Streit über die Bewilligung einer Rente wegen Erwerbsminderung nach SGB VI
Vorliegen einer generalisierten Ichthyosis, einer Angst- und depressiven Störung, gemischt, sowie einer rezidivierenden Panikstörung
Einzelfallentscheidung auf gesicherter Rechtsgrundlage
Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist die Bewilligung von Rente wegen Erwerbsminderung nach dem
Sechsten Buch Sozialgesetzbuch (Gesetzliche Rentenversicherung -
SGB VI) vom 1. Mai 2010 bis zum 31. Juli 2013 streitig.
Die am ... 1959 geborene Klägerin absolvierte von September 1974 bis August 1976 eine Ausbildung zum Facharbeiter für Verpackung.
Anschließend war sie bis Dezember 1977 in ihrem erlernten Beruf beschäftigt, den sie nach ihren Angaben aus gesundheitlichen
Gründen (wegen einer Ichthyosis) aufgab. Sie besuchte bereits ab September 1975 berufsbegleitend die Abendschule, wo sie im
September 1977 den Abschluss der Zehnten Schulklasse nachholte. Von Januar 1978 bis Januar 1996 arbeitete sie als Verkäuferin/Verkaufsstellenleiterin;
von November 1996 bis Juli 1997 nahm sie an einer Qualifikationsmaßnahme als Reiseführer teil. Von September 2000 bis April
2002 war sie als kaufmännische Angestellte und von August bis Dezember 2002 sowie von August bis Dezember 2005 erneut als
Verkäuferin beschäftigt. Anschließend war sie arbeitslos, verrichtete von April bis Oktober 2006 eine Arbeitsgelegenheit als
Sachbearbeiter, von 2007 bis 2008 einen 1-Euro-Job und nahm im Jahr 2009 an einer dreimonatigen Weiterbildungsmaßnahme teil.
Das am 16. Januar 2010 begonnene und bis zum 15. Juli 2010 befristete Beschäftigungsverhältnis als Betreuerin in der offenen
Kinder- und Jugendarbeit (30 Stunden wöchentlich) wurde zum 31. Mai 2010 aus gesundheitlichen Gründen gekündigt. Neben Leistungen
nach dem Zeiten Buch Sozialgesetzbuch (Grundsicherung für Arbeitsuchende - SGB II) bezieht die Klägerin seit November 2010 Witwenrente.
Der bei der Klägerin festgestellte Grad der Behinderung (GdB) wurde 2008 von 50 auf 60 hochgestuft.
Die Klägerin stellte bei der Beklagten am 4. Juni 2008 einen Antrag auf Bewilligung von Rente wegen Erwerbsminderung. Wegen
Ichthyosis, COPD GOLD Stadium III und Asthma könne sie nur noch vier Stunden täglich in klimatisierten Räumen als Verkäuferin,
aber auch in einer anderen Tätigkeit beschäftigt sein. Die Beklagte holte einen Befundbericht der Fachärztin für Allgemeinmedizin
Dipl.-Med. G. vom 8. Juli 2008 ein, die als Diagnosen eine COPD Stadium II bis III nach GOLD, ein mischförmiges Asthma bronchiale
und eine Ichthyosis congenita aufführte. Unter Therapie sei eine deutliche Verbesserung der zuvor bestehenden starken Dyspnoe
bei kleinsten Belastungen zu verzeichnen. Ferner zog die Beklagte den Entlassungsbericht der Reha-Klinik B. S. vom 10. Juni
2008 über die stationäre pulmologische Anschlussheilbehandlung (AHB) der Klägerin vom 14. Mai bis zum 4. Juni 2008 bei. Darin
wird der Zustand nach einer schwergradigen respiratorischen Partialinsuffizienz bei bodyplethysmographisch nachweisbarer schwergradiger
obstruktiver Ventilationsstörung und stationärer Behandlung vom 8. bis zum 22. April 2008 in der Lungenklinik B. beschrieben.
Im Entlassungsbericht der Rehabilitationseinrichtung sind als Diagnosen eine COPD GOLD Stadium I im Zustand nach Exazerbation
April 2008 mit der Differentialdiagnose mischförmiges Asthma bronchiale (Katzenschuppenallergie), ein Nikotinabusus, ein Verdacht
auf eine interstitielle Lungenerkrankung und auf eine koronare Herzkrankheit sowie eine Ichthyosis benannt. Nach Stabilisierung
der erreichten Lungenfunktionsverbesserung auch im häuslichen Umfeld sei die Klägerin in circa sechs Wochen wieder vollschichtig
in ihrem Beruf als Verkäuferin oder in der letzten Tätigkeit als Erzieherin in klimatisierten Räumen einsatzfähig. Sie müsse
sich vor Allergenen, inhalativen Belastungen sowie extremen Temperaturschwankungen, insbesondere Hitze jeder Art, schützen.
