Übernahme von Kosten für die Teilnahme an einem Sprachkurs zum Erlernen der deutschen Sprache für einen volljährigen Leistungsberechtigten
nach dem AsylbLG
Zugehörigkeit eines Sprachkurses zum Leistungsspektrum des AsylbLG im Falle rechtskräftiger Ablehnung des Asylantrags und pflichtwidriger Ausreisevereitelung
Tatbestand
Der Kläger begehrt die Übernahme von Kosten für die Teilnahme an einem Sprachkurs zum Erlernen der deutschen Sprache.
Der Kläger wurde nach seinen Angaben am 00.00.1994 in Guinea geboren und gehört der Volksgruppe der Fula/Fulbe an. Die Ausländerbehörde
des Kreises T und die Beklagte nehmen ein Geburtsdatum am 01.01.1993 an. In Guinea, wo er noch Verwandte hat (u.a. einen 2008
geborenen Sohn), besuchte der Kläger sieben Jahre die Schule. Anschließend arbeitete er, ohne eine formelle Berufsausbildung
absolviert zu haben, selbstständig im Einzelhandel. Neben der in Guinea verbreiteten Sprache Fula/Peul spricht er fließend
Französisch und etwas Englisch. Der deutschen Sprache ist er nicht bzw. nur unzureichend mächtig.
Am 23.08.2011 reiste der Kläger ohne gültige Papiere nach Deutschland ein. Seinen Asylantrag lehnte die Ausländerbehörde des
Kreises T mit Bescheid vom 22.09.2011 als offensichtlich unbegründet ab; Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG seien nicht festzustellen. Die hiergegen erhobene Klage blieb erfolglos (rechtskräftiges Urteil des Verwaltungsgerichts Münster
vom 04.06.2013 - 1 K 2149/11.A). Im Rahmen einer Vorsprache vom 10.01.2012 teilte der Kläger der Ausländerbehörde mit, nicht freiwillig nach Guinea auszureisen.
Er erklärte sich bislang nicht bereit, einen Antrag zur Beschaffung von Passersatzpapieren auszufüllen. Die Ausländerbehörde
verweigerte deshalb die Erteilung einer Arbeitserlaubnis. Aufenthaltsrechtlich wurde der Kläger seit Juni 2012 durchgehend
nach § 60a Abs. 2 S. 1 AufenthG geduldet.
Mit Zuweisungsbescheid vom 31.08.2011 wies die Bezirksregierung Arnsberg den Kläger der Beklagten zu. Seit dem 14.09.2011
lebt er dort durchgehend in einer Gemeinschaftsunterkunft; 14-tägig nimmt er Meldetermine bei der Beklagten wahr. Für die
Betreuung der Bewohner der Unterkunft steht ein bei der Beklagten angestellter Diplom-Sozialarbeiter zur Verfügung; dieser
leistet auch "aufsuchende Hilfe" und unterstützt die Bewohner bei der Kommunikation mit Behörden. Ferner kümmert sich eine
Bürgerin ehrenamtlich um die Bewohner. Angebote zum Erwerb oder zur Verbesserung von Kenntnissen der deutschen Sprache gibt
es in der Einrichtung nicht. In Deutschland hat der Kläger keine näheren Verwandten. Er ist mit einer ebenfalls aus Guinea
stammenden Frau, die in N lebt, befreundet, und besucht sie regelmäßig, insbesondere am Wochenende und teilweise über Nacht.
Die Beklagte gewährt dem Kläger seit September 2011 durchgehend sog. Grundleistungen nach § 3 AsyIbLG. Am 10.01.2012 legte
der Kläger mit Blick auf die seinerzeit beim Bundesverfassungsgericht (BVerfG) anhängigen Normenkontrollverfahren nach Art.
100 Abs.
1 GG (1 BvL 10/10 und 2/11) Widerspruch ein; hilfsweise stellte er einen Überprüfungsantrag nach § 44 SGB X. Im Anschluss an das Urteil des BVerfG vom 18.07.2012 - 1 BvL 10/10 und 2/11 gewährte die Beklagte dem Kläger ab November 2011 höhere Grundleistungen nach Maßgabe der vom BVerfG getroffenen
Übergangsregelung; eine sich hieraus ergebende Nachzahlung i.H.v. 1.069,27 EUR kehrte sie an den Kläger aus.
