Nachforderung von Beiträgen zur gesetzlichen Kranken- und sozialen Pflegeversicherung
Nichtzulassungsbeschwerde
Anforderungen an eine Beschwerdebegründung
Mindestmaß an Klarheit und Verständlichkeit
Gründe:
I
In dem der Nichtzulassungsbeschwerde zugrundeliegenden Rechtsstreit wendet sich der Kläger gegen die Nachforderung von Beiträgen
zur gesetzlichen Kranken- und sozialen Pflegeversicherung sowie gegen die Rückforderung eines Zuschusses zur freiwilligen
Krankenversicherung.
Der Kläger bezieht seit 1.9.2002 Regelaltersrente. Er war freiwilliges Mitglied der gesetzlichen Krankenversicherung. Die
beklagte Deutsche Rentenversicherung Bund gewährte ihm antragsgemäß einen Zuschuss zu den Aufwendungen für die Kranken- und
Pflegeversicherung. Am 1.1.2005 wurde der Kläger Pflichtmitglied der gesetzlichen Krankenversicherung. Weder der Kläger noch
die Krankenkasse (Beigeladene zu 1.) informierten die Beklagte hierüber. Erst im Juni 2013 erfuhr die Beklagte von der Versicherungspflicht
des Klägers. Hierauf berechnete sie die Rente neu. Danach ergibt sich für den nicht verjährten Zeitraum ab 2009 eine Überzahlung
der Rente in Höhe von 5391,46 Euro. Zugleich hob die Beklagte die Bewilligung des Zuschusses zur Krankenversicherung ab 2009
auf und forderte vom Kläger einen Betrag von 7602,09 Euro (Bescheide vom 18.6.2013, 16.9.2013, 30.10.2013, 21.2.2014; Widerspruchsbescheide
vom 16.4.2014). Das SG hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 11.3.2015). Das LSG hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen (Urteil vom 2.6.2016).
Mit seiner Beschwerde wendet sich der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG.
II
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG Niedersachsen-Bremen vom 2.6.2016 ist gemäß
§
160a Abs
4 S 1 Halbs 2
SGG in entsprechender Anwendung von §
169 S 2 und 3
SGG als unzulässig zu verwerfen. Der Kläger hat in der Begründung des Rechtsmittels entgegen §
160a Abs
2 S 3
SGG keinen Zulassungsgrund hinreichend dargelegt oder bezeichnet.
Das BSG darf gemäß §
160 Abs
2 SGG die Revision gegen eine Entscheidung des LSG nur dann zulassen, wenn
- die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (Nr 1) oder
- das angefochtene Urteil von der höchstrichterlichen Rechtsprechung abweicht (Nr 2) oder
- bestimmte Verfahrensmängel geltend gemacht werden (Nr 3).
Die Behauptung, das Berufungsurteil sei inhaltlich unrichtig, kann demgegenüber nicht zur Zulassung der Revision führen (vgl
BSG Beschluss vom 26.6.1975 - 12 BJ 12/75 - SozR 1500 § 160a Nr 7).
Der Kläger beruft sich in der Beschwerdebegründung vom 29.9.2016 auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der
Rechtssache (§
160 Abs
2 Nr
1 SGG) und macht das Vorliegen eines Verfahrensmangels (§
160 Abs
2 Nr
3 SGG) geltend.
1. Der Kläger bezeichnet keinen Verfahrensmangel in einer den Zulässigkeitsanforderungen nach §
160a Abs
2 S 3
SGG entsprechenden Weise.
Auf Seite 7 der Beschwerdebegründung rügt der Kläger ausdrücklich eine Verletzung der Amtsermittlungspflicht. Auf Seite 8
der Beschwerdebegründung nennt der Kläger Art
103 Abs
1 GG und §
62 SGG sowie den Anspruch auf rechtliches Gehör. Der Kläger habe von Beginn des Verfahrens an immer wieder auf die erhebliche und
umfangreiche fehlerhafte Bearbeitung insbesondere der DAK und der Beklagten verwiesen. Von Beginn an hätten beide Behörden,
insbesondere die beigeladene Krankenkasse, erhebliche Fehler gemacht. Von Anfang an bis zuletzt beim LSG habe der Kläger dies
immer wieder ausgeführt und darauf bestanden, diesen Umstand zur Kenntnis zu nehmen und entsprechend zu würdigen. Mit diesen
Ausführungen sei sich aber niemals wirklich auseinandergesetzt worden. Die Schuld sei immer nur beim Kläger gesucht worden.