Die Beklagte holte Befundberichte von der Fachärztin für Haut- und Geschlechtskrankheiten Dipl.-Med. S. vom 14. Juli 2008
und von der Fachärztin für Innere Medizin/Pneumologie/Schlafmedizin Dr. K. vom 7. Juli 2008 ein, die einen Bericht über die
Kontrolluntersuchung der Klägerin am 23. Juni 2008 in dem MVZ B. mit übersandte. Dipl.-Med. S. gab als Diagnosen eine congenitale
erblich bedingte Ichthyosis, eine Neurodermitis constitutionalis atopica, eine rezidivierende Panikstörung, Haarausfall durch
Ichthyosis und COPD an. Die Klägerin habe eine sehr trockene, schuppige, rauhe und rissige Haut mit erheblichem Juckreiz und
rezidivierenden Entzündungen. Das ständige Eincremen stelle eine Belastung dar. Die Klägerin traue sich nicht unter Menschen,
fühle sich angestarrt und leide dann an Panikattacken. Sie sei in ihrer Lebensqualität erheblich eingeschränkt. Sie habe sich
in den letzten Jahren nicht in einer Hautklinik behandeln lassen, sei aber seit ihrer Geburt in dermatologischer Behandlung.
Eine stationäre Rehabilitationsmaßnahme könne sie sich aus finanziellen Gründen nicht leisten. Die Verschlechterung seit April
2008 sei überwiegend durch die Lungenfunktionsverschlechterung und die psychischen Probleme bedingt. Die Beklagte holte auf
den Rehabilitationsantrag der Klägerin einen weiteren Befundbericht von Dipl.-Med. S. vom 16. Juli 2009 ein und bewilligte
sodann eine stationäre Rehabilitationsmaßnahme im Klinikzentrum B. S. Abteilung Dermatologie vom 7. Oktober bis zum 28. Oktober
2009. In dem von der Beklagten beigezogenen Entlassungsbericht vom 17. November 2009 ist neben den dermatologischen Diagnosen
eine Angst- und depressive Störung genannt. Die Klägerin fühle sich sowohl durch den enormen Pflegeaufwand durch die Hauterkrankung
als auch durch das Aussehen der Hautveränderungen stark belastet. Im Vergleich zum Aufnahmebefund bestehe ein deutlich gebesserter
Hautbefund. Die chronische Hauterkrankung erfordere eine Tätigkeit unter sauberen, trockenen, staub- und allergenarmen Bedingungen,
weitgehend ohne direkten Kontakt zu Hautreizstoffen, Hitze, Kälte, Nässe, starken Temperaturschwankungen. Die Haut grob verschmutzende
oder mechanisch belastende Arbeiten sowie Tätigkeiten mit Heben und Tragen schwerer Lasten, längerfristige Arbeiten in gebückter
Haltung oder Zwangshaltungen in kniender oder hockender Körperhaltung, Arbeiten auf Leitern oder Gerüsten oder in unebenem
Gelände seien nicht zumutbar. Auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt bestehe eine Leistungsfähigkeit mit den vorgenannten Einschränkungen
für Tätigkeiten leichter Arbeitsschwere im Wechsel von Sitzen, Stehen und Gehen "drei bis sechs Stunden" täglich. Im Ankreuzvordruck
wurde die Variante "drei bis unter sechs Stunden" täglich angekreuzt.
Die Beklagte lehnte den Rentenantrag der Klägerin ab. Es bestehe ein Leistungsvermögen der Klägerin für sechs Stunden täglich
für leichte Arbeiten in wechselnder Körperhaltung, ohne Nachtschicht, Gefährdung durch Nässe, Hitze, extrem schwankende Temperaturen,
inhalative Belastungen, Allergene und ohne Hautreizstoffe. Die Klägerin sei auch nicht berufsunfähig. Ausgehend von einem
Hauptberuf als Verkäuferin sei sie in die Gruppe der Ungelernten einzustufen und als solche auf alle Tätigkeiten des allgemeinen
Arbeitsmarktes verweisbar (Bescheid der Beklagten vom 6. November 2008 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 9. Juli
2009).
Hiergegen hat sich die Klägerin mit der am 5. August 2009 beim Sozialgericht Magdeburg erhobenen Klage gewandt und die Bewilligung
von Rente wegen Erwerbsminderung weiter geltend gemacht. Sie leide an einer COPD III. Grades. Sie sei zuletzt als Verkaufsstellenleiterin
tätig gewesen, sodass erhebliche Zweifel an der beruflichen Einstufung der Beklagten bestünden. Sie hat eine ärztliche Bescheinigung
von Dipl.-Med. S. vom 7. Februar 2011 zu den Akten gereicht. Wegen der Einzelheiten wird auf Blatt 42 Bd. I der Gerichtsakten
verwiesen.
Das Sozialgericht hat Befundberichte von Dipl.-Med. G. vom 26. April 2012 und von Dipl.-Med. S. vom 15. Juni 2012 eingeholt.
Dipl.-Med. G. hat eine objektive Besserung des Asthma bronchiale unter medikamentöser Therapie (Symbicort spiriva) sowie eine
Verschlechterung des Gesundheitszustandes durch Angst und Panik ab Dezember 2010 und intermittierende psychische Dekompensationen
der Klägerin (familiärer Konflikt mit der Tochter, plötzlicher Tod des Ehemannes im Oktober 2010, jetzt Versorgung der Eltern)
angegeben. Die Klägerin könne nicht mehr als drei Stunden täglich leichte Arbeiten ("Schreibtisch") verrichten. Die Angst
und die Panikstörung stünden im Vordergrund. Dipl.-Med. S. hat mitgeteilt, eine Verbesserung des Hautbefundes sei nicht möglich.
