Anspruch von Zivilpersonen auf Kriegsopferversorgung bei Albträumen und Nachhallerinnerungen wegen kriegsbedingter psychischer
Traumata
Tatbestand:
Der 1937 geborene Kläger begehrt Leistungen nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) in rentenberechtigendem Grad.
Er hat mit Erstantrag vom 02.05.2003 geltend gemacht, er habe zusammen mit seinen Eltern und Geschwistern unter haftähnlichen
Bedingungen zusammen mit acht Familienmitgliedern in einer Baracke in C-Stadt leben müssen. Die Lebensbedingungen seien völlig
menschenunwürdig gewesen. Zwei- bis dreimal pro Woche seien jeweils zwei Gestapo-Beamte zur Kontrolle vorbeigekommen. Er und
seine Familienangehörigen seien misshandelt, schikaniert, gedemütigt und seelischen Grausamkeiten ausgesetzt gewesen. Eines
Tages sei er im Alter von vier Jahren von einem städtischen Arbeiter in C-Stadt misshandelt worden, indem dieser ihm mit dem
Messer ins Ohr geschnitten habe. In panischer Angst sei er davongelaufen. Später sei er wegen seiner Zugehörigkeit zur Volksgruppe
der Sinti vom Schulbesuch ausgeschlossen worden. Aus diesem Grunde fehle ihm auch die Voraussetzung für eine ordentliche Berufsausbildung,
die seinen Lebensunterhalt und seine Altersversorgung hätte sichern können. Ihm und seiner Familie sei täglich die Deportation
in ein KZ angedroht worden. Man habe in ständiger Angst gelebt. Die gekürzten Lebensmittelrationen hätten zur Folge gehabt,
dass er als Kind ständig unterernährt und sehr häufig krank gewesen sei. Seit seiner Kindheit leide er an Magen- und Darmbeschwerden,
Schlafstörungen und Angstträumen, Bluthochdruck und schweren Kreislaufstörungen. Später seien in der Folge auch Bandscheibenprobleme
und ein frühzeitiger Gelenkverschleiß hinzugekommen. Er sei heute ein körperliches und seelisches Wrack und fühle sich um
ein normales Leben betrogen.
Der Beklagte hat es mit dem streitgegenständlichen Bescheid des Amtes für Versorgung und Familienförderung C-Stadt vom 16.05.2003
abgelehnt, Beschädigtenversorgung nach dem BVG zu bewilligen. Die vorgetragenen Umstände würden keinen Versorgungsanspruch nach dem BVG begründen. Nach dem BVG seien Zivilpersonen nur geschützt, wenn diese in unmittelbarem Zusammenhang mit kriegerischen Vorgängen zu Schaden gekommen
seien. Die Schilderungen des Tatherganges würden keine unmittelbare Kriegseinwirkung darstellen. Ansprüche wegen nationalsozialistischer
Gewaltmaßnahmen, die aus rassistischen Gründen und nicht aus militärischen Gründen begangen worden seien, könnten nur nach
den Vorschriften des Bundesentschädigungsgesetzes (BEG) und nicht nach dem BVG entschädigt werden.
Der Widerspruch vom 05.06.2003 gegen den Bescheid des Amtes für Versorgung und Familienförderung C-Stadt vom 16.05.2003 ist
mit Widerspruchsbescheid des Bayerischen Landesamtes für Versorgung und Familienförderung vom 08.09.2003 zurückgewiesen worden.
Ein möglicher Anspruch als Zivilperson setze eine gesundheitliche Schädigung durch eine unmittelbare Kriegseinwirkung im Sinne
von § 1 Abs.2a i.V.m. § 5 BVG voraus. Offenbar habe der Kläger auch eine einmalige Beihilfe in Höhe von 5.000,00 DM nach den "Richtlinien für die Vergabe
von Mitteln an Verfolgte nichtjüdischer Abstammung zur Abgeltung von Härten in Einzelfällen im Rahmen der Wiedergutmachung"
erhalten. Gegen die Ablehnung einer laufenden Beihilfe habe er inzwischen durch seine Bevollmächtigte Klage beim Verwaltungsgericht
Berlin eingelegt. Aus dieser Klagebegründung ließen sich keinerlei Hinweise auf das Vorliegen eines geschützten Tatbestandes
nach dem BVG entnehmen.
