Beitragsbemessung während des Bezugs von Elterngeld bei freiwilliger Krankenversicherung wegen des Überschreitens der Jahresarbeitsentgeltgrenze
nach der Mindestbemessungsgrundlage
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Frage, ob die Klägerin während der Zeit des Erziehungsgeldbezuges Beiträge zur Kranken- und
Pflegeversicherung zu zahlen hatte.
Die Klägerin ist seit April 2002 wegen Überschreitung der Jahresarbeitsentgeltgrenze freiwillig versichertes Mitglied der
Beklagten, ihr Ehemann war über sie bei der Beklagten familienversichert. Nach der Geburt der Tochter K am 18. Oktober 2004
bezog die Klägerin zunächst bis zum 26. Dezember 2004 Mutterschaftsgeld. In der Zeit vom 18. Dezember 2004 bis zum 17. Januar
2005 bezog sie - teilweise unter Anrechung des Mutterschaftsgeldes - Erziehungsgeld in Höhe von monatlich 300,00 €. In der
Zeit vom 18. Januar bis zum 17. Februar 2005 nahm sie bezahlten Erholungsurlaub aus ihrem Beschäftigungsverhältnis in Anspruch.
Für den Monat Januar 2005 zahlte ihr Arbeitgeber ein monatlichen Bruttoarbeitsentgelt i.H.v. 4.702,13 €. Vom 18. Februar 2005
bis zum 18. Mai 2006 bezog die Klägerin wieder Erziehungsgeld.
Mit Bescheid vom 10. Mai 2005 setzte die Beklagte die von der Klägerin für den Zeitraum des Erziehungsgeldbezugs vom 18. Februar
2005 bis zum 17. Oktober 2005 zu zahlenden Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung "bei maximalen monatlichen Einkünften
von 805,00 €" für den Monat Februar 2005 auf 43,10 € (38,08 € zur Kranken- und 5,02 € zur Pflegeversicherung) und für die
Zeit ab März 2005 auf 117,52 € (103,84 € zur Kranken- und 13,68 € zur Pflegeversicherung) fest. Den hiergegen gerichteten
Widerspruch der Klägerin wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 10. November 2005 zurück.
Die hiergegen gerichtete Klage wies das Sozialgericht Berlin mit Urteil vom 26. Juni 2008, der Klägerin zugestellt am 2. Juli
2008, ab und verwies zur Begründung im Wesentlichen auf ein Urteil des Senats vom 4. Juli 2007 (Az.: L 9 KR 37/04, veröffentlicht in Juris) zu einem gleich gelagerten Sachverhalt.
Mit ihrer hiergegen gerichteten Berufung vom 4. August 2008 (Montag) begehrt die Klägerin auch die Feststellung der Beitragsfreiheit
und die Erstattung der gezahlten Beiträge. Sie ist der Ansicht, die Regelungen über die Beitragspflicht seien verfassungskonform
dahingehend auszulegen, dass den Mitgliedern der gesetzlichen Krankenversicherung während der Zeit des Erziehungsgeldbezuges
kostenloser Zugang zur gesetzlichen Krankenversicherung gewährt werde. Dies ergebe sich aus dem Gesichtspunkt der Gleichbehandlung
zwischen Pflichtversicherten und freiwillig Versicherten Mitgliedern der gesetzlichen Krankenversicherung, aus dem Sozialstaatsprinzip,
dem Schutz von Ehe und Familie sowie der körperlichen Unversehrtheit und letztlich auch aus dem Benachteiligungsverbots gemäß
Art.
3 Abs.
2 Grundgesetz (
GG). Die Beitragspflicht verstoße auch gegen Art.
2 Buchstabe b der Richtlinie 2004/113 EG vom 13. Dezember 2004 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von
Männern und Frauen beim Zugang zu und bei der Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen.
Ihr sei es auf Grund der familiären wirtschaftlichen Situation und der Kreditbelastung zur Finanzierung des Eigenheims nicht
möglich gewesen, vor der Geburt ihres Kindes Rücklagen zur Zahlung der Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge zu bilden.
