Tatbestand:
Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Anerkennung eines Ereignisses vom 4. April 2005 als Arbeitsunfall und die Gewährung
entsprechender Leistungen hierfür.
Die 1947 geborene Klägerin ist seit Oktober 1982 als Krankenschwester in der Hauskrankenpflege beschäftigt. Am 4. April 2005
hob sie eine schwer behinderte Patientin, die ca. 80 kg wog, von der Toilette in den Rollstuhl. Anschließend verspürte sie
starke Schmerzen in der Brustwirbelsäule.
Im Durchgangsarztbericht des Arztes für Chirurgie Dr. M vom 20. April 2005 wurde die Diagnose eines Verhebetraumas der Brustwirbelsäule
mit Verdacht auf Impressionsfraktur des 8. Brustwirbelkörpers gestellt. Ein am 21. April 2005 durchgeführtes CT nannte als
Ergebnis "am ehesten bereits vorbestehende Deformierung des 8. Brustwirbelkörpers im Rahmen einer Osteoporose, knöcherne Abstützreaktionen,
ein zusätzlich frischer Impressionsfaktor ist jedoch mit Sicherheit nicht auszuschließen", es bestehe kein Hinweis auf Bandscheibenprotrusionen
bzw. einen -prolapsus. Ein am 17. Mai 2005 durchgeführtes MRT ergab eine frische Kompressionsfraktur des 8. Brustwirbelkörpers
mit keilförmiger Deformierung. Es lag keine Gibbusbildung und keine Dorsalverlagerung der Wirbelkörperhinterkante vor. Des
Weiteren fanden sich ein nicht zwingend traumatisch bedingter Bandscheibenprolapsus bei BWK 8/9 bzw. BWK 9/10 ohne Bedrängung
des Myelon, eine vorbestehende Spondylosis deformans der unteren Brustwirbelsäule sowie Residuen eines Morbus Scheuermann.
Die Beklagte gewährte der Klägerin Verletztengeld bis zum 19. August 2005. Die Klägerin war bis zum 22. Oktober 2006 arbeitsunfähig.
Die Beklagte zog ein Vorerkrankungsverzeichnis der zuständigen Krankenkasse bei und veranlasste die Begutachtung der Klägerin
durch den Facharzt für Chirurgie Dr. G, der in seinem Gutachten vom 20. Juni 2005 unter anderem ausführte, die Klägerin habe
am 4. April 2005 ein berufsgenossenschaftlich versichertes Ereignis erlitten, als sie beim Versuch eine Patientin von der
Toilette auf den Rollstuhl zu heben, plötzlich einschießende Schmerzen im Bereich der Brustwirbelsäule verspürt habe. Die
Patientin sei 80 kg schwer und im Bereich der unteren Extremitäten gelähmt gewesen. Im weiteren Verlauf sei bei anhaltenden
Beschwerden die Diagnose einer Fraktur des 8. Brustwirbelkörpers gestellt und ein konservatives Übungsprogramm durchgeführt
worden. Es hätten eine Einschränkung der Beweglichkeit im Bereich der Brustwirbelsäule und Lendenwirbelsäule, ein Zustand
nach Denervierung der Lendenwirbelsäule, eine radiologisch nachweisbare Sinterungsfraktur des 8. Brustwirbelkörpers, eine
radiologisch und kernspintomographisch nachweisbare Osteoporose im Bereich des Achsskelettes und deutliche degenerative Veränderungen
im Bereich der Brustwirbelsäule und der Lendenwirbelsäule als pathologische Befunde festgestellt werden können. Die geklagten
Beschwerden würden mit den erhobenen Befunden übereinstimmen. In der Beurteilung müsse eingeschätzt werden, dass sämtliche
aufgeführten Befunde unfallunabhängig seien. Das Ereignis vom 4. April 2005 sei als Anlassgeschehen zur Entstehung der Sinterungsfraktur
des 8. Brustwirbelkörpers einzuschätzen. Das Ereignis erfülle nicht die Kriterien eines Unfalls. Es habe sich um eine jederzeit
geführte Bewegung gehandelt, die, auch unter Last, keine überraschenden Kraftaufwendungen beinhaltet habe. Durch die unfallunabhängige
Osteoporose sei weiterhin davon auszugehen, dass der gleiche Schaden unter austauschbaren Verrichtungen des alltäglichen Lebens
entstanden wäre.
