Gründe:
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 11. Januar 2017 ist gemäß §§
172 Abs.
1,
173 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) zulässig und in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang auch unbegründet. Die sozialgerichtliche Ablehnung des Antrags der
Antragstellerin auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes durch die Verpflichtung der Antragsgegnerin zur zuzahlungsfreien
Versorgung mit den im Tenor genannten Hörgeräten als Sachleistung ist nach dem neuen Vorbringen der Beteiligten im Beschwerdeverfahren
nicht aufrechtzuerhalten.
1.) Die Antragstellerin hat für ihr Begehren im Beschwerdeverfahren einen Anordnungsanspruch mit der für das einstweilige
Rechtsschutzverfahren erforderlichen Wahrscheinlichkeit glaubhaft gemacht (vgl. §
86b Abs.
2 Sätze 2 und 4
SGG i.V.m. §
920 Abs.
2 Zivilprozessordnung).
a) Nach §
33 Sozialgesetzbuch/Fünftes Buch (
SGB V) haben Versicherte Anspruch auf Versorgung mit Hörhilfen, Körperersatzstücken, orthopädischen und anderen Hilfsmitteln, die
im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern, einer drohenden Behinderung vorzubeugen oder
eine Behinderung auszugleichen. Wie in allen anderen Bereichen der Leistungsgewährung der gesetzlichen Krankenversicherung
auch müssen die Leistungen nach §
33 SGB V ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein; sie dürfen das Maß des Notwendigen nicht überschreiten. Leistungen, die
nicht notwendig oder unwirtschaftlich sind, können Versicherte nicht beanspruchen, dürfen die Leistungserbringer nicht bewirken
und die Krankenkassen nicht bewilligen (§
12 Abs.
1 SGB V).
b) Da mit den Hörgeräten der Ausgleich der Behinderung erfolgen soll, indem die bei der Antragstellerin eingeschränkte Hörfähigkeit
künstlich verbessert wird, hat die Prüfung des Anspruchs anhand des §
33 Abs.
1 Satz 1, dritte Alternative
SGB V zu erfolgen. Im Vordergrund steht daher der Ausgleich der ausgefallenen oder beeinträchtigten Körperfunktion selbst. Bei
diesem unmittelbaren Behinderungsausgleich gilt das Gebot eines möglichst weitgehenden Ausgleichs des Funktionsdefizits, und
zwar unter Berücksichtigung des aktuellen Stands des medizinischen und technischen Fortschritts. Die gesonderte Prüfung, ob
ein allgemeines Grundbedürfnis des täglichen Lebens betroffen ist, entfällt, weil sich die unmittelbar auszugleichende Funktionsbeeinträchtigung
selbst immer schon auf ein Grundbedürfnis bezieht; die Erhaltung bzw. Wiederherstellung einer Körperfunktion ist als solche
ein Grundbedürfnis. Dabei kann die Versorgung mit einem fortschrittlichen, technisch weiterentwickelten Hilfsmittel nicht
mit der Begründung abgelehnt werden, der bisher erreichte Versorgungsstandard sei ausreichend, solange ein Ausgleich der Behinderung
nicht vollständig im Sinne des Gleichziehens mit einem nicht behinderten Menschen erreicht ist. Die Wirtschaftlichkeit eines
dem unmittelbaren Behinderungsausgleich dienenden Hilfsmittels ist grundsätzlich zu unterstellen und erst zu prüfen, wenn
zwei tatsächlich gleichwertige, aber unterschiedlich teure Hilfsmittel zur Wahl stehen (vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom
25. Juni 2009, B 3 KR 2/08 R juris, dort RdNr. 18 [Badeprothese]; Urteil vom 16. September 2004, B 3 KR 20/04 R, juris, dort RdNr. 12 ff. [C-Leg], Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, 9. Senat, Urteil vom 09. März 2011, L 9 KR 152/08, juris; Beschluss vom 13. August 2014, L 9 KR 132/14 B ER, juris). Teil des von den Krankenkassen nach §
33 Abs.
1 Satz 1
SGB V geschuldeten - möglichst vollständigen - Behinderungsausgleichs ist es in diesem Sinne, hörbehinderten Menschen im Rahmen
des Möglichen auch das Hören und Verstehen in größeren Räumen und bei störenden Umgebungsgeräuschen zu eröffnen und ihnen
die dazu nach dem Stand der Hörgerätetechnik (§
2 Abs.
1 Satz 3
SGB V) jeweils erforderlichen Geräte zur Verfügung zu stellen (BSG, Urteil vom 24. Januar 2013 - B 3 KR 5/12 R -BSGE 113, 40-60, SozR 4-3250 § 14 Nr. 19).
