Negativer Prüfungsumfang im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren
Anspruch aus Menschenrechtserklärung der UN
Abstrakte Verfahrensmöglichkeit einer Sprungrevision
Gründe:
I
Die im Jahr 1962 geborene Klägerin war unzufrieden mit dem Verlauf von Sozialrechtsstreitigkeiten, die sie seit dem Jahr 2011
gegen den Rentenversicherungsträger (Beklagte zu 1) und das Jobcenter (Beklagter zu 2) führte. Deshalb forderte sie mit Schreiben
vom 5.3.2012 das Verwaltungsgericht Berlin (VG) auf, einen Beitrag dazu zu leisten, dass der Beklagte zu 2 ihr umgehend Leistungen
der Arbeitsförderung nach dem
SGB III gewähre. Zudem wandte sie sich dagegen, dass der Beklagte zu 2 sie unter Androhung der Versagung von SGB II-Leistungen "genötigt" habe, bei der Beklagten zu 1 einen Antrag auf Rente wegen Erwerbsminderung zu stellen. Das VG hat mit
Beschluss vom 30.5.2012 den Rechtsweg in dieser Sache zu den Verwaltungsgerichten für unzulässig erklärt und den Rechtsstreit
an das Sozialgericht Berlin (SG) verwiesen, wo er einer Kammer für Streitigkeiten aus der gesetzlichen Rentenversicherung zugeordnet worden ist.
Gegenüber dem SG hat die Klägerin mit Schreiben vom 9.3.2014 ihr Begehren dahingehend präzisiert, dass sie verlange, die beklagte "Bundesrepublik
Deutschland", vertreten durch die Beklagte zu 1 und den Beklagten zu 2, zu verurteilen, (1) ihr das Grundrecht auf Arbeit,
auf existenzsicherndes Arbeitseinkommen und auf Ausübung des erlernten Berufs zu gewährleisten, (2) "alle beteiligten Grundrechts-Widrigkeitstäter-/innen
der Beklagten" mit einem Berufsverbot zu belegen sowie (3) ihr Schadensersatz in Höhe von ca 3250 Euro monatlich ab 8.11.2007
zu zahlen, wobei auf den Beklagten zu 2 der Zeitraum 7.11.2009 bis 11.8.2011 und auf die Beklagte zu 1 der Zeitraum 12.8.2011
bis heute entfalle. Das SG hat die Klage abgewiesen: Für die Begehren (1) und (2) bestehe keine Rechtsgrundlage, während der Schadensersatzanspruch
(3) kein zulässiger Gegenstand des Klageverfahrens sei, weil er eine nicht sachdienliche und daher unzulässige Klageerweiterung
enthalte (Gerichtsbescheid vom 20.6.2014). Das LSG hat die Berufung der Klägerin unter Bezugnahme auf die Ausführungen des
erstinstanzlichen Gerichtsbescheids zurückgewiesen und die Revision nicht zugelassen (Urteil vom 27.11.2014 - der Klägerin
am 18.12.2014 zugestellt).
Die Klägerin hat dem BSG am 19.1.2015 um 18:35 Uhr per Telefax ein ausgefülltes und von ihr unterzeichnetes Formular "Erklärung über die persönlichen
und wirtschaftlichen Verhältnisse" (in der Fassung der Prozesskostenhilfevordruckverordnung vom 17.10.1994, BGBl I 3001, zuletzt
geändert durch Art 36 des Gesetzes zur Einordnung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch vom 27.12.2003, BGBl I 3022)
einschließlich zugehöriger Belege übersandt. Auf den Hinweis, dass dieses Formular nicht mehr gültig sei, hat sie mit Telefax
vom 28.1.2015 das nunmehr maßgebliche Formular (in der Fassung der Prozesskostenhilfeformularverordnung vom 6.1.2014, BGBl
I 34, in Kraft seit dem 22.1.2014) übermittelt und erläutert, sie habe das ursprünglich übersandte Formular noch im Dezember
2014 "vom Amtsgericht Tr.-Köp. v. Berlin" übergeben erhalten. Die Klägerin hat mit weiterem Schreiben vom 15.2.2015 die grundsätzliche
Bedeutung ihrer Rechtssache sowie einen Verfahrensmangel geltend gemacht und zudem beanstandet, dass zwar das SG laut Rechtsmittelbelehrung die Sprungrevision zum BSG eingeräumt, das LSG aber in nicht nachvollziehbarer Weise die Revision nicht zugelassen habe.
II
Der PKH-Antrag der Klägerin ist abzulehnen.
