Rentenversicherung
Beitragserstattung
Recht zur freiwilligen Versicherung
Staatsangehöriger der Republik Bosnien und Herzegowina
Tatbestand
Der Kläger ist 1966 in P. (heute Republik Bosnien und Herzegowina) geboren, wo er inzwischen wieder seinen Wohnsitz hat. In
der Bundesrepublik Deutschland hat er von 09.06.1992 bis 28.04.1993 insgesamt 11 Monate Versicherungszeiten (Pflichtbeitragszeiten
aufgrund Beschäftigung und ab 22.01.1993 aufgrund Leistungsbezugs bei Arbeitslosigkeit) zurückgelegt. Im ehemaligen Jugoslawien
und der Republik Bosnien und Herzegowina war er nach eigenen Angaben nicht beschäftigt.
Erstmals beantragte der Kläger mit einem am 18.06.2001 bei der Beklagten eingegangenen Schreiben vom 05.06.2001, versandt
unter einer Adresse in I. (Kroatien), ihm die vom 09.06.1992 bis 31.12.1992 geleisteten Beiträge zu erstatten. Er gab an,
bosnischer Staatsangehöriger zu sein und sich in Kroatien aufzuhalten. Als Nachweis legte er eine Staatsangehörigkeitsbescheinigung
der Republik Bosnien und Herzegowina vom 26.05.2001 sowie eine Lebensbescheinigung der Gemeinde P. vom 13.12.2001 vor. Mit
Bescheid vom 18.01.2002 lehnte die Beklagte den Antrag ab, da der Kläger als Staatsangehöriger der Republik Bosnien und Herzegowina
bei einem gewöhnlichen Aufenthalt in Bosnien und Herzegowina freiwillige Beiträge zur deutschen Rentenversicherung entrichten
könnte. Denn er sei gemäß Art. 3 Abs. 1 des zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der ehemaligen Sozialistischen Föderativen
Republik Jugoslawien (SFRJ) geschlossenen Abkommens über soziale Sicherheit vom 12.10.1968 (SozSich-AbkYUG), das im Verhältnis
zwischen der Republik Bosnien und Herzegowina und der Bundesrepublik Deutschland weiter anzuwenden sei, einem deutschen Staatsangehörigen
gleichgestellt. Die Beitragserstattung sei aber nur dann möglich, wenn ein Recht zur freiwilligen Versicherungspflicht nicht
bestehe. Der Widerspruch vom 26.03.2002 wurde von der Beklagten mit Widerspruchsbescheid vom 04.04.2002 zurückgewiesen. Klage
wurde nicht erhoben.
Mit einem am 23.10.2002 bei der Beklagten eingegangenen Schreiben vom 14.10.2002 beantragte der Kläger erneut die Beitragserstattung.
Diesmal gab er als Adresse die Gemeinde P. an und erklärte, er sei kroatischer Staatsangehöriger. Beigefügt war eine Bescheinigung
der Republik Kroatien (Stadtverwaltung Z.) vom 09.10.2002, wonach der Kläger Staatsangehöriger der Republik Kroatien sei.
Mit Schreiben vom 28.10.2002 forderte die Beklagte den Kläger auf, mitzuteilen, ob er auch die bosnisch-herzegowinische Staatsangehörigkeit
besitze und, falls nicht, eine Aufenthaltsgenehmigung für Bosnien und Herzegowina zu übersenden. Der Kläger übersandte daraufhin
den Formblattantrag zur Beitragserstattung sowie eine Bestätigung der Gemeinde P. vom 12.11.2002, wonach er sich seit 31.12.1993
in Bosnien und Herzegowina gewöhnlich aufhalte.
Mit angefochtenem Bescheid vom 25.11.2002 lehnte die Beklagte den Antrag auf Beitragserstattung ab. Der Kläger sei als kroatischer
Staatsangehöriger bei gewöhnlichem Aufenthalt in Kroatien gemäß Ziffer 2 Buchst. c des Schlussprotokolls zum deutsch-kroatischen
Abkommen über soziale Sicherheit vom 24.11.1997 zur freiwilligen Versicherung in der deutschen Rentenversicherung berechtigt.
