Rente wegen Erwerbsminderung
Psychische Erkrankungen
Überwindung der psychischen Einschränkungen
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Kläger einen Anspruch auf eine Rente wegen Erwerbsminderung hat.
Der 1969 geborene Kläger ist deutscher Staatsangehöriger und im März 1990 aus Polen nach Deutschland zugezogen. Er hat in
Polen von September 1985 bis Juni 1987 eine Schlosser- und Schweißerausbildung besucht, jedoch nicht abgeschlossen. In Deutschland
war er in verschiedenen Berufsfeldern tätig, zuletzt in den Jahren 2008 und 2009 als Busfahrer. In der Folgezeit war der Kläger
überwiegend arbeitslos oder arbeitsunfähig erkrankt.
Weiter befand sich der Kläger vom 17.02.2010 bis 24.03.2010 zur stationären medizinischen Rehabilitation in der Klinik H.
in B-Stadt. Im dortigen Entlassungsbericht vom 23.03.2010 sind als Diagnosen aufgeführt: 1. Lumbale und sonstige Bandscheibenschäden
mit Radikulopathie. 2. Kompression von Nervenwurzeln und Nervenplexus bei Bandscheibenschäden. 3. Sonstige näher bezeichnete
Bandscheibenverlagerung. 4. Zervikobrachial-Syndrom. 5. Lumboischialgie. Der Kläger sei für die Tätigkeit als Busfahrer nur
noch zeitlich eingeschränkt einsatzfähig; auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt könne er leichte bis mittelschwere Tätigkeiten
in Tagschicht im Wechselrhythmus mehr als sechs Stunden täglich verrichten. Vermeiden sollte er besondere Belastungen der
Wirbelsäule wie schweres Heben, Tragen und Bewegen von Lasten, häufiges Bücken, Überkopfarbeiten, ständiges Stehen, Gehen
und Sitzen, sowie besondere Belastungen beider Ellenbogengelenke. Berufsförderungsmaßnahmen wurden im Anschluss vorgesehen
und von Oktober 2010 bis Mai 2011 durchgeführt, ohne dass eine dauerhafte Integration an einen Arbeitsplatz gelungen wäre.
Im Juli und August 2011 liegen jedoch noch einmal Pflichtbeiträge aus einer Beschäftigung vor.
Beim Kläger wurde vom D. (ZBFS), , Versorgungsamt ab Oktober 2011 ein Grad der Behinderung (GdB) von 30 anerkannt, wobei dies
auf einen Einzel-GdB von 30 wegen Funktionsbehinderung der Wirbelsäule und Bandscheibenschäden sowie einen Einzel-GdB von
10 wegen depressiver Verstimmung zurückzuführen ist. Später wurde noch ein Carpaltunnelsyndrom beidseits mit Einzel-GdB 10
anerkannt, ohne dass sich der Gesamt-GdB geändert hätte (Bescheid 14.12.2011, Widerspruchsbescheid 27.06.2012).
Am 03.05.2012 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung. Auf Veranlassung der
Beklagten wurde der Kläger am 18.09.2012 durch den Orthopäden Dr. N. untersucht. Dieser beschrieb beim Kläger - rezidivierende
Lumbalgien bei geringgradig degenerativen Lendenwirbelsäulenveränderungen ohne radikuläre Symptomatik, - rezidivierende Cervicalgien
ohne Nachweis höhergradiger degenerativer Veränderungen, ohne radikuläre Symptomatik und - Adipositas. Der Kläger habe im
Jahr 2009 die Tätigkeit als Busfahrer wegen Rückenbeschwerden nicht mehr weiter verrichten können. Im Anschluss an eine Rehabilitationsmaßnahme
sei eine mögliche Sitzdauer von zwei bis vier Stunden angegeben worden. Der Kläger berichte über eine deutlich eingeschränkte
Gehstrecke auf ca. 200 Meter. Eine regelmäßige Schmerzmedikation werde nicht eingenommen. Der ärztliche Sachverständige kam
zum Ergebnis, dass der Kläger aktuell sowohl die Tätigkeit als Busfahrer als auch auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt leichte
bis mittelschwere Tätigkeiten überwiegend sitzend, stehend und gehend, sechs Stunden und mehr täglich verrichten könne. Wirbelsäulenbelastende
Zwangshaltungen müssten dabei vermieden werden.
