Vergütung vertragsärztlicher Leistungen; Rechtmäßigkeit eines Honorarabzugs wegen degressionsbedingter Punktwertabsenkung;
Berechnung des Degressionsbetrages
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Höhe der von der Beklagten für das Jahr 2002 vorgenommenen Degression.
Dr. C T und Dr. IB, letztere als ungleichberechtigte Partnerin, führten als Zahnärztinnen für Kieferorthopädie in der Zeit
vom 1. Oktober 2000 bis zum 31. März 2004 die klagende Gemeinschaftspraxis. Mit dem "vorläufigen Degressionsbescheid für das
Jahr 2002" vom 11. Juli 2003, bestätigt durch den Widerspruchsbescheid vom 27. Oktober 2004, teilte die Beklagte der Klägerin
mit, dass ihre abgerechnete Punktzahl (765.922 Punkte) die für sie geltende Degressionsgrenze von 595.000 Punkten überschritten
habe und ihr Vergütungsanspruch daher gemäß §
85 Abs.
4 e Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (
SGB V) um 20.564,98 Euro zu kürzen sei.
Mit ihrer Klage hat die Klägerin vorgebracht, die Beklagte habe entgegen der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG)
bei der Berechnung des Degressionsabzuges die gesamtvertraglich vereinbarten Punktwerte anstelle der wesentlich niedrigeren
effektiven Auszahlungspunktwerte, die sich aus der Überschreitung der limitierten Gesamtvergütung ergäben, zugrunde gelegt.
Diese Berechnung führe im Ergebnis dazu, dass über die Degressionskürzungen Gelder an die Krankenkassen zurückfließen würden,
die in Folge der limitierten Gesamtvergütung nicht zur Auszahlung gelangt seien; die Krankenkassen erhielten also mehr zurück
als sie gezahlt hätten. Die von der Beklagten vorgenommene Berechnung bewirke außerdem, dass nicht der tatsächliche Vergütungsanspruch
des Vertragszahnarztes, sondern ein rein fiktives Honorarvolumen degressiert werde. Da die Degressionskürzungen aus der Gesamtvergütung
an die Krankenkassen zurückflössen, vermindere sich die zur Honorarverteilung zur Verfügung stehende Geldmenge (auch) zu Lasten
solcher Praxen, die die Degressionswerte nicht überschritten hätten. Dies widerspreche Sinn und Zweck der Punktwertdegression.
Die Beklagte hat die angegriffene Bescheide verteidigt und mitgeteilt, dass sich auf der Grundlage der budgetierten Punktwerte
eine fiktive Degressionskürzung von 19.622,33 €, somit eine Differenz von 942,65 €, ergebe.
Die vertraglich vereinbarten Punktwerte für das Quartal IV/02 und die sog. Auszahlungspunktwerte im Jahr 2002 betrugen nach
Angaben der Beklagten:
Kfo-Leistungen
|
Auszahlungspunktwerte
|
vertragliche Punktwerte
|
AOK
|
0,5995
|
0,7
|
IKK
|
0,6526
|
0,71
|
AEV
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0,4833
|
0,67
|
Knappschaft
|
0,7098
|
0,7098
|
Begleitleistungen (KCH)
|
Auszahlungspunktwerte
|
vertragliche Punktwerte
|
AOK
|
0,7098
|
0,75
|
IKK
|
0,6673
|
0,76
|
VdAK
|
0,7129
|
0,75
|
AEV
|
0,7020
|
0,75
|
Knappschaft
|
0,7375
|
0,7656
|
Mit Urteil vom 27. Juni 2007 hat das Sozialgericht Berlin die Klage abgewiesen, weil die Durchführung der Vergütungsminderung
durch die Beklagte im Sinne der gesetzlichen Vorschriften erfolgt sei. Für eine Degressionsrechnung auf der Grundlage der
Auszahlungspunktwerte bestehe keine gesetzliche Grundlage. Dass infolge von Auszahlungspunktwerten unterhalb der vertraglich
vereinbarten Punktwerte die Degression bei Umsätzen greife, die niedriger als bei Einführung der Regelung seien, sei nach
Ansicht des BSG unschädlich.
