Anspruch auf Arbeitslosengeld II; Berechnung der Leistungen; Anwendbarkeit der Rundungsregelung des § 41 Abs. 2 SGB II
Gründe:
I
Die Klägerin begehrt weitere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für September 2007 in Höhe von 20 Cent, die sich
nach ihrem Vorbringen allein aus Rundungsdifferenzen ergeben.
Der Beklagte bewilligte der Klägerin zuletzt mit Bescheid vom 9.1.2008 ua für September 2007 Leistungen in Höhe von 624,80
Euro (Regelleistung und Mehrbedarf für werdende Mütter in Höhe von 376,50 Euro sowie Kosten für Unterkunft und Heizung in
Höhe von 248,30 Euro). Mit ihrem Widerspruch machte sie (anwaltlich vertreten) die mangelnde Begründung des Bescheides und
die unzutreffende Anwendung der Rundungsregelung des § 41 Abs 2 Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) in der Fassung des Vierten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt (im Folgenden: alte Fassung [aF]) geltend.
Im Hinblick auf die zuvor der Höhe nach unzutreffend abgesetzte Warmwasserpauschale bewilligte der Beklagte mit Bescheid vom
17.9.2008 für September 2007 insgesamt 625,74 Euro (Regelleistung und Mehrbedarf wie bisher, daneben Kosten der Unterkunft
und Heizung in Höhe von 249,24 Euro). Die Nachzahlung von 94 Cent werde auf das Konto der Klägerin überwiesen. Den Widerspruch
wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 17.9.2008 zurück. Eine Auf- und Abrundung hinsichtlich der Kosten für Unterkunft
und Heizung finde nicht statt. Insoweit seien gemäß § 22 Abs 1 SGB II die tatsächlichen Aufwendungen zu erbringen, soweit sie angemessen seien.
Hiergegen hat die Klägerin Klage zum Sozialgericht (SG) Nordhausen erhoben und dabei beantragt, ihr unter Änderung der genannten Bescheide "höhere Leistungen (Rundungsregelung)"
zu bewilligen. Das SG hat der Klage stattgegeben (Urteil vom 9.3.2009). Aus der Anwendung der Rundungsregelung ergebe sich ein weiterer Leistungsanspruch
in Höhe von 20 Cent. Das Thüringer Landessozialgericht (LSG) hat auf die Nichtzulassungsbeschwerde des Beklagten die Berufung
zugelassen und diese sodann mit Urteil vom 23.6.2011 zurückgewiesen. Die Klage sei zulässig. Allein ein geringer Streitwert
lasse das Rechtsschutzinteresse nicht entfallen (Hinweis auf Bundesverfassungsgericht [BVerfG] Beschluss vom 24.3.2011 - 1 BvR 1737/10 - NJW 2011, 2039). Im Übrigen habe der Beklagte keine derartigen Bedenken hinsichtlich des Berufungsverfahrens, ohne dass ein Differenzierungsgrund
ersichtlich sei. Die Klage sei auch begründet, denn der Klägerin stünden für den Monat September 2007 nach § 41 Abs 2 SGB II aF um 26 Cent höhere Leistungen zu. Ihr Gesamtanspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in Höhe von 625,74
Euro sei nach § 41 Abs 2 SGB II aF auf einen vollen Euro Betrag um 0,26 Euro auf 626 Euro aufzurunden. § 41 Abs 2 SGB II aF enthalte ein subjektivöffentliches Recht des Betroffenen auf Aufrundung und stelle keine Vorschrift dar, deren Beachtung
im Belieben der Verwaltung stehe, was das LSG im Einzelnen ausgeführt hat. Der Beklagte habe auch die außergerichtlichen Kosten
zu tragen. Eine abweichende Entscheidung aus Billigkeitsgesichtspunkten zu seinen Gunsten sei nicht geboten, da bereits seit
mehreren Jahren in den Entscheidungen des Bundessozialgerichts ([BSG], Hinweis auf BSG Urteil vom 25.6.2008 - B 11b AS 45/06 R - juris RdNr 52; Urteil vom 17.3.2009 - B 14 AS 63/07 R - SozR 4-4200 § 11 Nr 21 RdNr 35; Urteil vom 1.6.2010 - B 4 AS 67/09 R - SozR 4-4200 § 11 Nr 28 RdNr 15) ausdrücklich auf die Vornahme der Rundung hingewiesen worden sei.