Gleiches gelte für die durchweg erfolgte Mitteilung des Klägers, sich nach anderthalb Jahren überhaupt nicht mehr an den früheren
Vorgang erinnert zu haben und dass insoweit allenfalls ein (vermeidbarer, aber nachvollziehbarer) Irrtum vorliege. Insoweit
habe er stets darauf hingewiesen, diese Angelegenheit vergessen zu haben, was wiederrum eine grobe Fahrlässigkeit oder gar
Bösgläubigkeit von vorneherein ausschließe. Auch hierzu sei der Kläger niemals wirklich gehört worden. Es sei unerklärlich
und mit staatlichen und verfassungsrechtlichen Grundsätzen nicht in Einklang zu bringen, eine einzige vom Kläger überlesene
standardmäßig formulierte Mitteilung, die er definitiv vergessen gehabt habe, als Grund dafür zu nehmen, ihm die alleinige
Schuld des gesamten Vorgehens zuzuschieben. Es sei niemals ernsthaft in Erwägung gezogen worden, dass sich der Kläger der
Angelegenheit tatsächlich und vollkommen nicht mehr bewusst gewesen sei. Zudem sei nie berücksichtigt worden, dass er niemals
wieder auf diesen Vorgang hingewiesen worden sei. Die jährlichen Rentenanpassungsbescheide würden hierfür jedenfalls nicht
taugen. Vor diesem Hintergrund sei es für das LSG Pflicht gewesen, den erstinstanzlich nicht anwaltlich vertretenen Kläger
zumindest in der mündlichen Verhandlung persönlich anzuhören. Auf den Umstand, dass der Kläger zumindest beim LSG dann später
rechtsanwaltlich vertreten gewesen sei, könne es insoweit nicht ankommen, da hier mehr als offenbar geworden ist, dass das
LSG weiteren Beweisanträgen ohnehin nicht gefolgt wäre. Zudem sei es verpflichtend gewesen, die schriftlich vorgetragenen
Äußerungen zumindest in Erwägung zu ziehen bzw hierzu den Sachverhalt weiter aufzuklären. Doch das tatsächliche Vorbringen
des Klägers habe das LSG gar nicht interessiert. Immer wiederkehrend sei ihm grobe Fahrlässigkeit unterstellt worden. Auch
habe es das LSG versäumt, durch eine persönliche Anhörung des Klägers sich ein Bild von dessen Geistes- und Gesundheitszustand
zu machen. Auch wenn eine Nichtzulassungsbeschwerde nicht auf die Verletzung des §
128 Abs
1 S 1
SGG gestützt werden könne, habe sich das LSG aufgrund des Vorbringens des Klägers im Berufungsverfahren zu seinem Krankheitsbild
zur Begründung für die Klageabweisung nicht allein auf die Unterstellungen des Sozialgerichts stützen dürfen.
a) Die Beschwerdebegründung genügt schon deshalb nicht den Zulässigkeitsanforderungen, weil es an einer nachvollziehbaren
und geordneten Darstellung der vom Kläger geltend gemachten Verfahrensfehler fehlt. Die Ausführungen zur Begründung einer
Nichtzulassungsbeschwerde müssen aber ein Mindestmaß an Klarheit und Verständlichkeit aufweisen (vgl BSG Beschluss vom 3.11.2010 - B 6 KA 35/10 B - Juris mwN). Es ist nicht Aufgabe des Beschwerdegerichts aus einem Gemenge das herauszusuchen, was möglicherweise - bei
wohlwollender Auslegung - zur Begründung der Beschwerde geeignet sein könnte (vgl BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 26 mwN). Ist der Inhalt einer Beschwerdebegründung nicht oder nur sehr schwer verständlich, liegt eine ordnungsgemäße
Begründung nicht vor; denn der in den Verfahren vor dem BSG nach §
73 Abs
4 SGG bestehende Vertretungszwang soll gerade sicherstellen, dass der Inhalt der Beschwerdebegründung und das Begehren des Beschwerdeführers
vom Beschwerdegericht ohne großen Aufwand zu ermitteln ist.
