Anspruch auf Elterngeld; Verbrauch bei anteiligem Anspruch auf Mutterschaftsgeld für einen Lebensmonat des Kindes
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist die Zahlung von Elterngeld für den 12. Lebensmonat des Kindes streitig. Streitig ist dabei insbesondere,
ob der Bezug von Mutterschaftsgeld lediglich am ersten Tag des dritten Lebensmonats zu einem Verbrauch des Anspruchs auf Elterngeld
für den gesamten Monat führt.
Der Kläger und seine Ehefrau, Frau EA., sind Eltern des 2007 geborenen Kindes LA ... Sie stellten am 26. Februar 2007 Antrag
auf Elterngeld und legten für den Kläger einen Bezugszeitraum vom 1. bis 12. Lebensmonat des Kindes fest. Aus einem Schreiben
der Krankenkasse vom 15. Februar 2007 ergibt sich, dass der Ehefrau des Klägers ab dem 31. Dezember 2006 Mutterschaftsgeld
in Höhe von 13,00 EUR kalendertäglich gewährt wurde. Der Bezug des Mutterschaftsgeldes endete mit dem 8. April 2007. Durch
Bescheid vom 6. März 2007 bewilligte der Beklagte dem Kläger das beantragte Elterngeld für die Zeit vom 8. Februar 2007 bis
7. Januar 2008 in Höhe von 580,16 EUR monatlich. Der Beklagte wies darauf hin, die Mutterschutzfrist der Ehefrau des Klägers
beziehe sich auf 3 Lebensmonate, so dass nach § 4 des Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetzes (BEEG) drei Lebensmonate als
von der Mutter verbraucht gelten würden. Da sich der Anspruch für beide Eltern auf insgesamt 14 Lebensmonate erstrecke, sei
der Anspruchszeitraum um einen Monat auf insgesamt 11 Lebensmonate verkürzt worden.
Der Kläger erhob Widerspruch am 21. März 2007 und machte geltend, ihm stehe Elterngeld für 12 Monate zu. Mutterschaftsgeld
sei in der Zeit vom 31. Dezember 2006 bis 8. April 2007 bezogen worden, weil der Geburtstermin mit dem 11. Februar 2007 errechnet
worden sei. Er verstehe nicht, warum sein Anspruch auf Elterngeld von der Dauer des Mutterschutzes abhängen solle. Durch Widerspruchsbescheid
vom 27. März 2007 wies der Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück und führte zur Begründung aus, nach § 4 Abs. 1 S. 1
(gemeint Abs. 3 S. 1) BEEG könne ein Elternteil höchstens für 12 Lebensmonate Elterngeld beziehen. Nach S. 2 dieser Vorschrift
(gemeint Abs. 3 S. 2) würden Lebensmonate des Kindes, in denen nach § 3 Abs. 1 oder 3 BEEG anzurechnende Leistungen zustehen
würden, als Monate gelten, für die die berechtigte Person Elterngeld beziehe. Hier habe die Ehefrau des Klägers Mutterschaftsgeld,
das eine Leistung im Sinne des § 3 Abs. 1 BEEG sei, bis zum 8. April 2007 erhalten. Am 8. April 2007 beginne der dritte Lebensmonat
des Kindes LA. mit der Folge, dass gemäß § 4 Abs. 1 S. 2 (gemeint Abs. 3 S. 2) BEEG die Lebensmonate eins (8. Februar bis
7. März 2007), zwei (8. März bis 7. April 2007) und drei (8. April bis 7. Mai 2007) als Monate gelten würden, für die die
Ehefrau als für das Mutterschaftsgeld berechtigte Person Elterngeld beziehe, auch wenn dies nicht ausdrücklich beantragt worden
sei. An diesem Ergebnis ändere sich auch nichts dadurch, dass im dritten Lebensmonat der Tochter nur am ersten Tag Anspruch
auf Mutterschaftsgeld bestanden habe. Im Ergebnis seien drei Monate als Elterngeldbezug verbraucht.