Eine Beitragserstattung komme nur bei gewöhnlichem Aufenthalt in einem Drittstaat in Betracht. Wenn er sich gewöhnlich in
Bosnien und Herzegowina aufhalte, müsse er über einen Aufenthaltstitel verfügen, der jedoch nicht vorgelegt worden sei.
Mit seinem am 24.01.2003 bei der Beklagten eingegangenen Widerspruch übersandte der Kläger Kopien seines am 27.03.2001 ausgestellten
bosnischen Personalausweises (Nr. xxx) sowie seines am 17.04.2003 ausgestellten kroatischen Reisepasses (Nr. xxx), ferner
eine Wohnsitzbescheinigung der Gemeinde P. vom 11.11.2002. Er kenne viele Menschen, die sich in I. angemeldet hätten und das
Geld in P. erhielten. Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 02.06.2003 zurück. Die Behauptung des
Klägers, er sei Staatsangehöriger der Republik Kroatien, nicht aber der Republik Bosnien und Herzegowina, sei nicht nachvollziehbar.
Noch mit Beitragserstattungsantrag vom 05.06.2001 habe er angegeben, sich als bosnischer Staatsangehöriger gewöhnlich in Kroatien
aufzuhalten, und hierüber auch Nachweise vorgelegt. Nach Aktenlage sei er als bosnischer Kriegsflüchtling in die Bundesrepublik
Deutschland eingereist und nach Beendigung der Kriegshandlungen wieder nach Bosnien und Herzegowina zurückgekehrt. Es sei
davon auszugehen, dass er auch Staatsangehöriger der Republik Bosnien und Herzegowina und zur freiwilligen Versicherung in
der deutschen Rentenversicherung berechtigt sei.
Mit seiner am 21.07.2003 bei der Beklagten eingegangenen und an das Sozialgericht Landshut weitergeleiteten Klage hat der
Kläger angegeben, er lebe seit seiner Geburt in Bosnien und Herzegowina, sei aber ebenfalls seit Geburt kroatischer Herkunft.
Er hat erneut eine Wohnsitzbescheinigung der Gemeinde P. vorgelegt.
Nach Anhörung der Beteiligten hat das Sozialgericht mit Gerichtsbescheid vom 11.04.2006 unter Berufung auf die angefochtenen
Bescheide die Klage abgewiesen. Der Gerichtsbescheid ist dem Kläger am 17.05.2006 zugestellt worden.
Mit einem am 27.06.2006 beim Sozialgericht Landshut eingegangenen Schreiben hat der Kläger Berufung gegen den Gerichtsbescheid
eingelegt. Ihm seien Personen bekannt, die unter gleichen Voraussetzungen die Beiträge erstattet bekommen hätten. Für die
Berufung ist das Aktenzeichen L 13 R 456/06 vergeben worden.
In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat am 16.05.2007 ist das Berufungsverfahren bis zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts
(BVerfG) in dem Verfahren mit dem Aktenzeichen 2 BvR 3/06 ausgesetzt worden. Die vorliegend zu entscheidende Frage, ob für einen in Bosnien lebenden Bosnier eine Anwendbarkeit des
SozSichAbkYUG gegeben sei, sei in diesem Verfahren dem Bundesverfassungsgericht zur Entscheidung vorgelegt worden.
Mit Schreiben vom 18.04.2015 hat der Kläger die Fortsetzung des Verfahrens beantragt und seine Bankverbindung mitgeteilt.
Er habe wie seine früheren Kollegen Anspruch auf Beitragserstattung.