Hiergegen richtet sich die vom Senat zugelassene Revision des Beklagten. Er ist der Ansicht, für die Klage auf einen Bagatellbetrag
bestehe kein allgemeines Rechtsschutzbedürfnis. Der möglicherweise bestehende Anspruch stehe in keinem Verhältnis zu den Kosten
für die Bereithaltung der Justiz. Zudem würde ein vernünftig und rational handelnder Beteiligter keinen Rechtsanwalt beauftragen
und so zusätzlich ein Kostenrisiko eingehen. Die Urteile der Vorinstanzen verletzten zudem materielles Recht. § 41 Abs 2 SGB II aF vermittele kein subjektives öffentliches Recht, denn er diene nicht dem Schutz der Individualinteressen.
Der Beklagte beantragt,
die Urteile des Thüringer Landessozialgerichts vom 23. Juni 2011 und des Sozialgerichts Nordhausen vom 9. März 2009 aufzuheben
und die Klage gegen die Bescheide des Beklagten vom 9. Januar 2008 und vom 17. September 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 17. September 2008 abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtenen Urteile für zutreffend.
II
Die zulässige Revision ist begründet (§
170 Abs
2 Satz 1
Sozialgerichtsgesetz [SGG]). Die Verurteilung zur Zahlung weiterer 20 Cent durch die Vorinstanzen verletzt den Beklagten in seinen Rechten, denn
die Klage ist schon nicht zulässig.
1. Streitgegenstand der Revision ist - wie im Berufungsverfahren - lediglich noch die Verurteilung des Beklagten zur Zahlung
von weiteren Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in Höhe von 20 Cent für September 2007, die der Beklagte zuvor
mit Bescheiden vom 9.1.2008 und vom 17.9.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17.9.2008 abgelehnt hat. Die Klägerin
hat sich nicht gegen das Urteil des SG gewandt, wonach sich lediglich ein Anspruch in dieser Höhe ergab. Der Beklagte ist nicht allein dadurch beschwert, dass das
LSG in den Gründen davon ausgeht, es hätte sich bei zutreffender Berechnung über die Verurteilung durch das SG hinaus ein Anspruch von (weiteren) 6 Cent ergeben. Das LSG hat die Berufung des Beklagten (lediglich) zurückgewiesen und
unter dem Gesichtspunkt der reformatio in peius nicht zur Zahlung von weiteren Leistungen verurteilt.
2. Die Revision des Beklagten ist statthaft und form- und fristgerecht eingelegt. Es fehlt - wie bereits bei Führung der Berufung
- nicht am notwendigen Rechtsschutzbedürfnis für die Revision unabhängig davon, ob für die Klageerhebung durch die Klägerin
ein Rechtsschutzbedürfnis bestand. Das Rechtsschutzbedürfnis ist keine besondere Voraussetzung für die Zulässigkeit eines
Rechtsmittels, sondern ergibt sich im Allgemeinen ohne Weiteres aus der formellen Beschwer des Rechtsmittelklägers, der mit
seinem Begehren in der vorangegangenen Instanz unterlegen ist. Mit dem Erfordernis der Beschwer ist in aller Regel gewährleistet,
dass das Rechtsmittel nicht eingelegt wird, ohne dass ein sachliches Bedürfnis des Rechtsmittelklägers hieran besteht (vgl
Bundesgerichtshof [BGH] BGHZ 57, 224, 225 = NJW 1972, 112; im Ausgangspunkt ebenso BSG Urteil vom 8.5.2007 - B 2 U 3/06 R - SozR 4-2700 § 136 Nr 3 RdNr 13). Ein sachliches Bedürfnis in diesem Sinne liegt auch vor, wenn die eigentliche Beschwer
vorwiegend von der den Rechtsmittelkläger belastenden Kostenentscheidung ausgeht (vgl BGH aaO; ähnlich BVerfG 17.11.2009 -
1 BvR 1964/09 - NJW 2010, 1349 RdNr 9), selbst wenn das Rechtsmittel seinerseits nicht ausdrücklich auf die Kostenentscheidung beschränkt sein darf (vgl
