Erstattung der Kosten für vertragsärztlich verordnete Arzneimittel
Verletzung des Grundsatzes der Mündlichkeit
Ermessensfehlgebrauch und Einverständniserklärung
1. Ein Beschwerdeführer, der eine Verletzung des Grundsatzes der Mündlichkeit rügt, weil er die Vorgehensweise des LSG einer
Entscheidung durch Beschluss ohne mündliche Verhandlung nach §
153 Abs.
4 SGG beanstandet, muss im Einzelnen darlegen, dass seitens des LSG ein Ermessensfehlgebrauch vorgelegen habe.
2. Eine Sachentscheidung ohne mündliche Verhandlung ist nach ständiger Rechtsprechung des BSG verfahrensrechtlich nur zu beanstanden, wenn die Verfahrensweise des LSG auf sachfremden Erwägungen oder grober Fehleinschätzung
beruht.
3. Von der Verfahrensweise nach §
153 Abs.
4 SGG ist in Fällen abzusehen, in denen ein Beteiligter noch nicht die Möglichkeit einer mündlichen Verhandlung hatte.
4. Der vorgenannte Grundsatz beansprucht jedoch keine Geltung, wenn das SG nach §
124 Abs.
2 SGG mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden hat.
5. Die Erklärung eines Beteiligten, mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden zu sein und damit auf
diese besondere Art der Gewährung rechtlichen Gehörs zu verzichten, muss klar, eindeutig und vorbehaltlos sein.
Gründe:
I
Der bei der beklagten Krankenkasse versicherte Kläger ist mit seinem Begehren auf Erstattung von 293,17 Euro Kosten für mehrere
vertragsärztlich verordnete Arzneimittel (6.1.2010, 10.3.2011, 16.3.2011), deren Preise die Festbetragsgrenze überstiegen,
sowie Kosten für ein nicht verschreibungspflichtiges und für ein verschreibungspflichtiges, jeweils privatärztlich verordnetes
Arzneimittel (16.12.2009 und 12.3.2010) bei der Beklagten und in den Vorinstanzen erfolglos geblieben. Das LSG hat - teilweise
unter Bezugnahme auf das SG-Urteil - zur Begründung ausgeführt, die Beklagte sei nur verpflichtet, den Kläger mit Arzneimitteln bis zur Höhe des Festbetrags
zu versorgen. Es liege auch kein Ausnahmefall vor, in dem ein Versicherter Anspruch auf Versorgung mit einem den Festbetrag
überschreitenden Arzneimittel habe. Es stehe mangels eines Umstellungsversuchs nicht fest, dass zum Festbetrag erhältliche
Arzneimittel beim Kläger Nebenwirkungen im Ausmaß einer behandlungsbedürftigen Krankheit verursachen könnten. Das auf Privatrezept
verordnete verschreibungspflichtige Arzneimittel sei nach §
34 Abs
1 S 6
SGB V ausgeschlossen. Das nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel gehöre nicht zum Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung
(Beschluss vom 27.11.2014).
Mit seiner Beschwerde wendet sich der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision im LSG-Beschluss.
II
Die Beschwerde des Klägers ist unzulässig und daher gemäß §
160a Abs
4 S 1 Halbs 2 iVm §
169 S 3
SGG zu verwerfen. Ihre Begründung entspricht nicht den aus §
160a Abs
2 S 3
SGG abzuleitenden Anforderungen an die Darlegung des allein geltend gemachten Revisionszulassungsgrundes des Verfahrensfehlers
(§
160 Abs
2 Nr
3 SGG).
1. Nach §
160 Abs
2 Nr
3 SGG ist die Revision zuzulassen, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen
kann; der Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung von §
109 SGG und §
128 Abs
1 S 1
SGG (Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung) und auf eine Verletzung des §
103 SGG (Amtsermittlungsgrundsatz) nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende
Begründung nicht gefolgt ist. Wer eine Nichtzulassungsbeschwerde auf den Zulassungsgrund des Verfahrensfehlers stützt, muss
zu seiner Bezeichnung (§
160a Abs
2 S 3
SGG) die den Verfahrensmangel (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dartun, also die Umstände schlüssig darlegen,
die den entscheidungserheblichen Mangel ergeben sollen (stRspr, vgl zB BSG SozR 1500 § 160a Nr 14, 24, 36; BSG SozR 4-1500 § 153 Nr 13 RdNr 4 mwN). Daran fehlt es.
Der Kläger beruft sich auf eine Verletzung seines rechtlichen Gehörs (§
62 SGG, Art
103 Abs
1 GG, Art 47 Abs 2 Charta der Grundrechte der Europäischen Union, Art 6 Abs 1 Europäische Menschenrechtskonvention), legt diese aber nicht schlüssig dar. Er trägt vor, das LSG hätte über die Berufung nicht durch Beschluss nach §
153 Abs
4 SGG entscheiden dürfen, weil er Anspruch auf eine mündliche Verhandlung habe. Bereits das SG habe durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entschieden und damit seinen Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt. Eine wirksame
Erklärung, mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden zu sein, habe nicht vorgelegen. Zwar habe der ihn
erstinstanzlich vertretende Prozessbevollmächtigte eine solche Einverständniserklärung abgegeben (6.3.2013). Diese Erklärung
habe er jedoch persönlich wirksam widerrufen, wie sich aus seinem Schreiben (9.3.2013, dem SG am selben Tage zugegangen) ergebe. Die Zustimmung der Beklagten zu einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung sei erst
am 11.3.2013 erfolgt. Das LSG hätte, um ein faires Verfahren zu gewährleisten, seine Ausführungen im Schreiben vom 9.3.2013