Nach Auswertung dieses Gutachtens lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 9. September 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 23. Juni 2006 die Anerkennung des Ereignisses vom 4. April 2005 als Arbeitsunfall ab und führte zur Begründung u.a. aus,
Arbeitsunfälle seien Unfälle, die Versicherte infolge einer versicherten Tätigkeit erleiden würden. Ein Arbeitsunfall liege
nicht vor, wenn Gesundheitsschäden während der versicherten Tätigkeit auftreten würden, ohne durch sie verursacht worden zu
sein. Nach dem Gutachten des Dr. G sei die eingeschränkte Beweglichkeit im Bereich der Brustwirbelsäule und der Lendenwirbelsäule
auf bereits bestehende körperliche Veränderungen degenerativer Art zurückzuführen. Der Gesundheitsschaden sei zwar am 4. April
2005 aufgetreten, er stehe aber in keinem ursächlichen Zusammenhang mit dem während der beruflichen Tätigkeit eingetretenen
Ereignis. Derselbe Körperschaden hätte auch bei einer anderen alltäglichen Tätigkeit, also auch ohne die versicherte Tätigkeit,
zu etwa der gleichen Zeit (bzw. in naher Zukunft) und in etwa dem gleichen Ausmaß eintreten können. Die Entscheidung stütze
sich auf das Gutachten des Dr. G vom 20. Juni 2005.
Die anschließende Klage hat das Sozialgericht Berlin mit Gerichtsbescheid vom 26. Februar 2007 abgewiesen. Gegen diesen ihr
am 7. März 2007 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 5. April 2007 Berufung bei dem Landessozialgericht Berlin-Brandenburg
eingelegt und ihr Begehren weiter verfolgt.
Die Klägerin beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 26. Februar 2007 sowie den Bescheid vom 9. September 2005 in der Gestalt
des Widerspruchsbescheides vom 23. Juni 2006 aufzuheben, die Beklagte zu verurteilen, das Ereignis vom 4. April 2005 als Arbeitsunfall
anzuerkennen und ihr Verletztengeld dem Grunde nach für die Zeit vom 04. April 2005 bis zu 03. Oktober 2005 zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verweist auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen erstinstanzlichen Gerichtsbescheides.
Der als Sachverständiger bestellte Facharzt für Orthopädie Dr. hat in seinem Gutachten vom 22. November 2008 unter anderem
ausgeführt, bei der Klägerin lägen ein Zustand nach stabil verheilter Fraktur der Brustwirbelkörper 5 und 8, eine Hyperkyphose
der Brustwirbelsäule, eine Polyarthrose der Finger, ein Verdacht auf einen Kniegelenksverschleiß und ein degeneratives Lendenwirbelsäulensyndrom
vor. Die eingetretene Schadenslage stelle nicht eine Bandscheiben-, sondern eine Wirbelkörperfraktur dar, für die anerkannt
sei, dass beim ruckartigen Anheben eines schweren Gegenstandes durch große Kraftanstrengung in Verbindung mit einer Körpervorneige
ein hohes Biegungsmoment auf die Wirbelkörpervorderkante einwirken könne, so dass ein Unfallmechanismus erkennbar sei. Seiner
Auffassung nach sei das Ereignis vom 4. April 2005 auch adäquat für die Schädigung gewesen. Die präexistente Lage sei durch
entsprechende Diagnostik im Jahre 2005 nicht hinreichend bewiesen worden. Es würden mehr Gründe für den kausalen Zusammenhang
sprechen als gegen ihn. Auch wenn man unterstellen würde, dass tatsächlich trotz anders lautender Knochendichtemessung eine
Osteoporose zum Zeitpunkt des Geschehens vorgelegen habe, sei bei adäquatem Krafteinfluss eine wesentliche Teilursächlichkeit
erkennbar. Er komme zu der Auffassung, dass auch eine mögliche Osteoporose im konkreten Fall keine überragende Bedeutung für
das Eintreten der Fraktur des 8. Wirbelkörpers besessen habe. Im Jahr 2005 sei keine adäquate Diagnostik zum Nachweis einer
tatsächlichen Osteoporose geführt worden. Die im Jahre 2005 eingetretene Fraktur des 8. Brustwirbelkörpers sei ausschließlich
die Folge des Hebevorganges; die erkennbare, keilförmige Deformierung sei somit zu 100% diesem Ereignis zuzuordnen. Die MdE
habe in den ersten sechs Monaten nach dem Geschehen 20 v. H. und anschließend 10 v. H. betragen. Es sei weder zu einer Mitbeteiligung
der Nervenstrukturen noch zu Verheilungsstörungen gekommen. Die vorgetragenen Rückenbeschwerden in diesem Bereich seien nicht
ausschließlich Folge der BWK-8-Sinterung. Es sei davon auszugehen, dass eine Wirbelkörperverdichtung innerhalb der ersten
drei Monate eingetreten sei; für weitere drei Monate sei noch eine erhöhte Schmerzhaftigkeit durch Anpassungsprozesse zu erwarten.