Der Kläger trat verschiedentlich strafrechtlich in Erscheinung. Das Landgericht Münster verurteilte ihn u.a. wegen unerlaubten
Handeltreibens mit Betäubungsmitteln (Kokain) zu einem Jahr und drei Monaten Jugendstrafe, die auf zwei Jahre zur Bewährung
ausgesetzt wurde (Urteil vom 08.03.2013 - 1 Ns 270 Js 457/12 (2/13)). Anfang 2014 verurteilte ihn das Amtsgericht Ibbenbüren (Jugendschöffengericht) wegen illegaler Drogengeschäfte zu
einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren ohne Bewährung; dieses Urteil ist noch nicht rechtskräftig.
Bereits am 15.02.2012 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Finanzierung eines Deutschkurses bei der Volkshochschule
oder einem anderen Träger. Er wolle Deutsch lernen, um nach Ablauf der "Einjahresfrist" zu arbeiten; dann könne er seinen
Lebensunterhalt selbst bestreiten. Aus eigenen Mitteln könne er einen solchen Kurs nicht finanzieren.
Mit Bescheid vom 03.05.2012 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Durch die Leistungen nach §
3 AsylbLG werde der notwendige Bedarf an Ernährung, Unterkunft, Heizung, Kleidung, Gesundheits- und Körperpflege sowie an Gebrauchs-
und Verbrauchsgütern für den Haushalt gedeckt. Kosten für einen Sprachkurs gehörten nicht zum notwendigen Bedarf. Mit seinem
Widerspruch wandte der Kläger ein, aufgrund mangelnder Deutschkenntnisse könne er einfachste Dinge des täglichen Lebens nicht
selbst erledigen; ein Deutschkurs sei deshalb sinnvoll. Mit Widerspruchsbescheid vom 21.05.2012 (der Bevollmächtigten des
Klägers zugestellt am 23.05.2012) wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Der Leistungsanspruch des Klägers umfasse nach
den §§ 3 bis 7 AsyIbLG nur unabweisbare Bedarfe zur Sicherung des Lebensunterhaltes. Zwar könnten nach § 6 Abs. 1 AsyIbLG
sonstige Leistungen gewährt werden, wenn sie im Einzelfall zur Sicherung des Lebensunterhaltes oder der Gesundheit unerlässlich,
zur Deckung besonderer Bedürfnisse von Kindern geboten oder zur Erfüllung einer verwaltungsrechtlichen Mitwirkungspflicht
erforderlich seien. Der Begriff "unabweisbar" beschränke die Möglichkeiten für die Gewährung sonstiger Leistungen jedoch erheblich.
Im Grunde sollten Leistungsberechtigte nach dem
AsylbLG allein das für ein menschenwürdiges Leben auf niedrigem Niveau Notwendige erhalten. Dies entspreche der ordnungspolitischen
Funktion des AsyIbLG, keine übermäßigen Anreize für die Einreise von Ausländern zu setzen, sowie dem aufenthaltsrechtlichen
Übergangsstatus der Leistungsberechtigten, deren Aufenthaltsrecht in Deutschland entweder nicht bzw. noch nicht festgestellt
oder bereits abschließend versagt worden sei. Die Zeit des Aufenthalts bis zur Ausreise werde im deutschen Sozialsystem mit
geringeren Ansprüchen "überbrückt". Ein Sprachkurs gehöre nicht zum Leistungsspektrum des AsyIbLG, weil er nicht als unabweisbarer
lebensnotwendiger Bedarf anzuerkennen sei. Ein menschenwürdiges Leben sei auch ohne Beherrschung der deutschen Sprache möglich.
Sprachförderung setze erst mit der Anerkennung als Asylberechtigter ein; sie beginne dann mit der Bewilligung von Leistungen
für einen Integrationskurs durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, um eine sprachliche, politische, gesellschaftliche
und wirtschaftliche Integration in die deutsche Gesellschaft zu erreichen.
Hiergegen hat der Kläger am 22.06.2012 Klage vor dem Sozialgericht Münster erhoben. Er spreche lediglich fließend Französisch;
Englischkenntnisse habe er nicht. Da er zudem kein Deutsch könne, sei ein Mindestmaß an Teilhabe nicht gesichert. Er sei noch
nicht einmal in der Lage, die Schreiben seiner Bevollmächtigten zu lesen bzw. zu verstehen. Er wolle Deutsch lernen, damit
er sich unterhalten und dadurch besser integrieren könne. Eine freiwillige Ausreise beabsichtige er nicht; denn er befürchte,
in seiner Heimat verfolgt zu werden. Das BVerfG habe im Urteil vom 18.07.2012 (a.a.O.) ausgeführt, dass Art.
