Rückwirkende Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung als Syndikusrechtsanwältin
Grundsatzrüge im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren
Weiterhin bestehende grundsätzliche Bedeutung einer Rechtsfrage trotz Beantwortung durch das BSG
Gründe:
I
Mit Bescheid vom 19.5.2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.11.2011 lehnte die Beklagte den Antrag der Klägerin
auf Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung ab, weil die Klägerin bei der Beigeladenen
zu 2 keine anwaltliche Tätigkeit ausübe. Die hiergegen gerichtete Klage ist erfolgreich gewesen (Urteil des SG München vom
12.10.2012). Mit dem während des Berufungsverfahrens ergangenen Bescheid vom 27.2.2017 hat die Beklagte die Klägerin für ihre
Tätigkeit bei der Beigeladenen zu 2, "für die eine Zulassung als Syndikusrechtsanwältin ... erteilt wurde", ab dem Zeitpunkt
der Zulassung als Syndikusrechtsanwältin (22.11.2016) von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung
befreit. Den Antrag der Klägerin auf rückwirkende Befreiung von der Rentenversicherungspflicht nach §
231 Abs
4b SGB VI für die vom 1.7.2005 bis 21.11.2016 ausgeübte Beschäftigung bei der Beigeladenen zu 2 hat die Beklagte mit Bescheid vom 17.7.2017
abgelehnt, weil der Antrag nicht innerhalb der gesetzlichen Ausschlussfrist bis zum 1.4.2016 gestellt worden sei.
Mit Urteil vom 13.2.2019 hat das Bayerische LSG das Urteil des SG München vom 12.10.2012 aufgehoben und die Klage gegen den
Bescheid vom 19.5.2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.11.2011 abgewiesen. Die Bescheide seien rechtmäßig. Die
Klägerin könne für ihre Beschäftigung bei der Beigeladenen zu 2 nicht von der gesetzlichen Rentenversicherung befreit werden,
weil diese Tätigkeit keine anwaltliche Tätigkeit darstelle. Der Bescheid vom 17.7.2017 sei nicht gemäß §
96 Abs
1 SGG Gegenstand des anhängigen Verfahrens geworden, weil er den Bescheid vom 19.5.2011 weder ersetze noch abändere. Beide Bescheide
hätten schon aufgrund ihrer unterschiedlichen Statusbezogenheit keine identischen Regelungsgegenstände. Der Bescheid vom 17.7.2017
sei auch nicht im Wege der gewillkürten Klageänderung zulässiger Gegenstand des Berufungsverfahrens geworden. Dessen Rechtmäßigkeit
sei in dem beim SG anhängigen Klageverfahren zu prüfen.
Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil hat die Klägerin Beschwerde beim BSG eingelegt. Sie beruft sich auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§
160 Abs
2 Nr
1 SGG).
II
Die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin ist unzulässig, weil sie nicht formgerecht begründet ist.
Die Revision ist nur zuzulassen, wenn
- die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (§
160 Abs
2 Nr
1 SGG),
- das Urteil von einer Entscheidung des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG abweicht und auf dieser Abweichung beruht (aaO Nr 2) oder
- ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann (aaO Nr 3).
Derartige Gründe werden in der Beschwerdebegründung nicht nach Maßgabe der Erfordernisse des §
160a Abs
2 S 3
SGG dargetan. Die Beschwerde ist daher gemäß §
160a Abs
4 S 1 iVm §
169 SGG zu verwerfen.
Eine Rechtssache hat nur dann grundsätzliche Bedeutung, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die über den Einzelfall hinaus
aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig
ist. Der Beschwerdeführer muss daher anhand des anwendbaren Rechts und unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung
angeben, welche Fragen sich stellen, dass diese noch nicht geklärt sind, weshalb eine Klärung dieser Rechtsfragen aus Gründen
der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine Klärung
erwarten lässt. Ein Beschwerdeführer muss mithin, um seiner Darlegungspflicht zu genügen, eine Rechtsfrage, ihre (abstrakte)
Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende
Bedeutung der von ihm angestrebten Entscheidung (so genannte Breitenwirkung) darlegen (zum Ganzen vgl BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 70 mwN).