Ihm ist mit Schriftsatz des Senats vom 30.11.2016 mitgeteilt worden, dass im Verfahren mit dem Aktenzeichen 2 BvR 3/06 keine Entscheidung ergangen ist, da sich dieses Verfahren anders erledigt hat. Allerdings habe der Senat inzwischen vergleichbare
Fälle entschieden, in denen von einer Fortgeltung des zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der früheren SFRJ geschlossenen
Abkommens ausgegangen worden sei. Beigefügt war das Urteil vom 15.12.2014 (Az.: L 13 R 207/14) betreffend einen kosovarischen Staatsbürger.
In einem am 31.01.2017 beim Landessozialgericht eingegangenen Schreiben hat der Kläger erklärt, dass dieser Fall nichts mit
ihm zu tun habe. Er sei sowohl bosnisch-herzegowinischer als auch kroatischer Staatsbürger und habe nichts mit dem Kosovo
zu tun. Am 10.04.2017 ist ein Schreiben des Zentrums für Sozialarbeit der Gemeinde P. eingegangen, in dem ausgeführt wird,
dass der Kläger Sozialhilfe beziehe und schon lange Zeit arbeitslos sei. Er habe Gesundheitsprobleme und sei deshalb nicht
in der Lage, zur mündlichen Verhandlung zu erscheinen.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Landshut vom 11.04.2006 sowie den Bescheid der Beklagten vom 25.11.2002 in der Gestalt
des Widerspruchsbescheids vom 02.06.2003 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm die Arbeitnehmeranteile aus den zur
deutschen gesetzlichen Rentenversicherung entrichteten Beiträgen zu erstatten.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakten beider Rechtszüge sowie der
beigezogenen Akten der Beklagten verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige und fristgerecht eingelegte Berufung (§§
143,
151 Sozialgerichtsgesetz -
SGG -) ist unbegründet. Das Sozialgericht hat die Klage gegen den angefochtenen Bescheid vom 25.11.2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids
vom 02.06.2003 zu Recht abgewiesen. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Erstattung des Arbeitnehmeranteils der für ihn für
die Zeit vom 09.06.1992 bis 28.04.1993 zur deutschen Rentenversicherung entrichteten Beiträge.
Nach der allein in Betracht kommenden Bestimmung des §
210 Abs.
1 Nr.
2 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (
SGB VI), hier in den ab 01.01.2002 geltenden Fassungen, werden Versicherten, die das 65. Lebensjahr noch nicht vollendet haben,
Beiträge auf Antrag erstattet, wenn sie nicht versicherungspflichtig sind und nicht das Recht zur freiwilligen Versicherung
haben. Der Kläger, der das 65. Lebensjahr erst am 02.01.2031 vollenden wird, hat ein Recht zur freiwilligen Versicherung,
so dass ein Erstattungsanspruch ausscheidet.
Gemäß §
7 Abs.
1 Satz 1
SGB VI können sich Personen, die nicht versicherungspflichtig sind, für Zeiten von der Vollendung des 16. Lebensjahres an freiwillig
versichern. Das gilt auch für Deutsche, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Ausland haben (§
7 Abs.
1 S. 2
SGB VI) und im Übrigen für alle Nicht-Deutschen im Geltungsbereich des Sozialgesetzbuchs (SGB). Gemäß §
232 Abs.
1 Satz 1
SGB VI können sich darüber hinaus Personen, die nicht versicherungspflichtig sind und vor dem 01.01.1992 vom Recht der Selbstversicherung,
der Weiterversicherung oder der freiwilligen Versicherung Gebrauch gemacht haben, weiterhin freiwillig versichern.
Zwar ist der Kläger nicht Deutscher, er hat seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt auch nicht im Geltungsbereich des
SGB und er hat vor dem 01.01.1992 nicht vom Recht der Selbstversicherung, der Weiterversicherung oder der freiwilligen Versicherung
Gebrauch gemacht. Ein Recht des Klägers zur freiwilligen Versicherung in Deutschland ergibt sich jedoch aus Art. 3 Abs. 1
a SozSichAbkYUG in der Fassung des Änderungsabkommen zum 30.09.1974, da nach dieser Bestimmung bei Anwendung der Rechtsvorschriften
eines Vertragsstaates dessen Staatsangehörige den Staatsangehörigen des anderen Vertragsstaates gleichstehen, wenn sie sich
im Gebiet eines Vertragsstaates gewöhnlich aufhalten.
