazu erhalte. Denn § 77 Abs. 1 BSHG stelle gerade eine Ausnahme von diesem Grundsatz dar, worauf auch das Bundesverwaltungsgericht hinweise. § 76 BSHG sei - falls § 77 BSHG eingreife - gerade nicht anwendbar. Entgegen der Auffassung des Beklagten könne auch nicht davon ausgegangen werden, dass
die an den Kläger geleistete Wohngeldnachzahlung nicht geeignet gewesen sei, ihren Zweck zu erfüllen. Der Kläger habe seine
Wohnung gerade nicht infolge des Ausbleibens von Mietzahlungen verloren. Weshalb die Inanspruchnahme von Wohngeld unter diesen
Umständen rechtsmissbräuchlich sein solle, sei nicht ersichtlich. Auch entspreche es durchaus dem Zweck des Wohngeldes, den
Mieter hinsichtlich seiner Aufwendungen für die Wohnung wirtschaftlich zu entlasten, wenn dieser eine Wohngeldnachzahlung
verwende, um etwa Schulden zurückzuzahlen, die er aufgrund der verspäteten Wohngeldzahlung eingegangen sei. Auch erhalte der
Kläger keine Doppelleistungen aufgrund der Nichtberücksichtigung des im Juli 2001 nachgezahlten Wohngeldes. Ihm bleibe vielmehr
das für die Monate März bis Mai 2001, für die er keine Sozialhilfe erhalten habe, bewilligte Wohngeld.
Mit seiner vom Verwaltungsgericht zugelassenen Berufung macht der Beklagte geltend, die Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts
stehe im Widerspruch zu dem vom Bundesverwaltungsgericht in seiner Entscheidung vom 18.02.1999 - 5 C 35.97 - (BVerwGE 108, 296) entwickelten Grundsatz, wonach Voraussetzung für die Anrechnung eines Einkommens nach § 76 BSHG nicht sei, dass Zeitraumidentität und Zweckidentität vorliegen. § 77 Abs. 1 Satz 1 BSHG verlange lediglich eine "Zweckbestimmung", nicht aber auch eine Zeitraumidentität. Zur Frage, wann etwas zufließe, sei grundsätzlich
vom tatsächlichen Zufluss auszugehen. Im übrigen verweist er auf sein bisheriges Vorbringen.
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Verwaltungsgerichts Freiburg vom 27.05.2003 - 8 K 576/02 abzuändern und die Klage insgesamt abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Das Verwaltungsgericht habe zu Recht ausgeführt, dass die Zuflusstheorie hier
nicht angewendet werden könne. Hierbei sei auch zu berücksichtigen, dass die streitgegenständliche Nachzahlung den Zeitraum
von März bis Mai 2001 abdecke und in diesem Zeitpunkt keine Sozialhilfeleistungen erfolgt seien. Der Kläger habe die laufenden
Mietzahlungen nur durch Darlehen von Freunden aufbringen können, welche er wieder zurückzahlen müsse. Im übrigen bezieht er
sich auf seinen erstinstanzlichen Vortrag.
Dem Senat liegen die einschlägigen Behördenakten und die Gerichtsakten erster Instanz vor. Auf sie und auf die im Berufungsverfahren
gewechselten Schriftsätze wird ergänzend verwiesen.
II.
Der Senat entscheidet über die Berufung durch Beschluss, da er sie einstimmig für begründet und eine mündliche Verhandlung
nicht für erforderlich hält (§
130 a VwGO).
Die vom Verwaltungsgericht zugelassene und auch sonst zulässige Berufung des Beklagten ist begründet. Zu Unrecht hat das Verwaltungsgericht
den Beklagten zur Bewilligung weiterer Hilfe zum Lebensunterhalt für den Monat Juli in Höhe von 240,00 EUR verpflichtet, denn
der Kläger hat hierauf keinen Anspruch.