Verschlechtert habe sich die Angststörung. Die Klägerin könne aus physiologischen Gründen die Wärme nicht über Schwitzen regulieren,
da bei ihr die Schweißdrüsen fehlten. Sie könne deshalb keine körperlichen (weder schwere noch mittelschwere oder leichte)
Arbeiten verrichten. Sie sei maximal sechs Stunden pro Tag einsetzbar. Sie benötige längere Ruhepausen zwischendurch. Eine
Leistungsfähigkeit bestehe für vier Stunden täglich ohne längere Unterbrechung. Für die Körperpflege benötige die Klägerin
durchschnittlich etwa eine Stunde. Sie sei emotional nicht belastbar.
Das Sozialgericht Magdeburg hat mit Urteil vom 23. April 2013 die Beklagte verurteilt, der Klägerin Rente wegen voller Erwerbsminderung
von Mai 2010 bis Juli 2013 zu gewähren. Bei der Klägerin habe zunächst keine volle oder teilweise Erwerbsminderung vorgelegen.
Das Leistungsvermögen der Klägerin sei nachfolgend herabgesunken und habe seit Durchführung der Kur im Oktober 2009 nur noch
drei bis unter sechs Stunden täglich betragen. Die Rente sei zu befristen, weil sie von der Arbeitsmarktlage abhänge. Sie
beginne ab Mai 2010, da der Leistungsfall eines unter sechsstündigen Leistungsvermögens im Oktober 2009 eingetreten ist. Die
(weitere) Rente sei bis Ablauf Juli 2013 zu befristen gewesen, um das Ergebnis der im Januar 2013 begonnenen psychiatrischen
Behandlung überprüfen bzw. erneut beurteilen zu können.
Gegen das ihr am 7. Mai 2013 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 31. Mai 2013 Berufung eingelegt und geltend gemacht, die
versicherungsrechtlichen Voraussetzungen seien zum Zeitpunkt des vom Sozialgericht angenommenen Eintritts des Leistungsfalls
einer Rente wegen voller Erwerbsminderung infolge der Verschlossenheit des Teilzeitarbeitsmarktes am 28. Oktober 2009 nicht
erfüllt, später mit Schreiben vom 30. Januar 2014 indes mitgeteilt, die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für eine
Rente wegen Erwerbsminderung seien zum ausgeurteilten Leistungsfall und auch laufend weiterhin erfüllt. Darüber hinaus sei
durch den ärztlichen Entlassungsbericht vom 17. November 2009 ein unter sechsstündiges tägliches Restleistungsvermögen der
Klägerin nicht zweifelsfrei nachgewiesen. Bei dem wesentlichen Leiden der Klägerin, der Ichthyosis congenita, handele es sich
um ein eingebrachtes Leiden, das seit der Geburt bestehe.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Magdeburg vom 23. April 2013 aufzuheben und die Klage insgesamt abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.
Sie hält das Urteil des Sozialgerichts vom 23. April 2013 für zutreffend.
Der Senat hat sodann Befund- und Behandlungsberichte eingeholt. Dipl.-Med. G. hat unter dem 7. November 2013 einen sich nach
dem Tod des Vaters im Mai 2012 eher verschlechterten Gesundheitszustand der Klägerin beschrieben. Panik und Angst seien stärker
geworden. Zudem habe sich eine Hypothyreose entwickelt. Der Facharzt für Allgemeinmedizin Dipl.-Med. K. hat unter dem 17.
Januar 2014 bei einer einmaligen Behandlung der Klägerin am 11. Oktober 2013 eine psychisch sehr starke Belastung der Klägerin
durch die Hauterkrankung aufgezeigt.
Auf Nachfrage des Senats hat die Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie und Leitende Ärztin des Evangelischen Fachkrankenhauses
für Psychiatrie - Tagesklinik/Institutsambulanz - in N. Dipl.-Med. K. mitgeteilt, die Klägerin habe sich nach einer tagesklinischen
Behandlung vom 23. Januar bis zum 12. April 2002 erneut am 19. September 2012 in der Psychiatrischen Institutsambulanz vorgestellt
und am 17. Januar, 21. Februar und 28. Oktober 2013 ambulante Konsultationen wahrgenommen. Eine stationäre oder teilstationäre
Therapie habe sie zunächst abgelehnt, sich dann aber einer komplexen psychotherapeutischen Behandlung vom 20. Januar bis zum
10. April 2014 in der Tagesklinik unterzogen. Wegen der Einzelheiten wird auf die Epikrise vom 9. Mai 2014, Blatt 197 Bd.
II der Gerichtsakten, Bezug genommen.
Der Senat hat sodann den Chefarzt der Neurologischen Klinik und Ärztlichen Direktor im SKH A. Dr. V. das Gutachten vom 22.
