Pflegeversicherung
Grundsatzrüge
Klärungsbedürftige und klärungsfähige Rechtsfrage
Genügen der Darlegungspflicht
1. Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache i.S. des §
160 Abs.
2 Nr.
1 SGG nur dann, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die - über den Einzelfall hinaus - aus Gründen der Rechtseinheit oder Fortbildung
des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist.
2. Der Beschwerdeführer muss anhand des anwendbaren Rechts und unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung
aufzeigen, welche Fragen sich stellen, dass diese noch nicht geklärt sind, weshalb eine Klärung dieser Rechtsfragen aus Gründen
der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine solche
Klärung erwarten lässt.
3. Um seiner Darlegungspflicht zu genügen, muss ein Beschwerdeführer mithin eine Rechtsfrage, ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit,
ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von
ihm angestrebten Entscheidung (sog. Breitenwirkung) darlegen.
4. Die Klärungsbedürftigkeit wird grundsätzlich nicht schon dadurch hinreichend dargelegt, dass eine (nur) mögliche Gesetzesauslegung
dargestellt wird.
5. Erforderlich ist vielmehr ein Eingehen auf die einschlägige Rechtsprechung und eine Auseinandersetzung hiermit sowie mit
den heranzuziehenden Normen.
Gründe:
I. Der 1939 geborene ua an einer spinozerebellären Ataxie leidende Kläger erhielt seit 1.6.2011 Pflegegeld nach der Pflegestufe
I und begehrt stattdessen Leistungen nach der Pflegestufe II. Die Beklagte holte zwei Gutachten des Medizinischen Dienstes
der Krankenversicherung (MDK) ein. In dem ersten war ein Pflegebedarf im Bereich der Grundpflege von 25 Minuten täglich festgestellt;
in dem anderen, auf dessen Grundlage sie Pflegegeld nach der Pflegestufe I bewilligte, ein Grundpflegebedarf von 101 Minuten
täglich. Im Klageverfahren hat das SG ein Gutachten eingeholt, in dem der Zeitaufwand für die Grundpflege mit 82 Minuten täglich angegeben wurde. Auf Antrag des
Klägers hat es ein weiteres Gutachten eingeholt, nach welchem für die Grundpflege 213 Minuten täglich erforderlich seien.
Vor diesem Hintergrund hat es die Klage abgewiesen (Urteil vom 1.8.2014). Im Berufungsverfahren ließ die Beklagte ein weiteres
Gutachten des MDK erstellen, nach dem mit hoher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen sei, dass die Anforderungen der Pflegestufe
II beim Kläger seit März 2013 erfüllt seien. In der mündlichen Verhandlung am 5.2.2015 schlossen der anwaltlich vertretene
Kläger und die Beklagte einen Vergleich, der die Beklagte verpflichtete, Leistungen der Pflegestufe II ab 1.11.2012 zu gewähren
und erklärten den Rechtsstreit für erledigt. Das Sitzungsprotokoll enthält keinen Vermerk darüber, ob der Vergleich vorgelesen
und genehmigt wurde.
Nachdem der Kläger diesen Vergleich mit Schriftsatz vom 18.7.2016 widerrufen und seine Rechtswirksamkeit in Frage gestellt
hatte, setzte das LSG das Verfahren fort und wies die Beteiligten in der mündlichen Verhandlung vom 15.12.2016 darauf hin,
dass bei einer Fortsetzung des Verfahrens und Entscheidung der Sache die Beteiligten ggf auch ungünstiger gestellt sein könnten
als bei einem Festhalten an dem Vergleich. Im Urteil vom selben Tag stellte es fest, dass das Berufungsverfahren durch den
Vergleich vom 5.2.2015 nicht beendet worden sei und verurteilte die Beklagte unter Abänderung des Urteils des SG Speyer sowie
der entgegenstehenden Bescheide der Beklagten, dem Kläger Leistungen der Pflegeversicherung nach der Pflegestufe II ab 1.3.2013
zu gewähren. Im Übrigen wies es die Berufung zurück.
Gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG hat der Kläger Beschwerde eingelegt. Er beruft sich auf die grundsätzliche
Bedeutung der Rechtssache und einen Verfahrensmangel (§
160 Abs
2 Nr
1 und
3 SGG).
II. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig, weil der Kläger die geltend gemachten Zulassungsgründe der grundsätzlichen
Bedeutung und des Verfahrensmangels nicht formgerecht aufgezeigt hat (§
160a Abs
2 S 3
SGG). Die Verwerfung der unzulässigen Beschwerde erfolgt gemäß §
160a Abs
4 S 1 Halbs 2 iVm §
169 S 2 und 3
SGG durch Beschluss ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter.
1. Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache iS des §
160 Abs
2 Nr
1 SGG nur dann, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die - über den Einzelfall hinaus - aus Gründen der Rechtseinheit oder Fortbildung
des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Der Beschwerdeführer muss anhand des anwendbaren
Rechts und unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung aufzeigen, welche Fragen sich stellen, dass diese
noch nicht geklärt sind, weshalb eine Klärung dieser Rechtsfragen aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts
erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine solche Klärung erwarten lässt (vgl BSG SozR 1500 § 160 Nr 17 und § 160a Nr 7, 11, 13, 31, 39, 59, 65).
Um seiner Darlegungspflicht zu genügen, muss ein Beschwerdeführer mithin eine Rechtsfrage, ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit,
ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von
ihm angestrebten Entscheidung (sog Breitenwirkung) darlegen (vgl BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 70 mwN).
Der Kläger hält folgende Frage für grundsätzlich bedeutsam:
"Ist eine nicht erwerbsmäßig tätige Pflegeperson im Rahmen eines Klageverfahrens bezüglich der Feststellung der Pflegestufe
nach §
75 Abs.
2 SGG notwendig beizuladen."
Nach §
75 Abs
2 Alt 1
SGG sind Dritte notwendig beizuladen, wenn sie an dem streitigen Rechtsverhältnis derart beteiligt sind, dass die Entscheidung
auch ihnen gegenüber nur einheitlich ergehen kann. Der Kläger hat die Klärungsbedürftigkeit der Frage, ob eine nicht erwerbsmäßig
tätige Pflegeperson nach dieser Vorschrift zu einem Verfahren, in dem es um die Feststellung der Pflegestufe geht, nicht hinreichend
dargelegt. Die Klärungsbedürftigkeit wird grundsätzlich nicht schon dadurch hinreichend dargelegt, dass eine (nur) mögliche
Gesetzesauslegung dargestellt wird. Erforderlich ist vielmehr ein Eingehen auf die einschlägige Rechtsprechung und eine Auseinandersetzung
hiermit sowie mit den heranzuziehenden Normen (vgl zB BSG Beschluss vom 23.12.2013 - B 14 AS 171/13 B - Juris; BSG Beschluss vom 26.3.2014 - B 11 AL 14/14 B - Juris; BSG SozR 4-1500 §
160a Nr 7 sowie Leitherer in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
SGG, 11. Aufl 2014, §
160a RdNr 14c ff mwN).
Der Kläger legt schon nicht dar, aus welchen Gründen eine fehlende Beiladung der Pflegeperson ihn in seinen (eigenen) Rechten
beeinträchtigen könnte. Ohne erkennbare rechtliche Beschwer des Klägers kommt eine Zulassung der Revision nicht in Betracht.
Darüber hinaus fehlt es an jeglichen Darlegungen zu den Voraussetzungen einer notwendigen Beiladung. §
75 Abs
2 Alt 1
SGG setzt die Notwendigkeit einer einheitlichen Entscheidung voraus. Das ist gegeben, wenn durch die Entscheidung über das streitige
Rechtsverhältnis zugleich in die Rechtssphäre eines Dritten unmittelbar eingegriffen wird (vgl hierzu Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
SGG, 11. Aufl 2014, §
75 RdNr 10 mwN). Zur Notwendigkeit der Identität des Streitgegenstandes fehlen jegliche Darlegungen, insbesondere dazu, aus
welchen Gründen die Feststellung einer Pflegestufe für den Pflegebedürftigen (und damit wenigstens die hierfür mindestens
erforderliche Minutengrenze) zugleich unmittelbar in die Rechtssphäre der Pflegeperson eingreifen sollte. Das würde voraussetzen,
dass die Entscheidung über die Feststellung der Pflegestufe auch für die Pflegeperson bindend wäre. Hierfür werden keine Anhaltspunkte
dargelegt. Einerseits wird bei der Feststellung einer Pflegestufe in den entsprechenden Bescheiden oder Entscheidungen der
Sozialgerichte regelmäßig nicht die für die Pflege erforderliche Minutenzahl bindend festgestellt und diese erwächst daher
auch nicht in Rechtskraft; andererseits sind keine Anhaltspunkte für eine Bindung der Pflegeperson an Entscheidungen, die
gegenüber dem Pflegebedürftigen getroffen werden, dargelegt worden (vgl vielmehr BSG, SozR 4-2600 § 3 Nr 6, in welchem der Rentensenat des BSG den für die Zuerkennung der Pflegestufe zugrunde gelegten Pflegebedarf aus einem MDK-Gutachten gerade nicht ohne Weiteres
als auch für die Pflegeperson verbindlich angenommen hat).
2. Der Kläger hat auch einen Verfahrensfehler nicht hinreichend bezeichnet. Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt,
dass ein Verfahrensmangel iS von §
160 Abs
2 Nr
3 SGG vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne, müssen für die Bezeichnung des Verfahrensmangels (§
160a Abs
3 S 3
SGG) die diesen (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden. Darüber hinaus ist die Darlegung erforderlich,
dass und warum die Entscheidung des LSG - ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht - auf dem Mangel beruhen kann, dass
also die Möglichkeit einer Beeinflussung der Entscheidung besteht. Gemäß §
160 Abs
2 Nr
3 Halbs 2
SGG kann der geltend gemachte Verfahrensmangel allerdings nicht auf eine Verletzung der §§
109 und
128 Abs
1 S 1
SGG und auf eine Verletzung des §
103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt
ist.