Der Senat hat keine Zweifel daran, dass das SozSichAbkYUG in der Fassung des Abänderungsabkommens vom 30. September 1974 auch
im Verhältnis Deutschlands zur Republik Bosnien und Herzegowina weiter gilt (vgl. Bundesfinanzhof - BFH -, Urteil vom 07.03.2013,
Az.: V R 61/10 unter Hinweis auf das Urteil des Bundessozialgerichts - BSG - vom 12.04.2000, B 14 KG 3/99 R, Bayer. Landessozialgericht - LSG - , Urteil vom 11.08.2011, Az.: L 6 R 36/10, alle in [...]). Dies gilt sowohl für den Zeitpunkt der Entscheidung des Senats als auch für den Zeitpunkt der Antragstellung
durch den Kläger im Jahr 2002. Den Zweifeln an der Fortgeltung des SozSichAbkYUG, die das BSG zwischenzeitlich geäußert hatte (Beschluss vom 23.05.2006 - B 13 RJ 17/05 R, Die Sozialgerichtsbarkeit 2007, 227), und die im vorliegenden Verfahren zur Aussetzung des Verfahrens durch den Senat mit Beschluss vom 16.05.2007 geführt hatten,
schließt sich der Senat nicht mehr an. Zum einen hat sich die darin aufgestellte Frage hinsichtlich der Geltung eines entsprechenden
Völkergewohnheitsrecht auf den für den dortigen Kläger maßgeblichen Zeitpunkt, nämlich den Zeitpunkt der Abspaltung der Republik
Bosnien und Herzegowina von Jugoslawien (1992) bezogen, während vorliegend die rechtliche Situation ab dem Zeitpunkt der Antragstellung
(2002) zu beurteilen ist. Zum anderen hat das BSG selbst diese Zweifel, wenn auch aus prozessrechtlichen Gründen, nicht mehr aufrechterhalten (vgl. Beschluss des BVerfG vom
25.08.2008 - 2 BvM 3/06, BVerfGE 121, 388). Der Einholung einer Entscheidung des BVerfG (Art.
100 Abs.
2 GG) bedarf es daher ebenfalls nicht (in diesem Sinn auch Urteil des Bayer. LSG vom 15.12.2014 - L 13 R 207/14).
Tritt wie im Fall der Nachfolgestaaten der SFRJ ein Staat an die Stelle eines anderen Staates als Inhaber der territorialen
Souveränität, stellt sich die Frage, ob die vom früheren Staat geschlossenen Verträge weitergelten. Dabei ist grundsätzlich
nach der Rechtsnatur des jeweiligen Vertrages sowie nach dem Vorgang zu differenzieren, welcher die Staatenfolge auslöst (Herdegen,
Völkerrecht, 13. Auflage 2014, § 29 Rn. 2ff.). Es gilt weder ein strenges Kontinuitäts- noch ein strenges tabula rasa-Prinzip
(Ipsen, Völkerrecht, 6. Auflage 2014, § 13, Rn. 14). Ein Übergang findet jedenfalls dann nicht statt, wenn dies mit dem Zweck
des Vertrages unvereinbar wäre, etwa weil die Geltung des Vertrags an den Fortbestand eines bestimmten politischen oder wirtschaftlichen
Systems gebunden ist (Herdegen, a.a.O.).
