Ablehnung eines Sachverständigen wegen Besorgnis der Befangenheit im sozialgerichtlichen Verfahren
Gründe:
I. Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Besorgnis der Befangenheit gegenüber dem Sachverständigen Dr. L. begründet
ist.
Der 1932 geborene Kläger und Beschwerdeführer (im Folgenden: Bf.) begehrt in dem beim Sozialgericht München anhängigen Klageverfahren
eine höhere Rente aufgrund eines am 3. Juli 2004 erlittenen Arbeitsunfalls. Mit Bescheid vom 17. Januar 2007 in der Gestalt
des Widerspruchsbescheides vom 3. Mai 2007 gewährte die Beklagte und Beschwerdegegnerin (im Folgenden: Bg.) für die Zeit vom
1. November 2004 bis 30. September 2005 eine Rente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 30 v.H:, ab 1. Oktober
2005 nach einer MdE um 20 v.H.
Das Sozialgericht hat mit Beweisanordnung vom 5. Mai 2009 Gutachten auf chirurgischem, HNO-ärztlichem und neurologischem Fachgebiet
in Auftrag gegeben. Der dabei beauftragte Chirurg und Unfallchirurg Dr. R. L. hat in seinem Gutachten vom 15. Oktober 2009
die Ansicht vertreten, dass auf unfallchirurgischem Fachgebiet weder am 1. November 2004 noch am 1. Oktober 2005 noch messbare
Folgen des Unfalls vorgelegen hätten. Eine MdE habe nicht bestanden.
Mit Schriftsatz vom 29. Oktober 2009 hat der Bf. den Sachverständigen wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt. Die Ausführungen
des Sachverständigen seien zum Teil ungenau, zum Teil tendenziös und geeignet, ihn in seinem Persönlichkeitsrecht zu verletzen.
So enthalte das Gutachten mehrere Spitzen gegen ihn und es würden Formulierungen gewählt, die zu Unrecht den Verdacht auf
Simulation und Aggravation aufkommen ließen. Die Tendenz, das Gutachten für die Bg. auszurichten, sei unverkennbar. Im Folgenden
hat der Bf. dies eingehend mit einzelnen Aussage des Sachverständigen begründet und die Ansicht vertreten, aufgrund der Diktion
des gesamten Gutachtens sei in dem Gutachten eine fortgesetzte Herabsetzung seiner Person, insbesondere auch im Bezug auf
sein Alter, und eine unzutreffende Bewertung daraus resultierend festzustellen.
Das Sozialgericht hat eine Stellungnahme des Dr. L. vom 15. November 2009 eingeholt, der den Vorwurf der Befangenheit insgesamt
und im Einzelnen zurückgewiesen hat.
Mit Beschluss vom 2. Dezember 2009 hat das Sozialgericht den Ablehnungsantrag zurückgewiesen. Eine Besorgnis der Befangenheit
gegenüber dem medizinischen Sachverständigen sei nicht begründet. So stelle es keine Herabwürdigung eines Prozessbeteiligten
dar, wenn er als "hochbetagt" oder "altertypisch sehr langsam und bedächtig" bezeichnet werde. Auch sei es Aufgabe des Sachverständigen,
zu überprüfen, ob die Angaben des zu Begutachtenden zu seinem gesundheitlichen Zustand mit dem Ergebnis seiner Untersuchung
übereinstimmen und damit objektivierbar sind. Insgesamt handele es sich bei den Ausführungen des Gutachters um eine zulässige
Bewertung des medizinischen Sachverhalts. Unabhängig davon, ob das Gericht der Einschätzung des Sachverständigen folgt oder
nicht, habe ein Verfahrensbeteiligter bei vernünftiger Würdigung der Umstände keinen Anlass, an der Unvoreingenommenheit des
Dr. L. zu zweifeln.
Zur Begründung der hiergegen eingelegten Beschwerde hat der Bf. ausgeführt, dass der Sachverständige in dem gesamten Gutachten
pointiert sein Alter, eine Senilität und die mangelnde Beweglichkeit betont habe. Auf keinen Fall treffe der Verdacht der
Simulation oder Aggravation zu. Die von ihm eingenommene Schonsteifhaltung des Rumpfes sei eindeutig Folge des Unfallgeschehens.
Die Begutachtung und Beurteilung deute wiederholt darauf hin, dass die festgestellten Schäden degenerativer Art und geringgradig
seien. Auch maße sich der Sachverständige auf Seite 18 des Gutachtens Kenntnisse in der Neurologie und Psychiatrie an. Nicht
nur subjektiv, sondern auch objektiv sei die Ablehnung des Sachverständigen daher zu Recht erfolgt.
Die Bg. hat beantragt, den Antrag zurückzuweisen. Es sei kein objektiver Grund gegeben, von einer Voreingenommenheit des Gutachters
gegen den Bf. auszugehen. Die Äußerungen zum Alter des Bf. stelle keine Abqualifizierung seiner Person dar, sondern sei damit
zu begründen, dass der Sachverständige regelmäßig deutlich jüngere Personen beurteile; das Alter des Bf. übersteige deutlich
den Altersdurchschnitt der noch im Erwerbsleben stehenden Personen.