Gegen dieses ihr am 30. Juli 2007 zugestellte Urteil richtet sich die Berufung der Klägerin vom 23. August 2007, zu deren
Begründung sie unter Verweis auf ihr erstinstanzliches Vorbringen ergänzend vorbringt: Das Urteil des Sozialgericht beruhe
auf einem wesentlichen Verfahrensmangel. Denn das Sozialgericht habe nicht in Abwesenheit ihrer verhinderten Prozessbevollmächtigten
aufgrund mündlicher Verhandlung entscheiden dürfen, nachdem diese mit Schriftsatz vom 26. Juni 2007 ihr Einverständnis zu
einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt hätten. Im übrigen sei es nach der Intention des BSG unzulässig, die
Degressionsabzüge auf der Grundlage der gesamtvertraglich vereinbarten Punktwerte ohne Berücksichtigung der Limitierung durch
die Gesamtvergütung zu berechnen. Eine derartige Berechungsweise führe dazu, dass Degressionskürzungen auch von Honoraranteilen
vorgenommen würden, die infolge der limitierten Gesamtvergütung überhaupt nicht zur Auszahlung gekommen seien. So betrage
beispielsweise der Kürzungsprozentsatz bei Zugrundlegung der gesamtvertraglich vereinbarten Punktwerte, bezogen auf das vergütete
Honorar, für Leistungen, die für Patienten der AOK Berlin erbracht worden seien, in der ersten Stufe nicht 20 %, sondern 23,4
%.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 27. Juni 2007 sowie die Bescheid der Beklagten vom 11. Juli 2003 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 27. Oktober 2004 aufzuheben, soweit der Degressionsbetrag 19.622,33 Euro übersteigt,
hilfsweise,
die Revision zuzulassen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das angegriffene Urteil für rechtmäßig.
Die Beigeladenen haben sich nicht geäußert.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist unbegründet. Zu Recht hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen, denn die angegriffenen Degressionsbescheide
sind rechtmäßig.
I. Unerheblich ist, ob das Urteil des Sozialgerichts - wie die Klägerseite meint - auf einem Verfahrensfehler beruht. Denn
der Senat prüft den Streitfall im selben Umfang wie das Sozialgericht (§
157 Satz 1
SGG) und macht von der Möglichkeit einer Zurückverweisung nach §
159 SGG keinen Gebrauch.
II. Jedenfalls materiell-rechtlich ist die Entscheidung des Sozialgerichts nicht zu beanstanden.
1.) Rechtsgrundlage der Bescheide sind §
85 Abs.
4 b und
4 e SGB V in der im Jahre 2002 geltenden Fassung (alte Fassung - a.F.). Diese Vorschriften lauteten:
"(4b) Ab einer Gesamtpunktmenge je Vertragszahnarzt aus vertragszahnärztlicher Behandlung einschließlich der Versorgung mit
Zahnersatz sowie kieferorthopädischer Behandlung von 350.000 Punkten je Kalenderjahr verringert sich der Vergütungsanspruch
für die weiteren vertragszahnärztlichen Behandlungen im Sinne des § 73 Abs. 2 Nr. 2 um 20 vom Hundert, ab einer Punktmenge
von 450.000 je Kalenderjahr um 30 vom Hundert und ab einer Punktmenge von 550.000 je Kalenderjahr um 40 vom Hundert. Satz
1 gilt für ermächtigte Zahnärzte entsprechend. Die Punktmengengrenzen bei Gemeinschaftspraxen richten sich nach der Zahl der
gleichberechtigten zahnärztlichen Mitglieder. Bei nicht gleichberechtigten Mitgliedern gilt die Regelung für angestellte Zahnärzte
entsprechend. Eine Gleichberechtigung der zahnärztlichen Mitglieder liegt vor, wenn vertraglich gleiche Rechte und Pflichten
der Teilhaber in Berufsausübung und Praxisführung vereinbart sind. Der Nachweis der gleichberechtigten Teilhaberschaft ist
gegenüber dem Zulassungsausschuss durch Vorlage des notariell beglaubigten Vertrages zu erbringen. Die Punktmengen erhöhen
sich um 70 vom Hundert je ganztägig angestelltem Zahnarzt im Sinne des § 32b Abs. 1 der Zulassungsverordnung für Vertragszahnärzte
und um 25 vom Hundert für Entlastungs-, Weiterbildungs- und Vorbereitungsassistenten. Bei Teilzeit oder nicht ganzjähriger
Beschäftigung verringert sich die zusätzlich zu berücksichtigende Punktmenge entsprechend der Beschäftigungsdauer. Die Punktmengen
umfassen alle vertragszahnärztlichen Leistungen im Sinne des § 73 Abs. 2 Nr. 2. In die Ermittlung der Punktmengen sind die
Kostenerstattungen nach § 13 Abs. 2 einzubeziehen. Diese werden den Kassenzahnärztlichen Vereinigungen von den Krankenkassen
mitgeteilt.