Zur Überzeugung des Senats ist jedenfalls seit Vorlage des "Rapport final sur la succession en matière des traités" des Committee
on Aspects of the Law of State Succession der International Law Association auf der New Delhi Conference im Jahr 2002 (" Rapport";
vgl. hierzu BSG, Vorlagebeschluss vom 23.05.2006, a.a.O.) davon auszugehen, dass zwar bei allen Nachfolgestaaten der SFRJ in der Staatenpraxis
Verhandlungen über die Nachfolge in zweiseitige Verträge vorgeherrscht haben, dies jedoch nicht darüber hinwegtäuschen darf,
dass die zu Grunde gelegte Regel - d.h. die Rechtsüberzeugung - das Kontinuitätsprinzip gewesen ist. Angesichts der überragenden
Bedeutsamkeit dieser Quelle ist damit grundsätzlich davon auszugehen, dass völkerrechtliche Verträge zunächst auch für den
Nachfolgestaat Gültigkeit haben. Das gilt insbesondere für die Nachfolgestaaten der SFRJ. Dabei kann es dahingestellt gestellt
bleiben, ob die derzeitige Republik Bosnien und Herzegowina als Nach-Nachfolgestaat der SFRJ aus einer Abspaltung von einem
fortbestehenden Ursprungsstaat (Separation, Sezession) entstanden ist oder auf einem Zerfall eines Staates in mehrere neue
Staaten beruht (Dismembration), da nach dieser Rechtsquelle dieser Grundsatz für alle Varianten Gültigkeit beansprucht. Der
Senat kann daher diese Frage offen lassen.
Im Falle der Republik Bosnien und Herzegowina erklärte nach der Durchführung eines Referendums das Land am 02.03.1992 seinen
Austritt aus dem Staatsverband Jugoslawien und war zunächst eine Republik unter dem offiziellen Namen Republik Bosnien und
Herzegowina. Die internationale Anerkennung erfolgte am 17.04.1992. Es folgten drei Jahre Krieg zwischen serbischen, kroatischen
und bosnischen Einheiten. Am Ende des Bosnienkrieges stand der 1995 in Dayton (USA) paraphierte und in Paris am 14.12.1995
unterzeichnete Dayton-Vertrag, der aus einer einheitlichen die föderale Republik Bosnien und Herzegowina schuf. Diese hat
wie alle Nachfolgestaaten der SFRJ im Sinne des Kontinuitätsprinzips agiert. So wurde das SozSichAbkYUG 1968 zwar ohne gesetzgeberische
Akte und nur aufgrund einer Vereinbarung im Rahmen von Notenwechseln (vgl. Bekanntmachung des Bundesministers des Auswärtigen
vom 16.11.1992 in BGBl II. 1992, 1196) weitergeführt, bis es zur Neuverhandlung und -vereinbarung eines neuen Abkommens kommen werde. Insbesondere im Hinblick
auf die Regelung des Art. 3 SozSich-AbkYUG haben sich aber in keinem mit den Nachfolgestaaten neu abgeschlossenen Abkommen
Änderungen ergeben. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) geht unter Bezugnahme auf die Bekanntmachung vom
16.11.1992 im Verhältnis zur Republik Bosnien und Herzegowina weiterhin von einer fortdauernden Geltung des SozSichAbkYUG
für den Bereich der Renten-, Unfall-, Arbeitslosen- und Krankenversicherung sowie des Kindergelds aus (vgl. die Auflistung
auf der Internetseite des BMAS unter https://www.bmas.de/SharedDocs/Downloads/DE/zweiseitige-abkommen).