Hier hat das Sozialgericht Bayreuth nach form- und fristgerechter Klageerhebung die Schwerbehinderten- und Versorgungsakten
des Beklagten beigezogen. Nach entsprechender Ankündigung vom 17.12.2003 ist die Klage mit Gerichtsbescheid vom 26.01.2004
- S 10 V 27/03 - abgewiesen worden. Der Begriff der unmittelbaren Kriegseinwirkung sei nach der Entstehungsgeschichte und im Hinblick auf
die praktische Anwendbarkeit eng auszulegen. Zustände, denen alle Bevölkerungskreise für längere Zeit ausgesetzt gewesen seien,
wie Mangelzustände hinsichtlich der Ernährung oder ungenügende Unterkunftsverhältnisse sowie die in C-Stadt viel zu geringe
Anzahl an Luftschützkellern würden nicht unter diesen Begriff fallen. Gleichfalls seien die vom Kläger vorgetragenen politisch
motivierten Schikanen (Schulbesuchsverbot, Benachteiligung bei Lebensmittelmarken, Kontrollen durch die Gestapo usw.) nicht
als Kriegseinwirkungen berücksichtigungsfähig. Als unmittelbare Kriegseinwirkung kämen unter Berücksichtigung der Schilderungen
des Klägers hier allein Kampfhandlungen und damit unmittelbar zusammenhängende militärische Maßnahmen in Betracht. An der
Unmittelbarkeit fehle es, wenn ein achtjähriger Junge, wie der Kläger erstmals sukzessive im Widerspruchsverfahren vorgetragen
habe, den Tieffliegerbeschuss eines Zuges im Raum C-Stadt auf dem elterlichen Pferdewagen sitzend oder die Angriffe deutscher
Soldaten durch Amerikaner gesehen habe. Gleiches gelte, wenn der Kläger die Bombardierung von C-Stadt miterlebt und gesehen
habe, dass Häuser brannten und Menschen schwer verletzt und getötet worden seien. Unmittelbare Kriegseinwirkungen seien in
der Person des Klägers nach alledem nicht objektiviert.
Auf die Berufung des Klägers hat das Bayerische Landessozialgericht (BayLSG) mit Urteil vom 25.06.2004 - L 18 V 8/04 - den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bayreuth vom 26.01.2004 aufgehoben und die Streitsache zur Verhandlung und Entscheidung
an das Sozialgericht Bayreuth zurückverwiesen. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) stehe fest,
dass eine Kriegseinwirkung, die zu einer gesundheitlichen Schädigung des Betroffenen geführt habe, auch psychischer Natur
sein könne. Eine derartige psychische Einwirkung sei zum Beispiel in einem seelischen Schock zu sehen, der auf ein durch Brandbomben
verursachtes Feuer zurückgegangen sei. Es wäre daher geboten gewesen, den Sachverhalt weiter aufzuklären, auch wenn dieser
mehr als 60 Jahre zurückliege.
Die Bevollmächtigten des Klägers haben mit Schriftsatz vom 14.10.2004 nochmals zusammenfassend hervorgehoben, dass es der
Familie des Klägers verboten gewesen sei, den Raum C-Stadt zu verlassen. Damit sei es auch nicht möglich gewesen, dass beispielsweise
die Eltern des Klägers ihn und seine Geschwister in eine ruhigere ländliche Gegend verbracht hätten. So sei es möglich gewesen,
dass der Kläger als kleines Kind im Alter von etwa sechs bis acht Jahren unmittelbare Kampfhandlungen, insbesondere Luft-
und Fliegerangriffe der alliierten Streitkräfte auf C-Stadt habe miterleben müssen. Beispielhaft sei ein Luftangriff im Bereich
des Bahnhofes zu erwähnen, der den Kläger seelisch traumatisiert habe, da er keine Schutzeinrichtungen habe aufsuchen dürfen.
Dem Kläger sei auch die Beschießung eines Zuges erinnerlich. Ihm seien des Weiteren auch Gefechtshandlungen zwischen amerikanischen
Soldaten und dem Volkssturm erinnerlich, die sich im Frühjahr 1945 ereignet hätten. Seit diesen Kriegstagen leide er an Angst-
und Albträumen. Der Kläger gebe an, dass er immer wieder schlagartig Bilder vor Augen habe, die ihn noch heute verfolgen würden
(Schreie von Personen, schwarzer von Pferden gezogener Leichenwagen, Abtransport von Verwundeten und Toten). Der Kläger erinnere
sich auch an einige Misshandlungen durch amerikanische Besatzungssoldaten (Heranziehung zu Arbeitsleistungen, Bedrohungen
mit einem Gewehr).