(4e) Die Kassenzahnärztlichen Vereinigungen haben die Honorareinsparungen aus den Vergütungsminderungen nach Absatz 4b an
die Krankenkassen weiterzugeben. Die Durchführung der Vergütungsminderung durch die Kassenzahnärztliche Vereinigung erfolgt
durch Absenkung der vertraglich vereinbarten Punktwerte ab dem Zeitpunkt der jeweiligen Grenzwertüberschreitungen nach Absatz
4b. Die abgesenkten Punktwerte nach Satz 2 sind den auf dem Zeitpunkt der Grenzwertüberschreitungen folgenden Abrechnungen
gegenüber den Krankenkassen zugrunde zu legen. Überzahlungen werden mit der nächsten Abrechnung verrechnet. Weitere Einzelheiten
können die Vertragspartner der Vergütungsverträge (§ 83) regeln."
Aufgrund der in §
85 Abs.
4 e Satz 5
SGB V a.F. erteilten Ermächtigung haben die Beklagte einerseits sowie die Landesverbände der Primärkassen bzw. die Ersatzkassenverbände
andererseits mit Wirkung zum 1. Januar 1993 die "Vereinbarung über die rechnerische Ermittlung der Verringerung des Vergütungsanspruchs
gemäß §
85 Abs.
4 b Satz 5
SGB V" geschlossen. Ziff. 1 dieser Degressionsvereinbarung beinhaltet folgende Regelung:
"Die KZV Berlin prüft die Abrechnungen aller Vertragszahnärzte, ob mit der jeweiligen Abrechnung eine Gesamtpunktmenge im
laufenden Jahr von 350.000 (im beigetretenen Teil des Landes Berlin ab 1994), 450.000 oder 550.000 Punkten überschritten wird.
In die Ermittlung der Punktmengen sind die Kostenerstattungen nach §
13 Absatz
2 SGB V einzubeziehen.
Der vertragliche Punktwert der Einzelleistungen verringert sich bezüglich der über die KZV Berlin abgerechneten Leistungen
nach Überschreitung einer jeweiligen Punktmengengrenze um die in §
85 Absatz
4 b SGB V angegebenen Prozentsätze.
Liegt die Überschreitung einer Degressionsgrenze innerhalb einer Abrechnung des Vertragszahnarztes, ermittelt die KZV Berlin
einen einheitlichen Prozentsatz, um den der vertragliche Punktwert dieser gesamten Abrechnung für den Kassenanteil verringert
wird.
Bei Abrechnungen kieferorthopädischer Behandlungen erfolgt die Berechnung des Degressionsbetrages auf der Basis von 80 %/90%
der gemäß §
29 Absatz
1 Satz 1
SGB V abgerechneten Punktzahlen. Bei Abrechnungen für die Versorgung mit Zahnersatz und Zahnkronen erfolgt die Berechnung des Degressionsbetrages
auf der Basis von 50 % der gemäß § 30 Absatz 1 Satz 1
SGB V abgerechneten Punktzahlen.
Dieser einheitliche Prozentsatz steht zu der Punktwertreduzierung oberhalb der überschrittenen Degressionsgrenze im selben
Verhältnis wie die Anzahl der Punkte oberhalb dieser Degressionsgrenze zu der Anzahl der mit der jeweiligen Rechnung abgerechneten
Gesamtpunktmenge. Dieser einheitliche Prozentsatz ist damit das Produkt aus Degressionswert oberhalb der Degressionsgrenze
und dem Quotienten aus der die Degressionsgrenze übersteigenden Punktzahl und der Gesamtpunktzahl der Abrechnung.
Werden mit einer Abrechnung weitere Degressionsgrenzen oder gleichzeitig mehrere überschritten, gilt vorstehende Regelung
für die jeweiligen Punktmengen innerhalb der einzelnen Degressionsgrenzen entsprechend."
Diese Regelungen hat die Beklagte rechnerisch fehlerfrei auf die Praxis der Klägerin im Jahre 2002 angewandt. Da Einwände
insoweit nicht erhoben wurden, genügt ein Verweis gemäß §
153 Abs.
2 Sozialgerichtsgesetzt (
SGG) auf die zutreffenden diesbezüglichen Ausführungen des Sozialgerichts im angegriffenen Urteil.