Die Klägerin misst folgender Frage grundsätzliche Bedeutung bei:
"Kann der Antrag einer Rechtsanwältin/eines Rechtsanwalts auf Befreiung für eine berufsspezifische anwaltliche Tätigkeit gem.
§
6 SGB VI, für die die Zulassung als Syndikusrechtsanwalt gem. §§ 46, 46a BRAO erteilt worden ist, für die Zeit vor Antragstellung gem. §§ 46, 46a BRAO mit der Begründung abgelehnt werden, es handele sich erst ab dem 1.1.2016 um eine berufsspezifische Tätigkeit und für die
Zeit vorher, trotz gleicher Tätigkeit, um eine nichtanwaltliche Tätigkeit, es sei also von unterschiedlichen Streitgegenständen
auszugehen"?
Der Senat versteht diese Frage unter Berücksichtigung des übrigen Vorbringens der Beschwerdebegründung dahin, dass die Klägerin
eine Klärung der Frage begehrt, ob ein Bescheid, der die rückwirkende Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen
Rentenversicherung als Syndikusrechtsanwältin für eine bestimmte Beschäftigung (gemäß §
231 Abs
4b SGB VI) ablehnt, nach §
96 Abs
1 SGG Gegenstand eines Verfahrens wird, in dem ein Verwaltungsakt angefochten ist, mit dem die Befreiung von der Versicherungspflicht
in der gesetzlichen Rentenversicherung als Rechtsanwältin für dieselbe Beschäftigung (gemäß §
6 Abs
1 S 1 Nr
1 SGB VI) abgelehnt worden ist.
Die Klägerin hat die Klärungsbedürftigkeit der so verstandenen Frage nicht schlüssig dargetan.
Eine Rechtsfrage ist dann nicht klärungsbedürftig, wenn die Antwort praktisch außer Zweifel steht, sich zB unmittelbar aus
dem Gesetz ergibt oder bereits höchstrichterlich geklärt ist. Als höchstrichterlich geklärt ist eine Rechtsfrage auch dann
anzusehen, wenn das Revisionsgericht bzw das BVerfG diese zwar noch nicht ausdrücklich entschieden hat, jedoch schon eine
oder mehrere höchstrichterliche Entscheidungen ergangen sind, die ausreichende Anhaltspunkte zur Beurteilung der von der Beschwerde
als grundsätzlich herausgestellten Rechtsfrage geben (vgl BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 8 S 17). Im Hinblick hierauf muss in der Beschwerdebegründung unter Auswertung der Rechtsprechung des BSG und ggf des BVerfG zu dem Problemkreis substantiiert vorgetragen werden, dass zu diesem Fragenbereich noch keine höchstrichterliche
Entscheidung ergangen oder durch die schon vorliegenden Urteile die hier maßgebende Frage von grundsätzlicher Bedeutung noch
nicht beantwortet ist (Krasney/Udsching/Groth, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 7. Aufl 2016, Kap IX RdNr 183
mwN).
Hieran fehlt es. Die Klägerin geht nicht auf das Urteil des Senats vom 28.6.2018 (B 5 RE 2/17 R - SozR 4-2600 § 6 Nr 17) ein.
In diesem hat der Senat entschieden: In ein anhängiges Streitverfahren über die Befreiung von Patentanwälten von der Rentenversicherungspflicht
aufgrund einer gleichzeitig ausgeübten abhängigen Beschäftigung werden ungeachtet ihres Bezugs auf dasselbe Versicherungsverhältnis
weitere Verwaltungsakte, die im Blick auf den neu erworbenen Status als Syndikuspatentanwalt ergangen sind, nicht kraft Gesetzes
einbezogen. Der Senat hat in dieser Entscheidung seine bereits im Beschluss vom 22.3.2018 (B 5 RE 12/17 B - Juris) vertretene
Rechtsansicht bekräftigt und sich mit dem von der Beschwerdebegründung herangezogenen Beitrag von Horn (NJW 2018, 1997, 2000 ff) auseinandergesetzt (vgl Urteil vom 28.6.2018, aaO, RdNr 23).