Daraufhin lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 08.10.2012 den Rentenantrag ab und verwies den Kläger auf den allgemeinen Arbeitsmarkt,
auf dem er ohne zeitliche Einschränkung einsatzfähig sei.
Gegen diesen Bescheid legte der Kläger mit Schreiben vom 30.10.2012 Widerspruch ein. Er berief sich im Weiteren auf ein Attest
seines Hausarztes Dr. E. vom 07.11.2012, wonach er wegen massiven Wirbelsäulenleidens und ausgeprägter Polyarthrosis nicht
einmal drei Stunden täglich arbeiten könne, was auch für körperlich leichte Tätigkeiten gelte. Dr. H. vom Ärztlichen Dienst
der Beklagten sah darin keine neuen sozialmedizinisch bedeutsamen Erkenntnisse. Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid
vom 08.01.2013 zurück: Der Kläger sei mit seinem Leistungsvermögen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt im erforderlichen zeitlichen
Umfang einsatzfähig.
Mit Schreiben vom 23.01.2013 hat der Kläger am 24.01.2013 Klage zum Sozialgericht Nürnberg erhoben. Das Sozialgericht hat
Befundberichte bei den behandelnden Ärzten Dr. E. vom 11.03.2013, Dr. H. vom 18.03.2013 sowie Dr. H. vom 21.03.2013 eingeholt.
Weiter hat es den Orthopäden Dr. S. mit der Erstellung eines Sachverständigengutachtens vor dem Verhandlungstermin am 25.09.2013
beauftragt. Dr. S. hat in seinem Gutachten die Gesundheitsstörungen des Klägers folgendermaßen beschrieben: 1. Fehlhaltungen
und Verbiegungen der Wirbelsäule, leichtgradige Funktionsstörungen mit Schmerzausstrahlung auch in den linken Kopf hinein;
fehlende radikuläre Symptomatik. 2. Radiale Epicondylopathie am linken Ellenbogengelenk. 3. Belastungsbedingte Beschwerden
in beiden Kniegelenken, Fußfehlform beidseits; leicht- bis mäßiggradige Bewegungsstörungen im rechten Fußgelenk ohne sichtbare
Beeinträchtigung des Gangbildes. 4. Seelische Störung, derzeit nicht behandlungsbedürftig. 5. Verdacht auf Restless-Legs-Syndrom.
Der Kläger könne leichte, gelegentlich mittelschwere körperliche Arbeiten im Sitzen und teilweise im Gehen und Stehen verrichten.
Das Leistungsvermögen betrage mindestens sechs Stunden täglich. Vermieden werden müssten schwere und mittelschwere Hebe- und
Tragebelastungen, Zwangshaltungen, häufige bückende Arbeiten, häufige kniende Arbeiten, besondere nervliche Belastungen und
Tätigkeiten mit Einwirkung von Nässe, Kälte und Zugluft. Die Wegefähigkeit sei zu bejahen.
Auf Antrag des Klägers nach §
109 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) ist weiter ein Gutachten durch den Neurologen und Nervenarzt Dr. R. erstellt worden, der den Kläger am 22.01.2014 untersucht
hat. In seinem Gutachten vom 07.02.2014 hat er die Gesundheitsstörungen des Klägers in seinem Fachgebiet folgendermaßen beschrieben:
1. Sensibles Wurzelkompressionssyndrom und Wurzelreizsyndrom S1 links. 2. Somatoforme Schmerzstörung. 3. Leichte depressive
Episode. 4. Insomnie. Dem Kläger seien leichte, kurzzeitig mittelschwere Arbeiten vorwiegend im Sitzen, aber auch im Stehen
und Gehen in geschlossenen Räumen ohne schweres Heben und Tragen von Lasten täglich mindestens sechs Stunden zumutbar. Sehr
hohe Anforderungen an die Konzentration, Daueraufmerksamkeit, Verantwortung und Umsicht dürften nicht gestellt werden.