Nachdem die Beklagte vorgetragen hat, der Sachverständige habe die Befunde, die das Vorliegen einer Osteoporose belegen würden,
nicht ausreichend berücksichtigt, hat der Sachverständige Dr. W in einer ergänzenden Stellungnahme vom 23. März 2009 erneut
dargelegt, dass das Vorliegen einer Osteoporose im Jahr 2005 nicht nachgewiesen sei.
Hinsichtlich der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes und des Vorbringens der Beteiligten im übrigen wird auf den Inhalt
der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten (Az. ...) verwiesen, der Gegenstand der mündlichen
Verhandlung war.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin ist zulässig und begründet. Zu Unrecht haben das Sozialgericht
und die Beklagte das Vorliegen eines Arbeitsunfalles verneint. Die Klägerin hat Anspruch auf Gewährung von Verletztengeld.
Die Klägerin hat am 04. April 2005 einen Arbeitsunfall erlitten. Arbeitsunfälle sind Unfälle von Versicherten infolge einer
den Versicherungsschutz nach §§
2,
3,
6 des Siebenten Buches Sozialgesetzbuch begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit;
SGB VII). Unfälle sind zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder
zum Tod führen (§
8 Abs.
1 Satz 2
SGB VII). Für das Vorliegen eines Arbeitsunfalls i. S. des §
8 Abs.
1 Satz 2
SGB VII ist danach in der Regel erforderlich, dass die Verrichtung des Versicherten zur Zeit des Unfalls der versicherten Tätigkeit
zuzurechnen ist (innerer bzw. sachlicher Zusammenhang), dass diese Verrichtung zu dem zeitlich begrenzten von außen auf den
Körper einwirkenden Ereignis - dem Unfallereignis - geführt und das Unfallereignis einen Gesundheits(-erst-)schaden oder den
Tod des Versicherten verursacht (haftungsbegründende Kausalität) hat. Das Entstehen von längerandauernden Unfallfolgen aufgrund
des Gesundheits(-erst-)schadens (haftungsausfüllende Kausalität) ist nicht Voraussetzung für die Anerkennung eines Arbeitsunfalls
(ständige Rechtsprechung, vgl. stellvertretend BSG, Urteile vom 09.05.2006 - B 2 U 1/05 R, B 2 U 40/05 R, B 2 U 26/04 R, zitiert nach Juris).
Dass die als Krankenschwester berufstätige Klägerin bei einer Verrichtung war, die in sachlichem Zusammenhang mit ihrer versicherten
Tätigkeit stand, als sie die schwerbehinderte Patientin anheben wollte und zur gleichen Zeit einen Bruch des 8. Brustwirbelkörpers
erlitt, ist von der Beklagten nicht bestritten worden.