Zwar kann trotz Beantwortung einer Rechtsfrage durch das BSG deren grundsätzliche Bedeutung fortbestehen. Dies ist insbesondere der Fall, wenn eine bisherige Rechtsprechung erheblicher
Kritik ausgesetzt worden ist oder wenn unabhängig davon neue erhebliche Gesichtspunkte vorgetragen werden (vgl BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 71). Will ein Beschwerdeführer trotz höchstrichterlicher Beantwortung einer Rechtsfrage deren weiterhin bestehende
grundsätzliche Bedeutung geltend machen, obliegt es ihm, substantiiert darzulegen, in welchem Umfang, von welcher Seite und
mit welcher Begründung der Rechtsprechung widersprochen wird bzw inwieweit die Beantwortung der Rechtsfrage nach wie vor umstritten
ist (vgl BSG SozR 1500 § 160 Nr 51 S 52). Diesen Anforderungen genügt die Beschwerdebegründung nicht.
Die Klägerin benennt weder Rechtsprechung noch Literatur, die dem Urteil des Senats vom 28.6.2018 (aaO) entgegengetreten sind.
Sie vertritt allerdings die Rechtsansicht, das BVerfG gehe "erkennbar von einem einheitlichen Streitgegenstand" aus. Dies
ergebe sich insbesondere aus dessen Beschluss vom 19.7.2016 (1 BvR 2584/14 - Juris RdNr 12 bis 14). Abgesehen davon, dass sich dieser Beschluss - ebenso wie der von der Klägerin erwähnte Beschluss
des BVerfG vom 22.7.2016 (1 BvR 2534/14) - angesichts seines Erlasszeitpunkts nicht mit den genannten Entscheidungen des Senats aus dem Jahr 2018 befassen kann,
betreffen die von der Klägerin wiedergegebenen verfassungsgerichtlichen Erwägungen nicht §
96 Abs
1 SGG, sondern verhalten sich ausschließlich zur Auslegung des §
231 Abs
4b S 5
SGB VI.
Ebenso wenig geht die Beschwerdebegründung mit eigenen Überlegungen substantiell auf die Rechtsausführungen des Senats zu
§
96 Abs
1 SGG ein. Insbesondere legt die Klägerin nicht hinreichend dar, dass und warum eine Auslegung des §
96 Abs
1 SGG "aus verfassungsrechtlicher Sicht auch im Hinblick auf Art.
12 Grundgesetz" zu einem anderen Ergebnis führen müsste.
Soweit die Klägerin schließlich andere Entscheidungen des Senats (Urteil vom 7.12.2017 - B 5 RE 10/16 R - BSGE 125, 11 = SozR 4-2600 § 6 Nr 14; Beschluss vom 13.12.2018 - B 5 RE 1/18 B - Juris; Urteil vom 22.3.2018 - B 5 RE 5/16 R - SozR 4-2600
§ 6 Nr 16) anführt, aus denen sie wohl eine Bestätigung ihrer Rechtsauffassung ableitet, legt sie nicht dar, dass sich diese
auch mit dem Anwendungsbereich von §
96 Abs
1 SGG beschäftigen.
Soweit die Klägerin die sachliche Unrichtigkeit der angefochtenen Urteils geltend macht, ist darauf hinzuweisen, dass hierauf
eine Nichtzulassungsbeschwerde ausweislich §
160 Abs
2 Nr
1 bis
3 SGG nicht gestützt werden kann.
Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (vgl §
160a Abs
4 S 2 Halbs 2
SGG).
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 Abs
1 und 4
SGG.