1 Abs.
1 GG i.V.m. dem Sozialstaatsprinzip aus Art.
20 Abs.
1 GG nicht nur die physische Existenz, sondern auch die Möglichkeit zur Pflege zwischenmenschlicher Beziehungen sowie ein Mindestmaß
an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben gewährleiste. Eine Differenzierung nach dem Aufenthaltsstatus
sei insoweit nicht zulässig. Die Ansicht der Beklagten, eine Sprachförderung könne erst nach einer Anerkennung als Asylberechtigter
einsetzen, stehe mit dieser Entscheidung des BVerfG nicht in Einklang.
Der Kläger hat beantragt,
den Bescheid vom 03.05.2012 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 21.05.2012 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen,
die Kosten für die Teilnahme des Klägers an einem Sprachkurs "Deutsch" zu übernehmen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Das Urteil des BVerfG vom 18.07.2012 (a.a.O.) habe nicht alle Bestimmungen des AsyIbLG für verfassungswidrig erklärt. Ohnehin
beanspruchten zentrale Regelungen zur Integration von Ausländern in anderen Gesetzen weiterhin Geltung. Dazu zählten insbesondere
die §§ 43, 44 AufenthG. Folge aus diesen Vorschriften eine Berechtigung zur Teilnahme an einem Integrationskurs für Ausländer mit dauerhaftem Aufenthaltsrecht,
so liege es nahe, dass nach dem Willen des Gesetzgebers Sprachförderung für Ausländer mit dem Ziel der Integration erst mit
Erlangung eines dauerhaften Aufenthaltsrechts beginnen solle. Ein Sprachkurs aus Mitteln nach dem AsyIbLG stünde dazu in Widerspruch.
Der Entscheidung des BVerfG sei ohnehin zu entnehmen, dass zwar bei der Sicherung der physischen Existenz ein enger Maßstab
anzulegen sei, bei den Möglichkeiten zur Teilhabe am gesellschaftlichen Leben jedoch ein weiterer Maßstab gelte. Diese unterschiedliche
Gewichtung zeige sich auch darin, dass bei den Regelbedarfen nach dem Regelbedarfs-Ermittlungsgesetz (RBEG) keine Anteile
für Bildung berücksichtigt seien, mithin auch nicht für einen Sprachkurs. Auch in Ansehung der besonderen Situation des Klägers
gelte nichts anderes. Zwar beherrsche er die deutsche Sprache nicht; inzwischen könne er sich jedoch mit Mitarbeitern der
Beklagten z.B. teilweise auf Englisch verständigen. Soweit bei seinen dortigen Vorsprachen eine Verständigung in englischer
Sprache nicht möglich sei, komme ein elektronisches Sprachübersetzungs-Programm ("Google-Übersetzer") zum Einsatz. Der Kläger
besitze ein Mobiltelefon, das er bei Vorsprachen häufig benutze. In der Gemeinschaftsunterkunft lebten Menschen verschiedenster
Nationalitäten mit einem "bunten Sprachengewirr"; größere Probleme aufgrund der Sprachverschiedenheiten seien gleichwohl nicht
bekannt. Der Kläger habe gegenüber der Beklagten erklärt, dass in der Kanzlei seiner Bevollmächtigten auch Französisch gesprochen
werde. Insgesamt sei davon auszugehen, dass er auch ohne Deutschkenntnisse über grundrechtskonforme Möglichkeiten zur Teilhabe
am gesellschaftlichen Leben verfüge.
Mit Urteil vom 22.05.2013 (der Bevollmächtigten des Klägers am 27.05.2013 zugestellt) hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen
und die Berufung zugelassen. Kosten für die Teilnahme an einem Deutschkurs seien nicht von den Leistungen nach §
3 AsylbLG erfasst. Selbst wenn dies der Fall wäre, ergäbe sich hieraus kein selbstständiger Anspruch des Klägers; denn dann wären die
Kosten für einen Sprachkurs im Regelbedarf enthalten. § 5 RBEG sehe indes keine Verbrauchsausgaben für Sprachkurse vor. In
der Abteilung 10 zu § 5 RBEG seien Kosten für Bildung mit monatlich 1,39 EUR berücksichtigt; dieser Betrag umfasse keine Kosten
für Sprachkurse. Der Kläger könne sich auch nicht auf die vom BVerfG im Urteil vom 18.07.2012 (a.a.O.) getroffene Übergangsregelung
stützen; denn insoweit stelle das BVerfG gerade auf das RBEG ab. Aus §
6 Abs.
1 AsylbLG ergebe sich der geltend gemachte Anspruch ebenfalls nicht. Danach sei zwar eine abweichende Leistungsgewährung bei besonderen
Bedarfslagen möglich. Der Erwerb von Deutschkenntnissen sei jedoch keine solche Bedarfslage; entsprechende Kenntnisse fehlten
vielmehr bei der überwiegenden Anzahl der nach dem
AsylbLG Leistungsberechtigten. Der vom Kläger geltend gemachte Anspruch folge schließlich auch nicht unmittelbar aus der Verfassung.