Wird - wie vorliegend - ein Verstoß gegen die tatrichterliche Sachaufklärungspflicht (§
103 SGG) gerügt, muss die Beschwerdebegründung hierzu folgende Punkte enthalten: (1) Bezeichnung eines für das Revisionsgericht ohne
Weiteres auffindbaren Beweisantrags, dem das LSG nicht gefolgt ist, (2) Wiedergabe der Rechtsauffassung des LSG, aufgrund
derer bestimmte Tatfragen als klärungsbedürftig hätten erscheinen und zur weiteren Sachaufklärung drängen müssen, (3) Angabe
des voraussichtlichen Ergebnisses der unterbliebenen Beweisaufnahme und (4) Schilderung dass und warum die Entscheidung des
LSG auf einer angeblich fehlerhaft unterlassenen Beweisaufnahme beruhen kann, das LSG mithin bei Kenntnis des behaupteten
Ergebnisses der unterbliebenen Beweisaufnahme von seinem Standpunkt aus zu einem anderen, dem Beschwerdeführer günstigeren
Ergebnis hätte gelangen können (zum Ganzen vgl BSG SozR 4-1500 § 160a Nr 3 RdNr 5 mwN).
Diesen Erfordernissen wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht. Es fehlt an der Darlegung, aus welchem Grund sich das Berufungsgericht
von seinem sachlich-rechtlichen Standpunkt aus zur Einholung eines weiteren Gutachtens hätte gedrängt sehen müssen. Der Kläger
ist insoweit der Ansicht, das LSG habe aufgrund der erheblichen Diskrepanzen der Feststellungen in den bereits vorliegenden
Gutachten bereits von Amts wegen ein weiteres Sachverständigengutachten oder zumindest eine weitere ergänzende Stellungnahme
der Sachverständigen einholen müssen. Zudem sei das Berufungsgericht einem Beweisantrag ohne hinreichende Begründung nicht
gefolgt, da der Kläger in der Berufungsschrift vom 17.9.2014 die weitere Beweiserhebung beantragt habe. Es besteht jedoch
kein allgemeiner Anspruch auf Überprüfung eines Sachverständigengutachtens durch ein sog Obergutachten (stRspr vgl nur BSG Beschluss vom 23.5.2006 - B 13 RJ 272/05 B - Juris RdNr 5, 11; Beschluss vom 29.4.2015 - B 13 R 373/14 B - RdNr 7). Vielmehr ist es Aufgabe des Tatsachengerichts, sich im Rahmen der Beweiswürdigung mit einander entgegenstehenden
Gutachten auseinanderzusetzen. Hält das Gericht eins von mehreren Gutachten für überzeugend, darf es sich diesem grundsätzlich
anschließen, ohne ein weiteres Gutachten einholen zu müssen. Die Würdigung unterschiedlicher Gutachtenergebnisse gehört -
wie die anderer sich widersprechender Beweisergebnisse - zur Beweiswürdigung selbst (vgl BSG SozR 4-1500 § 160a Nr 21 RdNr 8). Liegen bereits mehrere Gutachten vor, ist das Tatsachengericht nur dann zu weiteren Beweiserhebungen verpflichtet,
wenn die vorhandenen Gutachten grobe Mängel oder unlösbare Widersprüche enthalten oder von unzutreffenden sachlichen Voraussetzungen
ausgehen oder Anlass zu Zweifeln an der Sachkunde des Gutachters geben (BSG aaO RdNr 9).
Solche Umstände hat der Kläger nicht vorgetragen. Er setzt sich insbesondere nicht mit den in der Entscheidung ausführlich
dargelegten Gründen auseinander, aus denen das Berufungsgericht der Einschätzung des Gutachters Prof. Dr. S. nicht gefolgt
ist. Aus diesen Gründen bedarf es keiner weiteren Ausführungen dazu, dass es an Darlegungen auch insoweit fehlt, ob der Kläger
einen den Anforderungen entsprechenden Beweisantrag bis zur letzten mündlichen Verhandlung aufrechterhalten hat sowie dazu,
ob tatsächlich eine weitere Aufklärung des Sachverhalts durch ein Gutachten erwartet werden kann, dessen Einholung dem Berufungsgericht
nach dem Widerruf des Vergleichs durch den Kläger frühestens ab Juli 2016 möglich gewesen wäre, in welchem aber die Pflegebedürftigkeit
des Klägers bei progredienter Erkrankung für die Zeit ab Juni 2011 bis einschließlich Februar 2013 zu beurteilen gewesen wäre.
Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (§
160a Abs
4 S 2
SGG).
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von §
193 SGG.