Das Sozialgericht Bayreuth hat im Folgenden umfassend Unterlagen über den Kläger beigezogen (Staatsanwaltschaft C-Stadt, Verwaltungsgericht
Berlin, Landgericht C-Stadt, Landratsamt C-Stadt, Bundesministerium der Finanzen, Amtsgericht C-Stadt und Staatsanwaltschaft
H.). Dr. S. hat mit Befundbericht vom 17.05.2005 die ihm vorliegenden ärztlichen Unterlagen übermittelt. Mit Beweisanordnung
vom 06.10.2005 ist Dr. F. gemäß §
106 Abs.3 Nr.5 des Sozialgerichtsgesetzes (
SGG) zum ärztlichen Sachverständigen bestellt worden. Dieser hat mit nervenfachärztlichem Gutachten vom 21.10.2005 die Feststellung
einer "andauernden Persönlichkeitsveränderung nach Extrembelastung mit Albträumen und Nachhallerinnerungen" mit einem Grad
der Schädigungsfolgen (GdS) von 10 befürwortet.
Die Bevollmächtigten des Klägers haben unter anderem auf die beginnende Alzheimererkrankung des Klägers aufmerksam gemacht
und eine weitere Sachverhaltsaufklärung von Amts wegen angeregt. In Berücksichtigung der bisherigen Äußerung und Atteste des
behandelnden Arztes Dr. Dr. K. möge dieser um eine sachverständige Äußerung gebeten werden.
Der Beklagte hat mit Schriftsatz vom 09.02.2006 seine Auffassung bekräftigt, glaubhaft sei lediglich, dass sich der Kläger
während der Zeit der Bombenangriffe vom 05.04. bis 11.04.1945 in C-Stadt aufgehalten und diese miterlebt habe. Mangels Brückensymptomen
zwischen den behaupteten Schäden und den derzeit geltend gemachten Gesundheitsstörungen werde der Antrag, die Klage abzuweisen,
weiter aufrechterhalten.
Das Sozialgericht Bayreuth hat die Klage mit Urteil vom 03.04.2006 - S 10 V 11/04 ZVW - abgewiesen. Unverändert sei nicht erkennbar, dass und welche unmittelbaren Kriegsereignisse als schädigende Ursache
für die derzeit beim Kläger bestehenden Gesundheitsstörungen im psychischen Bereich zu berücksichtigen wären. Die gegenüber
Dr. F. angegebene Tötung eines deutschen Soldaten (von denen zu Kriegsende keine in C-Stadt stationiert gewesen seien) im
"S.Wald" könnte allenfalls als Schockschaden berücksichtigt werden. Jedoch würden hierfür die von der Rechtsprechung entwickelten
Kriterien nicht vorliegen. Zur Höhe des GdS sei darauf hinzuweisen, auch wenn dies nicht mehr entscheidungserheblich sei,
dass der kriegsbedingte Anteil, wenn man denn von einem solchen fiktiv ausgehen wolle, an den beim Kläger bestehenden psychischen
Störungen allenfalls marginal sein könne (GdS um 10).
Die hiergegen gerichtete Berufung vom 04.05.2006 ging am 08.05.2006 beim Bayerischen Landessozialgericht (BayLSG) ein. Der
Senat zog die Versorgungs- und Schwerbehinderten-Akten des Beklagten bei, ebenso die Streitakten erster und zweiter Instanz.
Entsprechend dem Antrag des Bevollmächtigten des Klägers wurde dem Kläger mit Beschluss vom 20.11.2006 Prozesskostenhilfe
bewilligt und Rechtsanwalt B. beigeordnet.
Der Beklagte hat mit Schriftsatz vom 22.11.2006 hervorgehoben, aus seiner Sicht könne es letztendlich dahingestellt bleiben,
ob sich die schädigenden Ereignisse so wie vom Kläger geschildert zugetragen hätten. Selbst wenn man die Angaben des Klägers
insoweit als zutreffend unterstellen würde, müsse die Frage des ursächlichen Zusammenhangs zwischen den behaupteten Schädigungen
und den derzeit bestehenden Gesundheitsstörungen verneint werden. Im Übrigen habe Dr. Dr. K. als Ursache für die Beeinträchtigungen
der kognitiven Funktionsstörung des Klägers alternativ Druckwellen explodierender Bomben und die erhebliche psychische Belastung
angenommen, der der Kläger als rassistisch Verfolgter im Dritten Reich ausgesetzt gewesen sei. Soweit der Kläger auf Grund
seiner Angehörigkeit zu den Sinti auch keine Grund- und Hauptschule nach dem Krieg habe besuchen können, handele es sich eindeutig
um Umstände, die nicht den Kriegsereignissen zuzurechnen seien, sondern der nationalsozialistischen Rassenpolitik und den
gesellschaftlichen Vorurteilen in der Nachkriegszeit.