Mit der am 10. April 2007 erhobenen Klage verfolgte der Kläger sein Begehren weiter und trug vor, der von dem Frauenarzt seiner
Ehefrau errechnete Geburtstermin sei der 11. Februar 2007 gewesen. Für einen Zeitraum von acht Wochen nach diesem errechneten
Termin werde das Mutterschaftsgeld gezahlt. Tatsächlich sei das Kind drei Tage vor dem errechneten Geburtstermin zur Welt
gekommen. Dies könne nach dem Sinn des BEEG nicht dazu führen, dass der Bezug des Mutterschaftsgeldes während der Regeldauer
von acht Wochen zu einer Vernichtung des Anspruchs von Leistungen nach dem BEEG für einen vollen Monat führe, wenn das Mutterschaftsgeld
nur für einen einzigen Tag des dritten Monats nach der Geburt des Kindes bezogen worden sei. Im Übrigen spreche § 3 Abs. 1
BEEG ausdrücklich von einer Anrechnung des Mutterschaftsgeldes auf das Elterngeld. Insoweit komme allenfalls eine anteilige
Anrechnung für einen Tag in Betracht.
Demgegenüber verwies der Beklagte auf seine Ausführungen im angefochtenen Bescheid und trug ergänzend vor, für den Kläger
und seine Ehefrau bestehe ein Gesamtkontingent von 14 Lebensmonaten Elterngeld. Aus diesem Gesamtkontingent seien drei Lebensmonate
der Ehefrau zuzuordnen, da diese in der Zeit vom 8. Februar 2007 bis 8. April 2007 Mutterschaftsgeld bezogen habe. Bereits
aufgrund des Bezuges von Mutterschaftsgeld von nur einem Tag, hier der 8. April 2007, sei auch der dritte Lebensmonat des
Kindes der Mutter zuzuordnen, so dass sich das Kontingent des Klägers von 12 auf 11 Lebensmonate reduziert habe.
Durch Urteil vom 21. Januar 2008 hat das Sozialgericht Marburg die Klage mit der Begründung abgewiesen, § 4 Abs. 1 BEEG gebe
zunächst vor, dass Elterngeld für maximal 14 Lebensmonate von den Eltern bezogen werden könne, wobei § 4 Abs. 3 BEEG regele,
dass ein Elternteil höchstens für 12 Monate Elterngeld beziehen könne. In § 4 Abs. 3 S. 2 BEEG sei geregelt, dass Lebensmonate
des Kindes, in denen nach § 3 Abs. 1 und Abs. 3 BEEG anzurechnende Leistungen zustünden, als Monate, für die die berechtigte
Person Elterngeld beziehe, gelten würden. Hier habe die Ehefrau des Klägers bis zum 8. April 2007 Mutterschaftsgeld bezogen,
so dass sich aus der Anwendung des § 4 Abs. 3 S. 2 BEEG die Konsequenz ergebe, dass der Bezug von Mutterschaftsgeld für den
8. April 2007 in Höhe von 13,00 EUR zu einem Anspruchsverlust auf Seiten des Klägers bezogen auf den 12. Lebensmonat des Kindes
LA. führe. Damit treffe den Kläger ein finanzieller Verlust von 567,16 EUR (580,16 EUR - 13,00 EUR), was jedoch Ergebnis der
Gesetzeslage sei. Es könne unter Berücksichtigung der von dem Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Gesundheit
erlassenen Richtlinien zum BEEG vom 18. Dezember 2006 (Hinweis auf Ziff. 4.3.3 der Richtlinien) auch nicht von einem Versehen
des Gesetzgebers oder einer Gesetzeslücke ausgegangen werden.
Gegen dieses dem Kläger am 15. Februar 2008 zugestellte Urteil richtet sich die am 3. März 2008 vor dem Hessischen Landessozialgericht
eingelegte Berufung. Er trägt vor, Sinn des Bundeselterngeldgesetzes sei es, junge Familien, in denen beiderseits abwechselnd
die Eltern die Kindesbetreuung übernähmen, für einen Zeitraum von 14 Monaten finanziell zu entlasten, wenn jeweils der betreuende
Elternteil auf eigene Einkünfte in diesem Zeitraum verzichten müsse. Hiermit sei die Auffassung des Sozialgerichts nicht vereinbar,
dass die Zahlung von Mutterschaftsgeld für einen einzigen Tag in dem dritten Monat nach der Geburt des Kindes diesen Monat
komplett für die Zahlung von Elterngeld verbrauche. Mutterschaftsgeld werde ausgehend von dem prognostizierten Geburtstermin
gewährt. Es sei zu berücksichtigen, dass die von den Gynäkologen prognostizierten Geburtsdaten in der Regel nicht mit den
tatsächlichen Niederkunftsdaten übereinstimmen würden. Werde ein Kind vor dem errechneten Geburtstermin geboren, so führe
die Gesetzesauslegung des Sozialgerichts dazu, dass für den 14. Monat Elterngeld nicht gewährt werden dürfe. § 3 Abs. 1 S.