Auch die Republik Bosnien und Herzegowina hat das SozSichAbkYUG für seine Staatsangehörigen jedenfalls stillschweigend weitergeführt,
ohne dass nachfolgend davon abweichende Regelungen getroffen worden wären. Von der Möglichkeit zur Kündigung des Abkommens
innerhalb von drei Monaten zum Ende eines Kalenderjahres (vgl. Art. 43 Abs. 1 S. 2 SozSichAbkYUG) hat die Republik Bosnien
und Herzegowina ebenso wenig Gebrauch gemacht wie von der nach Völkerrecht grundsätzlich bestehenden Möglichkeit der Vertragsbeendigung
aufgrund veränderter Umstände (vgl. dazu Bayer. LSG, a.a.O.). Dabei hätte im Rahmen von Neuverhandlungen durchaus die Möglichkeit
bestanden, eigene und von denen des Vorgängerstaates abweichende Vorstellungen einzubringen. Dass dies im Verhältnis der Republik
Bosnien und Herzegowina zur Bundesrepublik Deutschland über einen Zeitraum von mittlerweile mehr als 20 Jahren nicht möglich
gewesen wäre, ist für den Senat nicht erkennbar.
Neben dem "Rapport" ist im Sinne eines eine Vertragskontinuität begründende Völkergewohnheitsrechts auch die tatsächliche
Übung der Nachfolgestaaten des SFRJ hinsichtlich der fortgesetzten Anwendung des SozSichAbkYUG zu berücksichtigen. Denn selbst
wenn man nicht von einer durch Völkergewohnheitsrecht begründeten Verpflichtung des Nachfolgestaats ausgehen würde, die mit
dem Vorgängerstaat geschlossenen Verträge zunächst fortzuführen, so ergibt sich doch eine völkerrechtlich wirksame Bindung
der Republik Bosnien und Herzegowina und der Bundesrepublik Deutschland an die Regelungen des SozSichAbkYUG jedenfalls daraus,
dass das SozSichAbkYUG von beiden Beteiligten faktisch fortgeführt worden ist. Die Praxis der Beklagten, dokumentiert auch
durch zahlreiche Formblätter und Vereinbarungen auf Verwaltungsebene, bestätigt, dass das SozSich- AbkYUG im Verhältnis zur
Republik Bosnien und Herzegowina nach deren Unabhängigkeitserklärung auch von den dortigen Behörden fortgeführt worden ist.
Jedenfalls solange ein noch vom Vorgängerstaat abgeschlossener Staatsvertrag auch vom Gebietsnachfolger tatsächlich vollzogen
wird, ist hierin eine völkerrechtlich übliche stillschweigende Erneuerung dieses Staatsvertrags zu sehen, die dann jedoch
- jedenfalls bis zum Zeitpunkt einer neuen Vereinbarung - eine sich aus Völkergewohnheitsrecht ergebende Bindungswirkung für
beide sich auf die Vertragsfortführung einlassenden Beteiligten nach sich zieht (Bayer. LSG, a.a.O.).
Selbst wenn man von der Notwendigkeit zur Einzelfallentscheidung unter Berücksichtigung der Besonderheiten des jeweiligen
völkerrechtlichen Vertrags ausgeht, muss hier eine Entscheidung zu Gunsten des Kontinuitätsprinzip erfolgen, da über die grundsätzliche
Fortgeltung des SozSichAbkYUG zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Bosnien und Herzegowina kein Streit
bestand und besteht und auch der Vertrag selbst keinen Anhalt dafür bietet, dass er einer Fortführung durch den Nachfolgestaat
nicht zugänglich sein könnte. Es ist in keiner Weise ersichtlich, warum die Fortführung des SozSichAbkYUG der Republik Bosnien
und Herzegowina nicht möglich oder nicht zumutbar sein soll. Insbesondere hat sich an den Gründen, die zu der Schaffung des
SozSichAbkYUG geführt haben, nämlich der Verbesserung des sozialversicherungsrechtlichen Schutzes für die aus dem Gebiet des
ehemaligen Jugoslawien kommenden, in der Bundesrepublik Deutschland versicherungspflichtig beschäftigten Staatsangehörigen
der SFRJ, durch den Zerfall der SFRJ in die Nachfolgestaaten nichts geändert. Ein ehemaliger Staatsangehöriger der SFRJ ist
nicht deshalb weniger schutzbedürftig, weil er nunmehr Staatsangehöriger der Republik Bosnien und Herzegowina ist.