§
144 Abs
4, §
165 SGG).
Zwar gilt auch für Rechtsmittel der allgemeine Grundsatz, dass niemand die Gerichte grundlos oder für unlautere Zwecke in
Anspruch nehmen darf (hierzu etwa BSG Urteil vom 8.5.2007 - B 2 U 3/06 R - SozR 4-2700 § 136 Nr 3 RdNr 13). Ein solcher Fall ist vorliegend aber nicht erkennbar. Der Beklagte hat trotz der geänderten
Rechtslage in § 41 Abs 2 SGB II ein Interesse an der abschließenden Klärung, ob die Inanspruchnahme der Gerichte allein wegen Beträgen, die sich aus der
Anwendung der Rundungsregelungen ergeben, zulässig ist. Hierzu hat er bereits im Verfahren wegen der Zulassung der Revision
vorgetragen, dass noch eine erhebliche Anzahl von Klagen anhängig sei, die nur wegen der Anwendbarkeit der Rundungsregelung
des § 41 Abs 2 SGB II aF geführt würden. Zum anderen ist auch im Hinblick auf § 41 Abs 2 SGB II in der seit dem 1.4.2011 geltenden Fassung des Gesetzes zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und
Zwölften Buches Sozialgesetzbuch vom 24.3.2011 (BGBl I 453; neue Fassung [nF]) in der Literatur nicht unumstritten, ob die Dezimalstellenberechnung nach §
41 Abs 2 SGB II nF auf Bedarfe für Unterkunft und Heizung grundsätzlich Anwendung findet (bejahend Burkiczak in jurisPK-SGB II, § 41 RdNr 33; ablehnend Kapp in BeckOK-Sozialrecht, § 41 SGB II RdNr 9, Stand 1.9.2012) und wie insbesondere bei der Aufteilung von Bedarfen für Unterkunft und Heizung nach Kopfteilen der
Bedarfsgemeinschaft zu verfahren ist (dazu Hengelhaupt in Hauck/Noftz, SGB II, K § 41 RdNr 105). Der Wortlaut stellt schließlich nach in der Literatur vertretenen Auffassungen nicht abschließend klar, ob eine
Berechnung iS des § 41 Abs 2 SGB II nF jeden Berechnungsschritt erfasst (vgl Hengelhaupt aaO, RdNr 106; Burkiczak aaO). Von daher kann nicht zwingend davon ausgegangen werden, dass sich künftig Rechtsstreitigkeiten allein gestützt
auf die Anwendung der Berechnungsregelungen nicht mehr ergeben werden.
3. Die allein unter Hinweis auf die (behauptete fehlerhafte) Anwendung der Rundungsregelungen erhobene Klage ist unzulässig.