4 BEEG enthalte eine Bestimmung dazu, dass bei den in der Vorschrift genannten Sozialleistungen, die nur für einen Teil des
Lebensmonats des Kindes zustehen würden, auch nur auf den entsprechenden Teil des Elterngeldes anzurechnen seien. Dies entspreche
dem Grundsatz, dass für denselben Zeitraum in der Zielrichtung vergleichbare Sozialleistungen nicht doppelt gewährt werden
sollten. Diese Bestimmung sei deshalb auf die Auslegung des verunglückten Wortlauts des § 4 Abs. 3 S. 2 BEEG anzuwenden. Bei
entsprechender Auslegung stehe ihm nach Zahlung des Mutterschaftsgeldes für einen Tag im 12. Lebensmonat des Kindes Elterngeld
für die folgenden 30 Tage zu.
Der Kläger beantragt (sinngemäß),
das Urteil des Sozialgerichts Marburg vom 21. Januar 2008 aufzuheben und den Beklagten unter Änderung des Bescheides vom 6.
März 2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. März 2007 zu verurteilen, ihm Elterngeld für weitere 30 Tage zu zahlen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er verweist darauf, aufgrund der eindeutigen Rechtslage komme eine andere Beurteilung nicht in Betracht.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsakte des Beklagten,
die Gegenstand der Entscheidung gewesen sind, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Der Senat konnte ohne mündliche Verhandlung entscheiden (§§
124 Abs.
2,
153 Abs.
1 Sozialgerichtsgesetz -
SGG -), da die Beteiligten hierzu ihr Einverständnis erteilt haben.
Die gemäß §§
143 und
144 SGG statthafte Berufung ist zulässig; sie ist insbesondere form- und fristgerecht gemäß §
151 Abs.
1 SGG eingelegt worden.
Die Berufung des Klägers ist auch sachlich begründet. Der Kläger hat einen Anspruch auf Zahlung von Elterngeld für weitere
30 Tage in gesetzlicher Höhe. Der angefochtene Bewilligungsbescheid vom 6. März 2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 27. März 2007, mit dem der klageweise geltend gemachte Anspruch abgelehnt worden ist, ist insoweit rechtswidrig und war
entsprechend zu ändern.
Der Kläger erfüllt zunächst alle Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 BEEG für den Bezug von Elterngeld, was zwischen den Beteiligten
nicht streitig ist. Streitig ist allein die Frage, ob dem Kläger unter Berücksichtung des an seine Ehefrau gezahlten Mutterschaftsgeldes
aus dem Gesamtkontingent von 14 Monaten Elterngeld für 12 Lebensmonate oder aber lediglich für 11 Lebensmonate des Kindes
LA. zusteht. Die Anrechnung von Mutterschaftsgeld ist in § 3 Abs. 1 S. 1 BEEG geregelt. Danach ist Mutterschaftsgeld, das der Mutter nach der
Reichsversicherungsordnung (
RVO) oder dem Gesetz über die Krankenversicherung der Landwirte für die Zeit ab dem Tag der Geburt zusteht, mit Ausnahme des Mutterschaftsgeldes nach §
13 Abs.
2 des Mutterschutzgesetzes (
MuSchG) auf das zustehende Elterngeld anzurechnen. Die Regelung des §
13 Abs.
2 MuSchG bezieht sich auf nicht gesetzlich krankenversicherte Frauen, die für die Schutzfristen ein Mutterschaftsgeld zu Lasten des
Bundes erhalten. Dies trifft auf die Klägerin nicht zu. Vielmehr hat sie als Mitglied einer gesetzlichen Krankenkasse Mutterschaftsgeld