Diesen Anforderungen wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht. Der Kläger stellt seine Ausführungen unter die Überschrift
"Gerügt wird die Verletzung der Amtsermittlungspflicht (§
160 II Nr. 3
SGG)." und macht sodann Ausführungen zur Frage des Vorliegens von "grober Fahrlässigkeit oder gar Bösgläubigkeit", zum Anspruch
auf rechtliches Gehör (Art
103 Abs
1 GG, §
62 SGG), zur vermeintlichen Pflicht des LSG, den erstinstanzlich nicht vertretenen Kläger persönlich anzuhören, zur unterbliebenen
Ermittlung des Geistes- und Gesundheitszustands des Klägers, insbesondere zur Frage, inwieweit er keinerlei Kenntnisse mehr
von den vergangenen Vorgängen habe. Zudem sei eine "Vorverurteilung" zu beklagen, weil das Urteil des LSG nur der Meinung
und der Rechtsauffassung des Berichterstatters entspreche. Zu Unrecht würden dem Kläger allein die Folgen fehlerhaften Behördenhandelns
auferlegt.
b) Soweit der Kläger in der Überschrift seiner Ausführungen ausdrücklich einen Verstoß gegen die Amtsermittlungspflicht rügt,
weist er zu Recht selbst auf Seite 9 der Beschwerdebegründung darauf hin, dass gemäß §
160 Abs
2 Nr
3 SGG der geltend gemachte Verfahrensmangel nicht auf eine Verletzung der §§
109 und
128 Abs
1 S 1
SGG und auf eine Verletzung des §
103 SGG (Amtsermittlungspflicht) nur gestützt werden kann, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende
Begründung nicht gefolgt ist. Einen entsprechenden Beweisantrag benennt der Kläger jedoch nicht. Im Übrigen stellt der Kläger
eine unzureichende Sachaufklärung durch das LSG nicht in einer Weise dar, dass sich der Verfahrensmangel bei Zugrundelegung
der Angaben der Beschwerdebegründung allein aus dieser schlüssig ergibt. Eine solche Rüge muss folgende Punkte enthalten:
(1) Bezeichnung eines für das Revisionsgericht ohne Weiteres auffindbaren Beweisantrags, dem das LSG nicht gefolgt ist, (2)
Wiedergabe der Rechtsauffassung des LSG, aufgrund derer bestimmte Tatfragen als klärungsbedürftig hätten erscheinen und zu
weiterer Sachaufklärung drängen müssen, (3) Angabe des voraussichtlichen Ergebnisses der unterbliebenen Beweisaufnahme und
(4) Schilderung, dass und warum die Entscheidung des LSG auf der angeblich fehlerhaft unterlassenen Beweisaufnahme beruhen
kann, das LSG mithin bei Kenntnis des behaupteten Ergebnisses der Beweisaufnahme von seinem Rechtsstandpunkt aus zu einem
anderen, dem Beschwerdeführer günstigen Ergebnis hätte gelangen können (stRspr, vgl BSG Beschluss vom 12.12.2003 - B 13 RJ 179/03 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 3 RdNr 5; BSG Beschluss vom 19.11.2007 - B 5a/5 R 382/06 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 21 RdNr 5; BSG Beschluss vom 3.12.2012 - B 13 R 351/12 B - Juris RdNr 6 mwN). Hieran fehlt es völlig.
c) Schließlich fehlt es auch an einer nachvollziehbaren Darlegung der Entscheidungserheblichkeit der geltend gemachten Verfahrensfehler.
Der Kläger führt insoweit auf Seite 10 der Beschwerdebegründung nur pauschal und ohne nähere Begründung aus, dass das LSG
bei Beachtung seiner Ausführungen zu einem "günstigeren Ergebnis" hätte kommen müssen.
2. Auf Seite 10 der Beschwerdebegründung macht der Kläger geltend, die Rechtssache habe grundsätzliche Bedeutung iS von §
160 Abs
2 Nr
1 SGG.
Auf Seite 12 der Beschwerdebegründung formuliert er folgende Rechtsfrage:
"Ist §
255 Abs.
2 SGB V verfassungsgemäß, wenn er keine Ausnahmeregelung, orientiert am Einzelfall, zulässt, insbesondere bei eigenen Fehlern beteiligter
Behörden?"