August 2014 auf der Grundlage einer ambulanten Untersuchung der Klägerin am 8. August 2014 erstatten lassen. Die Klägerin
habe Probleme mit den Hautveränderungen, auch mit Neigung zu Rissbildungen und in letzter Zeit verstärkter Schweißneigung
im Bereich der Stirn, angegeben. Es bestehe die Notwendigkeit, täglich zu baden und sorgfältige Hautpflege zu betreiben. Sie
verbringe zudem vier Stunden täglich mit dem Reinigen der 47 m² großen Wohnung. Es träten attackenartig Angstzustände und
bei körperlicher Belastung Gelenkbeschwerden auf. Wenn es nicht zu heiß sei, gehe sie auch spazieren. Sie besuche ihre Mutter,
erledige Behördenwege oder Arztbesuche und tätige einmal wöchentlich Einkäufe. Die Klägerin neige zu Rückzug, Gedanken von
Lebensüberdruss, habe Selbstwertprobleme, Antriebsstörungen und gelegentlich nächtliche Schlafstörungen. In der Testpsychologie
bestätigten sich Hinweise auf eine Angststörung, aber auch auf eine verminderte allgemeine Lebenszufriedenheit, emotionale
Labilität und Empfindlichkeit sowie Gesundheitssorgen und psychosomatisches Gestörtsein. Es gebe Hinweise darauf, dass die
affektiven Beeinträchtigungen auch gelegentlich die Konzentrationsfähigkeit einschränkten. Im allgemein körperlichen Befund
sei ein Befall der gesamten Haut, außer Handflächen und Fußsohlen, mit deutlichen schuppigen Hautveränderungen und kleinen
verschiedenen entzündlichen Veränderungen feststellbar. Die Haut zeige sich zudem durch Salbenanwendungen fettig verändert.
Die Klägerin leide seit 2010 unter einer Angststörung, die sich in anlassbezogenen selteneren Panikattacken äußere, die sie
aber mit Vermeidenshaltungen und Konzentrationsübungen in Grenzen halte. Zudem bestehe eine kontinuierliche Angstproblematik
und Depressivität. Es fänden sich zusätzlich Hinweise auf eine ausgeprägte Zwangsstörung mit zumindest Ansätzen für ein deutlich
vermehrtes Putz- und Reinigungsbedürfnis, welches über notwendige Reinigungs- und Putzmaßnahmen durch die Hauterkrankung hinausgehe.
Hinweise auf angstbesetzte Reinigungs- und Kontrollzwänge als Ausdruck einer manifesten Zwangsstörung fänden sich aber nicht.
Unter Berücksichtigung der nicht primär krankheitsbedingten Vermeidenshaltung und der nachgewiesenen positiven therapeutischen
Beeinflussbarkeit bewirkten die Gesundheitsstörungen der Klägerin auf psychiatrischem Gebiet eine Leistungsminderung ihres
qualitativen beruflichen Leistungsvermögens, aber keine quantitative Leistungsminderung. Bei der Klägerin hätten auf nervenfachärztlichem
Gebiet von Oktober 2009 bis Juli 2013 eine Angst- und depressive Störung, gemischt, sowie eine rezidivierende Panikstörung
(episodisch paroxysmale Angst) vorgelegen. Die Klägerin habe in diesem Zeitraum körperlich leichte und mittelschwere Arbeiten
mit durchschnittlichen Anforderungen an das Seh- und Hörvermögen und an Reaktionsfähigkeit, Übersicht, Aufmerksamkeit, Verantwortungsbewusstsein
und Zuverlässigkeit und mit geistig mittelschwierigen Anforderungen, mit häufigem Publikumsverkehr, in Wechselschicht, ohne
Nachtschicht und besonderen Zeitdruck noch mindestens sechs Stunden täglich verrichten können. Arbeiten unter Hitzeeinwirkung
wie auch unter verstärkter Sonnenstrahlung seien zu vermeiden gewesen. Einfache körperliche Verrichtungen, wie Zureichen,
Abnehmen, Transportieren, Reinigen, Bedienen von Maschinen, Sortieren, Verpacken, Zusammensetzen von Teilen seien möglich
gewesen. Hautbeeinträchtigende Arbeiten, wie der Umgang mit Klebstoffen, Lösungsstoffen oder hautverschmutzende Tätigkeiten,
seien zu vermeiden gewesen. Die qualitative Leistungseinschränkung sei durch Verstärkung der Angststörung etwa ab Mitte 2010
erst in dem hier festgestellten Ausmaß erreicht worden. Die im Entlassungsbericht des Klinikzentrums B. S. vom 17. November
2009 getroffene Leistungseinschätzung sei für die psychiatrisch abgrenzbaren Gesundheitsstörungen so nicht nachvollziehbar.
Eine hautärztliche gutachterliche Beurteilung werde ergänzend empfohlen.
Der Senat hat einen weiteren Befundbericht von Dipl.-Med. S. vom 24. September 2014 über den Zeitraum Oktober 2009 bis Juli
2013 eingeholt, die darin einschätzt, dass die Klägerin als Verkäuferin nur stundenweise und auch nur für den Verkauf trockener,
abgepackter und leichter Waren arbeitsfähig gewesen wäre. Wegen der psychischen Probleme in den letzten Jahren hätte sie dem
Stress beim Kundenkontakt nicht standgehalten.
Schließlich hat auf Veranlassung des Senats der Direktor der Universitätsklinik für Dermatologie und Venerologie M. Prof.
Dr. G. das Gutachten vom 5. März 2015 auf der Grundlage der ambulanten Untersuchungen am 1. und 5. Dezember 2014 sowie am
11. Februar 2015 erstatten lassen. Prof. Dr. G. hat folgende Diagnosen auf dermatologisch-allergologischem Fachgebiet angeführt:
Generalisierte Ichthyose, Verdacht auf autosomal rezessive congentiale Ichthyose (ARCI), Typ der lamellären Ichthyose.
Ichthyosebedingte Augenerkrankungen: Keratokonjunktivitis sicca, leichtes Ektropium, Nachtblindheit, Blendempflindlichkeit.