nach §
13 Abs.
1 MuSchG erhalten, wie sich dies aus der Bescheinigung der Krankenkasse vom 15. Februar 2007 ergibt, mit der Folge der Anrechnung
auf das Elterngeld. Die Anrechnung begegnet nach Auffassung des Senats auch keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Hierbei
ist die Gesetzesbegründung (Bundestags-Drucksache - BT-Drucks. - 16/1889, Seite 22) zu berücksichtigen, wonach der Gesetzgeber
zutreffend davon ausgegangen ist, dass Elterngeld und Mutterschaftsgeld einem gleichen Zweck dienen, nämlich Einkommenseinbußen
aus Anlass der Geburt des Kindes ganz oder teilweise auszugleichen. Soweit der Gesetzgeber dementsprechend geregelt hat, dass
Elterngeld und Mutterschaftsgeld nicht nebeneinander gewährt werden können, vielmehr das höhere Mutterschaftsgeld das Elterngeld
verdrängt, ist dies verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Auch insoweit besteht zwischen den Beteiligten kein Streit.
Umstritten ist jedoch die Anwendung der Vorschrift des § 4 Abs. 3 S. 2 BEEG, wonach Lebensmonate des Kindes, in denen nach
§ 3 Abs. 1 oder 3 anzurechnende Leistungen zustehen, als Monate gelten, für die die berechtigte Person Elterngeld bezieht.
Hier hat die Ehefrau des Klägers Mutterschaftsgeld während der ersten beiden Lebensmonate des Kindes sowie am ersten Tag des
dritten Lebensmonats bezogen. Dies resultiert daraus, dass das Kind LA. am 8. Februar 2007 und damit drei Tage vor dem errechneten
Geburtstermin des 11. Februar 2007 geboren ist. Gemäß § 200 Abs. 3
RVO wird Mutterschaftsgeld für die letzten sechs Wochen vor der Entbindung, den Entbindungstag und für die ersten acht Wochen
nach der Entbindung gezahlt (S. 1), wobei sich bei Frühgeburten und sonstigen vorzeitigen Entbindungen die Bezugsdauer um
den Zeitraum verlängert, der als Mutterschutzfrist nicht in Anspruch genommen werden konnte (S. 2). Wird die Auffassung des
Beklagten zu Grunde gelegt, die auch Ziff. 4.3.3 der Richtlinien zum BEEG des Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen
und Gesundheit vom 18. Dezember 2006 entspricht, so wäre für die Anwendung des § 4 Abs. 3 S. 2 BEEG entscheidend, ob in dem
betreffenden Lebensmonat mindestens an einem Tag nach § 3 Abs. 1 oder Abs. 3 anzurechnende Leistungen zustehen mit der Folge,
dass der Monat insgesamt als von der Mutter verbraucht gelten würde. Diese Auslegung lässt sich jedoch nicht zwingend aus
dem Gesetzeswortlaut ableiten. § 4 Abs. 3 S. 2 BEEG regelt dem Wortlaut nach lediglich, dass Lebensmonate des Kindes, in denen
die berechtigte Person (Mutter) anzurechnende Leistungen (Mutterschaftsgeld) bezogen hat, als Monate mit Elterngeldbezug gelten.
Eine Regelung, wie zu verfahren ist, wenn die anzurechnende Leistung lediglich für einen Teil des Lebensmonats des Kindes
bezogen worden ist, enthält die Vorschrift dagegen nicht. Die Gesetzesbegründung ist ebenfalls nicht eindeutig, weil sich
hieraus lediglich ergibt, dass mit § 4 Abs. 3 S. 2 BEEG klargestellt werden sollte, dass Lebensmonate des Kindes, für die
Mutterschaftsgeld bezogen worden ist, auf den Bezugszeitraum des Elterngeldes anzurechnen sind und die betreffenden Monate
als von der für die betreffende Leistung anspruchsberechtigten Person verbraucht gelten (BT-Drucks. - 16/1889, Seite 23).