Der Gesetzgeber sei ohne Verstoß gegen Art.
1 GG oder andere Normen des
GG befugt, den Anspruch auf Übernahme der Kosten für Integrationsmaßnahmen auf den in den §§ 43, 44 AufenthG genannten Personenkreis zu beschränken. Zu diesem Kreis gehöre der Kläger nicht.
Hiergegen richtet sich der Kläger mit seiner am 26.06.2013 eingelegten Berufung. Es sei davon auszugehen, dass er, letztlich
unabhängig von einer ausländerrechtlichen Entscheidung, auf unabsehbare Zeit in Deutschland verbleibe. Er sei bestrebt, einen
Schulabschluss nachzuholen und eine Ausbildung zu beginnen. Hierzu müsse er die deutsche Sprache beherrschen. Die Beklagte
und das Sozialgericht verkennten, dass bei besonderen Bedarfslagen eine abweichende Leistungsgewährung nach § 6 Abs. 1 AsyIbLG
möglich sei. Sein Anspruch ergebe sich zudem aus der Verfassung, insbesondere aus Art.
1 GG.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Münster vom 22.05.2013 zu ändern und die Beklagte unter Änderung des Bescheides vom 03.05.2012
in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.05.2012 zu verurteilen, Kosten des Klägers für die Teilnahme an einem Sprachkurs
"Deutsch" zu übernehmen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung des Kläger zurückzuweisen.
Sie hält das Urteil des Sozialgerichts für zutreffend. Eine besondere Bedarfslage im Sinne von § 6 AsyIbLG oder eine Verletzung von Art.
1 GG liege nicht vor.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen
Akten (Verwaltungsvorgänge der Beklagten und Ausländerakten des Kreises T), der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen
ist.
Entscheidungsgründe
I. Gegenstand des Verfahrens ist der Bescheid vom 03.05.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.05.2012 (§
95 SGG), mit dem die Beklagte die Übernahme von Kosten für die Teilnahme an einem Deutschkurs abgelehnt hat.
II. Die insoweit jedenfalls aufgrund der Zulassung durch das Sozialgericht (§
144 Abs.
1 S. 1 Abs.
3 SGG) statthafte und auch im Übrigen zulässige Berufung des Klägers ist unbegründet. Denn die (als kombinierte Anfechtungs- und
Verpflichtungsklage nach §§
54 Abs.
1 S. 1, 56
SGG statthafte) Klage ist nicht begründet. Der Kläger ist nicht beschwert im Sinne von §
54 Abs.
2 S. 1
SGG; er hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Übernahme von Kosten für einen Deutschkurs.
1. Die Beklagte gewährte dem Kläger Leistungen nach §
3 AsylbLG in Höhe der durch das BVerfG im Urteil vom 18.07.2012 (a.a.O.) getroffenen Übergangsregelung als für ihn sachlich und örtlich
zuständiger Leistungsträger.
a) Die sachliche Zuständigkeit der Beklagten ergibt sich aus §
10 AsylbLG i.V.m. §
1 Abs.
1 S. 1 Ausführungsgesetz zum
AsylbLG Nordrhein-Westfalen.
b) Zur örtlichen Zuständigkeit der Beklagten kann dahinstehen, ob sich diese schon aus §
10a Abs.
1 S. 1
AsylbLG ergibt, weil ihr der Kläger durch Bescheid der Bezirksregierung Arnsberg vom 31.08.2011 zugewiesen wurde und diese Zuweisung
auch nach Abschluss des Asylverfahrens noch fortwirkt (vgl. zu dieser Frage tendenziell ablehnend das Urteil des erkennenden
Senats vom 12.12.2011 - L 20 AY 4/11 Rn. 85 ff. m.w.N. sowie Beschlüsse des Senats vom 27.10.2006 - L 20 B 52/06 AY ER und vom 27.12.2013 - L 20 AY 106/13 B ER; bejahend dagegen Groth in jurisPK-
AsylbLG, 2. Auflage 2014, §
10a Rn. 21 m.w.N.).
Denn anderenfalls ergibt sich die örtliche Zuständigkeit der Beklagten als der Behörde, in deren Bereich sich der Kläger tatsächlich
aufhält, aus §
10a Abs.