Durch die großflächige Hauterkrankung bzw. resorptiv bedingter substitutionsbedürftiger Biotin- und Selenmangel.
Atopie mit aktuell leichtgradiger atopischer Dermatitis.
Rhinokonjunktivitis allergica mit Katzensensibilisierung und aktuell asymptomatischer Sensibilisierung gegenüber Pollen (Gräser-
und Frühblüher, Beifuß).
Aktuell nicht stabile und nicht adäquat diagnostizierte und therapierte Lungenerkrankung, Differentialdiagnose Asthma vom
Mischtyp, COPD.
Als weitere Diagnosen lägen eine gemischte Angsterkrankung und Depression, eine rezidivierende Panikstörung, ein Nikotinabusus
und einer therapierte arterielle Hypertonie vor.
Der mittlere Zeitaufwand für eine Ganzkörpertherapie - tägliches Vollbad, das von einer mechanischen Keratolyse (Schuppenentfernung)
begleitet werden könnte - betrage bei einem schwer betroffenen, bereits gut eingestellten Ichthyose-Patienten wie im Fall
der Klägerin ca. 60-90 Minuten, dies je nach Ausprägung ein- bis zweimal täglich. Wegen ihrer zierlichen körperlichen Statur,
der erhöhten Verletzungsanfälligkeit der Hände sowie der gestörten Temperaturregulation seien nur noch leichte Tätigkeiten,
d.h. ein regelmäßiges Tragen von weniger als 10 kg, im Zeitraum von Mai 2010 bis Juli 2013 zumutbar gewesen. Die Arbeiten
hätten im Wechsel von Gehen, Stehen oder Sitzen durchgeführt werden können. Arbeiten mit ständigen, längeren oder häufigen
körperlich einseitigen Belastungen oder Zwangshaltungen sowie Arbeiten an laufenden Maschinen, in der Höhe, auf Gerüsten und
Leitern seien zu vermeiden gewesen. Die Belastungsfähigkeit der Hände sei wegen der erhöhten Hautverletzlichkeit wesentlich
eingeschränkt, mechanische Belastungen bei der Arbeit seien auszuschließen gewesen. Die Klägerin habe Arbeiten mit hautreizenden
und stark verschmutzenden Werkstoffen sowie solche, die ausschließlich das Fingerspitzengefühl forderten, nicht dauerhaft
suffizient erledigen können. Arbeiten im Freien seien nur unter Witterungsschutz bei gleichmäßigen Temperaturen unter Vermeidung
von starker Sonneneinstrahlung und Hitzeeinwirkungen möglich gewesen. Ideal seien Arbeiten in klimatisierten und nicht so
trockenen Räumen gewesen. Körperlich anstrengende Arbeiten, auch eine leichte, aber körpererwärmende Arbeit, hätte die Klägerin
nur bis zu einer individuellen Grenze durchgehalten, um temperaturbedingte Kreislaufprobleme/Flush/Hitzestau zu vermeiden.
Arbeitspausen hätten von der Klägerin, insbesondere wegen der Gefahr der Überhitzung bei körperlicher Anstrengung, selbst
bestimmt werden müssen. Außerdem habe bei leichten mechanisch belastenden Arbeiten die Klägerin die Möglichkeit haben müssen,
zwischendurch die Haut zu pflegen. Arbeiten mit erhöhtem Zeitdruck, z.B. auch Fließbandarbeit, sei die Klägerin nicht gewachsen
gewesen. Arbeiten in der Öffentlichkeit mit häufigem Publikumsverkehr seien wegen des erhöhten psychischen Stresses der Klägerin
durch ihr ichthyosebedingtes verändertes Äußeres problematisch gewesen. Allerdings habe die Klägerin positiv von ihrer letzten
Arbeit als Erzieherin im Jugendzentrum gesprochen. Sie wünsche sich eine Arbeit mit Kindern und Jugendlichen oder auch mit
Senioren als neuen Arbeitsplatz. Leichte Zureich- und Abnehmtätigkeiten sowie Transportarbeiten ohne nennenswerte mechanische
Belastung habe die Klägerin in den oben genannten Grenzen durchführen können. Im gefragten Zeitraum sei die Klägerin noch
mindestens drei, jedoch weniger als sechs Stunden täglich einsetzbar gewesen. Die Gehfähigkeit sei nur insoweit eingeschränkt
gewesen, als die dadurch bedingte Anstrengung ohne Flush oder Hitzestau mit Kreislaufproblemen zu bewältigen gewesen sei,
z.B. seien Spaziergänge mit dem Hund nach den Angaben der Klägerin über eineinhalb Stunden möglich gewesen. Es sollte ein
pulmologisches Fachgutachten oder zumindest ein aktueller fachpulmologischer Befund eingeholt werden, da bei der derzeit unklaren
Diagnose eines nicht suffizient diagnostizierten und behandelten Asthma oder einer COPD die Belastbarkeit der Klägerin bezüglich
körperlicher Belastung nicht realistisch eingeschätzt werden könne.