2.) Zur Berechnung des Betrages, um den der Vergütungsanspruch der Klägerin zu verringern ist, hat die Beklagte zutreffend
den vertraglich mit den Krankenkassen vereinbarten Punktwert herangezogen. Die von der Klägerseite favorisierte Anwendung
des sog. Auszahlungspunktwertes wäre rechtswidrig.
a.) Zutreffend hat das Sozialgericht darauf abgestellt, dass der klägerischen Rechtsauffassung schon der Wortlaut von §
85 Abs.
4 e Satz 2
SGB V aF entgegensteht, demzufolge die Durchführung der Vergütungsminderung durch Absenkung der vertraglich vereinbarten Punktwerte
erfolgt. Hieran knüpft die o.g. Degressionsvereinbarung an, wenn sie in Abs. 2 und 3 ausdrücklich vom "vertraglichen Punktwert"
spricht.
Dem hält die Klägerin entgegen, seit der erstmaligen Einführung der Degressionsregelungen im Jahre 1993 habe sich die Rechtslage
infolge der limitierten Gesamtvergütung verändert, sodass bei Überschreiten der Leistungsmenge der vertraglich vereinbarte
Punktwert absinke; der sich daraus ergebende "effektive Auszahlungspunktwert" sei letztlich der vertraglich vereinbarte Punktwert.
Dies überzeugt nicht. Insbesondere ist nicht anzunehmen, dass der Gesetzgeber sowohl bei der Wiedereinführung der Degressionsregelungen
zum 1. Januar 1999 als auch im Zuge des im wesentlichen zum 1. Januar 2004 in Kraft getretenen Gesundheitsmodernisierungsgesetzes
als auch - der Wortlaut von §
85 Abs.
4 e Satz 2
SGB V ist bis heute unverändert - bei Verabschiedung des Vertragsarztrechtsänderungsgesetzes zum 1. Januar 2007 die Auswirkungen
der limitierten Gesamtvergütung übersehen hat. Aus dem Umstand, dass der Gesetzgeber durch das letztgenannte Gesetz in §
116 b Abs.
5 Satz 5
SGB V den Begriff des Auszahlungspunktwertes eingeführt hat, wird darüber hinaus deutlich, dass ihm die Diffenzierung zwischen
diesen beiden Arten von Punktwerten durchaus vertraut ist.
b.) Die Honorarminderung im Wege der Punktwertdegression ist vor der Honorarverteilung durchzuführen. Denn die Abschöpfung
der Degressionsbeträge und ihre Weitergabe an die Krankenkassen ist vorrangig vor der Verteilung der Gesamtvergütungen an
die Vertragszahnärzte. Aus Inhalt, Systematik, Sinn und Zweck sowie Entstehungsgeschichte der Degressionsbestimmungen folgt,
dass die mit der Punktwertdegression vorgesehene Begünstigung der Krankenkassen nicht durch Regelungen auf der Ebene der Honorarverteilungsmaßstäbe
vermindert werden darf (s. im einzelnen: BSG, Urteil vom 21. Mai 2003, Az.: B 6 KA 25/02 R, veröffentlicht in Juris). Somit kann zum Zeitpunkt der zeitlich vorgelagerten Degression der sich erst im Rahmen der Honorarverteilung
ergebende Auszahlungspunktwert noch nicht bekannt sein, also auch nicht berücksichtigt werden.
Als Folge dieses Vorrangs führt die Degression auch bei nicht limitierter Gesamtvergütung regelmäßig zur Verringerung der
zur Verfügung stehenden Geldmenge, was sich - abweichend von der klägerischen Darstellung - im Rahmen der Honorarverteilung
stets auch zu Lasten der von der Degression nicht betroffenen Praxen auswirkt.
3.) Der Einwand der Klägerseite, Degressionskürzungen dürften nicht von Honoraranteilen vorgenommen werden, die infolge der
limitierten Gesamtvergütung überhaupt nicht zur Auszahlung gekommen seien, ist nicht stichhaltig. Solche Honoraranteile gibt
es nicht, da zum einen zur Honorarverteilung immer nur die - ggf. limitierte - Gesamtvergütung zur Verfügung steht. Zum anderen
hat die Budgetierung nicht zur Folge, dass tatsächlich erbrachte ärztliche Leistungen nicht vergütet werden, sondern bewirkt
lediglich, dass bei einer Überschreitung des Grenzwertes die Höhe der Vergütung für die einzelne erbrachte Leistung sinkt
(BSGE 81, 213).
Die Revision war nicht zuzulassen, weil Zulassungsgründe nach §
160 Abs.
2 SGG nicht vorliegen.