Nach Erörterung vom 05.04.2007 holte der Senat Befundberichte von Dr. B. und Dr. Dr. K. ein. Die Bevollmächtigten des Klägers
übermittelten mit Schriftsatz vom 26.04.2007 das psychiatrische Gutachten von Dr. S. vom 20.11.2006, das im Auftrag des Landgerichts
C-Stadt in einem Strafverfahren gegen den Kläger wegen eines Vermögensdeliktes gefertigt worden war, sowie Unterlagen der
Dres. B., H., K. und G ...
Der Beklagte führte mit Schriftsatz vom 09.05.2007 aus, dass das psychiatrische Gutachten des Dr. S. vom 20.11.2006 keine
Rückschlüsse auf den im vorliegenden Verfahren zu beurteilenden Ursachenzusammenhang zwischen angeblich stattgefundenen schädigenden
Ereignissen und den derzeit bei dem Kläger bestehenden Gesundheitsstörungen zulasse. Das Attest des Dr. B. habe das Vorliegen
von gut verheilten Narben bescheinigt, die teilweise auch schwer erkennbar seien. Ein Rückschluss auf die Entstehung sei insoweit
jedoch nicht möglich. Die Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens werde in das Ermessen des Gerichts gestellt.
Der Senat bestellte mit Beweisanordnung vom 02.07.2007 Dr. D. gemäß §
106 Abs.3 Nr.5
SGG zum ärztlichen Sachverständigen. Dieser kam nach stationärer Aufnahme des Klägers im Psychiatrischen Zentrum N./D-Stadt mit
Gutachten vom 12.11.2007 zu dem Ergebnis, dass in Bezug auf die von dem Kläger angegebenen unmittelbaren Kriegseinwirkungen
und damit im Zusammenhang stehenden Gesundheitsstörungen keine objektiven Informationen vorliegen würden. Folge man den Angaben
des Klägers, könnte allenfalls das von ihm angegebene Stottern als mögliche Folge unmittelbarer Kriegseinwirkungen (Exposition
gegenüber einem Bombenangriff) angesehen werden. Wie bereits ausgeführt, lasse sich ein Stottern als primärer kriegsbedingter
Gesundheitsschaden jedoch nicht mit der erforderlichen Sicherheit nachweisen. Entgegen den Ausführungen des Dr. Dr. K. finde
sich kein Anknüpfungspunkt für den Verdacht auf eine hirnorganische Schädigung im Kindesalter. Die diagnostizierte organische
Persönlichkeitsstörung sei nicht wesentlich auf kriegsbedingte Gesundheitsstörungen zurückzuführen. Entsprechendes gelte auch
für vom Kläger angegebene Schlafstörungen mit Albträumen, die im Zusammenhang mit rezenten psychosozialen Belastungen (Hehlereiprozess
als "Wendepunkt im Leben, Hafterfahrung als persönlicher Untergang") sowie mit einer organischen Persönlichkeitsveränderung
zu sehen seien, nicht jedoch mit den beschriebenen Kriegseinwirkungen und daraus resultierenden Gesundheitsstörungen. Dr.
F. sei in seinem Vorgutachten vom 21.10.2005 nicht nur diagnostisch, sondern auch ätiopathogenetisch und kausalitätsanalytisch
von anderen Sachverhalten ausgegangen. Dabei würde das Fehlen von Brückensymptomen über mehrere Jahrzehnte sowie konkurrierende
Kausalfaktoren nicht hinreichend berücksichtigt.