würdigen und bei dem nach §
153 Abs
4 SGG auszuübenden Ermessen berücksichtigen müssen. Dies habe es unterlassen.
Ein Beschwerdeführer, der eine Verletzung des Grundsatzes der Mündlichkeit rügt, weil er die Vorgehensweise des LSG einer
Entscheidung durch Beschluss ohne mündliche Verhandlung nach §
153 Abs
4 SGG beanstandet, muss im Einzelnen darlegen, dass seitens des LSG ein Ermessensfehlgebrauch vorgelegen habe. Eine Sachentscheidung
ohne mündliche Verhandlung ist nach ständiger Rechtsprechung des BSG verfahrensrechtlich nur zu beanstanden, wenn die Verfahrensweise des LSG auf sachfremden Erwägungen oder grober Fehleinschätzung
beruht (vgl BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 19; BSG Beschluss vom 27.3.2001 - B 7 AL 186/00 B - Juris RdNr 5; BSG Beschluss vom 14.10.2005 - B 11a AL 45/05 B - Juris RdNr 6; Zeihe,
SGG, Stand Dezember 2014, §
153 RdNr
15c mwN). Von der Verfahrensweise nach §
153 Abs
4 SGG ist in Fällen abzusehen, in denen ein Beteiligter noch nicht die Möglichkeit einer mündlichen Verhandlung hatte. Der vorgenannte
Grundsatz beansprucht jedoch keine Geltung, wenn das SG nach §
124 Abs
2 SGG mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden hat (vgl BSG Beschluss vom 14.10.2005 - B 11a AL 45/05 B - Juris RdNr 7; Zeihe,
SGG, Stand Dezember 2014, §
153 RdNr 15a; vgl auch BVerwG Buchholz 310 §
161 VwGO Nr 113). Die Erklärung eines Beteiligten, mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden zu sein und damit
auf diese besondere Art der Gewährung rechtlichen Gehörs zu verzichten, muss klar, eindeutig und vorbehaltlos sein (vgl BSGE
44, 292, 294 = SozR 1500 § 124 Nr 2 S 4). Bei diesem Einverständnis handelt es sich um eine einseitige, gegenüber dem Gericht vorzunehmende
Prozesshandlung. Sie ist unanfechtbar und kann nach der Abgabe der Einverständniserklärung durch den anderen Beteiligten grundsätzlich
nicht widerrufen werden (vgl BSG Beschluss 11.11.2004 - B 9 SB 19/04 B - Juris RdNr 8).
Der Kläger legt nicht schlüssig Umstände dar, die die Annahme rechtfertigen, er habe das erklärte Einverständnis mit einer
Entscheidung ohne mündliche Verhandlung wirksam widerrufen. Er bestreitet selbst nicht, dass sein früherer Prozessbevollmächtigter
klar, eindeutig und vorbehaltlos das Einverständnis zur Entscheidung ohne mündliche Verhandlung gegenüber dem SG erklärt und weder dieser noch der Kläger selbst dieses Einverständnis ausdrücklich widerrufen hat. Er beruft sich bloß auf
seinen Schriftsatz vom 9.3.2013, mit dem er - ausgehend von einer terminierten mündlichen Verhandlung - seine Teilnahme hieran
durch Übernahme der Taxikosten sichergestellt wissen wollte. Hiermit reagierte er auf das Schreiben des SG (4.3.2013), das die Anordnung seines persönlichen Erscheinens nicht für erforderlich hielt. Erst danach (7.3.2013) erfolgte
jedoch die Aufhebung des Termins zur mündlichen Verhandlung wegen Verhinderung seines damaligen Prozessbevollmächtigten und
die Abgabe der Einverständniserklärungen. Der Kläger verhält sich nicht dazu, warum bei diesem zeitlichen Ablauf und seiner
Zielrichtung, an einer zunächst anberaumten mündlichen Verhandlung teilzunehmen, sein Schreiben gleichwohl eine Reaktion auf
die veränderte Prozesssituation sein könne.
Soweit der Kläger mit seinem Vorbringen sinngemäß eine weitere Verletzung des rechtlichen Gehörs des LSG rügen will, fehlt
dem ebenfalls die Schlüssigkeit. Er meint, das LSG hätte bei Ausübung seines Ermessens, über die Berufung im Beschlusswege
nach §
153 Abs
4 SGG zu entscheiden, berücksichtigen müssen, dass sein früherer Prozessbevollmächtigter sein Einverständnis mit einer Entscheidung
ohne mündliche Verhandlung ohne Kenntnis und gegen das Interesse des Klägers erklärt habe. Der Kläger legt aber nicht dar,
seinerseits alles ihm Zumutbare getan zu haben, um sich rechtliches Gehör zu verschaffen, wie es die Bezeichnung eines Gehörsverstoßes
erfordert (vgl BSG SozR 4-1500 § 153 Nr 13 RdNr 6 mwN). Er geht schon nicht darauf ein, dass und wie er auf das Anhörungsschreiben des LSG zum beabsichtigten
Vorgehen nach §
153 Abs
4 SGG überhaupt reagiert hat.
2. Der Senat sieht von einer weiteren Begründung ab (§
160a Abs
4 S 2 Halbs 2
SGG).
3. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des §
193 SGG.