Der Kläger hat ergänzend noch eine Stellungnahme der Dipl.-Psychologin T. vom Klinikum C-Stadt vom 14.05.2014 vorgelegt, wonach
die testpsychologische Diagnostik vom 04.02.2014 Hinweise auf das Vorliegen einer hohen Symptombelastung ergeben habe. Es
werde somit von einer schweren depressiven Symptomatik, einer Panikstörung, einer anhaltenden somatoformen Schmerzstörung
und einer dekompensierten Insomnie ausgegangen.
Nach Vorlage weiterer ärztlicher Unterlagen durch den Kläger u.a. über eine kurze stationäre Behandlung hat das Sozialgericht
eine ergänzende Stellungnahme bei Dr. R. eingeholt, die dieser am 04.08.2014 erstellt hat: Der jetzt neu beschriebene psychopathologische
Befund sei nicht nachvollziehbar; in der eigenen Untersuchung sei keine Antriebsstörung fassbar gewesen. Auch seien die Behandlungen
nicht hinreichend beschrieben und es sei nicht klar, ob eine adäquate Umsetzung der Medikation erfolge.
Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 05.11.2014 abgewiesen. Der Kläger sei nach den übereinstimmenden ärztlichen
Feststellungen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt einsatzfähig und die Voraussetzungen medizinischer Art für das Vorliegen von
teilweiser oder voller Erwerbsminderung seien nicht gegeben.
Mit Schreiben vom 26.11.2014 hat der Kläger beim Sozialgericht Nürnberg schriftlich erklärt, mit dem Urteil nicht einverstanden
zu sein. Das Sozialgericht hat dieses Schreiben dem Bayer. Landessozialgericht als Berufung vorgelegt. Der Kläger hat zudem
umfangreiche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen eingereicht.
Der Senat hat einen Befundbericht beim behandelnden Arzt Dr. E. vom 28.07.2015 eingeholt. Hierzu sowie zu den mitübersandten
ärztlichen Unterlagen hat am 21.08.2015 Dr. S. vom Ärztlichen Dienst der Beklagten Stellung genommen und angegeben, dass keine
neuen medizinischen Gesichtspunkte vorliegen würden.
Vom 16.06.2015 bis 16.07.2015 befand sich der Kläger zur stationären psychotherapeutischen Behandlung in der K-Klinik Bad
M ... Im Entlassungsbericht vom 25.08.2015 sind als Diagnosen genannt: 1. Somatoforme Schmerzstörung. 2. Rezidivierende depressive
Störung, mittelgradige Episode. 3. Panikstörung. 4. Insomnie. 5. Schädlicher Analgetikagebrauch. Der Kläger wurde als teilweise
stabilisiert, aber noch arbeitsunfähig entlassen. Eine ambulante Psychotherapie solle sich anschließen.
Eine dem Kläger von der Beklagten mit Bescheid vom 30.06.2015 zunächst bewilligte stationäre Leistung zur medizinischen Rehabilitation
in der psychosomatischen Abteilung des Klinikums Bad B. ist im Folgenden nicht durchgeführt worden, weil die Voraussetzungen
für eine vorfristige Rehabilitationsmaßnahme nicht erfüllt seien.
Im Versicherungsverlauf vom 24.09.2015 hat die Beklagte weitere Anrechnungszeiten wegen Krankheit und Gesundheitsmaßnahmen
berücksichtigt und zwar über einen Zeitraum von knapp vier Jahren.
Nachdem der Kläger Unterlagen über eine weitere Behandlung im Klinikum C-Stadt vorgelegt hatte, hat Dr. H. vom Ärztlichen
Dienst der Beklagten am 18.01.2016 folgende Stellungnahme abgegeben: Beim Kläger erfolge bisher weder eine ausreichend dosierte
und langfristig angelegte Psychopharmaka-Therapie, noch eine leitliniengerechte längerfristige Psychotherapie. Auch eine konsequente
Schmerztherapie finde nicht statt. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt seien die zumutbaren Therapieoptionen sicher nicht ausgeschöpft.
Der Senat hat ein Gutachten beim Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. J. eingeholt, der den Kläger am 29.04.2016 untersucht
hat. In seinem Gutachten vom 06.05.2016 hat er die Gesundheitsstörungen des Klägers folgendermaßen beschrieben: 1. Rezidivierende
Depression verschiedener Ausprägung. 2. Verdacht auf komplexe Traumafolgestörung mit dissoziativer Identitätsstörung. 3. Restless-Legs-Syndrom.