Die Bevollmächtigten des Klägers haben sich mit Schriftsatz vom 18.12.2007 kritisch mit den Ausführungen des gerichtlich bestellten
Sachverständigen auseinandergesetzt und darauf aufmerksam gemacht, dass dem Kläger auch in Anlehnung an die Regelungen zum
Härteausgleich (§ 89 BVG) eine angemessene Rente zuzubilligen sei. In Berücksichtigung der vorstehend bezeichneten Ausführungen des Bevollmächtigten
des Klägers wurden in der nichtöffentlichen Sitzung des BayLSG vom 03.03.2008 als Zeugen Frau A. und Dr.Dr. K. einvernommen.
Dr. D. wurde gebeten, eine ergänzende Stellungnahme zu seinem Gutachten vom 12.11.2007 zu erstellen.
Dieser führte in der ergänzenden Stellungnahme vom 02.04.2008 zusammenfassend aus, dass nach Auswertung des neuen Informationsmaterials
wohl eine Ergänzung des Diagnosespektrums um die Diagnose von Albträumen notwendig werde. Hinsichtlich der wesentlichen Aussagen
des von ihm vorgelegten Gutachtens würden sich jedoch keine Modifikationen ergeben.
Nachdem die Bevollmächtigten des Klägers mit Schriftsatz vom 24.04.2008 zahlreiche weitere Kritikpunkte zu den Ausführungen
des Dr. D. erhoben und unter anderem auch die Art und Weise der Unterbringung im Rahmen der stationären Begutachtung gerügt
hatten, wurde der gerichtlich bestellte Sachverständige um eine weitere Stellungnahme gebeten. Er äußerte mit umfassender
Stellungnahme vom 05.08.2008, der Vorwurf, die Begutachtung hätte zu einer "weitergehenden Gefährdung" der Gesundheit des
Probanden geführt, sei als wahrheitswidrig zurückzuweisen. Der Senat wies den Antrag vom 24.04.2008, den Sachverständigen
Dr. D. wegen Besorgnis der Befangenheit abzulehnen, mit Beschluss vom 17.12.2008 zurück. Vor allem habe der Kläger keine Tatsachen
dargetan, die ein Misstrauen gegen die Unparteilichkeit des Sachverständigen rechtfertigen würden. Die Anhörungsrüge wurde
mit Beschluss vom 30.01.2009 als unzulässig verworfen. Die damit verbundene Gegenvorstellung wurde zurückgewiesen. An den
Antrag des Klägers, eine "kontradiktorische" Einvernahme von Dr. D. und Dr. F. durchzuführen, sei das BayLSG gemäß §
103 Satz 2
SGG nicht gebunden.
Die Bevollmächtigten des Klägers beantragten mit Schriftsatz vom 27.02.2009, ein "Obergutachten" einzuholen, hilfsweise zumindest
die Sachverständigen Dr. D. und Dr. F. in einer zeitnah anzuberaumenden mündlichen Verhandlung gegenüberzustellen. Außerdem
sei Dr. F. zur Höhe des bei dem Kläger festzustellenden GdS zu hören. Die Bevollmächtigten des Klägers führten mit ergänzendem
Schriftsatz vom 26.03.2009 nochmals zusammenfassend aus, dass sich die Ereignisse beim Kläger außerordentlich traumatisch
ausgewirkt hätten. Nach dem Schwerbehindertengesetz (nunmehr:
SGB IX) sei bei dem Kläger mittlerweile ein GdB von 70 sowie das Merkzeichen "G" zuerkannt worden. Mit dem PKH-Beschluss vom 08.09.2004
seien entsprechende Erfolgsaussichten bescheinigt worden.
In der mündlichen Verhandlung vom 28.07.2009 beantragt der Kläger,
das Urteil des Sozialgerichts Bayreuth vom 03.04.2006 sowie den Bescheid des Beklagten vom 16.05.2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 08.09.2003 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, dem Kläger wegen der bei ihm bestehenden Schädigungsfolgen Beschädigtenversorgung
nach den Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes in rentenberechtigendem Grad zu gewähren. Hilfsweise wird die Einholung
eines weiteren Gutachtens von Amts wegen beantragt.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Bayreuth vom 03.04.2006 zurückzuweisen.
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird gemäß §
202 SGG i.V.m. §
540 der
Zivilprozessordnung (
ZPO) sowie entsprechend §
136 Abs.2
SGG auf die Unterlagen des Beklagten sowie die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist gemäß §§
143,
144 und
151 SGG zulässig und teilweise begründet. Bei dem Kläger sind "Albträume und Nachhallerinnerungen" im Sinne der Entstehung als Schädigungsfolgen
festzustellen (§ 1 Abs.1, § 1 Abs.2, Buchst a, § 5 Abs.1 Buchst a BVG). Ein rentenberechtigender Grad der Schädigungsfolgen (GdS) im Sinne von § 30 Abs.1, § 31 Abs.1 BVG resultiert hieraus jedoch nicht.