Vor allem ist aufgrund der den jeweiligen Staatsbürgern darin wechselseitig eingeräumten Ansprüche in der (vorläufigen) Fortgeltung
des SozSichAbkYUG für die Republik Bosnien und Herzegowina keine unzumutbare Belastung, sondern letztlich eine Begünstigung
zu sehen. Das SozSichAbkYUG ist nämlich mit erheblichen Vorteilen für die Staatsangehörigen der Republik Bosnien und Herzegowina
verbunden. Durch die Weitergeltung dieses Abkommens wird den Staatsangehörigen der Republik Bosnien und Herzegowina nicht
nur das Recht zur freiwilligen Beitragszahlung eingeräumt, bei dessen Ausübung der Versicherte einen höheren Altersrentenanspruch
erwirbt und darüber hinaus sich - bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen (vgl. §
241 Abs.
2 Satz 1
SGB VI) - auch das Weiterbestehen einer Anwartschaft auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung trotz Aufenthalts in der Republik
Bosnien und Herzegowina sichern kann. Auch fällt erheblich ins Gewicht, dass bei einer Weitergeltung des Abkommens die in
die Republik Bosnien und Herzegowina ausgezahlten Renten aus der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung nicht nach den
Auslandsrentenvorschriften des
SGB VI zu berechnen sind mit der Folge, dass keine Kürzung der persönlichen Entgeltpunkte auf 70 v.H. erfolgt (vgl. §§
110 Abs.
2,
113 Abs.
3 SGB VI). Denn nach Art. 4 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Art. 3 Abs. 1 und Art. 1 Nr. 1 und 2 SozSichAbkYUG gelten die deutschen Rechtsvorschriften, nach denen die
Zahlung von Geldleistungen vom Inlandsaufenthalt abhängig ist, nicht für die Staatsangehörigen der SFRJ, die sich im Gebiet
der SFRJ, aufhalten. Bei einer Weitergeltung des SozSichAbkYUG im Verhältnis zur Republik Bosnien und Herzegowina kommt es
also jedenfalls dann nicht zu einer Kürzung der Renten, wenn sich ein Staatsangehöriger der Republik Bosnien und Herzegowina
weiterhin in diesem Gebiet aufhält.
Durch einen Ausfall von Rentenzahlungen aus Deutschland oder nur gekürzte Rentenzahlungen an Staatsangehörige der Republik
Bosnien und Herzegowina, die sich in Bosnien und Herzegowina aufhalten, entstünden auch der Republik Bosnien und Herzegowina
Nachteile. Sie müsste unter Umständen im Alter entstehende Bedarfssituationen ausgleichen, würden sich deren Staatsangehörige
im Ausland erworbene Rentenanwartschaften abgelten lassen. Denn mittel- und längerfristig entlasten die vollen Ansprüche ihrer
Bürger (d.h. aus Arbeitnehmer- und Arbeitgeberbeiträgen) gegenüber dem ausländischen Versicherungsträger die Sozialkassen
der neu gegründeten Staaten. Sowohl für den Einzelnen als für den Staat sind künftige Leistungen aus Arbeitnehmer- und Arbeitgeberbeiträgen
günstiger als die gegenwärtige, zum gänzlichen Verlust der Rentenanwartschaft führende Erstattung nur des halben Beitragswerts
(Bayer. LSG, Urteil vom 27.09.2011, a.a.O., Rn. 21 - zur Republik Kosovo). Hierin liegt keine "Bevormundung" des Einzelnen,
sondern eine sachgerechte Wahrung der Interessen sowohl des Staates als auch des Einzelnen.
Dieser - einzelfallorientierte - Ansatz entspricht im Ergebnis auch den Regelungen der - von der Bundesrepublik Deutschland
allerdings nicht ratifizierten und damit nicht unmittelbar geltenden - Wiener Konvention über die Staatennachfolge in Verträge.