4. Ein- und Durchschlafstörungen und obstruktives Schlafapnoe-Syndrom sowie Somniloquie. 5. Gastroösophageale Refluxkrankheit
ohne Ösophagitis. 6. Sonstige zervikale Bandscheibenverlagerung. 7. Chronisch unbeeinflussbare Schmerzen. 8. Zustand nach
Fraktur des Außenknöchels. Beim Kläger bestehe derzeit eine Arbeitsunfähigkeit, die bis zu einem Jahr andauern könne, um die
vorgeschlagenen stationären Therapien durchzuführen. Prognostisch sei der Kläger in der Lage, täglich sechs Stunden erwerbstätig
zu sein, wobei es sich um mittelschwere körperliche Tätigkeiten in wechselnder Stellung handeln könne. Nachtschicht und Tätigkeiten
mit besonderer Belastung des Bewegungs- und Stützsystems seien zu vermeiden.
Auf Antrag des Klägers nach §
109 SGG ist im Anschluss ein Gutachten durch die Fachärztin für Psychiatrie M. G. erstellt worden, die den Kläger am 11.08.2016 und
01.09.2016 untersucht hat. Im Gutachten vom 14.11.2016 hat sie die Gesundheitsstörungen des Klägers folgendermaßen beschrieben:
1. Rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig schwere Episode ohne psychotische Symptome. 2. Posttraumatische Belastungsstörung
PTBS mit dissoziativen Zuständen. 3. Panikstörung (episodisch paroxysmale Angst). 4. Syndrom der unruhigen Beine (Restless-Legs-Syndrom).
5. Obstruktives Schlafapnoesyndrom. 6. Kombinierte Persönlichkeitsstörung mit emotional instabilen, narzisstischen und abhängigen
Anteilen. Sie komme aufgrund der ausgeprägten Persönlichkeitsmerkmale, anders als die Vorgutachter, zu dem Schluss, dass diese
Gesundheitsstörungen von erwerbsmindernder Bedeutung seien. Nach ihrer Einschätzung sei nicht davon auszugehen, dass die Symptome
durch eine erneute stationäre Therapie und nachfolgende ambulante Psychotherapie hinreichend gebessert werden könnten. Es
sei von einer Erwerbsunfähigkeit seit der letzten Begutachtung im Mai 2016 auszugehen. Dies habe sich auch in den eigenen
Untersuchungen gezeigt, in denen deutliche Beschränkungen hinsichtlich der Leistungsmotivation des Klägers festzustellen gewesen
seien. Der Kläger sei nur noch unter drei Stunden auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt einsatzfähig. Die psychischen Fehlhaltungen
seien durch jahrelange Kränkungen so verfestigt, dass nicht von einer Besserung ausgegangen werden könnte. Die im Befundbericht
der Klinik H-Stadt beschriebenen deutlichen Verbesserungen hätten nicht dauerhaft stabilisiert werden können. Auch seien diese
subjektiv völlig anders erlebt worden. Die Wegefähigkeit sei gegeben.
Zu dem Gutachten hat am 05.12.2016 die Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. K. von der sozialmedizinischen Begutachtungsstelle
der Beklagten Stellung genommen: Die in den Gutachten gestellte Diagnose einer kombinierten Persönlichkeitsstörung sei durchaus
schlüssig und nachvollziehbar; dies gelte jedoch nicht für die Einschätzung, dass die Störung durch Therapie nicht beeinflussbar
sei. Eine längerfristige adäquate Therapie sei bisher nicht durchgeführt worden und der Kläger wehre sich seit Jahren hiergegen.
Eine leitliniengerechte Psychotherapie sei beim Kläger bisher nicht erfolgt. Die beim Kläger noch vorhandenen Ressourcen würden
nicht hinreichend eingeschätzt werden und die Angaben des Klägers würden übernommen, ohne diese kritisch zu hinterfragen.