Auf Nachfrage des Senats hat Prof. Dr. G. mit ergänzendem Schreiben vom 10. April 2015 mitgeteilt, die Einschätzung der Leistungsfähigkeit
von mindestens drei, jedoch weniger als sechs Stunden beruhe hauptsächlich auf der durch die Ichthyose wesentlich beeinträchtigten
Temperaturregulation der Klägerin. Die Toleranzgrenze der für die Klägerin körperlich anstrengenden Arbeit (leichte, aber
körpererwärmende Arbeit) liege bei circa vier bis fünf Stunden. Diese individuelle Grenze müsse eingehalten werden, um temperaturbedingte
Kreislaufprobleme/Flush/Hitzestau zu vermeiden.
Die Beklagte ist der Leistungseinschätzung von Prof. Dr. G. unter Berufung auf die sozialmedizinische Stellungnahme des Prüf-
und Gutachterarztes Dr. V. vom 23. April 2015 nicht gefolgt.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der Verwaltungsakte der Beklagten, die sämtlich
Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist teilweise begründet.
Das Sozialgericht hat zu Unrecht die Beklagte zur Bewilligung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung bereits ab dem 1.
Mai 2010 verurteilt. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Bewilligung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung oder teilweiser
Erwerbsminderung, auch nicht bei Berufsunfähigkeit, für die Zeit vom 1. Mai bis zum 31. Dezember 2010. Der dieses Begehren
ablehnende Bescheid der Beklagten ist insoweit rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten ((§§
153 Abs.
1,
54 Abs.
2 Satz 1
Sozialgerichtsgesetz (
SGG)). Das Sozialgericht hat die Beklagte jedoch zu Recht zur Zahlung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung vom 1. Januar
2011 bis zum 31. Juli 2013 verurteilt. Der Klägerin steht ein solcher Rentenanspruch zu. Insoweit ist das Urteil des Sozialgerichts
rechtmäßig.
Nach §
43 Abs.
1, Abs.
2 SGB VI haben Versicherte bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen teilweiser oder voller Erwerbsminderung,
wenn sie teilweise oder voll erwerbsgemindert sind, in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre
Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit
erfüllt haben.
Nach §
43 Abs.
1 Satz 2
SGB VI sind teilweise erwerbsgemindert Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind,
unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Nach
§
43 Abs.
2 Satz 2
SGB VI sind voll erwerbsgemindert Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter
den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Erwerbsgemindert
ist nach §
43 Abs.
3 SGB VI nicht, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein
kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.
Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme konnte die Klägerin von der Rentenantragstellung bis zum Ende des streitgegenständlichen
Zeitraums am 31. Juli 2013 noch mindestens sechs Stunden täglich körperlich leichte Arbeiten mit zusätzlichen qualitativen
Leitungseinschränkungen (im Wechsel von Gehen, Stehen oder Sitzen, ohne ständigen, längeren oder häufigen körperlich einseitigen
Belastungen oder Zwangshaltungen, ohne Arbeiten an laufenden Maschinen, in Höhe, auf Gerüsten und Leitern, ohne Arbeiten mit
mechanische Belastungen, mit hautreizenden und stark verschmutzenden Werkstoffen, ohne Arbeiten, die ausschließlich das Fingerspitzengefühl
forderten, ohne Arbeiten im Freien, nur unter Witterungsschutz, bei gleichmäßigen Temperaturen unter Vermeidung von starker
Sonneneinstrahlung und Hitzeeinwirkungen, ohne erhöhten Zeitdruck, häufigen Publikumsverkehr und Nachtschicht, mit durchschnittlichen
Anforderungen an das Seh- und Hörvermögen sowie an mnestische und geistige Fähigkeiten) verrichten.
Zur Überzeugung des Senats lag jedoch ab Juni 2010 mit der in den medizinischen Unterlagen dokumentierten Verschlechterung
des Gesundheitszustandes der Klägerin eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen vor. Für den vorausgehenden
Zeitraum, für den das Sozialgericht die Beklagte zu einer Rentengewährung verpflichtet hat, hat sich eine Leistungseinschränkung
der Klägerin im Rahmen der Beweisaufnahme nicht nachweisen lassen.
Eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen führt trotz des Leistungsvermögens von mehr als sechs Stunden täglich
zur Verschlossenheit des allgemeinen Arbeitsmarktes. Die Beklagte war daher verpflichtet, unter diesem rechtlichen Gesichtspunkt
ab Juni 2010 einen konkreten Arbeitsplatz zu benennen (vgl. Beschluss des Großen Senats (GS) des Bundessozialgerichts (BSG) vom 19. Dezember 1996 - GS 2/95 - SozR 3-2600 § 44 Nr. 8 = BSGE 80, 24, 33 f.; diese Rechtsprechung findet weiterhin Anwendung, vgl. z.B. BSG, Urteil vom 19. Oktober 2011 - B 13 R 78/09 R - Leitsätze in juris). Das Leistungsvermögen der Klägerin reichte ab Juni 2010 nicht mehr für Tätigkeiten wie z.B. ein
Zureichen, Abnehmen, Reinigungsarbeiten, Sortieren, Verpacken und Zusammensetzen von Teilen aus.
Der Senat stützt sich bei der Einschätzung der Leistungsfähigkeit der Klägerin auf das überzeugende Gutachten von Dr. V. vom
22. August 2014, auf die Befunde im Gutachten von Prof. Dr. G. vom 5. März 2015, auf den Entlassungsbericht des Klinikzentrums
B. S. vom 17. November 2009 und die Befundberichte von Dipl.-Med. G. und Dipl.-Med. S.
Auf dermatologisch-allergologischem Fachgebiet lag eine generalisierte Ichthyosis vor. Insbesondere aufgrund der gestörten
Temperaturregulation durch die fehlenden Schweißdrüsen konnte die Klägerin nur noch körperlich leichte Tätigkeiten verrichten.