Die grundsätzliche Bedeutung ergebe sich insbesondere aus der offenbar grundsätzlichen Arbeitsauffassung von Behörden, erhebliche
und viele Fehler machen zu können, ohne dadurch jemals irgendwelche negativen Folgen befürchten zu müssen. Vorschnell und
dadurch fehlerhaft erstellte Bescheide würden einfach wieder aufgehoben und - sobald der Fehler aufgefallen sei - durch neue
ersetzt. Ebenfalls sei die Praxis der Gerichte zu hinterfragen, die derartiges Vorgehen gutheißen und das fehlerhafte Behördenhandeln
vollständig decken würden. Dem Verfahren immanent sei, dass alle Beteiligten, auch der Kläger, sicherlich Fehler gemacht hätten.
Am Ende solle aber er ganz allein dafür "geradestehen". Dabei sei ihm lediglich ein kleiner Fehler der Unaufmerksamkeit vorzuwerfen,
der möglicherweise gar kein Fehler sei, da er es aus - nachvollziehbaren und dargelegten - gesundheitlichen Gründen schlichtweg
vergessen/verdrängt gehabt habe. Das vollständige "Freisprechen" der Behörden von eigenen Fehlern - stets zu Lasten des betroffenen
Bürgers - sei ein klarer Eingriff und Verstoß gegen sein allgemeines Persönlichkeitsrecht sowie, sofern es die Renten betrifft,
gegen das Eigentumsrecht (Hinweis auf BSG Urteil vom 30.10.2013 - B 12 R 14/11 R - SozR 4-1300 § 45 Nr 15).
a) Es kann offenbleiben, ob die Beschwerdebegründung die Darlegungsvoraussetzungen für eine Grundsatzrüge (vgl hierzu exemplarisch
BSG Beschluss vom 25.9.2002 - B 7 AL 142/02 B - SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 70 mwN) schon deshalb nicht erfüllt, weil der Kläger keine abstrakt-generelle Rechtsfrage zur
Auslegung, zum Anwendungsbereich oder zur Vereinbarkeit einer konkreten revisiblen Norm des Bundesrechts (vgl §
162 SGG) mit höherrangigem Recht formuliert (vgl allgemein BSG Beschluss vom 6.4.2010 - B 5 R 8/10 B - Juris = BeckRS 2010, 68786, RdNr 10; BSG Beschluss vom 21.7.2010 - B 5 R 154/10 B - Juris = BeckRS 2010, 72088, RdNr 10; BSG Beschluss vom 5.11.2008 - B 6 KA 24/07 B - Juris = BeckRS 2009, 50073, RdNr 7). Die Bezeichnung einer abstrakten, aus sich heraus verständlichen Rechtsfrage ist jedoch
unverzichtbar, damit das Beschwerdegericht an ihr die weiteren Voraussetzungen der Grundsatzrüge prüfen kann (Becker, SGb
2007, 261, 265; Krasney/Udsching/Groth, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 7. Aufl 2016, Kap IX, RdNr 181).
b) Jedenfalls legt der Kläger die Klärungsbedürftigkeit seiner Frage - deren Qualität als Rechtsfrage unterstellt - nicht
hinreichend dar. Der Kläger unterlässt bereits die gebotene Betrachtung der Rechtslage. Er geht nicht der bei der Betrachtung
des Wortlauts von §
255 Abs
2 SGB V naheliegenden Frage nach, inwieweit über die darin genannte entsprechende Geltung von §
51 Abs
2 SGB I (Eintritt von Hilfebedürftigkeit) ein Schutz des Betroffenen gewährleistet wird. Auch benennt der Kläger zwar die Rechtsinstitute
des Amtshaftungsanspruchs und des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs und erwähnt isoliert § 48 SGB X. Er unterlässt jedoch die naheliegende Betrachtung, inwieweit das einfache Recht insbesondere in den Vorschriften über die
Verjährung (§
25 Abs
1 SGB IV) und über die Aufhebung von Verwaltungsakten (§§ 44 ff SGB X) für einen angemessenen Ausgleich der Interessen sorgt und in diesem Rahmen den betroffenen Bürger vor belastenden, rückwirkenden
Änderungen schützt. Demzufolge lässt der Kläger in der Beschwerdebegründung bereits in tatsächlicher Hinsicht unerwähnt, dass
die Vorinstanzen angenommen haben, dass ein nicht unerheblicher Teil der Beitragsansprüche für die Zeit bis Ende 2008 verjährt
sei.
3. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab, weil sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung
beizutragen (§
160a Abs
4 S 2 Halbs 2
SGG).
4. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von §
193 SGG.