Impfschadensrecht
Ablehnung eines Sachverständigen wegen Besorgnis der Befangenheit
Unverzügliche Geltendmachung
Gründe
I.
Im zugrundeliegenden Hauptsacheverfahren begehrt die Klägerin Versorgung nach dem Impfschadensrecht gemäß §§ 60 ff. Infektionsschutzgesetz (IfSG).
Vorliegend geht es um die Ablehnung des im erstinstanzlichen Verfahren gehörten Sachverständigen Prof. Dr. A. wegen Besorgnis
der Befangenheit durch die Klägerin.
Mit Bescheid vom 16.01.2014 (Widerspruchsbescheid vom 16.05.2014) lehnte der Beklagte den Antrag auf Beschädigtenversorgung
nach dem IfSG ab.
In dem anschließend durchgeführten Klageverfahren vor dem Sozialgericht (SG) Bayreuth erstellte der Facharzt für Mikrobiologie, Virologie und Infektionsepidemiologie Prof. Dr. A. im Auftrag des SG am 01.12.2015 ein Gutachten. Darin kam er zu der Einschätzung, dass bei der Klägerin eine Impfreaktion, die über das übliche
Maß hinausgehe, nicht vorliege. Zu diesem Gutachten teilten die Bevollmächtigten der Klägerin dem SG mit Schreiben vom 15.04.2016 mit, dass die Klägerin das Gutachten des Prof. Dr. A. mittlerweile aus verschiedenen Blickwinkeln
(Erfahrungen einer Selbsthilfegruppe, medizinisch, Selbstrecherchen) betrachten habe können, und beantragten ein Gutachten
gemäß §
109 Sozialgerichtsgesetz (
SGG). Der von der Klägerin benannte Arzt Dr. B. kam im Gutachten vom 19.08.2016 zu der Einschätzung, dass bei der Klägerin eine
immunvermittelte chronisch-inflammatorische demyelinisierende Polyneuropathie/Polyneuritis als Impfschaden vorliege.
Mit Urteil vom 06.12.2016 wies das SG die Klage ab, wogegen die Klägerin am 04.01.2017 beim Bayer. Landessozialgericht (LSG) Berufung einlegte.
Mit Schriftsatz vom 28.03.2017 haben die Bevollmächtigten der Klägerin die Berufung begründet und zudem darauf hingewiesen,
dass die Klägerin den Antrag stelle, den gerichtsärztlichen Sachverständige Prof. Dr. A. nachträglich wegen Besorgnis der
Befangenheit abzulehnen. Begründet worden ist der Befangenheitsantrag damit, dass der Sachverständige von 2007 bis 2011 Mitglied
der Ständigen Impfkommission (STIKO) gewesen sei und im Fachbeirat für "Forum Impfen", welches von vier Impfstoffherstellern
finanziert werde, publiziere. Es liege die Annahme nahe, dass er den Vertrieb von Impfstoffen, u.a. auch den des der Klägerin
verabreichten Impfstoffs, unterstütze und bewerbe und deshalb nicht neutral werte.
II.
Die Ablehnung des Sachverständigen Prof. Dr. A. wegen Besorgnis der Befangenheit durch die Klägerin ist bereits unzulässig.
Der Senat ist zur Entscheidung über das Ablehnungsgesuch nicht zuständig, da der Sachverständige im Berufungsverfahren weder
ernannt noch angehört worden ist.
Gemäß §
406 Abs.
2 und
4 Zivilprozessordnung (
ZPO) i.V.m. §
118 Abs.
1 Satz 1
SGG ist das Gericht, von dem der Sachverständige ernannt worden ist, für die Entscheidung über ein Ablehnungsgesuch zuständig,
also in der Regel das Prozessgericht erster Instanz, auch wenn ein Urteil bereits ergangen und Rechtsmittel eingelegt ist
(so auch OLG Köln, Beschluss vom 15.12.2006 - 22 U 93/06; Bayer. ObLG, Beschluss vom 09.04.1997 - 3Z BR 75/97, 3Z BR 85/97 - m.w.N.; Huber, in: Musielak/Voit,
ZPO, 12. Aufl. 2015, §
406 Rdnrn. 12, 15; Greger, in: Zöller,
ZPO, 31. Aufl. 2016, §
406, Rdnr. 10; Baumbach/Lauterbach/Albers/B.,
ZPO, 74. Aufl. 2016, §
406, Rdnr. 21; a.A. OLG Koblenz, Beschluss vom 07.01.2000 - 1 U 1644/98; OLG Düsseldorf, Urteil vom 05.02.2013 - I-23 U 185/11, 23 U 185/11).