Sie sei daher letztlich aus wirtschaftlichen Gründen gezwungen gewesen, den Erziehungsurlaub abzubrechen. Ferner behauptet
die Klägerin, eine zuständige Mitarbeiterin der Beklagten habe gegenüber ihrem Ehemann während eines Telefonats geäußert,
dass sie - die Klägerin - während des Bezuges des Erziehungsgeldes von der Beitragszahlung vollständig befreit sei. Wäre diese
Falschauskunft nicht erteilt worden, hätte sie vor dem Beginn des Erziehungsgeldbezuges durch Vereinbarung mit ihrem Arbeitgeber
ihre Wochenarbeitszeit im Rahmen einer Teilzeitregelung so weit reduziert, dass sie wegen Unterschreitung der Jahresarbeitsentgeltgrenze
versicherungspflichtig (und damit vollständig beitragsfrei) geworden wäre. Insofern ergebe sich der geltend gemachte Anspruch
auf Befreiung von der Beitragspflicht jedenfalls aus den Grundsätzen des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs.
Die Klägerin beantragt sinngemäß,
1. das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 26. Juni 2008 sowie den Bescheid der Beklagten vom 10. Mai 2005 in Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 11. November 2005 aufzuheben,
2. festzustellen, dass sie für die Zeit des Erziehungsgeldbezuges vom 18. Februar 2005 bis zum 18. Mai 2006 keine Beiträge
zur Kranken- und Pflegeversicherung zu entrichten habe,
3. die Beklagte zu verurteilen, die bereits gezahlten Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung in Höhe von 1.766,82 €
nebst Zinsen in Höhe von 4 Prozent nach Maßgabe des §
44 SGB I zu erstatten.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hält das angegriffene Urteil für zutreffend.
Die Beigeladene hat sich im Berufungsverfahren nicht geäußert.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vortrags der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten
und der Verwaltungsakten Bezug genommen, die vorgelegen haben.
Entscheidungsgründe:
Der Senat durfte gemäß §
155 Abs.
3 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) durch den Berichterstatter und ohne mündliche Verhandlung (§
153 Abs.
1 in Verbindung mit §
124 Abs.
2 SGG) entscheiden, nachdem sich die Beteiligten hiermit einverstanden erklärt haben.
Die zulässige Berufung ist teilweise begründet.
1. Der Anfechtungsantrag (Antrag zu 1.) ist zulässig und teilweise begründet.
a. Die Beklagte als Krankenkasse hätte - worauf der Berichterstatter im Erörterungstermin vom 23. Juli 2009 hinwies - nicht
über die Beiträge zur sozialen Pflegeversicherung entscheiden dürfen. Über Beiträge zur sozialen Pflegeversicherung darf eine
Krankenkasse nur in ihrer Eigenschaft als Einzugsstelle bei gegen Entgelt Beschäftigten nach §
28 h Abs.
2 Sozialgesetzbuch Viertes Buch (
SGB IV) entscheiden. Für die Entscheidungen über die Höhe des Beitrags in diesem Versicherungszweig ist vielmehr ausschließlich
die Pflegekasse zuständig. Dies gilt ungeachtet der Tatsache, dass gemäß §
46 Abs
2 Satz 2 Sozialgesetzbuch Elftes Buch (
SGB XI) Organe der Pflegekassen die Organe der Krankenkassen sind, bei denen sie errichtet sind. Zwar mag im Einzelfall, wenn nicht
zweifelhaft ist, dass die Pflegekasse die Entscheidung - jedenfalls im Widerspruchsbescheid - getroffen hat, eine ausdrückliche
Angabe im Bescheid, dass er von der Pflegekasse stammt, entbehrlich sein (Bundessozialgericht - BSG - SozR 3-3300 § 20 Nr.
2). Im vorliegenden Fall sind jedoch keinerlei Anhaltspunkte ersichtlich, dass die angegriffenen Bescheide auch durch oder
zumindest auch im Namen der Beigeladenen erlassen wurden.
Allein wegen dieses Fehlers ist der angefochtene Verwaltungsakt zwar nicht nach § 40 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) nichtig, wohl aber rechtswidrig und daher allein aus diesem Grund aufzuheben. Denn der Mangel der sachlichen Zuständigkeit
gehört nicht zu den Fehlern, die nach § 41 SGB X unbeachtlich sind, aber auch nicht zu den Fehlern, derentwegen nach § 42 Satz 1 SGB X die Aufhebung eines Verwaltungsaktes nicht verlangt werden kann (BSG SozR 3-3300 § 20 Nr. 5).
b. Im übrigen, d.h. bezüglich der Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung, sind die angegriffenen Bescheide rechtmäßig.