Nach §
118 Abs.
1 SGG sind im sozialgerichtlichen Verfahren über die Ablehnung eines Sachverständigen die Vorschriften der
Zivilprozessordnung (
ZPO) anzuwenden. Da sich vorliegend für den Bf. die geltend gemachten Ablehnungsgründe erst aus dem Gutachten selbst ergeben,
konnte das Ablehnungsgesuch erst zu einem späteren Zeitpunkt als in §§
406 Abs.
2 S. 1, 411 Abs.
1 ZPO vorgesehen vorgebracht werden (§
406 Abs.
2 S. 2
ZPO).
Nach §§
406 Abs.
1 Satz 1,
42 Abs.
1 und
2 ZPO findet die Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen
die Unparteilichkeit des Sachverständigen zu rechtfertigen. Der Grund, der das Misstrauen rechtfertigt, muss bei objektiver
und vernünftiger Betrachtungsweise vom Standpunkt der Partei aus vorliegen. Rein subjektive Vorstellungen und Gedankengänge
des Antragstellers scheiden aus (Thomas/Putzo,
ZPO, 30. Aufl., §
42 Rdnr. 9).
Soweit sich das Ablehnungsgesuch auf eine angebliche sachliche Unzutreffenheit, falsche Schlussfolgerungen oder eine Kompetenzüberschreitung
bezieht, rechtfertigen derartige Gründe für sich allein nicht die Ablehnung eines Sachverständigen wegen Befangenheit. Eventuelle
Unzulänglichkeiten dieser Art treffen beide Parteien und können lediglich dazu führen, die Rechte des Prozessrechts in Anspruch
zu nehmen, insbesondere ein neues Gutachten einzuholen (vgl. §
412 ZPO). Derartige Mängel eines Gutachtens können dieses allenfalls entwerten. Die inhaltliche Bewertung des Gutachtens obliegt
der entscheidenden Richterin im Rahmen der freien Beweiswürdigung (§
128 Abs.
1 S. 1
SGG) und kann nicht in ein Verfahren wegen Besorgnis der Befangenheit vorgezogen werden.
Konkrete Anhaltspunkte einer besonderen Abhängigkeit zwischen dem Sachverständigen und der Bg. bestehen nicht. Allein dass
der Sachverständige auch von den Berufsgenossenschaften beauftragt wird, reicht hierfür nicht aus. Selbst wenn ein Sachverständiger
einer von einer Berufsgenossenschaft getragenen Organisation angehörte, reicht dies als Ablehnungsgrund nicht aus (so auch
Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
SGG, 9. Aufl., §
118 Rdnr. 12 k mit weiteren Nachweisen).
Mit der Bezeichnung "hochbetagt" oder sonstigen Hinweisen auf das Alter des 1932 geborenen Bf. vermag der Senat ebenso wie
das Sozialgericht keine Herabsetzung oder Diskriminierung zu sehen. Der Begriff "hochbetagt" ist im allgemeinen Sprachgebrauch
nicht per se negativ hinterlegt - wenn auch für einen inzwischen 78-jährigen Probanden eher unüblich. Wenn bestimmte Bewegungsabläufe
lediglich als "alterstypisch sehr langsam und bedächtig" geschildert werden, liegt der Verdacht einer Herabwürdigung vollends
fern. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass gerade im Hinblick auf die im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung erforderliche
Abgrenzung zwischen Unfallfolgen und degenerativen Schäden das Alter der Probanden von erheblicher Bedeutung sein kann.
Darüber hinaus gehört es zu den Aufgaben des Sachverständigen, für bedeutsam empfundene Beobachtungen im Rahmen der Anamnese
und körperlichen Untersuchungen in dem Gutachten festzuhalten. Dabei handelt es sich oftmals auch um subjektive Wahrnehmungen
des Gutachters. Es ist deshalb nicht zu beanstanden, wenn Dr. L. z.B. das Gangbild alterstypisch kleinschrittig und verlangsamt
mit leicht ataktischer Anmutung und einer gewissen Schon-Steifhaltung des Rumpfes und auch der Halswirbelsäule schildert.
Zulässig und sogar zu fordern ist auch, gegebenenfalls ein Auseinanderfallen von Untersuchungsbefund und Objektivierbarkeit
darzustellen. Ein konkret begründeter Verdacht auf Simulation oder Aggravation darf benannt werden.
Das Sozialgericht kam deshalb bei der Gesamtbetrachtung zutreffend zu dem Ergebnis und hat dies auch entsprechend begründet,
dass die Besorgnis der Befangenheit gegenüber dem medizinischen Sachverständigen Dr. L. nicht begründet ist. Die Beschwerde
war daher zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung des §
193 SGG.
Dieser Beschluss ist gemäß §
177 SGG unanfechtbar.