1 S. 2
AsylbLG. Tatsächlicher Aufenthalt meint insoweit grundsätzlich die körperliche Anwesenheit im Zuständigkeitsbereich des Leistungsträgers
(vgl. dazu Groth a.a.O. Rn. 24; Hohm in Schellhorn/Schellhorn/Hohm, SGB XII, 18. Auflage 2010, §
10a AsylbLG Rn. 8). Der Kläger hat in diesem Sinne seinen tatsächlichen Aufenthalt im örtlichen Zuständigkeitsbereich der Beklagten.
Denn er lebt in einer Gemeinschaftsunterkunft in deren Stadtgebiet. Der Umstand, dass er sich bisweilen vorübergehend nicht
in der Gemeinschaftsunterkunft aufhält bzw. am Wochenende zeitweilig bei einer befreundeten Frau in N übernachtet, steht der
Annahme seines tatsächlichen Aufenthaltes im Stadtgebiet der Beklagten nicht entgegen. Denn aus Gründen der Effektivität der
Anspruchsgewährleistung bzw. der Verwaltungsrationalität zieht nicht jeder physische Wechsel des Aufenthaltsortes ohne Weiteres
eine Beendigung des tatsächlichen Aufenthaltes im Rechtssinne nach sich (so etwa, zu der insoweit vergleichbaren Regelung
des § 98 Abs. 1 S. 1 SGB XII, Hohm a.a.O. § 98 Rn. 15; Wahrendorf in Grube/Wahrendorf, SGB XII, 5. Auflage 2014, § 98 Rn. 8, jeweils m.w.N.). Der Senat hat angesichts von Angaben des Klägers in der mündlichen Verhandlung zu seinem tatsächlichen
Aufenthalt sowie der Einhaltung von 14-tägigen Meldetermine bei der Beklagten keinen Zweifel daran, dass er sich üblicherweise
im örtlichen Zuständigkeitsbereich der Beklagten tatsächlich aufhält. Auch der Beklagten liegen insoweit keine abweichenden
Erkenntnisse vor. Überdies würde sich, sofern die Beklagte dem Kläger trotz Kenntnis eines auswärtigen Aufenthaltes weiter
Leistungen erbringen würde, ihre (fortbestehende) örtliche Zuständigkeit aus §
10a Abs.
1 S. 3
AsylbLG ergeben.
2. Die angefochtenen Bescheide sind materiell rechtmäßig. Eine Rechtgrundlage für die vom Kläger begehrte Leistung existiert
nicht.
Hat der Kläger bisher einen Sprachkurs noch nicht absolviert, so ist maßgebender Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und
Rechtslage die mündliche Verhandlung vor dem Senat vom 19.05.2014 (vgl. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
SGG, 10. Auflage 2012, §
54 Rn. 34).
a) Ein Leistungsanspruch des Klägers nach dem
AsylbLG wäre nicht etwa von vornherein wegen Einkommens oder Vermögens ausgeschlossen, das nach §
7 AsylbLG zu berücksichtigen wäre. Zwar hat der Kläger in der Vergangenheit mit Drogen gehandelt und dürfte daraus seinerzeit Einkünfte
erzielt haben. Derzeit allerdings bestehen keinerlei Hinweise auf Einkünfte des Klägers aus Drogendelikten oder aus anderen
Quellen. Er selbst hat auf Nachfrage im Termin zur mündlichen Verhandlung Einkünfte außerhalb seiner Leistungen nach dem
AsylbLG verneint; auch die Beklagte geht - auf ausdrückliche Nachfrage in der mündlichen Verhandlung - nicht von anspruchsschädlichen
Einkünften aus. Ebenso wenig gibt es Hinweise auf verwertungspflichtiges Vermögen des Klägers.
b) Der vom Kläger geltend gemachte Leistungsanspruch ist auch nicht bereits deshalb von vornherein ausgeschlossen, weil Kosten
für einen Deutschkurs schon von seinen (nach Maßgabe der Übergangsregelung des BVerfG bemessenen) Leistungen nach §
3 AsylbLG umfasst wären.
Dem Sozialgericht dürfte im Ergebnis darin beizupflichten sein, dass jedenfalls Kosten für Sprachkurse wie der vom Kläger
gewünschte, welche zur Integration von Ausländern in die deutsche Gesellschaft bestimmt sind, nicht in die Bemessung der dem
Kläger gewährten Leistungen eingeflossen sind.