Nach §
73a Abs
1 S 1
SGG iVm §
114 Abs
1 S 1
ZPO kann einem Beteiligten für das Verfahren vor dem BSG nur dann PKH bewilligt werden, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet. Für die Bewilligung
von PKH und die damit verbundene Beiordnung eines Rechtsanwalts zur Durchführung des Beschwerdeverfahrens gegen die Nichtzulassung
der Revision ist nach der Rechtsprechung des BSG und der anderen obersten Gerichtshöfe des Bundes zudem Voraussetzung, dass sowohl der (grundsätzlich formlose) Antrag auf
PKH als auch die "Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse" auf dem gesetzlich vorgeschriebenen Formular
(§
73a Abs
1 S 1
SGG iVm §
117 Abs
2 bis
4 ZPO) bis zum Ablauf der Beschwerdefrist eingereicht werden.
Es kann hier offenbleiben, ob dem PKH-Antrag schon deshalb der Erfolg versagt bleiben muss, weil die Klägerin bis zum Ablauf
der Frist zur Einlegung einer Nichtzulassungsbeschwerde am 19.1.2015 (§
160a Abs
1 S 2 iVm §
64 Abs
2 S 1, Abs
3 SGG) lediglich das alte - seit dem 22.1.2014 nicht mehr maßgebliche - Formular der "Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen
Verhältnisse" bei Gericht eingereicht hat (s hierzu BSG Beschluss vom 10.12.2014 - B 4 AS 44/14 BH - JurionRS 2014, 30237 RdNr 2) oder ob ihr im Hinblick auf die behauptete Aushändigung des alten Formulars durch ein Amtsgericht
noch im Dezember 2014 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen fehlenden Verschuldens gewährt werden könnte. Jedenfalls
hat die von der Klägerin beabsichtigte Rechtsverfolgung in der Sache keine hinreichende Aussicht auf Erfolg.
Gegen das von ihr angegriffene LSG-Urteil ist als Rechtsmittel allein eine Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision
statthaft (§
160a SGG). In einem solchen Verfahren geht es nicht darum, ob die Entscheidung des LSG richtig oder falsch ist. Vielmehr darf gemäß
§
160 Abs
2 SGG die Revision nur zugelassen werden, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (Nr 1), das Urteil des LSG von einer
Entscheidung des BSG, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung
beruht (Nr 2) oder wenn ein Verfahrensmangel vorliegt, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann (Nr 3). Dass einer
dieser Zulassungsgründe hier mit Erfolg geltend gemacht werden könnte, ist nach Prüfung des Streitstoffs nicht ersichtlich.
Es ist nicht erkennbar, dass eine Zulassung der Revision gegen das Urteil des LSG auf §
160 Abs
2 Nr
1 SGG gestützt werden könnte. Grundsätzliche Bedeutung im Sinne dieser Vorschrift hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine
bislang nicht hinreichend geklärte und für den Rechtsstreit entscheidungserhebliche Rechtsfrage aufwirft, die allgemeine,
über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung besitzt. Dass im Rechtsstreit der Klägerin solche Rechtsfragen von Bedeutung sind,
ist nicht ersichtlich.
Die Klägerin beruft sich insoweit unter Hinweis auf die "Allgemeine Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen von 1946" auf ein "Grundrecht auf Arbeit für ein menschenwürdiges existenzsicherndes Arbeitseinkommen"
gemäß den "Forderungen der UNO-GrundrechteCharta-Artikel-Absätze". Damit bezieht sie sich sinngemäß auf die Bestimmungen in
Art 23 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte (Resolution 217 A (III) der Generalversammlung vom 10.12.1948, BAnz 1988 Nr 231 S 5177 [Beilage] - im Folgenden: MRErkl)
sowie in Art 6 des Internationalen Pakts über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (vom 19.12.1966 - BGBl II 1973,
1570). Es ergibt sich jedoch bereits aus dem Wortlaut dieser Bestimmungen und ihrem Regelungszusammenhang hinreichend klar, dass
sie keinen einklagbaren Anspruch auf irgendeinen konkreten Arbeitsplatz oder sonstige staatliche Maßnahmen zu begründen vermögen
(vgl Eichenhofer, Soziale Menschenrechte im Völker-, europäischen und deutschen Recht, 2012, 95, 100, 106; Eichenhofer in Wolmerath/Gallner/Krasshöfer/Weyand (Hrsg), Recht - Politik - Geschichte, Festschrift für Franz Josef Düwell
zum 65. Geburtstag, 2011, 342, 346, 351; Körner, Das Internationale Menschenrecht auf Arbeit - Völkerrechtliche Anforderungen
an Deutschland, 2004, 13, 18 ff, 22; Krennerich, Soziale Menschenrechte, 2013, 161 f, 174).