Der Klägerin steht zwar eine Klagebefugnis zu, denn sie behauptet, durch die teilweise Ablehnung einer höheren Leistung in
eigenen Rechten verletzt zu sein (vgl §
54 Abs
1 Satz 2
SGG; dazu unter a). Es besteht gleichwohl kein (allgemeines) Rechtsschutzbedürfnis für einen Leistungsberechtigten, der mit seiner
Klage ausschließlich die Verletzung der Rundungsregelung nach § 41 Abs 2 SGB II aF geltend macht (dazu unter b).
a) Weder die Klagebefugnis als Sachurteilsvoraussetzung, die die Prozessordnung an die schlüssige Behauptung der Klägerin
knüpft, in eigenen Rechten verletzt zu sein, noch die Verletzung der Klägerin in ihren Rechten als Voraussetzung für den (möglichen)
Erfolg der Klage in der Sache, lassen sich im Hinblick auf die nach § 41 Abs 2 SGB II aF zur Anwendung kommenden Rundungsregelungen von vornherein verneinen. Wie das LSG zutreffend ausgeführt hat, handelt es
sich auch bei dem Teil des Anspruchs auf Leistungen nach dem SGB II, der auf der Anwendung von Rundungsregelungen beruht, um ein subjektives Recht der Klägerin.
Eine Rechtsvorschrift verlautbart dann ein subjektiv-öffentliches Recht, wenn sie nicht nur dem öffentlichen Interesse, sondern
auch dem Interesse eines aus der Norm abgrenzbaren Kreises Privater zu dienen bestimmt ist, und wenn sie diesen Begünstigten
die Rechtsmacht verleiht, die Befolgung der öffentlich-rechtlichen Pflicht von dem Hoheitsträger rechtlich verlangen zu können.
Begünstigungen, die diesen Kriterien nicht genügen, sind dagegen bloße Rechtsreflexe (vgl etwa BSG Urteil vom 5.9.2006 - B 4 R 71/06 R - BSGE 97, 63 = SozR 4-2500 § 255 Nr 1, RdNr 32 mwN).
Die sich aus der Anwendung der Rundungsregelung des § 41 Abs 2 SGB II aF ergebenden Vor- bzw Nachteile seitens des Leistungsberechtigten betreffen unmittelbar dessen durch das SGB II begründete Rechtsposition. Die Folgen der Rundung für den Einzelnen sind nicht bloßer (wirtschaftlicher) Reflex der Regelung.
Der Fall der Abrundung macht deutlich, dass es sich um einen (wenn auch wirtschaftlich kaum fassbaren) Eingriff in eine Rechtsposition
handelt. Mit seinem Vorbringen verkennt der Beklagte, dass die Frage, ob für eine Eingriffsnorm (hier die Abrundung) ein rechtfertigender
Grund denkbar ist, nicht damit beantwortet werden kann, dieser Norm (wegen der Geringfügigkeit des Eingriffs) einen subjektiven
Charakter abzusprechen und allein auf das gesetzgeberische Ziel der Verwaltungsvereinfachung abzustellen. Zu prüfen ist gerade,
ob der geringfügige Eingriff auch in existenzsichernde Leistungen sich durch das ihm gegenüberstehende gesetzgeberische Ziel
rechtfertigen lässt, die Auszahlung von Bagatellbeträgen zu vermeiden. Dies hat das BSG in seiner bisherigen Rechtsprechung bereits bejaht, worauf das LSG zutreffend hinweist (vgl etwa BSG Urteil vom 17.3.2009 - B 14 AS 63/07 R - SozR 4-4200 § 11 Nr 21 RdNr 35).
b) Die Klage ist aber unzulässig, weil es am allgemeinen Rechtsschutzbedürfnis fehlt. Ein Klagebegehren, das aus Sicht der
Klägerin denkbar allein auf die Verletzung der Rundungsregelung des § 41 Abs 2 SGB II aF gestützt werden kann und mit dem folglich nur die in dieser Rundungsregelung zum Ausdruck kommende Beschwer (allenfalls
50 Cent pro Monat der Bewilligung von Leistungen) geltend gemacht wird, rechtfertigt für sich genommen die Inanspruchnahme
gerichtlichen Rechtschutzes nicht.