c) Mit einer stattgebenden Entscheidung des Senats ist regelmäßig eine endgültige Vorwegnahme der Hauptsache verbunden, weil
der von der Antragstellerin geltend gemachte Anspruch nicht nur in vollem Umfang erfüllt wird, sondern die einstweilige Versorgung
für die Antragsgegnerin auch nicht ohne eine erhebliche Kostenbelastung rückgängig zu machen ist. Denn die von der Antragsgegnerin
zu finanzierenden Hörgeräte können im Falle des Unterliegens der Antragstellerin im Hauptsacheverfahren nicht mehr für andere
Versicherte verwendet werden. Die Antragsgegnerin wäre deshalb in diesem Fall auf den Weg des Schadensersatzes nach §
935 ZPO verwiesen, der bei teuren Hilfsmitteln wie Hörgeräten gegenüber einer Bezieherin von Arbeitslosengeld II wie im vorliegenden
Fall nur schwer durchzusetzen wäre. Deshalb sind an das Vorliegen der oben genannten Voraussetzungen für den Behinderungsausgleich
als Voraussetzungen eines Anordnungsanspruchs im einstweiligen Verfahren die gleichen Anforderungen zu stellen wie für einen
Anspruch in einem Hauptsacheverfahren, zumal die Antragstellerin bei einer stattgebenden einstweiligen Entscheidung an der
Durchführung eines solchen Hauptsacheverfahrens wegen der vollen Vorwegnahme der Hauptsache kein Interesse mehr haben dürfte,
so dass eine endgültige Klärung der zwischen den Beteiligten streitigen Rechtsfrage für die Antragsgegnerin nur schwer zu
erlangen wäre.
3.) Auch unter Berücksichtigung dieser Grundsätze steht der Antragstellerin hier im Hinblick auf die dem Senat im Beschwerdeverfahren
vorgelegten neuen medizinischen Erkenntnisse im Gegensatz zu den bisher vom Senat im vorläufigen Rechtsschutzverfahren entschiedenen
Fällen (vgl. die Beschlüsse vom 11. November 2014 - L 9 KR 323/14 B ER -, sowie vom 21. Dezember 2016 - L 9 KR 473/16 B ER -, juris) abweichend vom Regelfall ausnahmsweise ein Anspruch auf die Versorgung mit dem begehrten Hilfsmittel zu. Denn
die Antragstellerin hat durch die Stellungnahme des Leiters Audiologie der Klinik für Hals-Nasen- und Ohrenheilkunde, Kopf-
und Halschirurgie des V Klinikums im F vom 17. Februar 2017 nachweisen können, dass das zum Festbetrag erhältliche Hörgerätesystem
Audio Service Volta HP, für das die Antragsgegnerin die Kosten übernehmen würde, gegenüber dem von der Antragstellerin gewählten
Hörgerätesystem Super 440 VSD Widex in der vergleichenden Messung signifikant schlechtere Ergebnisse im Sprachverstehen zeigt.