Wer durch eine militärische oder militärähnliche Dienstverrichtung oder durch einen Unfall während der Ausübung des militärischen
oder militärähnlichen Dienstes oder durch die diesem Dienst eigentümlichen Verhältnisse eine gesundheitliche Schädigung erlitten
hat, erhält wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen der Schädigung auf Antrag Versorgung (§ 1 Abs.1 BVG). Einer Schädigung im Sinne des Absatzes 1 stehen Schädigungen gemäß § 1 Abs.2 Buchst a BVG gleich, die durch eine unmittelbare Kriegseinwirkung herbeigeführt worden sind. Als unmittelbare Kriegseinwirkung im Sinne
des § 1 Abs.2 Buchst a BVG gelten, wenn sie im Zusammenhang mit einem der beiden Weltkriege stehen, gemäß § 5 Abs.1 Buchst a BVG Kampfhandlungen und damit unmittelbar zusammenhängende militärische Maßnahmen, insbesondere die Einwirkung von Kampfmitteln.
In Übereinstimmung mit dem Beklagten mit Schriftsatz vom 09.02.2006 hält es der erkennende Senat auch in Berücksichtigung
von § 15 des Gesetzes über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung (KOV-VfG) für glaubhaft, dass sich der Kläger
während der Zeit der Bombenangriffe vom 05.04. bis 11.04.1945 in C-Stadt aufgehalten und diese miterlebt hat. Die hierbei
erlittenen psychischen Traumata stellen eine "unmittelbare Kriegseinwirkung" im Sinne von § 1 Abs.2 Buchst a i.V.m. § 5 Abs.1 Buchst a BVG dar (BSG mit Urteil vom 13.05.1958 - 10 RV 678/56 - in BVBl 1959, S.7).
Im Rahmen von § 15 KOV-VfG ist nicht erforderlich, dass sich der Kläger an jedes Trauma im Einzelnen und im Detail erinnert.
Dies kann nach nunmehr rund 60 Jahren auch nicht mehr erwartet werden. Ausreichend ist vielmehr, dass dem Kläger bestimmte
traumatische Ereignisse im Wesentlichen noch erinnerlich sind (z.B. Luftangriff im Bereich des Bahnhofs C-Stadt ohne die Möglichkeit
eine Schutzeinrichtung aufzusuchen, Schreie von Personen, schwarzer von Pferden gezogener Leichenwagen, Abtransport von Verwundeten
und Toten).
Für den erkennenden Senat hat die Ehegattin des Klägers schlüssig und überzeugend insbesondere von Angstträumen mit Hinsetzen
im Bett und Schwitzen berichtet. Thema dieser Angstträume ist zum Beispiel ein Verfolgtwerden mit einem Gewehr gewesen.
Dass die diesbezüglichen Angaben des Klägers als glaubhaft im Sinne von § 15 KOV-VfG zu Grunde gelegt werden können und müssen,
bestätigt das nervenärztliche Gutachten des Dr. F. vom 21.10.2005. Der gerichtlich bestellte Sachverständige hat trotz fachlicher
Bedenken (vgl. S.21 ff. seines Gutachtens vom 21.10.2005) letztendlich befürwortet, die bei dem Kläger bestehende "andauernde
Persönlichkeitsveränderung nach Extrembelastung mit Albträumen und Nachhallerinnerungen" als Schädigungsfolge im Sinne des
BVG anzuerkennen, weil auch aus medizinischer Sicht hierfür eine entsprechende Wahrscheinlichkeit besteht.
Dr. D. hat sein ursprünglich für den Kläger ungünstiges Gutachten vom 12.11.2007 mit Stellungnahme vom 02.04.2008 insoweit
korrigiert, als er zusammenfassend festgehalten hat, dass sich nach Auswertung des neuen Informationsmaterials (d.h. vor allem
dem Ergebnis der Zeugeneinvernahme vom 03.03.2008) wohl eine Ergänzung des Diagnosespektrums um die Diagnose von "Albträumen
(ICD-10: F51.5)" notwendig geworden ist.