Art
19 Abs
4 Grundgesetz (
GG) gewährleistet effektiven und möglichst lückenlosen richterlichen Rechtsschutz gegen Akte der öffentlichen Gewalt (vgl BVerfG
vom 2.5.1984 - 2 BvR 1413/83 - BVerfGE 67, 43 [58]). Gleichwohl kann der Zugang zu den Gerichten von bestimmten Zulässigkeitsvoraussetzungen, namentlich von einem bestehenden
Rechtsschutzbedürfnis, abhängig gemacht werden (vgl nur BVerfG vom 5.12.2001 - 2 BvR 1337/00 - BVerfGE 104, 220, 232 mwN). Diese allen Prozessordnungen gemeinsame Sachentscheidungsvoraussetzung wird abgeleitet aus dem auch im Prozessrecht
geltenden Gebot von Treu und Glauben (§
242 Bürgerliches Gesetzbuch), dem Verbot des Missbrauchs prozessualer Rechte sowie dem auch für die Gerichte geltenden Grundsatz der Effizienz staatlichen
Handelns. Sie verlangt vom Kläger, dass er ein Mindestmaß an berechtigtem Rechtsverfolgungsinteresse geltend machen kann,
das dem öffentlichen Interesse an einer effizienten Rechtspflege gegenüber gestellt werden kann. Letztlich geht es um das
Verbot des institutionellen Missbrauchs prozessualer Rechte zu Lasten der Funktionsfähigkeit des staatlichen Rechtspflegeapparats
(vgl Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
SGG, 10. Aufl 2012, Vor §
51 RdNr 16a, 19; Ehlers in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner,
VwGO, 22. Aufl 2011, Vorb §
40, RdNr 74 ff; dazu auch Schmieder, Zeitschrift für Zivilprozess Band 120 [2007], 199, 212; Kapsa, Die Regel "Minima non curat
praetor" im Lichte des Verfassungsrechts, in: Der verfaßte Rechtsstaat, Festgabe für Karin Großhof/Heidelberg 1998).
Die Höhe der geltend gemachten Forderung führt allerdings nicht schlechterdings und für sich allein betrachtet zum Fehlen
des Rechtsschutzbedürfnisses. Über die Frage, ob eine Forderung rechtlich anerkannt wird, hat grundsätzlich das materielle
Recht, nicht das Prozessrecht zu entscheiden. Dessen Aufgabe ist es, die Verwirklichung aller materiellen Ansprüche in einem
staatlichen Verfahren sicherzustellen, auch wenn sie geringfügig sind. Daraus, dass der Kläger auf Leistung an sich klagt
und somit jedenfalls niemand anderes als der - vermeintliche - Inhaber des eingeklagten materiellen Anspruchs um Rechtsschutz
nachsucht, ergibt sich auch das "objektive" Interesse der Rechtsordnung an der Inanspruchnahme des Gerichts. Das Rechtsschutzinteresse
an einer vom vermeintlichen Inhaber des behaupteten Anspruchs erhobenen Leistungsklage fehlt deshalb nur dann, wenn besondere
Umstände vorliegen, die das subjektive oder objektive Interesse an der Durchführung des Rechtsstreits entfallen lassen (vgl
etwa Bundesverwaltungsgericht [BVerwG] BVerwGE 81, 164, 165 f).
Dem entspricht auch die prozessuale Behandlung von Ansprüchen nach dem SGB II. Insbesondere die differenzierten Regelungen zur Berücksichtigung von Einkommen und Vermögen (§§ 9, 11, 12 SGB II) gerade in Bedarfsgemeinschaften (vgl § 7 Abs 3, § 9 Abs 2 SGB II) machen es für den Leistungsberechtigten schwierig, schon bei Klageerhebung zu erkennen, welche Auswirkungen sich im Falle
seines Obsiegens im Einzelnen auf seinen Leistungsanspruch ergeben. Von daher haben die für das Recht der Grundsicherung zuständigen
Senate das Begehren gerichtet auf höhere Leistungen dem Grunde nach als zulässig angesehen (vgl allgemein zur Zulässigkeit
eines Grundurteils BSG SozR 3-1500 § 141 Nr 8 S 11; zum Grundurteil im Streit um höhere Leistungen nach dem SGB II nur Urteil des 7b. Senats vom 7.11.2006 - B 7b AS 10/06 R - BSGE 97, 231 = SozR 4-4200 § 22 Nr 2, RdNr 16). Voraussetzung für dessen Zulässigkeit ist allein, dass sich aus dem vom Kläger formulierten
Klagebegehren, ein höherer (wenngleich nicht bezifferter) Anspruch auf Leistungen ergibt, ohne dass ein bestimmter Wert im
Sinne einer allgemeinen "Erheblichkeitsschwelle" zu fordern wäre.