Diese Verrichtung - das Anheben der gelähmten Patientin, um diese von der Toilette in den Rollstuhl zu setzen - hat bei der
Klägerin zu einer zeitlich begrenzten Einwirkung von außen - dem Unfallereignis - geführt. Für das von außen auf den Körper
einwirkende, zeitlich begrenzte Ereignis ist kein besonderes, ungewöhnliches Geschehen erforderlich. Alltägliche Vorgänge
wie Stolpern usw. genügen. Es dient der Abgrenzung zu Gesundheitsschäden aufgrund von inneren Ursachen, wie Herzinfarkt, Kreislaufkollaps
usw., wenn diese während der versicherten Tätigkeit auftreten, sowie zu vorsätzlichen Selbstschädigungen. Ein schlichter Sturz
auf einem versicherten Weg genügt, es sei denn, der Unfall ist infolge einer nichtbetriebsbedingten krankhaften Erscheinung
eingetreten und zur Schwere der Verletzung hat keine Gefahr mitgewirkt, der der Versicherte auf dem Weg ausgesetzt war. Ist
eine innere Ursache nicht feststellbar, liegt ein Arbeitsunfall vor (BSG SozR 2200 § 550 Nr. 35, Urteil vom 29. Februar 1984
- 2 RU 24/83 - sowie zum Dienstunfall: BVerwGE 17, 59, 61 f.). Das Bundessozialgericht (BSGE 62, 220 = SozR 2200 § 589 Nr. 10) hat eine äußere Einwirkung auch angenommen bei einer als außergewöhnliche Anstrengung in einer
betriebsbezogenen Stresssituation zu bewertenden Arbeit (Hausschlachtung) durch den Versicherten, wenn dies zu erheblicher
Atemnot führt, der Versicherte zusammenbricht und innerhalb einer Stunde verstirbt. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts
(BVerwG) zum Dienstunfallrecht hat das Merkmal äußere Einwirkung ebenfalls lediglich den Zweck, äußere Vorgänge von krankhaften
Vorgängen im Inneren des menschlichen Körpers abzugrenzen. Die Annahme einer äußeren Einwirkung scheide nur aus, wenn die
Einwirkung auf Umständen beruhe, für die eine in körperlicher oder seelischer Hinsicht besondere Veranlagung des Betroffenen
oder dessen willentliches Verhalten die wesentliche Ursache war (BVerwGE 17, 59, 61; 35, 133, 134). Die Unfreiwilligkeit der Einwirkung bei dem, den das Geschehen betrifft, ist dem Begriff des Unfalls
immanent, weil ein geplantes, willentliches Herbeiführen einer Einwirkung dem Begriff des Unfalls widerspricht (BSGE 61, 113, 115 = SozR 2200 § 1252 Nr. 6 S 20). Hiervon zu unterscheiden sind jedoch die Fälle eines gewollten Handelns mit einer ungewollten
Einwirkung, bei dieser liegt eine äußere Einwirkung vor (Keller in: Hauck, Sozialgesetzbuch,
SGB VII Gesetzliche Unfallversicherung, Stand Januar 2005, §
8 RdNr. 14). Dies ist für äußerlich sichtbare Einwirkungen unbestritten, z. B. für den Sägewerker, der nicht nur ein Stück
Holz absägt, sondern auch unbeabsichtigt seinen Daumen. Gleiches gilt für äußere Einwirkungen, deren Folgen äußerlich nicht
sichtbar sind.
Schon die Einwirkung selbst kann, muss aber nicht sichtbar sein, z. B. radioaktive Strahlen oder elektromagnetische Wellen
(vgl. BSG SozR 2200 § 548 Nr. 56: Störung eines Herzschrittmachers durch Kurzwellen eines elektrischen Geräts). Ggf. genügt
sogar eine starke Sonneneinstrahlung, die von außen mittelbar zu einem Kreislaufkollaps führt, der dann als Arbeitsunfall
anzuerkennen ist. Auch eine geistig-seelische Einwirkung kann genügen (BSGE 18, 173, 175 = SozR Nr. 61 zu § 542
RVO; BSG Urteil vom 2. Februar 1999 - B 2 U 6/98 R, VersR 2000, 789). In der Entscheidung vom 2. Mai 2001 (- B 2 U 18/00 R - HVBG-Info 2001, 1713) hat das Bundessozialgericht bei einem körperlich anstrengenden Heben einer Bohrsonde, während dessen der
Versicherte auf einmal einen Schmerz im Halsbereich verspürte, eine Einwirkung angenommen, aber den Ursachenzusammenhang mit
der anschließenden auftretenden Subarachnoidalblutung verneint, weil diese durch eine angeborene Gefäßmissbildung und nicht
eine traumatische Einwirkung verursacht worden sei.