Das mit Bescheid des Beklagten vom 21.06.2001 bewilligte Wohngeld in Höhe von 240,00 EUR, welches dem Kläger im Juli 2001
ausbezahlt wurde, war im Rahmen der mit Bescheid des Beklagten vom 03.07.2001 über die Gewährung laufender Hilfe zum Lebensunterhalt
sowie des besonderen Mietzuschusses nach § 31 ff. WoGG erfolgten Bedarfs- und Einkommensberechnung für Juli 2001, somit dem hier in Frage stehenden Bewilligungszeitraum, gemäß
den §§ 11 Abs.1, 76 Abs. 1 BSHG als Einkommen zu berücksichtigen.
Dem steht § 77 Abs. 1 Satz 1 BSHG nicht entgegen. Nach § 77 Abs. 1 Satz 1 BSHG setzt die Nichtberücksichtigung einer Leistung als anrechenbares Einkommen voraus, dass sie aufgrund öffentlich-rechtlicher
Vorschriften gewährt wird, dass der Zweck, zu dem sie gewährt wird, ausdrücklich genannt ist und dass die im Einzelfall gewährte
Sozialhilfe nicht demselben Zweck dient. Es entspricht ständiger Rechtsprechung, dass es sich bei Wohngeld zwar um eine aufgrund
öffentlich-rechtlicher Vorschriften gewährte zweckbestimmte Leistung handelt, bei welcher indes Zweckidentität zur Sozialhilfe
besteht mit der Folge, dass das Wohngeld bei der Berechnung der Sozialhilfe zu berücksichtigen ist (vgl. BVerwG, Urteil vom
16.05.1974 - V C 46.73 -, BVerwGE 45, 157, Beschluss vom 15.08.1974 - V B 46.74 -, FEVS 22, 433, Urteil vom 27.11.1986 - 5 C 2.85 -, BVerwGE 75, 168, Beschluss vom 28.07.1989 - 5 B 60.89 -, Buchholz 436.0 § 77 BSHG Nr. 10, Beschluss vom 02.08.1994 - 5 PKH 32.94 - juris; Schmitt/Hillermeier, BSHG, Stand August 2002, § 77 Rdr. 4).
Vorliegend ist es auch rechtlich unerheblich, dass die im Juli 2001 erfolgte Wohngeldzahlung den Bewilligungszeitraum von
März bis Mai 2001 abdeckte. Denn alles, was jemand in der Bedarfszeit wertmäßig erhält, ist Einkommen im Sinne von § 76 BSHG. Dabei ist grundsätzlich von dem tatsächlichen Zufluss auszugehen, es sei denn, rechtlich wird ein anderer Zufluss als maßgeblich
bestimmt. Unerheblich sind somit grundsätzlich der Grund der Zahlung und eine etwaige Zweckbestimmung; sozialhilferechtlich
entscheidend für den Einsatz von Einkommen ist vielmehr dessen bedarfsbezogene Verwendungsmöglichkeit (BVerwG, Urteil vom
19.02.2001 - 5 C 4.00 -, NVwZ-RR 2001, 519, Urteil vom 18.02.1999 - 5 C 35.97 -, BVerwGE 108, 296). Das Bundesverwaltungsgericht hat insbesondere an der auch vom Verwaltungsgericht angenommenen Auffassung, für die Bestimmung
des Begriffs des Einkommens komme es neben der Zweckbestimmung des Zuflusses auch auf den Zeitraum an, für den die Zahlung
bestimmt sei (sogenannte Identitätstheorie, so noch BVerwG, Urteil vom 24.04.1968 - V C 62.67 -, BVerwGE 29, 295; so auch unter Bezugnahme hierauf VGH Bad.-Württ., Urteil vom 01.10.1997 - 6 S 2671/95 -, FEVS 48, 300) ausdrücklich nicht festgehalten (BVerwG, Urteil vom 18.02.1999 - 5 C 35.97 -, BVerwGE 108, 296). Mit dem Abstellen auf den Zeitpunkt des tatsächlichen Zuflusses wird auch nicht unzulässig an einen mehr oder weniger zufälligen
Zeitpunkt angeknüpft, sondern einer aktuellen Notlage ein aktuelles Einkommen gegenübergestellt (BVerwG, Urteil vom 18.02.1999
- 5 C 35.97 -, BVerwGE 108, 296).