Aus Ziff. 3.b) des Tenors des Urteils des BVerfG vom 18.07.2012 (a.a.O.) folgt, dass die Leistungen nach §
3 AsylbLG Verbrauchsausgaben für Bildung im Sinne von §
5 Abs.
1 RBEG (Abteilung 10) umfassen. Dies sind die Verbrauchsausgaben für "Gebühren für Kurse u.Ä." (Code 1050 900); sie wurden
bei der Bemessung zu 100% als bedarfsrelevant angesehen und führten zu regelbedarfsrelevanten statistischen Verbrauchsausgaben
von 1,39 EUR (BT-Drucks. 17/3404 S. 62). Allein diese Position wurde in Abt. 10 als regelbedarfsrelevant berücksichtigt; andere
Positionen der dem RBEG zugrunde liegenden Einkommens- und Verbrauchsstichprobe (EVS) 2008 aus dem Bereich Bildung (namentlich
Aufwendungen für Kinderbetreuung sowie Studien- und Prüfungsgebühren an Schulen und Universitäten) blieben vollständig außer
Betracht (vgl. BT-Drs. a.a.O.; siehe ferner S. 52 f. des für die Aufschreibung der Daten für die EVS 2008 an die Erhebungshaushalte
ausgegebenen Haushaltsbuches). Die "Ausfüllhinweise" an die an der EVS 2008 beteiligten Erhebungshaushalte für die Position
R 08 ("Gebühren für Kurse u.Ä.") haben folgenden Wortlaut (S. 52): "Unterrichtsleistungen, die nicht dem Erwerb von Berufsabschlüssen
dienen (z.B. kaufmännischer Unterricht und Sprachunterricht, EDV-Kurse, Erste-Hilfe-Kurse usw.)". Aufwendungen für Sprachkurse
wurden danach zwar bei der Bedarfsermittlung berücksichtigt und flossen so (in konkret nicht weiter bezifferbarer Höhe) in
den Betrag von 1,39 EUR nach § 5 Abs. 1 (Abteilung 10) RBEG ein (vgl. BT-Drs. 17/3404 S. 141). Da es sich bei den Teilnehmern
der EVS 2008 weitgehend um Personen handeln dürfte, die der deutschen Sprache mächtig sind, liegt allerdings der Schluss nahe,
dass nicht der Integration in die deutsche Gesellschaft dienende Sprachkurse erfasst wurden, sondern solche, die deutschsprachigen
Personen Kenntnisse in einer ihnen fremden - und damit nicht in der deutschen - Sprache vermitteln sollen.
Letztlich kann indes offenbleiben, ob Aufwendungen für Deutschkurse für Fremdsprachler auf die Bemessung der Leistungen nach
§
3 AsylbLG nach Maßgabe der Übergangsregelung des BVerfG Einfluss genommen haben. Denn selbst wenn in die statistischen Erhebungen zur
EVS 2008 Deutschkurse für nicht deutschsprachige Personen eingeflossen sein sollten, so wäre der dann zur Deckung des sprachlich-integrativen
Bedarfs von Personen wie dem Kläger zur Verfügung gestellte Betrag von (anfänglich) monatlich 1,39 EUR ersichtlich nicht hinreichend.
c) Es bedürfte vielmehr ergänzender Leistungen, um den Besuch eines entsprechenden Deutschkurses zu ermöglichen. Solche (ggf.
ergänzenden) Leistungen kämen im Rahmen des
AsylbLG (allein) nach §
6 Abs.
1 AsylbLG in Betracht.
aa) Ob schon der Umstand, dass ein bestimmter Bedarf bereits Einfluss auf die Bemessung von Regelbedarfen nach dem RBEG -
und damit auf die Höhe der Leistungen nach §
3 AsylbLG entsprechend der Übergangsregelung des BVerfG - gehabt hat, dazu führen muss, dass §
6 Abs.
1 AsylbLG keine Anwendung mehr finden kann, kann wiederum dahinstehen (vgl. insoweit zu §
6 Abs.
1 AsylbLG entschiedene Einzelfälle in der Auflistung bei Frerichs in jurisPK-
AsylbLG, 2. Auflage 2014, §
6 Rn. 48 ff., die insbesondere bestimmte Mehrbedarfe z.B. wegen Ernährung, Kleidung oder Hygiene betreffen. Um einen solchen
"Mehr- oder Sonderbedarf" würde es auch im Falle des Klägers gehen, wenn Aufwendungen für integrationsfördernde Deutschkurse
zwar in die Bemessung des Regelbedarfs eingeflossen sein sollten, die konkreten Kosten jedoch aus dem darauf entfallenden,
nicht näher zu beziffernden Bruchteil des Betrages von 1,39 EUR nicht gedeckt werden könnten).
bb) Im Ergebnis jedenfalls scheidet ein Anspruch des Klägers nach §
6 Abs.
1 AsylbLG auf Übernahme der Kosten für einen Deutschkurs aus, gleichviel, ob Kosten solcher Kurse in die EVS 2008 eingeflossen sind
oder nicht.