Für die Prüfung der Voraussetzungen eines Arbeitsunfalls bedeutet dies, dass für die äußere Einwirkung nicht ein äußerliches,
mit den Augen zu sehendes Geschehen zu fordern ist. Ob eine und welche äußere Einwirkung vorlag, ist in solchen Fällen ggf.
nicht ohne die eigentlich erst in einem weiteren Schritt zu prüfende Ursachenbeurteilung festzustellen. Die äußere Einwirkung
liegt - z. B. im vorliegenden Fall - in der (unsichtbaren) Kraft, die die 80 kg schwere und schwer behinderte - nämlich gelähmte
- Patientin der Versicherten entgegensetzte. Die Versicherte, die auf ausdrückliche oder stillschweigende Anordnung ihres
Arbeitgebers zur Ausübung ihrer versicherten Tätigkeit eine derartige Kraftanstrengung unternimmt und - den Ursachenzusammenhang
nach der Theorie der wesentlichen Bedingung unterstellt - dabei einen Gesundheitsschaden erleidet, steht unter dem Schutz
der gesetzlichen Unfallversicherung. Denn der Gesundheitsschaden ist durch die versicherte Tätigkeit verursacht worden und
ihr zuzurechnen. Dementsprechend führte das beabsichtigte Anheben der gelähmten Patientin und die damit einhergehende Kraftanstrengung
aufgrund der mit ihr verbundenen Gegenkräfte zu einer zeitlich begrenzten, äußeren Einwirkung auf bestimmte Teile bzw. Organe
des Körpers der Klägerin. (Vgl. zum Anheben eines Steines: BSG, Urteil vom 12. April 2005, Az. B 2 U 27/04 R, zitiert nach Juris)
Das in dieser zeitlich begrenzten, äußeren Krafteinwirkung bei dem Anhebeversuch liegende Unfallereignis war zumindest eine
wesentliche Mitursache für die Sinterungsfraktur des 8. Brustwirbelkörpers der Klägerin (haftungsbegründende Kausalität).
Für die haftungsbegründende Kausalität zwischen Unfallereignis und Gesundheitsschaden gilt die Theorie der wesentlichen Bedingung.
Diese setzt zunächst einen naturwissenschaftlichen Ursachenzusammenhang zwischen dem Unfallereignis und dem Gesundheitsschaden
voraus und in einem zweiten wertenden Schritt, dass das versicherte Unfallereignis für den Gesundheitsschaden wesentlich war.
Denn als im Sinne des Sozialrechts ursächlich und rechtserheblich werden nur solche Ursachen angesehen, die wegen ihrer besonderen
Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt haben (ständige Rechtsprechung: BSGE 1, 72, 76; 1, 150, 156 f.; BSG SozR 3-2200 § 548 Nr. 13). Gab es neben der versicherten Ursache noch konkurrierende Ursachen, z.
B. Krankheitsanlagen, so war die versicherte Ursache wesentlich, solange die unversicherte Ursache nicht von überragender
Bedeutung war (BSG SozR Nr. 6 zu § 589
RVO, SozR Nr. 69 zu § 542
RVO a. F.). Eine Krankheitsanlage war von überragender Bedeutung, wenn sie so stark oder so leicht ansprechbar war, dass die
(naturwissenschaftliche) Verursachung akuter Erscheinungen nicht besonderer, in ihrer Art unersetzlicher äußerer Einwirkungen
bedurfte, sondern jedes alltäglich vorkommende Ereignis zu derselben Zeit die Erscheinungen verursacht hätte (BSGE 62, 220, 222 f. = SozR 2200 § 589 Nr. 10 S 30). War die Krankheitsanlage von überragender Bedeutung, so ist die versicherte naturwissenschaftliche
Ursache nicht als wesentlich anzusehen und scheidet als Ursache nach der Theorie der wesentlichen Bedingung und im Sinne des
Sozialrechts aus; sie ist dann bloß eine so genannte Gelegenheitsursache (BSG aaO.; SozR 2200 § 548 Nr. 75).
Unter Beachtung dieser Grundsätze hat der Sachverständige Dr. W für den Senat überzeugend und nachvollziehbar dargelegt, dass
die durch das Anheben der 80 kg schweren und gelähmten Patientin und die damit einhergehende körperliche Anstrengung der Klägerin
verursachte Krafteinwirkung als rechtlich wesentliche Ursache für die Fraktur des 8. Brustwirbelkörpers angesehen werden muss.