Zur Frage eines lediglich anteiligen Bezugs von Mutterschaftsgeld während des betreffenden Lebensmonats des Kindes schweigt
die Gesetzesbegründung dagegen. Damit lässt sich sowohl die von dem Beklagten und dem Sozialgericht übereinstimmend mit den
Richtlinien zum BEEG (die im Übrigen für die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit mangels Rechtsnormqualität nicht verbindlich
sind, vgl. BSGE 48, 120) vertretene Auffassung als auch die von dem Kläger geltend gemachte gegenteilige Auffassung, wonach im Falle eines bezogen
auf den Lebensmonat anteiligen Bezugs von Mutterschaftsgeld auch nur ein anteiliger Verbrauch von Elterngeldbezugszeit in
Betracht kommt, mit dem Wortlaut von § 4 Abs. 3 S. 2 BEEG in Einklang bringen. Der Senat vertritt die Auffassung, dass die
Vorschrift verfassungskonform auszulegen und im letztgenannten Sinn anzuwenden ist. Die Voraussetzungen für eine verfassungskonforme
Auslegung sind gegeben. Grundsätzlich hat nur dann, wenn eine Norm mehrere Auslegungen zulässt, die teilweise zu einem verfassungswidrigen,
teils zu einem verfassungsmäßigen Ergebnis führen, eine verfassungskonforme Auslegung zu erfolgen. Von mehreren Auslegungsmöglichkeiten
einer Bestimmung ist diejenige auszuschließen, die der Verfassung zuwiderläuft. Dabei findet die verfassungskonforme Auslegung
ihre Grenze in dem eindeutigen Wortlaut des Gesetzes. Jede verfassungskonforme Auslegung endet dort, wo sie mit dem Wortlaut
und dem klar erkennbaren Willen des Gesetzgebers in Widerspruch treten würde. Auch wenn eine verfassungskonforme Auslegung
dazu führen würde, an die Stelle einer gesetzlichen Vorschrift inhaltlich eine andere Vorschrift zu setzen, würde damit die
Grenze der Gerichte überschritten und ein Akt der Rechtsetzung vorgenommen, der nur dem Gesetzgeber zukommt (vgl. Leibholz/Rinck,
Grundgesetz, Kommentar anhand der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, Stand Mai 2010, Einführung Rndnr. 13 ff.). Ausgehend
von diesen Grundsätzen sind die Voraussetzungen für eine verfassungskonforme Auslegung erfüllt, denn § 4 Abs. 3 S. 2 BEEG
kann in zweifacher Weise ausgelegt werden, wobei lediglich die von dem Kläger geltend gemachte Auslegung nicht verfassungswidrig
ist. Die von dem Beklagten und dem Sozialgericht vorgenommene Gesetzesanwendung führt nämlich zu einem Verstoß gegen den Gleichheitssatz
aus Art.
3 Abs.
1 Grundgesetz (
GG). Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gebietet der Gleichheitssatz des Art.
3 Abs.
1 GG, Gleiches gleich und Ungleiches seiner Eigenart entsprechend verschieden zu regeln (BVerfGE 71, 255, 271; BVerfGE 108, 52 ff.). Es ist dabei grundsätzlich Sache des Gesetzgebers zu entscheiden, welche Merkmale beim Vergleich von Lebenssachverhalten
er als maßgebend ansieht, um sie im Recht gleich oder verschieden zu behandeln. Art.
3 Abs.
1 GG verbietet einerseits, Sachverhalte ungleich zu behandeln, wenn sich die Differenzierung sachbereichsbezogen nicht auf einen
vernünftigen oder sonst einleuchtenden Grund zurückführen lässt und andererseits, Art und Ausmaß tatsächlicher Unterschiede
sachwidrig außer Acht zu lassen (ständige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes, vgl. BVerfGE 108, 52 ff., m.w.N.). Wird die von dem Beklagten vorgenommene Gesetzesanwendung zugrunde gelegt, so hinge der Verbrauch von Lebensmonaten
des Elterngeldbezugs (zwei Monate oder mehr) davon ab, ob das betreffende Kind zum errechneten Geburtstermin oder aber früher
geboren worden ist, weil sich gemäß § 200 Abs. 3 S. 2
RVO bei vorzeitig geborenen Kindern die Bezugsdauer des Mutterschaftsgeldes um die nicht zum Zuge gekommenen Mutterschutzfrist
verlängert. Zugespitzt kann sich - wie im Fall des Klägers und seiner Ehefrau - die Konstellation ergeben, dass ein einziger