Da - zumindest inzwischen - von einer Volljährigkeit des Klägers auszugehen ist (und damit "besondere Bedürfnisse von Kindern"
im Sinne von §
6 Abs.
1 S. 1, 3. Var.
AsylbLG nicht betroffen sein können), käme ein entsprechender Anspruch nur in Betracht, wenn die Übernahme der Kosten für einen Deutschkurs
zur Sicherung seines Lebensunterhalts "unerlässlich" wäre (§
6 Abs.
1 S. 1, 1. Var.
AsylbLG).
(1) Mit diesem Begriff beschränkt das Gesetz Leistungen auf solche, die zur Sicherung des Lebensunterhaltes unverzichtbar
sind (vgl. Hohm a.a.O. §
6 AsylbLG Rn. 12 m.w.N.). Das ist der Fall, wenn unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände des Einzelfalles und unter Einbeziehung
grundrechtlicher Belange das Existenzminimum unterschritten würde oder die konkrete Gefahr seiner Unterschreitung bestünde
(Hohm a.a.O.; Frerichs a.a.O. Rn. 46). Zu berücksichtigen sind insbesondere etwa die Qualität des betroffenen Rechts, das
Ausmaß und die Intensität der tatsächlichen Beeinträchtigung im Falle der Leistungsablehnung, die hiesigen Lebensverhältnisse,
die voraussichtliche Dauer des (weiteren) Aufenthaltes in Deutschland, gleich geeignete und kostengünstigere Leistungen sowie
die Möglichkeit einer anderweitigen Bedarfsdeckung (Hohm a.a.O. Rn. 13; Frerichs a.a.O. Rn. 41, 46 f.).
Insoweit kann hinsichtlich eines möglicherweise noch längerfristigeren Aufenthalts des nach § 60a Abs. 1 S. 2 AufenthG geduldeten Klägers in Deutschland nach Ansicht des Senats nicht unberücksichtigt bleiben, dass seine Abschiebung einzig deshalb
nicht möglich erscheint, weil er über keine Passpapiere verfügt und sich zugleich - trotz bestehender Ausreisepflicht - weigert,
an der Beschaffung eines Passes bzw. von Passersatzpapieren mitzuwirken. Persönliche oder zielstaatsbezogene Gründe, welche
die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG ermöglichen würden, sind weder festgestellt noch ersichtlich; der Kläger vereitelt vielmehr durch sein Verhalten eine an
sich mögliche, seiner Ausreisepflicht entsprechende Beendigung seines Aufenthaltes in Deutschland.
(2) Ist in einem solchen Fall der Aufenthalt in Deutschland deshalb vorwerfbar rechtswidrig, so müssen gleichwohl auch dann
die Leistungen nach dem
AsylbLG dem Grundrecht des Leistungsempfängers auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art.
1 Abs.
1 GG i.V.m. Art.
20 Abs.
1 GG Rechnung tragen. Dementsprechend ist auch der Begriff "unerlässlich" in §
6 Abs.
1 AsylbLG grundrechtskonform auszulegen.
Dies führt jedoch nicht dazu, dass Leistungen an den Kläger für einen Deutschkurs als unerlässlich anzusehen wären. Zum einen
weist die Beklagten insoweit zu Recht darauf hin, dass das Begehren des Klägers nicht das physische Existenzminimum betreffen
kann; zu verorten ist die Frage nach Leistungen für einen Deutschkurs vielmehr im Bereich sozio-kultureller Teilhabe. Für
die inhaltliche Konkretisierung dieses Bereichs besteht von vornherein ein weiterer Gestaltungsspielraum als beim physischen
Existenzminimum (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 2/09 u.a. Rn. 152). Dessen Grenzen erscheinen beim Kläger, der sich erst seit dem 22.08.2011 in Deutschland aufhält und dessen
hiesiger Verbleib nach rechtskräftiger Ablehnung seines Asylantrags allein darauf beruht, dass er pflichtwidrig die Voraussetzungen
für eine Ausreise vereitelt, nicht überschritten. In einem solchen Fall ist es vornherein nicht zu beanstanden, wenn keine
Leistungen für sprachliche Integration in die deutsche Gesellschaft erbracht werden. Ist der aufenthaltsrechtliche Status
des Klägers von vornherein nicht auf Integration, sondern auf Ausreise gerichtet, so stellt sich - jedenfalls in seinem Fall
- die gesetzliche Wertung in den §§ 43, 44 AufenthG, qualifizierte Integrationsmaßnahmen wie einen Sprachkurs grundsätzlich erst bei einem rechtlich gesicherten Aufenthaltsstatus
vorzusehen, als zulässige gesetzgeberische Einschätzung dar. Jedenfalls garantiert das Grundrecht auf Gewährleistung eines
menschenwürdigen Existenzminimums keinen Sprachkurs für eine Integration in die deutsche Gesellschaft, für die, würde sich
der Kläger ausländerrechtskonform verhalten und seine Ausreise vorantreiben, von vornherein gar kein Bedürfnis bestehen könnte.
