SGB-II-Leistungen
Einstweiliger Rechtsschutz
Mangelnde Hilfebedürftigkeit
Entscheidung über einen Neuantrag
Gründe
I.
Die Antragsteller und Beschwerdeführer (Bf) begehren vom Antragsgegner und Beschwerdegegner (Bg) im Wege des einstweiligen
Rechtsschutzes vorläufig Leistungen nach dem SGB II ab August 2016. Der Bf zu 1) betreibt als Selbstständiger seit 1992 ein Gewerbe, das nach Angaben des Bf keinen ständigen
Ertrag abwirft, zumindest seit erstmaliger Antragstellungen beim Bg auf Leistungen nach dem SGB II im Jahr 2005.
Ursprünglich bildete der Bf zu 1) eine Bedarfsgemeinschaft zusammen mit seiner Ehefrau, der Bf zu 2), und den beiden gemeinsamen
Kindern, die allerdings spätestens seit 2015 nicht mehr in dem im Eigentum des Bf zu 1) stehenden Einfamilienhaus wohnen.
Die Mutter des Bf zu 1), die ebenfalls bis 2015 in diesem Haus in einer separaten Wohnung wohnte, war zu keinem Zeitpunkt
Mitglied der Bedarfsgemeinschaft. Der Bg bewilligte den Bf ab dem Jahr 2005 mit Unterbrechungen immer wieder Leistungen nach
dem SGB II, allerdings nur vorläufig, nachdem insbesondere unklar war, ob der Bf zu 1) das von den Mitgliedern der Bedarfsgemeinschaft
und seiner Mutter bewohnte, in seinem Eigentum stehende Einfamilienhaus wegen Unangemessenheit als Vermögen verwerten muss.
Nachdem im Januar 2010 vor dem Landessozialgericht ein Vergleich geschlossen war, erhielten die Bf vom Bg keine Leistungen
nach dem SGB II mehr, wobei in noch laufenden Verfahren vor dem Sozialgericht u. a. darauf verwiesen wurde, dass seitens der Bf keine Anträge
nach dem SGB II mehr gestellt worden seien.
Im August 2016 stelle der Bf zu 1) nach eigenen Angaben per Fax und per Brief aufgrund eines Hinweises des Sozialgerichts
angeblich einen neuen Antrag beim Bg für die nunmehr aus ihm und seiner Ehefrau, der Bf zu 2), bestehenden Bedarfsgemeinschaft.
Der Bg hat nach seinen Angaben einen solchen Antrag im August 2016 nicht erhalten.
Mit Schreiben vom 14.09.2016 teilte der Bg dem Bf zu 1) mit, dass er am 14.09.2016 einen Antrag auf Leistungen nach dem SGB II erhalten habe. Zur Bearbeitung des Antrags sei eine persönliche Vorsprache des Bf zu 1) beim Bg notwendig. Mit E-Mail vom
19.09.2016 lehnte der Bf zu 1) eine persönliche Vorsprache ab.
Mit Bescheid vom 20.09.2016 lehnte der Bg den Antrag der Bf vom 14.09.2016 Leistungen nach dem SGB II ab. Der Bf zu 1) habe eine persönliche Vorsprache abgelehnt. Damit sei Hilfebedürftigkeit nicht nachgewiesen.
Gegen den Bescheid legte der Bf zu 1) mit Schreiben vom 30.09.2016 Widerspruch ein und erhob darin gleichzeitig Dienstaufsichtsbeschwerde
gegen den zuständigen Sachbearbeiter.
Daraufhin erging folgender "Abhilfebescheid im Widerspruchsverfahren" mit Datum vom 19.10.2016 durch den Bg: "Nach nochmaliger
Überprüfung der Sach- und Rechtslage aufgrund ihres Widerspruchs vom 04.10.2016 hebe ich den angefochtenen Bescheid vom 30.09.2016
hiermit auf. Dem Widerspruch wird damit auf dem Verwaltungswege in vollem Umfang entsprochen. Eine weitere Prüfung der Anspruchsvoraussetzung
ist jedoch erforderlich. Beachten Sie bitte hierzu beiliegendes Aufforderungsschreiben.
Entscheidung über die Erstattung der Kosten: Die Ihnen im Widerspruchsverfahren entstandenen Kosten werde ich auf Antrag zu
erstatten, soweit sie notwendig waren und nachgewiesen sind." Eine Rechtsbehelfsbelehrung enthielt dieser Abhilfebescheid
nicht. Mit Schreiben vom 19.10.2016, überschrieben als "Aufforderung zur Mitwirkung", forderte der Bg vom Bf zu 1) folgende
Unterlagen bzw. Angaben: - "Wie haben Sie den Lebensunterhalt für sich und Ihre Familie im Zeitraum vom 01.03.2016 bis 14.09.2016
bestritten. - Erläuterung zur Anlage EKS (Prognose) der Betriebsausgaben von 3.000,00 Euro stehen null Einnahmen gegenüber.