Die Klägerseite hat vorgebracht, dass das Gutachten der M. G. durch Frau Dr. K. nicht zutreffend beurteilt worden sei. Im
Gutachten hätten sich keine Hinweise auf Aggravationsneigung des Klägers gefunden und es sei ausführlich dargelegt, dass spätestens
seit 29.04.2016 die Anspruchsvoraussetzungen des §
43 SGB VI erfüllt seien. Der Kläger sei auch für geringfügige Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes nicht mehr belastbar.
Auf weiteren Antrag des Klägers nach §
109 SGG ist eine ergänzende Stellungnahme durch Frau G. eingeholt worden, die diese am 10.04.2017 erstellt hat. Gerade die zwischen
den Gutachtern jetzt nicht mehr strittige Feststellung einer kombinierten Persönlichkeitsstörung lasse es für den Kläger unmöglich
werden, sich einer konsequenten Psychotherapie zu unterziehen. Die Verbitterungstendenz habe im Laufe der Jahre so zugenommen,
dass ein therapeutischer Ansatz langfristig aufgebaut werden müsste, soweit er überhaupt möglich sei. Inwieweit der Kläger
sich aufgrund seines Störungsbildes auf eine ambulante psychotherapeutische Behandlung einlassen könne, sei fraglich. Um überhaupt
eine Veränderung oder Korrektur erreichen zu können, bedürfe es wahrscheinlich jahrelanger therapeutischer Behandlung und
die Fähigkeit des Klägers, daran mitzuarbeiten, werde von ihr kritisch gesehen. Im momentanen Zeitpunkt sei der Kläger nicht
mehr in der Lage auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt mehr als drei Stunden einer Beschäftigung nachzugehen und dies sei aufgrund
der Schwere der Erkrankung zunächst für drei Jahre als gegeben anzusehen.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 05.11.2014 und den Bescheid der Beklagten vom 08.10.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 08.01.2013 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger auf seinen Antrag vom 03.05.2012 hin Rente wegen voller
Erwerbsminderung auf Dauer, hilfsweise auf Zeit, zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 05.11.2014 zurückzuweisen.
Zur Ergänzung wird auf den Inhalt der Gerichtsakten beider Instanzen sowie der beigezogenen Akten der Beklagten und des ZBFS
Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung (§§
143,
144,
151 SGG) ist zulässig, aber nicht begründet. Das Sozialgericht hat zu Recht entschieden, dass der Kläger keinen Anspruch eine Rente
wegen Erwerbsminderung hat, und auch in der Folgezeit ist ein derartiger Anspruch nicht nachgewiesen.
Ein Anspruch auf eine Rente wegen voller Erwerbsminderung setzt nach §
43 Abs.
2 des
Sechsten Buches Sozialgesetzbuch (
SGB VI) voraus, dass ein Versicherter voll erwerbsgemindert ist, in den letzten 5 Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung 3 Jahre
Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit aufzuweisen hat und vor Eintritt der Erwerbsminderung die
allgemeine Wartezeit erfüllt hat.
Die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen, die in gleicher Weise für eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung gelten,
hat der Kläger bei Rentenantragstellung im Mai 2012 unproblematisch erfüllt gehabt. Ausgehend vom Versicherungsverlauf vom
September 2015, wären die besonderen Voraussetzungen des §
43 Abs.
2 Satz 1 Nr.
2 SGB VI allerdings letztmals bei einem medizinischen Leistungsfall im Februar 2017 erfüllt gewesen. Ob sie tatsächlich bis zu diesem
Zeitpunkt bestanden haben, schon früher weggefallen sind oder aktuell noch vorliegen, konnte dahingestellt bleiben, da die
medizinischen Anspruchsvoraussetzungen nicht nachgewiesen sind und somit ein medizinischer Leistungsfall als Ausgangspunkt
für die Prüfung der versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nicht existiert. Es kam somit weder darauf an, ob der Kläger
noch weitere Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen hätte vorlegen können, noch ob eine zeitliche Beschränkung des Umfangs für
die Berücksichtigung derartiger Zeiten zu beachten wäre.
Hinsichtlich der medizinischen Anspruchsgrundlagen führt §
43 Abs.
2 Satz 2
SGB VI aus, dass Versicherte voll erwerbsgemindert sind, wenn sie wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer
Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 3 Stunden täglich erwerbstätig zu sein.