Tag des Bezugs von Mutterschaftsgeld den gesamten Lebensmonat für den Bezug von Elterngeld für den Vater verbrauchen soll,
während einer Mutter, die ihr Kind zum errechneten Geburtstermin geboren hat, maximal zwei Lebensmonate des Kindes als fiktive
Elterngeldbezugszeit zugerechnet werden können, ohne in wesentlichem Umfang mehr Mutterschaftsgeld bezogen zu haben. Ebenso
ist denkbar, dass ein Kind zwar ebenfalls drei Tage vor dem errechneten Geburtstermin, jedoch in einem anderen Kalendermonat
mit einer höheren Anzahl von Kalendertagen - bspw. im März - geboren wird mit der Folge, dass wegen der im Hinblick auf die
Bezugsdauer gesetzlich geregelten Differenzierung zwischen Wochen (Mutterschaftsgeld) und Lebensmonaten (Elterngeld) in diesem
Fall der Bezug von Mutterschaftsgeld nicht in den dritten Lebensmonat des Kindes hineinreicht. Vernünftige oder sonst einleuchtende
Gründe für eine Ungleichbehandlung dieser Sachverhalte sind für den Senat nicht ersichtlich. Dies gilt auch vor dem Hintergrund,
dass dem Gesetzgeber im Bereich der gewährenden Verwaltung ein weitreichender Beurteilungsspielraum zukommt und ihm zuzubilligen
ist, Fallgestaltungen typisierend zu erfassen. Die geschilderten Fallkonstellation sind nicht derart ungleich, dass es gerechtfertigt
wäre, wegen des Bezugs von Mutterschaftsgeld an einem einzigen Tag im dritten Lebensmonat des Kindes den Vater von dem Bezug
von Elterngeld für einen ganzen Monat auszuschließen und ihm lediglich eine um einen Monat reduzierte Bezugsdauer zu zuerkennen.
Diese Folge würde auch nicht dadurch abgemildert, dass es der Mutter des Kindes grundsätzlich möglich wäre, für den dritten
Lebensmonat Elterngeld zu beantragen und in Anwendung von § 3 Abs. 1 S. 4 BEEG lediglich eine anteilige Anrechnung hinnehmen
zu müssen. Insofern sind die Eltern in ihrer persönlichen Lebensgestaltung grundsätzlich frei und die getroffene Entscheidung,
dass die Mutter des Kindes unmittelbar nach Ablauf der Schutzfristen wieder einer elterngeldschädlichen - vollzeitigen Erwerbstätigkeit
nachgeht ist zu respektieren. Wird weiter die Intention des Gesetzgebers berücksichtigt, lediglich den Doppelbezug von zweckgleichen
Leistungen auszuschließen, so führt die von dem Beklagten vorgenommene Anwendung des § 4 Abs. 3 S. 2 BEEG im Ergebnis zu einer
Ungleichbehandlung von im Wesentlichen gleichen Sachverhalten, die mit Art.
3 Abs.
1 GG nicht vereinbar ist. Die Vorschrift ist deshalb verfassungskonform dahingehend auszulegen, dass Lebensmonate des Kindes,
in denen anzurechnende Leistungen wie das Mutterschaftsgeld nur anteilig zustehen, auch nur anteilig als fiktive Elterngeldbezugszeit
der Mutter des Kindes gelten. Diese Auslegung lässt sich im Übrigen auch mit der Gesetzessystematik im Hinblick auf die Bezugseinheit
vereinbaren. Zwar wird gemäß § 4 Abs. 2 S. 1 BEEG das Elterngeld in Monatsbeträgen für Lebensmonate des Kindes gezahlt. Diese
Regelung wird jedoch durchbrochen durch § 3 Abs 1 S. 4 BEEG, der eine taggenaue Anrechnung von Mutterschaftsgeld auf den Anspruch
auf Elterngeld regelt. Dementsprechend stellt es keinen Systembruch dar, diese taggenaue Berechnung auch auf die Fiktion des
§ 4 Abs. 3 S. 2 BEEG anzuwenden.
Nach alledem steht dem Kläger noch ein Anspruch auf Elterngeld für weitere 30 Tage in gesetzlicher Höhe zu, weil von dem dritten
Lebensmonat des Kindes lediglich der erste Tag durch den Bezug von Mutterschaftsgeld verbraucht ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
Der Senat hat die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung gemäß §
160 Abs.
2 Nr.
1 SGG zugelassen. Insoweit existiert noch keine höchstrichterliche Rechtsprechung zur Frage der verfassungskonformen Auslegung
des § 4 Abs. 3 S. 2 BEEG.