Nur bei Vermeidung der Gefahr von Überhitzung bei der Arbeit durch "körpererwärmende" innere Faktoren wie körperliche Anstrengung,
Stress oder Zeitdruck sowie durch äußere Faktoren wie starke Sonneneinstrahlung und Hitzeeinwirkungen und damit dem Ausschluss
von Kreislaufproblemen/Flush/Hitzestau war die Klägerin zu einer mindestens sechsstündigen Erwerbstätigkeit in der Lage.
Bei der Klägerin bestanden auf nervenfachärztlichem Gebiet von Oktober 2009 bis Juli 2013 eine Angst- und depressive Störung,
gemischt, sowie eine rezidivierende Panikstörung (episodisch paroxismale Angst). Unter Berücksichtigung der nicht primär krankheitsbedingten
Vermeidenshaltung und der nachgewiesenen positiven therapeutischen Beeinflussbarkeit bewirkten die Gesundheitsstörungen der
Klägerin auf psychiatrischem Gebiet eine Leistungsminderung ihres qualitativen beruflichen Leistungsvermögens, aber keine
quantitative Leistungsminderung.
Erst die Verschlimmerung der Befunde, insbesondere der Angststörung, ab Mitte des Jahres 2010 führte zu einer verstärkten
qualitativ eingeschränkten Leistungsfähigkeit der Klägerin, die Grundlage der Feststellung des Senats ist, dass der Klägerin
leichte körperliche Tätigkeiten nur noch unter unüblichen Arbeitsbedingungen zumutbar waren. Einzubeziehen war in diese Bewertung
die unzureichende Gebrauchsfähigkeit beider Hände der Klägerin. Wegen der erhöhten Hautverletzlichkeit aufgrund der Ichthyosis
war die Funktion der Hände erheblich beeinträchtigt. Arbeiten mit mechanischen Belastungen und solche, die das Fingerspitzengefühl
forderten, waren ausgeschlossen. Je nach Aktivität der Ichthyose waren die Feinmotorik und die Tastempfindlichkeit der Finger
gering bis stark eingeschränkt. Die Klägerin war zur Überzeugung des Senats Anforderungen an einfache Sortier- und Verpackungsarbeiten
aufgrund der erheblich eingeschränkten Belastungsfähigkeit beider Hände nicht gewachsen. Gleichzeitig führte die mit der Verschlimmerung
der Angst- und Panikstörung verminderte psychische Belastbarkeit der Klägerin mit der Gefahr der Überhitzung dazu, dass auch
der nicht mit einem Einsatz der Hände verbundene Tätigkeitsbereich des allgemeinen Arbeitsmarktes der Klägerin nun nicht mehr
offen stand. Zur Überzeugung des Senats genügte das Leistungsvermögen der Klägerin in der Zeit von Juni 2010 bis zum 31. Juli
2013 insbesondere nicht den Anforderungen an die von der Beklagten in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat benannte Verweisungstätigkeit
einer Telefonistin in einer Telefonzentrale. Der Klägerin war es wegen der Anhäufung von Schuppen im Ohr bereits nicht möglich,
ein Headset aufzusetzen. Darüber hinaus war sie dem der Tätigkeit einer Telefonistin immanenten Zeitdruck nicht gewachsen,
der zu einer Überhitzung und dann zu Kreislaufproblemen/Flush/Hitzestau geführt hätte.
Die Klägerin hat im Ergebnis erst ab dem 1. Januar 2011 bis zum 31. Juli 2013, d.h. bis zum Ende des im Berufungsverfahren
streitigen Zeitraums, Anspruch auf Bewilligung von Rente wegen voller Erwerbsminderung. Befristete Renten werden gemäß §
101 Abs.
1 SGB VI nicht vor Beginn des siebten Monats nach dem Eintritt der Minderung der Erwerbsfähigkeit geleistet.
Die Klägerin hatte noch bis zum 31. Mai 2010 einen leidensgerechten Arbeitsplatz inne. Bis dahin entfiel entsprechend eine
Verpflichtung der Beklagten, einen solchen Arbeitsplatz zu benennen. Die Verschlechterung der psychischen Gesundheitsstörungen
der Klägerin hat damit erst ab dem 1. Januar 2011 zu dem befristeten Anspruch auf Bewilligung von Rente wegen voller Erwerbsminderung
geführt.
Für den Zeitraum bis Mai 2010 ergibt sich auch aus der Erkrankung der Klägerin an einer COPD keine quantitative Leistungsminderung.
Bereits in dem Entlassungsbericht Reha-Klinik B. S. vom 10. Juni 2008 wird eine Stabilisierung der erreichten Lungenfunktionsverbesserung
während der stationären Behandlung vom 8. bis zum 22. April 2008 in der Lungenklinik B. beschrieben. Dipl.-Med. G. bestätigt
in ihren Befundberichten vom 8. Juli 2008 und 26. April 2012 eine deutliche Verbesserung der Atemwegserkrankung unter der
medikamentösen Therapie. Wegen der Atemwegserkrankung musste die Klägerin bei einer beruflichen Tätigkeit Allergene, inhalative
Belastungen sowie extreme Temperaturschwankungen, insbesondere Hitze jeder Art, meiden. Aus diesen qualitativen Leistungseinschränkungen
lässt sich auch das Erfordernis unüblicher Arbeitsbedingungen nicht ableiten.