Die medizinischen Anspruchsvoraussetzungen für eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung nach §
43 Abs.
1 SGB VI erfordern, dass ein Versicherter nicht mindestens 6 Stunden täglich einsatzfähig ist. Ergänzend führt §
43 Abs.
3 SGB VI aus, dass nicht erwerbsgemindert ist, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 6 Stunden
täglich erwerbstätig sein kann, wobei die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen ist.
Sämtliche gutachterliche Äußerungen bis zum Berufungsverfahren sind einhellig der Auffassung gewesen, dass der Kläger - unter
Berücksichtigung eingeschränkter Arbeitsbedingungen - auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt noch ohne zeitliche Einschränkung einsatzfähig
war. Die gegenläufige Äußerung des behandelnden Arztes Dr. E. in seinem Attest von November 2012, der eine zeitliche Einschränkung
auf weniger als 3 Stunden täglich aus dem Wirbelsäulenleiden, der Polyarthrosis und Unfallfolgen herleiten will, ist nicht
näher ausdifferenziert und vermag in keiner Weise zu überzeugen. Eine Herleitung der Einschränkung aus den Befunden erfolgt
nicht bzw. ist nicht nachvollziehbar. Damit ergibt sich für den Senat, dass die angefochtenen Bescheide und die erstinstanzliche
Entscheidung für den zurückliegenden Zeitraum vor 2016 nicht zu beanstanden sind und weder volle, noch teilweise Erwerbsminderung
vorgelegen hatte.
Der Senat ist weiter zur Überzeugung gelangt, dass auch nicht durch eine Verschlechterung der gesundheitlichen Situation des
Klägers oder durch neue diagnostische Erkenntnisse in der Folgezeit die Erfüllung der medizinischen Voraussetzungen für einen
Anspruch auf eine Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung nachgewiesen ist. Die beiden im Jahr 2016 erstellten
Gutachten des Dr. J. und der M. G. legen den Schwerpunkt auf die psychischen Störungen beim Kläger und deren Auswirkungen
auf den Einsatz im Erwerbsleben. Aktuell seit der Untersuchung bei Dr. J. im April 2016 werden verstärkte Einschränkungen
des Leistungsvermögens des Klägers im Zusammenhang mit einer Persönlichkeitsstörung beschrieben. Die ebenfalls angeführten
Traumafolgestörungen sind dagegen nur schwer fassbar, weil weder eine oder mehrere typische Traumasituationen herausgearbeitet
worden sind, noch entsprechende Folgen wie systematische Flashbacks belegt sind. Die zunächst von Dr. J. angesprochene komplexe
Traumafolgestörung im Zusammenhang mit Belastungen als Kind aber auch im Erwerbsleben bis hin zum Mobbing bleibt somit nur
schlecht greifbar. Für den Senat entscheidend ist aber, dass trotz der Annahme einer komplexen Traumafolgestörung Dr. J. in
sozialmedizinischer Hinsicht ein hinreichendes Leistungsvermögen des Klägers jedenfalls für leichte Tätigkeiten des allgemeinen
Arbeitsmarktes bejaht, auch wenn er zunächst eine - längerfristige - Behandlung des Klägers für erforderlich ansieht.
Den Ausführungen der M. G. vermag der Senat nicht in vollem Umfang zu folgen, wobei er insbesondere die Einwände der Dr. K.
für bedeutsam und auch durch die ergänzende Stellungnahme der M. G. nicht als widerlegt ansieht. Insbesondere bestehen im
Gutachten der M. G. an einer ganzen Reihe von Punkten Widersprüchlichkeiten und Ungenauigkeiten: So sieht sie in ihrem Gutachten
die Chancen einer Behandlung des Klägers zunächst nicht für realistisch gegeben, wobei sie zwar an sich ebenfalls offene Behandlungsoptionen
beschreibt, aber meint, dass der Kläger wegen seiner Persönlichkeitsstörung diese nicht nutzen könne. In ihrer ergänzenden
Stellungnahme geht sie dann aber von zunächst auf 3 Jahre befristeten Einschränkungen aus, was aber doch einen möglichen Behandlungserfolg
einbezieht. Ebenso spricht sie zunächst von einem auf unter 3 Stunden herabgesunkenen Einsatzvermögen, später davon, dass
der Kläger nicht mehr als 3 Stunden dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehe. Weiter werden bei der Auseinandersetzung mit Vorgutachten
und Stellungnahme des ärztlichen Dienstes Behandlungsdatum und Datum der Gutachtenerstellung vermischt und Namen falsch wiedergegeben.