Die jetzt erkennbare, keilförmige Deformierung ist damit vollständig diesem Ereignis zuzuordnen. Zutreffend hat der Sachverständige
weiter ausgeführt, dass selbst wenn eine Vorschädigung der Wirbelsäule in Form einer Osteoporose angenommen werden sollte,
in Abwägung zwischen dieser Vorschädigung und der Einwirkung durch die körperliche Anstrengung, der Osteoporose keine überragende
Bedeutung zugemessen werden könnte. In seiner ergänzenden Stellungnahme vom 23. März 2009 hat er zudem darauf hingewiesen,
dass auch die Beklagte nicht von dem Vorliegen einer Osteoporose, sondern von dem Vorliegen einer Osteopenie, also der Abnahme
von Knochengewebe ausgegangen ist. Diese Osteopenie ist jedoch nach den überzeugenden Darlegungen des Sachverständigen nicht
als Vorstufe einer Osteoporose zu werten, sondern stellt lediglich einen physiologischen Alterungsprozess dar und gerade keine
selektive Abnahme der Kalziumphosphate im Knochengewebe. Eine Osteopenie stellt daher auch keine erhöhte Frakturgefährdung
dar, so dass die von der Beklagten genannte innere Ursache bei der Klägerin gerade nicht vorliegt.
Auch die haftungsausfüllende Kausalität zwischen dem Bruch des 8. Brustwirbelkörpers und den anschließenden Schmerzen ist
gegeben, so dass die Klägerin dem Grunde nach Ansprüche auf Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung wegen des Arbeitsunfalles
vom 04. April 2005 hat.
Die Klägerin hat auf Grund des Arbeitsunfalles vom 04. April 2005 bis 03. Oktober 2005 einen Anspruch auf Gewährung von Verletztengeld.
Anspruchsgrundlage hierfür ist §
45 SGB VII. Danach wird Versicherten, die infolge eines Versicherungsfalles arbeitsunfähig sind, Verletztengeld erbracht. Maßgeblicher
Versicherungsfall ist vorliegend das Ereignis vom 04. April 2005, das einen Arbeitsunfall darstellt. Die Klägerin war infolge
des Bruches des 8. Brustwirbelkörpers ab 04. April 2005 arbeitsunfähig, so dass sie einen Anspruch auf die Gewährung von Verletztengeld
hat. Dieser Anspruch endete nach Ablauf von sechs Monaten, da die darüber hinaus vorliegenden, auf den Unfall zurückzuführenden
Funktionsstörungen nur noch geringfügig sind. Es ist nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen Dr. W davon
auszugehen, dass eine Wirbelkörperverdichtung innerhalb der ersten drei Monate eintritt und noch für weitere drei Monate eine
erhöhte Schmerzhaftigkeit durch Anpassungsprozesse zu erwarten ist. Die nun noch vorgetragenen Rückenbeschwerden in diesem
Bereich sind nicht ausschließlich Folge der BWK-8-Sinterung. Es ließen sich vielmehr bereits zum Unfallzeitpunkt deutliche
spondylarthrotische und spondylitische Abnutzungserscheinungen nachweisen, welche ebenfalls verantwortlich für regionale Schmerzen
sein können. Die unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit endet daher am 03. Oktober 2005.
Nach alledem ist die Berufung begründet.
Die Kostenentscheidung findet ihre Grundlage in §
193 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) und trägt dem Ausgang des Verfahrens Rechnung. Dabei war zu berücksichtigen, dass die Klägerin zunächst nur Leistungen dem
Grunde nach beantragt hat. Zu etwas anderem war sie zunächst auch gar nicht in der Lage, da weder die Beklagte noch das Sozialgericht
Ermittlungen zu den Unfallfolgen angestellt hatten, weil sie bereits den Versicherungsfall des Arbeitsunfalles als nicht gegeben
angesehen haben. Da die Klägerin nach Vorliegen des Ermittlungsergebnisses ihren Antrag sachgerecht beschränkt hat, war die
Beklagte zur vollen Kostentragung zu verpflichten.
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil keiner der in §
160 Abs.
2 Nrn. 1 und 2
SGG bezeichneten Gründe vorliegt.