Der Berufung der Beklagten bleibt für den Zeitraum bis zum 31. Dezember 2010 der Erfolg auch nicht teilweise unter dem Gesichtspunkt
eines Anspruchs der Klägerin auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bzw. teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit
versagt.
Die Beendigung der Tätigkeit im Mai 2010 fällt zeitlich mit dem Eintritt der Verschlossenheit des Arbeitsmarktes zusammen,
sodass die Gewährung einer Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung nicht für einen Zeitraum vor dem 1. Januar 2011 in Betracht
kommt.
Nach §
240 Abs.
1 SGB VI haben Anspruch auf eine solche Rente bei Erfüllung der sonstigen Voraussetzungen auch Versicherte, die vor dem 2. Januar
1961 geboren und berufsunfähig sind. Die Klägerin ist vor dem Stichtag geboren. Sie ist indes vor Beginn der Rente wegen voller
Erwerbsminderung nicht berufsunfähig gewesen.
Berufsunfähig sind nach §
240 Abs.
2 SGB VI Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder Behinderung im Vergleich zur Erwerbsfähigkeit von körperlich, geistig
und seelisch gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten auf weniger als
sechs Stunden gesunken ist. Der Kreis der Tätigkeiten, nach denen die Erwerbsfähigkeit von Versicherten zu beurteilen ist,
umfasst alle Tätigkeiten, die ihren Kräften und Fähigkeiten entsprechen und ihnen unter Berücksichtigung der Dauer und des
Umfangs ihrer Ausbildung sowie ihres bisherigen Berufs und der besonderen Anforderungen ihrer bisherigen Berufstätigkeit zugemutet
werden können. Berufsunfähig ist nach §
240 Abs.
2 Satz 4
SGB VI nicht, wer eine zumutbare Tätigkeit mindestens sechs Stunden täglich ausüben kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage
nicht zu berücksichtigen.
Für die Frage, ob ein Versicherter berufsunfähig ist, ist sein "bisheriger Beruf" maßgeblich. Wenn er diesen aus gesundheitlichen
Gründen nicht mehr ausüben kann, ist die Zumutbarkeit einer anderen Tätigkeit zu prüfen. Bisheriger Beruf im Sinne des §
240 SGB VI ist grundsätzlich die zuletzt ausgeübte und auf Dauer angelegte versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit. Diese
muss also mit dem Ziel verrichtet werden, sie bis zur Erreichung der Altersgrenze auszuüben. Dieser Grundsatz gilt jedenfalls
dann, wenn die Tätigkeit zugleich die qualitativ höchste im Berufsleben des Versicherten gewesen ist (Niesel in Kasseler Kommentar,
§
240 SGB VI RdNr. 21 m.w.N).
Dahinstehen kann insoweit, ob die Klägerin die Tätigkeit als Versandfertigmacherin, ausgehend vom Vollbild der Tätigkeit,
tatsächlich noch ausüben konnte. Bisheriger Beruf der Klägerin ist vielmehr die Tätigkeit als Verkäuferin, welche die Klägerin
zuletzt von August bis Dezember 2005 verrichtet hat. Nicht bisheriger Beruf ist der der Facharbeiterin für Verpackung, da
sie diesen Beruf vor Erfüllung der allgemeinen Wartezeit von fünf Jahren aufgegeben hat. Zudem ist nicht abzustellen auf die
Tätigkeit als Betreuerin, da es sich hierbei um eine befristete Beschäftigung gehandelt hat.
Den Beruf als Verkäuferin kann sie unstreitig wegen ihrer gesundheitlichen Einschränkungen nicht mehr ausüben. Als Verkäuferin
genießt die Klägerin jedoch keinen Berufsschutz. Sie ist allenfalls in die Gruppe der unteren Angelernten einzustufen. Denn
sie hat diesen Beruf ohne Ausbildung oder Anlernzeit von mehr als einem Jahr ausgeübt.
Als untere Angelernte ist die Klägerin auf alle Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes verweisbar, ohne dass es der konkreten
Benennung einer Verweisungstätigkeit bedurfte. Vielmehr ist davon auszugehen, dass die Klägerin bis zum 31. Mai 2010 auf dem
allgemeinen Arbeitsmarkt ihr Leistungsvermögen sechs Stunden und mehr zumindest für körperlich leichte Tätigkeiten einsetzen
konnte, weil sie auf einem leidensgerechten Arbeitsplatz eingesetzt war.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG. Die Beklagte hat ein Viertel der erstattungsfähigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin im Klageverfahren zutragen, da
der Klägerin keine Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Dauer, wie beantragt, sondern auf Zeit zuerkannt worden ist. Im
Berufungsverfahren trägt sie die Kosten entsprechend ihrem Unterliegen.
Gründe für eine Zulassung der Revision im Sinne von §
160 Abs.
2 SGG liegen nicht vor. Es handelt sich um eine Einzelfallentscheidung auf gesicherter Rechtsgrundlage, ohne dass der Senat von
einer Entscheidung der in §
160 Abs.
2 Nr.
2 SGG genannten Gerichte abweicht.