Von zentraler Bedeutung für die Frage der Rentengewährung ist für den Senat in diesem Zusammenhang, dass nach ständiger Rechtsprechung
des Bundessozialgerichts psychische Erkrankungen erst dann rentenrechtlich relevant werden, wenn trotz adäquater Behandlung
(medikamentös, therapeutisch, ambulant und stationär) davon auszugehen ist, dass ein Versicherter die psychischen Einschränkungen
dauerhaft nicht überwinden kann - weder aus eigener Kraft, noch mit ärztlicher oder therapeutischer Hilfe (BSG Urteil vom 12.09.1990 - 5 RJ 88/89, BSG Urteil vom 29.02.2006 - B 13 RJ 31/05 R - jeweils [...], BayLSG Urteil vom 18.01.2017 - L 19 R 755/11 mwN - [...] , LSG Baden-Württemberg Urteile vom 22.09.2016 - L 7 R 2329/15, 25.05.2016 - L 5 R 4194/13 und 27.04.2016 - L 5 R 459/15 - jeweils [...]). Beim Kläger sind die Behandlungsmöglichkeiten auf psychiatrischem und psychotherapeutischem Fachgebiet
bei weitem nicht ausgeschöpft. Insofern besteht noch nicht einmal eine Diskrepanz zwischen den Ärzten. Insbesondere Dr. K.,
aber auch Dr. J. beschreiben nachvollziehbar offene Behandlungsoptionen - wie im Übrigen früher auch schon Dr. R ... Eine
psychiatrische Behandlung des Klägers ist bisher zwar punktuell erfolgt, aber nicht leitliniengerecht längerfristig durchgeführt
worden. Dass die Einschätzung des Bestehens von Erfolgschancen für weitere Behandlungen zutreffend ist, ergibt sich für den
Senat auch daraus, dass die jeweiligen - stationären - Akutbehandlungen eine gesundheitliche Besserung einleiten. Dass es
nicht zur dauerhaften Besserung gekommen ist, dürfte darauf zurückzuführen sein, dass - wie ärztlich dargestellt - dann aber
bisher keine konsequente, umfassende und leitliniengerechte ambulante Behandlungsfortführung erfolgt war.
Selbst die Gutachterin M. G. stellt die benannten Behandlungsoptionen nicht Abrede, sieht jedoch den Kläger wegen seiner Persönlichkeitsstörung
trotz evtl. ärztlicher Unterstützung nicht dazu in der Lage, derartige Behandlungen wahrzunehmen. Letzteres vermag den Senat
nicht zu überzeugen, zumal die Aussage in der ergänzenden Stellungnahme nicht in der Absolutheit aufrecht erhalten geblieben
war. Der Senat sieht daher durch die Ausführungen der M. G. die Feststellungen und sozialmedizinischen Aussagen des Dr. J.
und der Dr. K. nicht als widerlegt an.
Somit gewinnt der Senat aus den ärztlichen Feststellungen die Überzeugung, dass der Kläger nach wie vor leichte Tätigkeiten
des allgemeinen Arbeitsmarktes im Umfang von täglich 6 Stunden oder mehr verrichten kann. Eine dauerhaft vorliegende zeitliche
Leistungsminderung ist derzeit nicht hinreichend nachgewiesen.
Hinsichtlich der Arbeitsbedingungen kann der Kläger eine Tätigkeit in geschlossenen Räumen vorwiegend im Sitzen, aber auch
im Stehen und Gehen ohne besondere nervliche Belastungen wie Nachtschicht, hohe Anforderungen an Konzentration, Daueraufmerksamkeit,
Verantwortung oder Umsicht und ohne besondere Belastung des Bewegungs- und Stützsystems wie schwere und mittelschwere Hebe-
und Tragebelastungen, Zwangshaltungen, häufige bückende Arbeiten, häufige kniende Arbeiten verrichten. Die Einwirkung von
Nässe, Kälte und Zugluft sollte vermieden werden.