Diese sieht sowohl im Falle der Dismembration als auch der Abspaltung grundsätzlich eine Vertragskontinuität vor. Diese soll
nur dann nicht gelten, wenn abweichende Abreden zwischen den Parteien bestehen, das Fortgelten mit dem Vertragszweck nicht
vereinbar ist oder eine wesentliche Änderung der Rahmenbedingungen vorliegt (vgl. Art. 34 der Konvention). Eine Unvereinbarkeit
der Fortgeltung mit dem Vertragszweck ist hier ebenso wenig gegeben wie eine wesentliche Änderung der Rahmenbedingungen. Abweichende
Abreden, die auf eine Nichtweitergeltung des SozSichAbkYUG hinausliefen, liegen ebenfalls nicht vor, vielmehr ist aufgrund
der Bekanntmachung vom 16.11.1992 das Gegenteil der Fall.
Schließlich bestünde, würde man eine sich aus Völkergewohnheitsrecht ergebende Bindung des Nachfolgestaats an die vom Vorgängerstaat
abgeschlossenen Staatsverträge selbst in den Fällen ablehnen, in denen - wie hier - der Staatsvertrag von beiden Seiten faktisch
weiter "mit Leben erfüllt" worden ist, die große Gefahr, dass es für beide Vertragsparteien, jedenfalls aber für den Nachfolgestaat
und dessen Staatsangehörige, zu erheblichen Nachteilen kommen könnte, die in ihrer Gesamtheit von niemandem gewünscht sind.
Es verbietet sich nach Auffassung des Senats davon auszugehen, dass das Völkergewohnheitsrecht dies billigend in Kauf nimmt.
Das BSG hat in seinen Urteilen vom 16.12.1999, Az.: B 14 KG 1/99 R und 12.04.2000, Az.: B 14 KG 3/99 R, beide in [...], klargestellt, dass das SozSichAbkYUG im Verhältnis zur ehemaligen jugoslawischen Republik Mazedonien weiter
anzuwenden ist, ohne dass es eines Transformationsgesetzes nach Art.
59 Abs.
2 Satz 1
GG bedurfte. Die Bundesregierung sei von der Fortgeltung deutsch-jugoslawischer Verträge im Verhältnis zu den Nachfolgestaaten
Jugoslawiens ipso jure ausgegangen und habe sich diese Auffassung von den neuen Partnerstaaten bestätigen lassen. Bundestag
und Bundesrat teilten diese Auffassung. Dies ergebe sich aus dem Zustimmungsgesetz zu dem Abkommen vom 24.09.1997 zwischen
der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Slowenien über soziale Sicherheit (BGBl II 1998, 19, 185). Denn dort sei in Art. 43 bestimmt, dass das Abkommen 1968 - erst - mit Inkrafttreten dieses neuen Abkommens - am 01.09.1999
(BGBl II. 1999, 796) - außerkrafttrete, es also im Verhältnis zu Slowenien weiter gegolten habe. Für den Senat ist nicht ersichtlich, warum dies
nicht auch im Verhältnis zur Republik Bosnien und Herzegowina Gültigkeit beanspruchen sollte.
Zur Überzeugung des Senats gilt daher das SozSichAbkYUG aufgrund Völkergewohnheitsrechts und bis zur Ablösung durch ein eigenständiges
Abkommen auch im Verhältnis zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Bosnien und Herzegowina weiter. Dieses
Ergebnis wird - deklaratorisch, nicht konstitutiv - bestätigt durch die Bekanntmachung vom 16.11.1992. Einer gesonderten Transformation
des kraft Völkergewohnheitsrechts fortgeltenden SozSichAbkYUG durch ein weiteres Zustimmungsgesetz bedurfte es daneben nicht.
Die Berufung war daher zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung (§
193 SGG) beruht auf dem Umstand, dass der Kläger auch im Berufungsverfahren erfolglos geblieben ist.
Gründe, die Revision zuzulassen (vgl. §
160 Abs.
2 SGG), bestehen nicht.