Die Anhängigkeit in der Rechtsmittelinstanz ändert weder die Zuständigkeit des Gerichts, bei dem das Ablehnungsgesuch anzubringen
ist, noch nimmt es diesem die Befugnis zur Entscheidung darüber (§
406 Abs.
4 ZPO i.V.m. §
118 Abs.
1 Satz 1
SGG) (vgl. Beschluss des Senats vom 22.02.2017 - L 20 SF 209/16 AB; OLG Köln, Beschluss vom 15.12.2006 - 22 U 93/06).
Der Vollständigkeit halber weist der Senat auf Folgendes hin:
Selbst dann, wenn entgegen den obigen Ausführungen zur Zuständigkeit und im Widerspruch zu dem Grundsatz, dass nach einer
instanzabschließenden Entscheidung ein Befangenheitsantrag gegen eine Gerichtsperson wegen prozessualer Überholung nicht mehr
gestellt werden kann (vgl. BSG, Urteil vom 27.01.1993 - 6 RKa 2/91, und Beschluss vom 06.06.2007 - B 8 KN 8/07 B; BVerwG, Urteil vom 30.10.1969 - VIII CB 129, 130.67, VIII CB 129.67, VIII CB 130.67; BFH, Beschluss vom 17.08.1989 - VII B 70/89; BGH, Urteil vom 08.02.2001 - III ZR 45/00, und Beschluss vom 11.07.2007 - IV ZB 38/06), von einer inhaltlichen Entscheidungsbefugnis des Senats ausgegangen würde, könnte der Befangenheitsantrag keinen Erfolg
haben. Denn eine für einen zulässigen Befangenheitsantrag erforderliche unverzügliche - jedenfalls nach einem Zeitraum von
einem Monat kann nicht mehr von unverzüglich ausgegangen werden (vgl. Bayer LSG, Beschluss vom 04.07.2016 - L 15 SF 179/16 AB - m.w.N.) - Geltendmachung läge nicht vor. Nach dem klägerischen Vortrag im Schreiben ihrer Bevollmächtigten vom 15.04.2016
hat sich die Klägerin bereits damals umfassend "aus verschiedenen Blickwinkeln (Erfahrungen einer Selbsthilfegruppe, medizinisch,
Selbstrecherchen)" mit dem Gutachten des Prof. Dr. A. beschäftigt. Es spricht daher alles dafür, dass der Klägerin bereits
im April 2016 die Tätigkeit des Sachverständigen in der STIKO und seine Publikationen bekannt waren. Jedenfalls ist von der
Klägerin nicht glaubhaft gemacht worden, dass ihr die jetzt als Befangenheitsgrund geltend gemachten Umstände erst im letzten
Monat vor Stellung des Befangenheitsantrags im klägerischen Schreiben vom 28.03.2017 bekannt geworden wären. Insofern wäre
der Befangenheitsantrag im Schreiben vom 28.03.2017 verschuldet zu spät gestellt worden, was zu seiner Unzulässigkeit führen
würde.
Zudem wäre die Begründung des Befangenheitsantrags auch nicht dazu geeignet, bei einem Beteiligten von seinem Standpunkt aus
vernünftigerweise Bedenken gegen die Unparteilichkeit des Sachverständigen zu wecken (vgl. BVerfG, Beschluss vom 03.03.1966
- 2 BvE 2/64). Die Eigenschaft als gemäß § 20 Abs. 2 Satz 4 IfSG vom Bundesministerium für Gesundheit im Benehmen mit den obersten Landesgesundheitsbehörden berufenes Mitglied in der STIKO
beim Robert-Koch-Institut als einer gemäß § 20 Abs. 2 Satz 1 IfSG vom Gesetzgeber eingerichteten Institution könnte nicht die Besorgnis der Befangenheit begründen. Ebenso könnte aus einer
publizistischen Tätigkeit keine Besorgnis der Befangenheit abgeleitet werden, wenn nicht zusätzliche, eine Voreingenommenheit
auch nur entfernt nahelegende Umstände dargetan sind (vgl. BVerfG, Entscheidung vom 11.10.2011 - 2 BvR 1010/10, 2 BvR 1219/10). Allein die von der Klägerin behauptete Tatsache, dass das Veröffentlichungsmedium auch von Impfstoffherstellen mitfinanziert
werde, würde dafür nicht ausreichen. Die "Annahme" der Klägerin, der von ihr als befangen abgelehnte Sachverständige unterstütze
und bewerbe daher den Vertrieb auch des ihr verabreichten Impfstoffs und sei daher nicht unvoreingenommen, ist als rein spekulative
Unterstellung nicht dazu geeignet, aus der Sicht eines vernünftig denkenden Verfahrensbeteiligten die Unvoreingenommenheit
des Prof. Dr. A. in Frage zu stellen.
Dieser Beschluss ist gemäß §
177 SGG unanfechtbar.