Die Zusammenschau der Angaben des Klägers, seiner Ehegattin und der Ausführungen der gerichtlich bestellten Sachverständigen
Dr. F. mit Gutachten vom 21.10.2005 und Dr. D. vor allem in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 02.04.2008 belegt in Berücksichtigung
von § 15 KOV-VfG zur Überzeugung des erkennenden Senats ausreichend, dass der Kläger im Zeitraum 05.04. bis 11.04.1945 in
C-Stadt schädigungsbedingt als Kind psychisch traumatisiert worden ist und nachweislich seit etwa dem Jahr 2002 deswegen an
"Albträumen und Nachhallerinnerungen" leidet. Denn auch der behandelnde Arzt Dr. Dr. K. hat aktenkundig ab etwa dem Jahr 2002
entsprechende Albträume beschrieben.
Vorstehende Schädigungsfolge kann auch abgegrenzt werden von den weiteren Traumatisierungen, die der Kläger in seiner Jugend
hat hinnehmen müssen und die nicht in den Schutzbereich des BVG, sondern den des Bundesentschädigungsgesetzes (BEG) fallen (Internierung in eine Baracke mit der Familie während des Krieges
wegen Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Sinti, Kontroll- und Schikanemaßnahmen von Seiten der Gestapo, verminderte Zuteilung
von Lebensmittelmarken, Verweigerung des Schulbesuches usw.). Auch die glaubhaft vorgetragenen Ressentiments der Nachkriegszeit
fallen nicht mehr in den Schutzbereich des BVG. Wenn der Kläger später wiederholt strafrechtlich auffällig geworden ist und dies psychisch nicht verwunden hat (Hehlereiprozess
als "Wendepunkt im Leben", Hafterfahrung als "persönlicher Untergang"; vgl. Gutachten des Dr. D. vom 12.11.2007 auf S.60),
ist dies für den vorliegenden Rechtsstreit nur insoweit von Belang, als die bei dem Kläger bestehende Gesamtheit traumatischer
psychischer Erfahrungen nicht nach den Vorschriften des BVG zu entschädigen ist, sondern nur die auf die Kriegseinwirkungen zurückzuführenden "Albträume und Nachhallerinnerungen"
Soweit die Bevollmächtigten des Klägers mit Schriftsatz vom 26.03.2009 zusammenfassend unter anderem nochmals darauf hingewiesen
haben, dass bei dem Kläger nach den Vorschriften des Schwerbehindertenrechts (
SGB IX) mit zuletzt maßgeblichem Abhilfe-Bescheid des Zentrums Bayern Familie und Soziales Region Oberfranken vom 03.07.2008 ein
Grad der Behinderung (GdB) von 70 ab 26.06.2007 festgestellt und das Merkzeichen "G" zuerkannt worden sei, stützt dies das
weitergehende Klagebegehren (Feststellung von Schädigungsfolgen in rentenberechtigendem Grad) nicht. Der Senat verkennt nicht,
dass die Funktionsstörung "Beeinträchtigung der Gehirnfunktion, Schmerzsyndrom, Gleichgewichtstörungen" zwischenzeitlich nach
§
69 SGB IX mit einem Einzel-GdB von 60 bewertet worden ist. Hierbei hat der Beklagte vor allem den zwischenzeitlich schicksalhaft aufgetretenen
Morbus Alzheimer berücksichtigt. Entsprechend den gutachterlichen Ausführungen von Dr. F. vom 21.10.2005 und Dr. D. vom 12.11.2007
handelt es sich insoweit jedoch zweifelsfrei um eine schädigungsunabhängige Erkrankung.
Die Frage, ob die bei dem Kläger bestehende Schädigungsfolge "Albträume und Nachhallerinnerungen" einen rentenberechtigenden
Grad der Schädigungsfolgen (GdS) im Sinne von § 30 Abs.1 BVG bedingt oder nicht, ist hier eindeutig zu verneinen. Denn die "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen
Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz 1996 bis 2008" sehen in Randziffer 26.3 vor, dass leichtere psychovegetative
oder psychische Störungen mit einem GdS von 0 bis 20 zu berücksichtigen sind. Erst stärker behindernde Störungen mit wesentlicher
Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit (z.B. ausgeprägte depressive, hypochondrische, asthenische oder phobische
Störungen, Entwicklungen mit Krankheitswert, somatoforme Störungen) sind mit einem GdS von 30 bis 40 zu bewerten. Die Maßgeblichkeit
der "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz
1996 ff." als "antizipierte Sachverständigengutachten" ergibt sich aus dem allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz (vgl. Bundesverfassungsgericht
mit Beschluss vom 06.03.1995 - BvR 60/95 - in NJW 1995, S.3049, 3050; vgl. BSG mit Urteil vom 18.09.2003 - B 9 SB 3/02 R in SGb 2004, S.378).