Insoweit verweist der Senat auf die zutreffenden Gründe des angefochtenen Urteils vom 26. Juni 2008 und sieht gemäß §
153 Abs.
2 SGG von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab.
Der erst im Berufungsverfahren vorgebrachte Einwand, die Beitragspflicht der Klägerin verstoße gegen Art. 2 Buchstabe b der
o.g. Richtlinie 2004/13 EG, geht fehl. Denn gerade weil - worauf die Klägerin zu Recht hinweist - die Frist zur Umsetzung
dieser Richtlinie nach ihrem Art. 17 Abs. 1 erst am 21. Dezember 2007 und somit lange nach dem hier streitigen Zeitraum endete,
kann die Klägerin aus dieser Richtlinie noch keine Rechte ableiten.
Auch der Höhe nach sind die Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung, ausgehend von einer Mindestbemessungsgrundlage
von 805.- € gem. § 240 Abs. 4 Satz 1 i.V.m. §
18 Abs.
1 SGB IV, §
2 Abs.
1 Sozialversicherungs-Rechengrößenverordnung 2005 (Bundesgesetzblatt I 04, 3098) und einem Beitragssatz von 12,9 %, zutreffend festgesetzt worden.
2. Der Feststellungsantrag (Antrag zu 2.) ist unzulässig.
Eine der in §
55 Abs.
1 Nr.
1 bis 4
SGG genannten Feststellungen kann begehrt werden, "wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an der alsbaldigen Feststellung
hat". Ein berechtigtes Interesse im Sinne dieser Vorschrift umfasst neben dem rechtlichen Interesse jedes als schutzwürdig
anzuerkennendes Interesse wirtschaftlicher oder rechtlicher Art (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer
Sozialgerichtsgesetz, 9.A., §
55 RdNr. 15 m.w.N.). Das Feststellungsinteresse erweist sich somit als Sonderfall des allgemeinen Rechtsschutzbedürfnisses (aaO.).
Hieran fehlt es im Falle der Klägerin. Welchen Vorteil wirtschaftlicher oder rechtlicher Art sie - über die primär begehrte
Aufhebung der Beitragsbescheide hinaus - aus der begehrten Feststellung ziehen würde, ist weder vorgebracht noch anderweitig
ersichtlich. Im Hinblick auf die u.U. für den Folgezeitraum bis zum 18. Mai 2006 erlassenen, jedoch nicht Streitgegenstand
dieses Rechtsstreits gewordenen Beitragsbescheide steht dem Begehren der Klägerin ferner der Subsidiaritätsgrundsatz - der
Nachrang der nicht vollstreckbaren Feststellungsklage gegenüber Gestaltungs- (z.B. Anfechtungs-) und Leistungsklagen - entgegen.
Denn gegen diese Bescheide könnte die Klägerin ebenfalls im Wege der Anfechtungsklage vorgehen.
3. Der Leistungsantrag (Antrag zu 3.) ist unzulässig.
Gemäß §
54 Abs.
5 SGG kann mit der Klage die Verurteilung zu einer Leistung, auf die ein Rechtsanspruch besteht, auch dann begehrt werden, wenn
ein Verwaltungsakt nicht zu ergehen hat. Über die Erstattung zu Unrecht entrichteter Beiträge nach §
26 Abs.
2 SGB IV hat der Sozialversicherungsträger allerdings durch Verwaltungsakt (§ 31 SGB X) zu entscheiden (BSG SozR 3-2400 §
26 Nr. 4; a.A. Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht / Seewald, §
26 SGB IV Rd. 12: auch durch schlicht hoheitliches Handeln möglich). Die Voraussetzungen für eine sog. allgemeine Leistungsklage (§
54 Abs.
5 SGG) liegen somit nicht vor.
Der Antrag könnte zwar in einen kombinierten Anfechtungs- und Leistungsantrag nach §
54 Abs.
4 SGG umgedeutet werden. Da die Beklagte jedoch einen die Beitragerstattung ablehnenden Bescheid bislang nicht erlassen hat, fehlt
es an einem Gegenstand, auf den sich ein Anfechtungsantrag richten könnte. Darüber hinaus fehlt es an dem nach §
78 Abs.
1 Satz 1
SGG erforderlichen Vorverfahren.
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil Zulassungsgründe nach §
160 Abs.
2 SGG nicht vorliegen.