Ausbildungsförderung - Altersgrenze; Ausnahme; Arbeitsplatzverlust; selbständige Berufstätigkeit; unselbständige Berufstätigkeit;
Veränderung der persönlichen Verhältnisse
Entscheidungsgründe:
Die Berufung des Beklagten ist statthaft und auch ansonsten zulässig, insbesondere fristgerecht begründet worden. Sie ist
auch begründet.
Das Verwaltungsgericht hat der Klage zu Unrecht stattgegeben; denn diese ist zwar zulässig, aber nicht begründet. Der Kläger
hat keinen Anspruch auf Bewilligung von Ausbildungsförderung für das von ihm aufgenommene Studium der Betriebswirtschaft an
der Fachhochschule Stuttgart. Die Förderung des Klägers scheitert daran, dass er bei Beginn des Studiums das 30. Lebensjahr
bereits vollendet hatte (§
10 Abs.
3 S. 1
BAföG) und keiner der Ausnahmetatbestände des §
10 Abs.
3 S. 2
BAföG gegeben ist.
Der 1971 geborene Kläger hatte bei Aufnahme seines Studiums zum WS 2003/2004 die normierte Altersgrenze überschritten. In
seinem Fall sind auch die Voraussetzungen des - nach Sachlage überhaupt nur in Betracht kommenden - Ausnahmetatbestandes des
§
10 Abs.
3 S. 2 Nr.
4 BAföG nicht gegeben. Danach gilt die Altersgrenze von 30 Jahren nicht, wenn der Auszubildende infolge einer einschneidenden Veränderung
seiner persönlichen Verhältnisse bedürftig geworden ist und noch keine Ausbildung, die nach diesem Gesetz gefördert werden
kann, berufsqualifizierend abgeschlossen hat.
In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist geklärt, dass grundsätzlich alle objektiven und subjektiven Umstände,
die die Lebensführung des Einzelnen in wirtschaftlicher, beruflicher und sonstiger persönlicher Hinsicht prägen, zu den persönlichen
Verhältnissen i.S. der genannten Vorschrift gehören. Eine Änderung der persönlichen Verhältnisse ist einschneidend, wenn sie
von besonderem Gewicht in Bezug auf die weitere Lebensführung ist und den Auszubildenden zu einem Neubeginn seiner Lebensführung
zwingt (vgl. BVerwG, Urteile vom 09.05.1985, Buchholz 436.36 §
10 BAföG Nr. 8 und vom 04.07.1985, Buchholz aaO Nr. 9; Beschluss vom 02.06.1989, Buchholz aaO Nr. 16 sowie Urteil vom 12.12.2002,
Buchholz aaO Nr. 24). Der krankheitsbedingte Arbeitsplatzverlust und die infolge gesundheitlicher Einschränkungen bestehende
Unmöglichkeit, in dem erlernten und in dem zuletzt ausgeübten Beruf zu arbeiten, stellen eine einschneidende Veränderung der
persönlichen Verhältnisse dar; das die einschneidende Veränderung herbeiführende Ereignis muss nicht unversehens erfolgen
(so unter Aufgabe der früheren Rechtsprechung BVerwG, Urteil vom 12.12.2002, Buchholz aaO Nr. 24). Die Unmöglichkeit, in dem
erlernten und dem zuletzt ausgeübten Beruf zu arbeiten, ist nicht bereits dann nachgewiesen, wenn Vermittlungsbemühungen des
Arbeitsamtes erfolglos geblieben sind, sondern erst dann, wenn auch eigene Bemühungen nicht zum Erfolg hätten führen können.
Eine einschneidende Veränderung liegt allerdings nicht schon in jeder Beendigung der bisher ausgeübten beruflichen Betätigung
oder dem Wegfall der bisherigen wirtschaftlichen Lebensgrundlage (vgl. BVerwG, Urteil vom 12.12.2002, aaO und OVG Bremen,
Beschluss vom 15.03.1985, FamRZ 1985, 976); sie kann jedoch im Verlust eines Arbeitsplatzes in gehobener Position mit anschließender dauernder Arbeitslosigkeit begründet
sein (OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 25,06.1987, FamRZ 1988, 216). Schließlich kann der erforderliche ursächliche Zusammenhang zwischen der einschneidenden Veränderung der persönlichen Verhältnisse
und der Bedürftigkeit nur dann bejaht werden, wenn es dem von der Veränderung Betroffenen nicht möglich oder nicht zumutbar
ist, sich aufgrund seiner bereits vorhandenen beruflichen Ausbildung und seiner bisherigen Tätigkeit eine hinreichend sichere
Lebensgrundlage zu schaffen; dies entspricht dem allgemeinen sozialrechtlichen Grundsatz, dass bedürftig nur derjenige ist,
der sich aus eigenen Kräften nicht helfen kann (BVerwG, Urteil vom 09.05.1985, aaO).