Von welchen finanziellen Mitteln wollen Sie diese Ausgaben bestreiten? - Zur Plausibilisierung Ihrer Prognose ist eine Anlage
EKS für den Zeitraum 01.09.2015 bis 29.02.2016 mit allen Belegen zu erstellen. - Ihre Kontoauszüge vom 01.09.2015 bis dato.
- Anlage VM. - Anlage EKH Ihrer Ehefrau. - wohnt Ihre Mutter wieder bei Ihnen im Haus? Wenn ja, seit wann? Wenn nein, was
geschieht mit der Wohnung Ihrer Mutter, als Mieteinnahmen? - Sie haben angegeben, 368,00 Euro Kindergeld zu erhalten. Dass
dieses an die Kinder weitergegeben wird, bitte ich um Nachweise und entsprechende Erklärungen der Kinder." In diesem Schreiben
wurden die Bf belehrt über die Folgen nach §§
66,
67 SGB I, wenn diese geforderten Mitwirkungshandlungen nicht bis 02.11.2016 erbracht würden.
Nach Ablauf der Frist ohne Reaktion der Bf versagte der Bg mit Bescheid vom 04.11.2016 Leistungen nach dem SGB II für den Bf und die "Mitglieder seiner Bedarfsgemeinschaft" rückwirkend ab 01.09.2016 ganz. Die Bf hätten die geforderten
Unterlagen bzw. Angaben nicht beigebracht.
Am 25.11.2016 legte der Bf zu 1) dem Bg ein von ihm unterschriebenes und auf den 16.10.2016 datiertes Schreiben vor, wonach
die angeforderten Unterlagen sich bei der Behörde befänden bzw. nicht notwendig seien. Hierauf reagierte der Bg mit Schreiben
vom 01.12.2016 "Betreff Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch", wonach es beim Versagungsbescheid vom 04.11.2016 verbliebe. Im Schreiben vom 16.10.2016 habe der Bf zu 1) keine der geforderten
Angaben gemacht, außer die Frage nach dem Lebensunterhalt von März bis Juni 2016 beantwortet. Im Übrigen habe das Schreiben
dem Jobcenter nicht wie vom Bf zu 1) behauptet, bei Erlass des Versagungsbescheides am 04.11.2016 vorgelegen. Dies sei schon
daraus ersichtlich, dass das am 25.11.2016 vom Bf zu 1) dem Bg vorgelegte Schreiben zwar auf den 16.10.2016 datiert sei, aber
inhaltlich auf ein Schreiben des Bg vom 19.10.2016 Bezug nehme, das der Bf zu 1) zum angeblichen Zeitpunkt seines Schreibens
am 16.10.2016 noch gar nicht habe erhalten können. Eine Rechtsbehelfsbelehrung enthielt das Schreiben des Bg vom 01.12.2016
nicht.
Am 08.02.2017 stellte der Bf zu 1) Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz beim Sozialgericht, wonach der Bg seiner Bedarfsgemeinschaft
aufgrund seines Antrags vom August 2016 Leistungen zu gewähren habe. Mit Beschluss vom 02.03.2017 lehnte das Sozialgericht
München den Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz ab. Für August 2016 liege kein Antrag auf Leistungen nach dem SGB II beim Bg vor, so dass der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz insofern unzulässig sei. Was die Zeit ab September 2016 anbeträfe,
sei gegen den Versagungsbescheid vom 04.11.2016 kein Widerspruch eingelegt worden. Der Versagungsbescheid sei damit bestandskräftig
und ein Antrag auf einstweilige Anordnung mangels offener Hauptsache unstatthaft.
Hiergegen haben die Bf am 03.04.2017 Beschwerde zum Bayer. Landessozialgericht eingelegt. Schon aus dem Abhilfebescheid vom
16.10.2016 ergebe sich, dass der Bg ihnen Leistungen nach dem SGB II dem Grunde nach bewilligt habe. Denn nichts anderes bedeute die Formulierung, dass seinem Widerspruch "voll und ganz" abgeholfen
worden sei. Eine volle Abhilfe bedeute nicht die Aufhebung der Ablehnung seines Antrags, sondern bedeute die Bewilligung von
Leistungen.