Soweit die Klägerin ergänzend das Recht, eine Familie zu gründen und in Kindern und Enkelkindern weiterzuleben, sowie das
Verbot der Sklaverei und Zwangsarbeit anführt, ist offenkundig und bedarf keiner weiteren Ausführungen, dass sich solche Fragen
im Zusammenhang mit den von ihr geltend gemachten Ansprüchen nicht ernsthaft stellen.
Entsprechendes gilt für ihre Berufung auf den Grundsatz der Nichtdiskriminierung: Die Klägerin führt zwar an, dass ihre Anträge
abgelehnt worden seien, doch vermag sie kein spezifisches Merkmal - einen "Unterschied" iS von Art 2 Abs 1 MRErkl, etwa nach
Rasse, Hautfarbe, Geschlecht, Sprache, Religion, politischer oder sonstiger Anschauung, nationaler oder sozialer Herkunft,
Vermögen, Geburt oder sonstigem Stand - zu benennen, auf dem diese Ablehnung beruhe und infolgedessen als unzulässige Diskriminierung
anzusehen sei. Der Umstand, dass der Deutsche Bundestag ihre Petition vom 7.11.2007 zur Einführung der 30-Stunden-Woche, eines
Mindestlohns von 11,50 Euro und einer Mietpreisbegrenzung nicht berücksichtigt habe, ist von vornherein ungeeignet, eine Rechtsfrage
zur Reichweite des Diskriminierungsverbots im hier zu entscheidenden Rechtsstreit als grundsätzlich bedeutsam erscheinen zu
lassen.
Auch der Zulassungsgrund der Divergenz (§
160 Abs
2 Nr
2 SGG) könnte nicht mit Erfolg geltend gemacht werden. Denn das LSG ist in seinem Urteil nicht von höchstrichterlicher Rechtsprechung
abgewichen.
Ebenso wenig lässt sich ein Verfahrensfehler (§
160 Abs
2 Nr
3 SGG) feststellen, auf dem die Entscheidung des LSG beruhen kann. Insbesondere ist das Berufungsgericht unter Bezugnahme auf die
Entscheidung des SG zutreffend davon ausgegangen, dass es über den von der Klägerin erstmals mit Schreiben vom 9.3.2014 gegen "die Bundesrepublik
Deutschland" geltend gemachten Schadensersatzanspruch nicht zu entscheiden gehabt hat. Denn insoweit lag eine unzulässige
Klageänderung (Klageerweiterung) vor (§
99 Abs
1 SGG), in welche die übrigen Beteiligten nicht eingewilligt haben. Es ist auch nicht ersichtlich, dass das LSG bei der Verneinung
einer Sachdienlichkeit dieser Klageerweiterung sein Ermessen fehlerhaft ausgeübt hätte (vgl BSG SozR 4-2500 § 117 Nr 1 RdNr 16). Die Klägerin hat zudem Gelegenheit gehabt, ihren Standpunkt in der mündlichen Verhandlung vor dem LSG zu erläutern.
Dass das LSG die Revision nicht von sich aus zugelassen hat, ist nach alledem nicht zu beanstanden. Im Übrigen beruht es auf
einem Missverständnis, wenn die Klägerin meint, das Berufungsgericht habe sich widersprüchlich verhalten, da das SG in seiner Rechtsmittelbelehrung zuvor bereits eine Revisionsmöglichkeit - in Gestalt der Sprungrevision - eingeräumt habe.
Allein der Hinweis in der Rechtsmittelbelehrung auf die abstrakte Verfahrensmöglichkeit einer Sprungrevision enthält noch
keine Zulassung dieses Rechtsmittels durch das SG. Selbst wenn der Gegner einer Sprungrevision zustimmt (was hier nicht geschehen ist), darf das SG sie nachträglich nur zulassen, wenn die Voraussetzungen des §
160 Abs
2 Nr
1 oder 2
SGG tatsächlich vorliegen (§
161 Abs
2 S 1
SGG), was hier nicht der Fall ist.
Da der Klägerin nach alledem keine PKH zusteht, kann sie auch nicht die Beiordnung eines Rechtsanwalts beanspruchen (vgl §
73a Abs
1 S 1
SGG iVm §
121 Abs
1 ZPO).