Nach diesen Grundsätzen ist hier zwar davon auszugehen, dass die bis zum 31.03.2003 ausgeübte Berufstätigkeit die Lebensführung
des Klägers geprägt hat. Der von ihm betriebene Lieferservice für italienische Gerichte war nach seinen glaubhaften Angaben
in der mündlichen Verhandlung auf Dauer angelegt und hat etwa fünf Jahre bestanden; er hatte mit zwei fest angestellten Bäckern,
fünfzehn Aushilfen und mit für die Dauer von zunächst zehn Jahren angemieteten und voll ausgestatten Räumen auch schon einen
größeren Umfang erreicht. Auch wenn der Kläger bereits aufgrund der wirtschaftlichen Auswirkungen der Anschläge vom 11.09.2001
seine "finanziellen Reserven" angreifen musste, dürfte seine berufliche Tätigkeit bis zur Geschäftsaufgabe wegen fortschreitender
Verluste doch seine maßgebliche Lebensgrundlage gebildet haben, so dass er durch deren Wegfall - wie er nachvollziehbar darlegte
- zu einem Neubeginn seiner Lebensführung gezwungen wurde. Allerdings sind damit entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts
die Voraussetzungen des Ausnahmetatbestandes noch nicht erfüllt. Vielmehr ist im Hinblick auf die erforderliche Kausalität
zwischen Aufgabe der selbständigen Tätigkeit und der Änderung der bisherigen Lebensführung und dem Eintritt der Bedürftigkeit
weiter zu fordern, dass es dem Kläger unmöglich oder unzumutbar war, aufgrund seiner bisherigen Berufstätigkeit wieder ein
wirtschaftliches Auskommen zu finden.
Davon kann nach dem Vorbringen des Klägers nicht ausgegangen werden. Dieser hat noch nicht einmal behauptet, sich um den Aufbau
einer neuen Existenz überhaupt bemüht zu haben; vielmehr hat er sich nach seinen auch insoweit glaubhaften Angaben in der
mündlichen Verhandlung nach Aufgabe des Geschäfts zum 31.03.2003 sofort um einen Studienplatz beworben; die Aufnahme einer
anderen Tätigkeit habe nicht in seiner Perspektive gelegen. Damit, dass er sich beim Arbeitsamt nach "Alternativen" erkundigte
und ihm dort geraten wurde, ein Studium aufzunehmen, hat er die ihm nach den oben dargestellten Grundsätzen zumutbaren Möglichkeiten
noch nicht ausgeschöpft. Insoweit war hinsichtlich der erforderlichen Bemühungen - etwa durch Bewerbungen auf offene Stellen
im Gastronomiebereich - durchaus auch eine Erwerbstätigkeit als Arbeitnehmer in Betracht zu ziehen, zumal der Kläger als solcher
vor der Gründung seines Betriebes bereits mehrere Jahre tätig war. Etwas anderes könnte im vorliegenden Fall allenfalls dann
gelten, wenn die selbständige Führung des Pizza-Bringdienstes die für die Lebensführung des Klägers maßgebenden wirtschaftlichen
und persönlichen Umstände in einem solchen Maße geprägt hätte, dass ihm eine Arbeitnehmertätigkeit im Gastronomiebereich nicht
mehr zugemutet werden kann. Hierfür fehlt es indes an jedem Anhaltspunkt. Die vom Verwaltungsgericht unter Hinweis auf das
Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 12.12.2002, aaO vertretene Auffassung, dass nur eine selbständige Tätigkeit in Betracht
komme, überzeugt nicht. Vielmehr wurden in dieser Entscheidung sogar im Falle einer krankheitsbedingten Unmöglichkeit, in
dem erlernten und zuletzt ausgeübten Beruf zu arbeiten, Bemühungen des Auszubildenden um einen zwar noch mit dem Berufsbild
(im entschiedenen Fall: des Buchhändlers) zu vereinbarenden, aber außerhalb der bisher ausgeübten Tätigkeit liegenden Arbeitsplatz
verlangt. Entscheidend kommt es im vorliegenden Zusammenhang vielmehr darauf an, ob der Betroffene sich aufgrund seiner beruflichen
Qualifikation und bisherigen Tätigkeit wieder eine wirtschaftliche Lebensgrundlage schaffen kann; auf die Art und Weise der
Ausübung dieser Tätigkeit - ob selbständig oder unselbständig - kommt es grundsätzlich und auch im Falle des Klägers nicht
an.