Im Laufe des Beschwerdeverfahrens legte der Bf zu 1) einen Neuantrag auf Leistungen nach dem SGB II für seine Bedarfsgemeinschaft vor, datiert auf den 31.03.2017 und eingegangen beim Bf am 01.04.2017. Der Bg hält die Entscheidung
des Sozialgerichts für zutreffend.
II.
Die zulässige Beschwerde ist zum Teil begründet.
1. Die Beschwerde ist unbegründet, soweit sie den Zeitraum von August 2016 bis zur Antragstellung ab einstweiligem Rechtsschutz
beim Sozialgericht am 08.02.2017 betrifft. Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats sind Leistungen im Wege des gerichtlichen
Eilrechtsschutzes frühestens ab Antragstellung beim Sozialgericht zu erbringen. Eine Notlage, die aus früherer Zeit aktuell
noch fortwirken würde, ist nicht ersichtlich und der Bf hat hierzu auch nichts vorgetragen.
2. Was den Zeitraum ab 08.02.2017 anbetrifft, so hat die Beschwerde teilweise Erfolg. a) Der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz
ist zulässig. Dem steht insbesondere nicht - wie das Sozialgericht meint - die Bestandskraft der Versagung vom 4.11.2016 entgegen.
Vielmehr ist das Schreiben des Antragstellers vom 16.10.2016, beim Antragsgegner am 25.11.2016 und damit in laufender Widerspruchsfrist
eingegangen nach dem Grundsatz der Meistbegünstigung als Widerspruch gegen den Versagungsbescheid vom 4.11.2016 auszulegen.
Dort führt der Antragsteller aus, aus welchen Gründen er eine weitere Mitwirkung für entbehrlich und damit iE die Versagung
für rechtswidrig hält. Dieser Widerspruch entfaltet nach §
86a Abs
1 S 1
SGG aufschiebende Wirkung, die nicht nach § 39 SGB II entfällt. Über den Widerspruch wurde nach Aktenlage auch noch nicht entschieden. Eine solche Entscheidung ergibt sich insbesondere
nicht aus dem Schreiben des Bg vom 1.12.2016, nachdem dieses Schreiben zum einen offensichtlich nicht von der beim Bg zur
Entscheidung über einen Widerspruch zuständigen Stelle stammt und auch anderweitig nicht zu erkennen gibt, dass eine Widerspruchsentscheidung
getroffen werden sollte.
Insgesamt bleibt festzuhalten, dass das vom Bg durchgeführte Verfahren bislang nicht nachvollziehbar ist: - Der Ablehnungsbescheid
vom 20.09.2016 krankte daran, dass aus der nicht erfolgten Vorsprache des Bf zu 1) beim Bg gefolgert wurde, dass "damit" Hilfebedürftigkeit
nicht nachgewiesen sei. Eine solche Verknüpfung von Vorsprache und Feststellung der Hilfebedürftigkeit ist sachwidrig. Vielmehr
hätte es entweder einer Feststellung der Hilfebedürftigkeit nach Aktenlage bedurft bzw. einer Aufforderung zur Mitwirkung,
die jedoch nicht erfolgt ist. Auf das Nichterscheinen des Bf zu 1) zum Termin eine Ablehnungsentscheidung zu stützen, erscheint
zumindest befremdlich. - Über den am 30.09.2016 gegen den Ablehnungsbescheid vom 20.09.2016 eingelegten Widerspruch ist noch
nicht abschließend entschieden worden. Über diesen noch offenen Widerspruch muss der Bg noch entscheiden.
Denn der "Abhilfebescheid" vom 19.10.2016 hat - anders als der Bg meint - das noch offene Widerspruchsverfahren nicht erledigt.
Auf die Bezeichnung des Bescheides als Abhilfebescheid kommt es nicht an (LSG Thüringen Urteil vom 03.09.2015, L 9 AS 1505/13 Rz 22), vielmehr darauf, ob dem Widerspruchbegehren in vollem Umfang entsprochen wurde (LSG Thüringen aaO). Entgegen der
Aussage des Bg im "Abhilfebescheid", dass dem Widerspruch "in vollem Umfang" entsprochen - wäre, ist dies nicht der Fall.
Der Widerspruch der Bf war nicht nur darauf gerichtet, den Ablehnungsbescheid aufzuheben, sondern vielmehr antragsgemäß Leistungen
zu erhalten (vgl. zur insoweit notwendigen Auslegung LSG Sachsen Urteil vom 19.11.2002, L 5 RJ 155/02 Rz 17). Nur wenn den Bf antragsgemäß Leistungen gewährt worden wären, wäre dem Widerspruch "in vollem Umfang entsprochen"
worden. Es handelt sich daher allenfalls um einen Teilabhilfebescheid mit der Folge, dass im Übrigen das noch offene Vorverfahren
zum Abschluss zu bringen ist.