Darüber hinaus ermöglicht das von der Antragstellerin gewählte Hörgerätesystem in Kombination mit der bei ihr vorhandenen
Cochlea-Implantatversorgung eine deutlich bessere offene Sprachkommunikation als das Festbetragsgerät. Im Einzelnen gibt der
Audiologe für das Festbetragsgerät das Einsilberverstehen mit 65 dB binaural im Freifeld mit 70%, Einsilberverstehen mit 65
dB im 60 dB Störlärm im Freifeld mit 15% und den Oldenburger Satztest adaptiv im Störschall mit 6,6 dB an. Das von der Antragstellerin
gewählte Gerät ermöglicht ihr hingegen nach den Messungen des Audiologen ein Einsilberverstehen mit 65 dB binaural im Freifeld
mit 90%, ein Einsilberverstehen mit 65 dB im 60 dB Störlärm im Freifeld mit 40% und im Oldenburger Satztest adaptiv im Störschall
-0,3 dB. Die vom Gericht hierzu veranlasste Stellungnahme des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung Berlin-Brandenburg
- MDK - (Frau Dr. M) vom 24. April 2017 teilt die Auffassung des von der Antragstellerin eingeschalteten Audiologen, dass
die Messung für das von der Antragstellerin gewählte Gerät ein signifikant besseres Sprachverstehen in Ruhe und im Störgeräusch
im Freiburger Einsilbertest ergeben habe. Auch der Oldenburger Satztest belege adaptiv gemessen eine signifikante Steigerung
des Sprachverstehens im Störalarm. Der MDK kommt deshalb zu der zusammenfassenden Bewertung, dass die Messreihe damit geeignet
sei, eine zweckmäßige Versorgung mit dem von der Antragstellerin gewählten Hörgerät und "einen wesentlichen Gebrauchsvorteil
gegenüber dem vergleichend getesteten Festbetragsgerät zu belegen". Damit sind die Voraussetzungen, nach der Rechtsprechung
des BSG und des Senats zur Versorgung mit Hörgeräten als Sachleistung ohne Beschränkung auf den Festbetrag erfüllt.
4.) Soweit der MDK diese Voraussetzungen trotz seiner medizinischen Einschätzung mit der Begründung verneint, dass nicht belegt
sei, dass die Antragstellerin angesichts von mehr als 300 Hörhilfen für die bei ihr festgestellte Schwerhörigkeit einzig mit
dem von ihr gewählten Gerät zweckmäßig und damit festbetragsübersteigend versorgt werden könne, ist dem nicht zu folgen. Es
ist nämlich Aufgabe der Antragsgegnerin und des diese beratenden MDK in Fällen wie dem vorliegenden, eine oder auch mehrere
andere Festbetragsgeräte zu benennen, mit denen die Antragstellerin gleich gut wie mit dem von ihr gewählten System versorgt
werden könnte. Verzichtet die Antragsgegnerin unter Verstoß gegen §
14 Sozialgesetzbuch/Erstes Buch (
SGB I) auf eine solche Benennung preiswerterer Geräte und überlässt dem Hörgeräteakustiker die Auswahl der Vergleichsgeräte, ist
sie in gerichtlichen Verfahren mit dem Einwand ausgeschlossen, die Zweckmäßigkeit des gewählten Geräts sei nicht erwiesen.
Denn die Festbetragsregelung im Hilfsmittelbereich enthebt die Krankenkassen nicht von ihrer Pflicht, im Rahmen der Sachleistungsverantwortung
für die ausreichende Versorgung der Versicherten Sorge zu tragen. Hieraus können gesteigerte Obhuts- und Informationspflichten
erwachsen, wenn - wie bei der Versorgung mit Hörgeräten - der notwendige Überblick über die Marktlage, die durch ein hohes
Maß an Intransparenz gekennzeichnet ist, und geeignete Angebote auch bei zumutbarer Anstrengung für Versicherte schwierig
zu erlangen sind (vgl. hierzu Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 19. April 2016 - L 13 R 5102/13 -, juris). Verletzt die Krankenkasse diese Pflichten, trägt sie und nicht der Versicherte die materielle Beweislast dafür,
dass der Versicherte mit einem Festbetragsgerät gleich gut wie mit dem von ihm gewählten Gerät versorgt werden könnte.
Einwände gegen die Relevanz des Freiburger Sprachtests, wie sie die Antragsgenerin schließlich im Beschwerdeverfahren erhoben
hat, sind nach § 21 Abs. 2 ff der Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses über die Verordnung von Hilfsmitteln in der
vertragsärztlichen Versorgung (Hilfsmittel-Richtlinie/HilfsM-RL), die die Antragsgegnerin gemäß §
91 Abs.
6 SGB V normativ bindet, ausgeschlossen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG und folgt dem Ausgang des Verfahrens selbst.
Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§
177 SGG).