Soweit das Verwaltungsgericht die Auffassung vertritt, die von ihm vorgenommene weite Auslegung des Ausnahmetatbestandes sei
auch rechtlich geboten, vermag ihm der Senat schon im Ansatz nicht zu folgen. Es geht im vorliegenden Fall nicht um eine weite
oder enge Auslegung, sondern darum, dem vom Gesetz geforderten ursächlichen Zusammenhang ("infolge") zwischen einschneidender
Veränderung der persönlichen Verhältnisse einerseits und der Bedürftigkeit andererseits Rechnung zu tragen. Dies erfordert
- wie ausgeführt - unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung im vorliegenden Fall mehr als die Prüfung
der Frage, ob der Kläger in der Lage wäre, einen neuen Pizza-Bringdienst zu gründen. Darüber hinaus gebietet nach Auffassung
des Senats auch der - vom Verwaltungsgericht unter Hinweis auf Art.
3 Abs.
1 GG - herangezogene Ausnahmetatbestand des §
10 Abs. 3 S. 2 Nr.
1 a BAföG nicht die im angefochtenen Urteil vertretene Auslegung. Vielmehr regeln die Ausnahmetatbestände des §
10 Abs. 3 S. 2 Nr.
4 und des §
10 Abs.
3 S. 2 Nr.
1 a BAföG schon unterschiedliche Sachverhalte. Zum anderen ist letzterer auch nicht von "nahezu uferloser Weite": Er sieht nämlich
nur bei solchen Auszubildenden ohne Hochschulzugangsberechtigung aufgrund ihrer beruflichen Qualifikation eine Ausnahme von
der normierten Altersgrenze vor, wenn sie an einer Hochschule eingeschrieben sind. Die Vorschrift verweist damit auf das Hochschulrecht
der Bundesländer, das seinerseits - wie etwa § 59 Abs. 1 und Abs. 2 des Landeshochschulgesetzes Baden-Württemberg - den Hochschulzugang
für Berufstätige an mehrere, nicht ohne weiteres zu erfüllende Voraussetzungen knüpft. Schließlich trifft es auch nicht zu,
dass der Gesetzgeber mit dem 17. BAföGÄndG - mit dem der Ausnahmetatbestand der Nr. 1 a in Abs. 3 S. 2 eingefügt wurde - die
Altersgrenze von 30 Jahren relativieren wollte. Dem widerspricht bereits, dass er die bisherige Struktur der Vorschrift beibehalten
hat: Die Einhaltung der Altersgrenze des §
10 Abs.
3 S. 1
BAföG bildet weiterhin den Grundsatz, von dem nur ausnahmsweise in den in S. 2 abschließend geregelten Fällen abgewichen werden
soll. Er hat außerdem die Änderung des Ausnahmetatbestandes des §
10 Abs.3 S. 2 Nr.2
BAföG ausdrücklich damit begründet, dass die von ihm im Hinblick auf den jugendpolitischen Charakter des staatlichen Förderungssystems
gesetzte Altersgrenze gegenstandslos werde, wenn der dieser Vorschrift durch die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts
gegebenen Auslegung nicht durch eine Gesetzesänderung begegnet werde (vgl. BT-Drs.12/7430, S.8).
Nach alledem kommt es nicht mehr entscheidend darauf an, ob der Kläger durch den Verkauf seines Geschäftes auch bedürftig
geworden ist. Bedürftigkeit ist gegeben, wenn der Auszubildende nicht über ausreichende Mittel zur Lebensführung verfügt und
außerstande ist, sich diese Mittel selbst zu verschaffen. Das ist regelmäßig dann der Fall, wenn der Auszubildende über einzusetzendes
Vermögen i.S.d. § 90 SGB XII (bis 31.12.2004: § 88 BSHG) nicht verfügt und sein monatliches Einkommen die nach § 85 SGB XII (bis 31.12.2004: § 79 BSHG) maßgebliche Einkommensgrenze nicht übersteigt (vgl. BVerwG, Urteil vom 04.07.1985, Buchholz 436.36 §
10 BAföG Nr. 9). Der Senat weist allerdings darauf hin, dass der Kläger das Vorliegen dieser Voraussetzungen in der mündlichen Verhandlung
nicht nachvollziehbar dargelegt hat. Die von ihm allein als Einkommen angegebene Praktikantenvergütung in Höhe von monatlich
520,-- EUR reicht noch nicht einmal aus, die von ihm im Prozesskostenhilfeverfahren geltend gemachten monatlichen Aufwendungen
in Höhe von 594,43 EUR zu bestreiten. Mit dem vagen Hinweis auf Unterstützungsleistungen des Lebensgefährten seiner Mutter
und einen (zudem schon wieder zurückbezahlten) Zuschuss eines Freundes in Höhe von 3000,00 EUR sind die Zweifel an der Vollständigkeit
seiner Angaben zu seinen Einkommens- und Vermögensverhältnissen noch nicht ausgeräumt.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§
154 Abs.1, 188 S. 2
VwGO.
Die Revision war nicht zuzulassen, weil keine der Voraussetzungen des §
132 Abs.
2 VwGO erfüllt ist.