Eine zeitliche Einschränkung des Leistungsvermögens des Klägers an geeigneten Arbeitsplätzen des allgemeinen Arbeitsmarktes
auf weniger als 3 Stunden täglich - also volle Erwerbsminderung - oder weniger als 6 Stunden - also teilweise Erwerbsminderung
- ist daher zur Überzeugung des Senats nicht gegeben; allenfalls lag und liegt - zeitweilig bzw. protrahiert - Arbeitsunfähigkeit
bei bestehender Behandlungsbedürftigkeit vor.
Ein Anspruch des Klägers auf eine volle Erwerbsminderungsrente kann auch nicht anderweitig begründet werden. Zwar könnte eine
Rente wegen voller Erwerbsminderung zusätzlich auch dann in Betracht kommen, wenn zwar keine quantitative Einschränkung besteht,
jedoch die Voraussetzungen für einen von der Rechtsprechung des BSG entwickelten Ausnahmefall (sog. Katalogfall) vorliegen würden. Für die Ermittlung, ob ein solcher Ausnahmefall besteht, ist
nach dem BSG (Urt. v. 09.05.2012, B 5 R 68/11 R - nach [...]) mehrschrittig vorzugehen. Zunächst ist festzustellen, ob mit dem Restleistungsvermögen Verrichtungen erfolgen
können, die bei ungelernten Tätigkeiten üblicherweise gefordert werden, wie Zureichen, Abnehmen, Transportieren, Reinigen,
Maschinenbedienung, Kleben, Sortieren, Verpacken, Zusammensetzen von Teilen. Wenn sich solche abstrakten Handlungsfelder nicht
oder nur unzureichend beschreiben lassen und ernste Zweifel an der tatsächlichen Einsatzfähigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt
unter dessen üblichen Bedingungen kommen, stellt sich im zweiten Schritt die Frage nach der besonderen spezifischen Leistungsbehinderung
oder der Summierung ungewöhnlicher Einschränkungen und, falls eine solche Kategorie als vorliegend angesehen wird, wäre im
dritten Schritt von der Beklagten eine Verweisungstätigkeit konkret zu benennen und die Einsatzfähigkeit dann hinsichtlich
dieser Tätigkeit abzuklären. Für den Senat ergeben sich keine durchgreifenden Zweifel an der Einsatzfähigkeit des Klägers
auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt, da sein Restleistungsvermögen etwa das Sortieren, Zureichen oder Verpacken leichter Gegenstände
aber auch Kleben und Zusammensetzen von Teilen und Maschinenbedienung grundsätzlich zulässt. Beim Kläger ist zur Überzeugung
des Senats auch die sogenannte Wegefähigkeit, d.h. die Möglichkeit zu einem Arbeitsplatz zu gelangen, zu bejahen, da er öffentliche
Verkehrsmittel nutzen kann und die Wege zu und von den Haltestellen innerhalb üblicher Zeit zu Fuß zurücklegen kann. Die diesbezüglich
vom Kläger anfänglich vorgebrachten Einwände haben sich fachärztlicherseits nicht bestätigen lassen und im weiteren Verlauf
des Verfahrens keine Rolle mehr gespielt.
Dementsprechend lässt sich beim Kläger weder das Vorliegen von voller, noch von teilweiser Erwerbsminderung - wie hilfsweise
geltend gemacht - überzeugend belegen und es besteht kein Anspruch auf Gewährung einer Erwerbsminderungsrente nach §
43 SGB VI.
Ein Antrag auf eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit ist nicht gestellt worden. Der Kläger hätte
auch keinen Anspruch darauf, da er auf Grund seines Geburtsjahrganges nicht zu dem von §
240 Abs.
1 Nr.
1 SGB VI erfassten Personenkreis gehört.
Die angefochtenen Bescheide der Beklagten und die hierzu ergangene erstinstanzliche Entscheidung sind somit nicht zu beanstanden
und die Berufung ist zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
Gründe, die Revision gemäß §
160 Abs.
2 Nrn. 1 und 2
SGG zuzulassen, liegen nicht vor.