Zwar kann abweichend vom tatsächlichen Zufluss rechtlich ein anderer Zeitpunkt als maßgeblich bestimmt werden (vgl. BVerwG,
Urteil vom 18.02.1999 - 5 C 35.97 -, BVerwGE 108, 296, Urteil vom 28.05.2003 - 5 C 41.02 -, NVwZ-RR 2004, 112). Beispiele für einen solchen, vom tatsächlichen Zufluss abweichenden, normativen Zufluss finden sich in der Verordnung zur
Durchführung des § 76 BSHG (DVO zu § 76 BSHG), z.B. in dessen § 3 Abs. 3 und § 11 i.V.m. §§ 4, 6, 7 und 8. So sind Sonderzuwendungen, Gratifikationen und gleichartige Bezüge und Vorteile, die in größeren
als monatlichen Zeitabständen gewährleistet werden, sowie einmalige Einnahmen von dem Monat an zu berücksichtigen, in dem
sie anfallen. Sie sind, soweit nicht im Einzelfall eine andere Regelung angezeigt ist, auf einen angemessenen Zeitraum aufzuteilen
und monatlich mit einem entsprechenden Teilbetrag anzusetzen (§ 3 Abs. 3 Satz 2 und 3, § 8 Abs. 1 Satz 3 DVO zu § 76 BSHG; vgl. zum ganzen BVerwG, Urteil vom 18.02.1999 - 5 C 35.97 -, BVerwGE 108, 296, Urteil vom 28.05.2003 - 5 C 41.02 -, NVwZ-RR 2004, 112).
Im streitgegenständlichen Bescheid hat der Beklagte allerdings im Ergebnis zu Recht davon abgesehen, die Wohngeldnachzahlung
aufzuteilen und sie somit zu Recht im vollen Umfang auf die für den Juli 2001 zu gewährenden Leistungen zum laufenden Lebensunterhalt
angerechnet. Denn aufgrund der Besonderheiten des Einzelfalles war vorliegend eine anteilige Anrechnung nicht angezeigt. Zu
berücksichtigen ist zunächst, dass der Wohngeldbescheid vom 21.06.2001 lediglich den Zeitraum vom 01.03.2001 bis zum 31.05.2001
und somit einem kurzfristigen Zeitraum umfasste. Insoweit hätte eine Verteilung bereits vom Ansatz her allenfalls für einen
dem der Gewährung des Wohngeldes entsprechenden Zeitraum, mithin drei Monaten, erfolgen können. Weiterhin hätte sich eine
Anrechnung dann aber auch auf den Monat August 2001 (bzw. einen weiteren Folgemonat) ausgewirkt mit der Folge, dass auch dort
aufgrund der Anrechnung nur im eingeschränkteren Umfang laufende Hilfe zum Lebensunterhalt hätte gewährt werden dürfen, als
dies mit dem angegriffenen Bescheid des Beklagten vom 03.07.2001 insoweit erfolgt ist. Insbesondere war aber auch der sozialhilferechtliche
Bedarf des Klägers im Monat Juli 2001 trotz der Anrechnung aufgrund der im Juli erfolgten Wohngeldnachzahlung im Ergebnis
im vollen Umfang gedeckt.
Zu keinem anderen Ergebnis vermag der Umstand zu führen, dass der Kläger nach seinem Vortrag die Kosten der Miete für die
Monate März bis Mai 2001 nur durch die Aufnahme von Darlehen bei Freunden aufbringen konnte. Aufwendungen eines Hilfesuchenden
zum Zwecke der Tilgung von Darlehensschulden sind nicht als Kosten der Unterkunft zu rechnen, weil Sozialhilfe als Hilfe für
den Notfall nicht ein Mittel zur Vermögensbildung sein kann (BVerwG, Beschluss vom 28.07.1989 - 5 B 60.89 -, Buchholz 436.0 § 77 BSHG Nr. 10).
Die Kostenentscheidung folgt aus §
154 Abs.
1 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§
188 Satz 2 Halbs. 1
VwGO).
Die Revision ist nicht zuzulassen, da keiner der Zulassungsgründe des §
132 Abs.
2 VwGO gegeben ist.