Parallelentscheidung zu BSG - B 14 AS 177/16 B - v. 24.05.2017
Gründe:
Der Klägerin ist Wiedereinsetzung in die Beschwerde- und Beschwerdebegründungsfrist zu gewähren (vgl §
67 SGG) wegen ihrer fristgerechten Stellung eines PKH-Antrags und der fristgerechten Beschwerdeeinlegung und -begründung ihrer Prozessbevollmächtigten
nach der Bewilligung der PKH durch den Senat.
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Beschluss des LSG ist zulässig und im Sinne der Aufhebung
und Zurückverweisung begründet (§
160a Abs
5 iVm §
160 Abs
2 Nr
3 SGG), soweit sie als Verfahrensmangel rügt, dass das LSG ihre Berufung durch Beschluss nach §
158 SGG wegen Nichteinhaltung der Monatsfrist als unzulässig verworfen habe, obwohl sie diese eingehalten habe ("Prozessurteil statt
Sachurteil"; vgl dazu nur BSGE 1, 283, 285 ff; BSGE 2, 245, 252 ff; BSGE 15, 169, 172; letztens etwa BSG vom 4.6.2014 - B 14 AS 73/13 B - juris).
Ein Prozessurteil darf nicht ergehen, wenn seine Voraussetzungen nicht vorliegen, da es sich bei einem Prozessurteil um eine
qualitativ andere Entscheidung gegenüber einem Sachurteil handelt. Hiergegen hat das LSG verstoßen, indem es die Berufung
der Klägerin wegen Nichteinhaltung der Monatsfrist nach §
151 Abs
1 SGG als unzulässig verworfen hat, weil bis zum Fristablauf weder ein von der Klägerin unterschriebener Berufungsschriftsatz noch
ein Berufungsschriftsatz mit qualifizierter elektronischer Signatur beim LSG eingegangen sei. Indes hat die Klägerin schon
vor Ablauf der einmonatigen Berufungsfrist schriftlich Berufung gegen das ihr am 28.3.2015 zugestellte Urteil des SG eingelegt. Denn sie hat Berufung nicht nur in elektronischer Form am 27.4.2015, sondern auch mit Telefax am 28.4.2015 (Blatt
39 f der Gerichtsakte S 6 AS 805/14; L 6 AS 258/15) eingelegt. Auf die Frage der Einhaltung der Anforderungen des §
65a SGG für Berufungen in elektronischer Form, auf die das LSG seine Entscheidung gestützt hat, kommt es deshalb nicht allein maßgeblich
an.
Der Wirksamkeit der - vom LSG in der angefochtenen Entscheidung nicht erwähnten - Berufungseinlegung mit Telefax steht es
nicht entgegen, dass das Faxschreiben von der Klägerin nicht unterschrieben war. Zwar erfordert die Schriftform der Berufung
iS des §
151 Abs
1 SGG grundsätzlich eine eigenhändige Unterschrift (vgl BSG vom 30.1.2002 - B 5 RJ 10/01 R - SozR 3-1500 § 67 Nr 21 RdNr 15). Doch ist in der Rechtsprechung des BSG anerkannt, dass dieses Schriftformerfordernis ausnahmsweise auch dann erfüllt sein kann, wenn die Berufungsschrift zwar keine
eigenhändige Unterschrift enthält, aber sich aus anderen Anhaltspunkten eine der Unterschrift vergleichbare Gewähr für die
Urheberschaft und den Willen, das Schreiben in den Rechtsverkehr zu bringen, hinreichend sicher, dh ohne die Notwendigkeit
einer Klärung durch Beweiserhebung, ergibt (vgl letztens etwa BSG vom 30.3.2015 - B 12 KR 102/13 B - juris, RdNr 8 mwN).
Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Denn die Urheberschaft der Klägerin lässt sich dem Umstand entnehmen, dass ihr am 28.4.2015
beim LSG eingegangenes Telefax vom 27.4.2015 mit dem Betreff "Berufung" die postalische Anschrift der Klägerin enthält und
die mit diesem Fax eingelegte Berufung mit dem Namen der Klägerin abschließt. Zudem hat sie - neben anderen - das richtige
Aktenzeichen des angefochtenen SG-Urteils ("S 6 AS 810/14") mitgeteilt. Die Faxkennung weist als Absender "C." mit der Nummer "+49 ..." aus, und damit ausweislich einer Internetrecherche
ein Unternehmen in E., dem Wohnort der Klägerin. Dass die Klägerin Berufung einlegen wollte, ergibt sich schließlich auch
aus ihrer elektronisch übermittelten Berufung vom 27.4.2015, auf die in dem am 28.4.2015 eingegangenen Telefax vom 27.4.2015
Bezug genommen worden ist. Diese Umstände schließen es aus, dass das an das LSG gerichtete Telefax von der Klägerin nur unbewusst
oder versehentlich in den Verkehr gebracht wurde.
Der Senat macht von der durch §
160a Abs
5 SGG eröffneten Möglichkeit Gebrauch, den angefochtenen Beschluss wegen des vorliegenden Verfahrensmangels aufzuheben und die
Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen, weil für eine abschließende Entscheidung Tatsachenfeststellungen
notwendig sind. Dieser bedarf es zunächst zur Höhe des Werts des Beschwerdegegenstandes nach Maßgabe von §
144 Abs
1 SGG, damit das LSG über die Statthaftigkeit der Berufung befinden kann; zum Zeitpunkt der Entscheidung des Senats kann die Statthaftigkeit
der Berufung und damit die Entscheidungserheblichkeit des vorliegenden Verfahrensmangels des LSG angesichts des Vorbringens
der Klägerin zu ihren Klagebegehren nicht ausgeschlossen werden. Bei statthafter und auch im Übrigen zulässiger Berufung wird
durch das LSG aufgrund von Tatsachenfeststellungen in der Sache zu entscheiden sein.
Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens bleibt der Entscheidung des LSG vorbehalten.