Allerdings hat die Abhilfe "in vollem Umfang" auch nicht zur Folge, dass den Bf Leistungen zugesprochen worden wären, wie
die Bf meinen. Im Abhilfebescheid bringt der Bg zum Ausdruck, dass er noch über Leistungen entscheiden werde. b) Der somit
zulässige Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz ist im Sinne der Tenorierung auch teilweise begründet. Der Versagungsbescheid
ist wegen aufschiebender Wirkung des offenen Widerspruchs hiergegen nicht geeignet, die vorläufige Gewährung von Leistungen
nach dem SGB II zu sperren. Anzumerken ist im Hinblick auf die Rechtmäßigkeit des Versagungsbescheides ohnehin, dass eine Versagung für die
Vergangenheit, wie sie hier mit dem Versagungsbescheid vom 04.11.2017 rückwirkend für die Zeit ab 01.09.2017 erfolgt ist,
nicht möglich ist (vgl BSG Urteil vom 5.4.2000, B 5 RJ 38/99 R Rz 23).
Zwar haben die Bf ihre Hilfebedürftigkeit auf der einen Seite nicht glaubhaft machen können, was Voraussetzung für die Bewilligung
von Leistungen nach dem SGB II ist. Dies liegt vor allem daran, dass der Bf zu 1) die von ihm vom Bg zu Recht geforderten Mitwirkungshandlungen unterlassen
hat. Nachdem der Bf zu 1) über ein nicht angemessenes Einfamilienhaus verfügt, möglicherweise seine Ehefrau, die Bf zu 2)
Einkommen erzielt, der Bf zu 1) möglicherweise Betriebseinnahmen aus seinem selbstständigen Gewerbe erzielt, spricht vieles
dafür, dass die Bf nicht hilfebedürftig sind. Dies gilt umso mehr, als die Mutter des Bf zu 1) in dem Haus nicht mehr wohnt
und vorher eine separate, und damit vermietbare Wohnung zur Verfügung stehen dürfte.
Vor allem aufgrund des wie dargestellt bislang wenig überzeugenden Verfahrens des Bg auf der einen Seite, kommt der Senat
im Rahmen seiner Folgenabwägung unter Einbezug der Verletzung von Mitwirkungspflichten durch die Bf zu dem Ergebnis, dass
den Bf vorläufig Leistungen nach dem SGB II - allerdings mit den nachgenannten Einschränkungen - zu gewähren sind.
Kosten für Unterkunft und Heizung sind vorläufig nicht zu gewähren. Eine Gefährdung der Unterkunft, der mit einer Eilentscheidung
begegnet werden müsste, ist nicht erkennbar. Ohnehin haben die Bf keine Belege eingereicht, anhand derer Zahlungen ab 08.02.2017
für das Eigenheim festzustellen wären.
Ab 08.02.2017 werden den beiden Mitgliedern der Bedarfsgemeinschaft , dem Bf zu 1) und der Bf zu 2) vorläufig Regelbedarfe
als Partner dergestalt gewährt, dass unter Einbezug der entsprechenden Rechtsprechung des Senats, wonach ein bis zu 30 %iger
Abschlag vom Regelbedarf zur Vermeidung der Vorwegnahme der Hauptsache vorgenommen werden kann, hier für jeden Partner ab
März 2017 monatlich 300,00 Euro gewährt werden. Für Februar 2017 werden 225,00 Euro vorläufig gewährt, nachdem der Eilantrag
bei Gericht erst am 08.02.2017 gestellt wurde.
Die Verpflichtung des Bg zur Erbringung vorläufiger Leistungen wird zeitlich beschränkt bis zur Entscheidung des Bg über den
Neuantrag der Bf vom 01.04.2017. Durch die Entscheidung über den Neuantrag entsteht nach der Rechtsprechung des BSG eine Zäsur im Hinblick auf den jetzt im Eilverfahren streitigen Zeitraum. Bei der Entscheidung über den Neuantrag und damit
über einen neuen Streitgegenstand stehen den Bf dann ggf. wieder alle rechtlichen Möglichkeiten offen, insbesondere auch im
Hinblick auf einstweiligen Rechtschutz für die Zukunft. Einer vorläufigen Regelung aufgrund des nunmehr zeitlich abgeschlossenen,
diesem Eilverfahren zugrunde liegenden Zeitraums, bedarf es dann nicht mehr.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG und der Erwägung, dass die Bf mit ihrem Begehren teilweise erfolgreich waren.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§
177 SGG).