Daran ändert es nichts, dass dieses Grundrecht dem Grunde nach unverfügbar ist (BVerfG, Urteil vom 18.07.2012 - 1 BvL 10/10 und 2/11 Rn. 62 m.w.N.) und das menschenwürdige Existenzminimum migrationspoltisch nicht relativiert werden darf (BVerfG,
a.a.O. Rn. 95). Denn die Versagung von Leistungen für eine Integration, derer es nach der ausländerrechtlichen, als solcher
nicht fragwürdig erscheinenden Wertung gar nicht bedürfen kann (weil der Betroffene aktuell ausreispflichtig ist und keine
ihm nicht vorwerfbaren rechtlichen oder tatsächlichen Abschiebungshindernisse bestehen), ist keine Beschränkung oder Relativierung
des Grundrechts, sondern gehört einzig zur näheren - verfassungskonformen - Ausfüllung des (sozio-kulturellen) Existenzminimums.
(3) An dieser Bewertung kann sich im Übrigen auch nicht etwa dadurch etwas ändern, dass die Ausreisepflicht des Klägers in
absehbarer Zeit enden oder ein Abschiebeverbot eintreten würde; es gibt für beides bereits keinerlei Anhaltspunkte. Ebenso
wenig steht in Aussicht, dass der Kläger zukünftig die Voraussetzungen für den Bezug sozialhilfeentsprechender Leistungen
nach §
2 AsylbLG erfüllen wird und damit im Wesentlichen den Leistungsberechtigten gleichgestellt wäre, die sich - mit möglicherweise entsprechendem
sprachlichen Integrationsbedarf - dauerhaft in Deutschland aufhalten. Denn zum einen erfüllt er bislang nicht die dafür nach
§
2 Abs.
1 AsylbLG notwendige Vorbezugszeit von 48 Monaten mit Leistungen nach §
3 AsylbLG. Zum anderen dürfte seine Mitwirkungsverweigerung bei der Beschaffung von Passersatzpapieren ohnehin als rechtsmissbräuchliche
Beeinflussung seiner hiesigen Aufenthaltsdauer anzusehen sein, so dass schon deshalb Leistungen nach §
2 Abs.
1 AsylbLG ausscheiden.
d) Andere gesetzliche Anknüpfungspunkte für den vom Kläger geltend gemachten Anspruch bestehen nicht.
aa) § 73 SGB XII, der Sozialhilfe in "sonstigen" Lebenslagen vorsieht, findet von vornherein keine Anwendung. Eine unmittelbare Anwendung
der Vorschrift ist durch § 23 Abs. 2 SGB XII ausgeschlossen; danach erhalten Leistungsberechtigte nach §
1 AsylbLG keine Leistungen der Sozialhilfe. Eine entsprechende Anwendung über §
2 Abs.
1 AsylbLG scheitert aus den bereits genannten Gründen.
bb) Ein Anspruch folgt auch nicht unmittelbar aus Art.
1 Abs.
1 i.V.m. Art.
20 Abs.
1 GG. Es bedarf vielmehr stets einer einfachrechtlichen Leistungsregelung (vgl. BVerfG, Beschluss vom 30.10.2010 - 1 BvR 2037/10 sowie Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 u.a.; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 03.01.2011 - L 7 AS 460/10 B Rn. 3 m.w.N.). Das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums wirkt insoweit vielmehr allein
in die Auslegung von §
6 Abs.
1 AsylbLG hinein; dies kann jedoch (s.o.) nicht zu einem Anspruch des Klägers auf Leistungen für einen Deutschkurs führen.
III. Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 Abs.
1 S. 1
SGG und folgt der Entscheidung in der Hauptsache.
IV. Der Senat hat die Revision nach §
160 Abs.
2 Nr.
1 SGG zugelassen. Die Frage, ob Leistungsberechtigten nach dem
AsylbLG Leistungen für einen Sprachkurs zu gewähren sind, um ihnen für die Dauer ihres Aufenthalts in Deutschland zu einer leichteren
Integration zu verhelfen, stellt sich in der Mehrzahl der Leistungsfälle.