Mit Wirkung ab 01.01.2009 sind die "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und
nach dem Schwerbehindertengesetz 1996 bis 2008" durch die "Versorgungsmedizinischen Grundsätze" ersetzt worden (vgl. Anlage
zu § 2 Versorgungsmedizin-Verordnung auf Grundlage von § 30 Abs.17 BVG). Diese sind hinsichtlich der Bewertung von Neurosen, Persönlichkeitsstörungen und Folgen psychischer Traumen in Teil B,
Rz.3.7 mit den vorstehend bezeichneten "Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit" inhaltsgleich.
Hierzu hat der erstinstanzlich gehörte Sachverständige Dr. F. mit Gutachten vom 21.10.2005 schlüssig und überzeugend ausgeführt,
dass die bei dem Kläger bestehenden "Albträume und Nachhallerinnerungen" mit einem GdS von 10 einzuschätzen sind. Denn die
von dem internationalen Diagnoseschlüssel geforderten diagnostischen Kriterien einer posttraumatischen Belastungsstörung bzw.
einer lang anhaltenden Persönlichkeitsveränderung lägen nicht vollzählig vor. Auch aus Sicht des erkennenden Senats handelt
es sich vielmehr um eine psychoreaktive Schädigung des Klägers, die der Gruppe der leichteren psychovegetativen oder psychischen
Störungen zuzurechnen ist. Im Rahmen des vorgegebenen Bewertungsrahmens eines GdS von 0 bis 20 ist es für den erkennenden
Senat schlüssig und überzeugend nachvollziehbar, dass die beim Kläger bestehenden "Albträume und Nachhallerinnerungen" einerseits
nicht wegdiskutiert werden können und dürfen, andererseits aber nicht so ausgeprägt und schwerwiegend sind, dass sie einen
rentenberechtigenden GdS von 30 im Sinne von § 31 Abs.1 BVG erreichen. Der von Dr. F. mit Gutachten vom 21.10.2005 festgestellte GdS von 10 ist auch aus rechtlicher Sicht angemessen
und zutreffend.
Nachdem der Senat nicht dem restriktiven Votum des Dr. D. mit Gutachten vom 12.11.2007 gefolgt ist, sondern sich im Wesentlichen
auf die Ausführungen des erstinstanzlich gehörten Sachverständigen Dr. F. mit Gutachten vom 21.10.2005 und die modifizierende
ergänzende Stellungnahme des Dr. D. vom 02.04.2008 stützt, liegt keine Divergenz vor, die eine nochmalige Einvernahme der
erst- und zweitinstanzlich gehörten Sachverständigen erfordern würde oder gar die Einholung eines "Obergutachtens", wie von
Klägerseite gefordert, gemäß §§
103,
106 Abs.3 Nr.5
SGG. Die Einvernahme der Sachverständigen zur Erläuterung ihrer Gutachten konnte ebenfalls unterbleiben, da der Senat nach kritischer
Überprüfung und Bewertung der Gutachten keine Zweifel am Ergebnis hatte und der Kläger nicht ausreichend dargelegt hat, welche
sachdienlichen Fragen bei der Einvernahme des - oder der Sachverständigen - gestellt werden sollten und welche entscheidungserheblichen
Punkte dadurch aufgeklärt werden müssten (§
103 SGG i.V.m. §
411 ZPO, vgl. Leitherer in Meyer-Ladewig, §
103 SGG Anm. 11a, Reichold in Thomas/Putzo,
ZPO §
411 Anm.5).
Im Übrigen bietet auch die von den Bevollmächtigten des Klägers angesprochene Härtefallregelung § 89 BVG keine Anspruchsgrundlage für die Bewilligung von Rentenleistungen gleichsam aus übergeordneten Gesichtspunkten.
Nach alledem ist der Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Bayreuth vom 03.04.2006 nur in dem beschriebenen
Umfange stattzugeben gewesen.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf §§
183,
193 SGG und berücksichtigt das überwiegende Obsiegen des Beklagten.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§
160 Abs.2 Nrn.1 und 2
SGG).