Die Funktionsfähigkeit gerichtlichen Rechtsschutzes darf allerdings nicht durch Verfahren in Frage gestellt werden, in denen
es bei Erhebung einer Anfechtungs- und Leistungsklage gerichtet auf höhere Leistungen dem Grunde nach dem Leistungsberechtigten
nach dem SGB II isoliert um die Anwendung der Rundungsregelungen geht. Wie bereits dargelegt wird zwar (auch) insoweit die individuelle Rechtsposition
des Leistungsberechtigten unmittelbar geregelt. Es verbleibt aber selbst im Bereich existenzsichernder Leistungen ein "Bagatellbereich"
dort, wo der Gesetzgeber nicht aus Gründen der Existenzsicherung des Einzelnen, sondern zur Vereinfachung verwaltungsinterner
Abläufe (und damit letztlich zur Beschleunigung der Auszahlung existenzsichernder Leistungen) bei der Berechnung der Leistung
entsprechende Regelungen erlässt. Das mit Klageerhebung hierauf beschränkte Begehren auf Leistungen im Centbereich lässt die
Inanspruchnahme von gerichtlichem Rechtschutz objektiv nicht gerechtfertigt erscheinen, denn es geht der Klägerin erkennbar
nicht um einen eigenen wirtschaftlich sinnvollen Vorteil. Dass der Gesetzgeber insoweit seinen Spielraum überschritten hätte,
indem er mit 49 Cent (für den Fall der Abrundung) einen zu hohen Betrag als der Rundung zugänglich ansieht, ist nicht im Ansatz
ersichtlich und ist auch von der Klägerin (die sich nicht gegen eine Abrundung wehrt) nicht behauptet worden. Das Gericht
braucht auf eine solche, von vornherein unzulässige Klage hin nicht zu überprüfen, ob sich andere Sachverhalte und Regelungen
finden lassen, die einen höheren Anspruch des Leistungsberechtigten stützen.
Demgegenüber tritt der Gedanke zurück, der Beklagte könne sich systematisch zur Kostenersparnis auf eine rechtswidrige Rundungspraxis
zurückziehen. Der Beklagte unterliegt als Träger der Grundsicherung dem Prinzip der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung (Art
20 Abs
3 GG). Im Privatrechtsverhältnis ist nicht von der Hand zu weisen, dass die fehlende Durchsetzbarkeit von Kleinstbeträgen vor
Gericht den Schuldner veranlassen könnte, bewusst kleine Abzüge zu machen und damit einen "Rabatt von Amts wegen" zu erhalten.
Dieser Gesichtspunkt prägt die Diskussion um die Berücksichtigung einer wirtschaftlichen Erheblichkeit als Zulässigkeitsschranke
aus dem Rechtsgedanken "de minimis non curat praetor" im zivilrechtlichen Erkenntnisverfahren (befürwortend zuletzt Schmieder,
Zeitschrift für Zivilprozess Band 120 [2007], 199; dagegen die ganz herrschende Meinung, vgl etwa Greger in Zöller,
ZPO, 29. Aufl 2012, Vor §
253 RdNr 18d mwN). Demgegenüber macht die Bindung der Verwaltung an Recht und Gesetz in einem öffentlich-rechtlichen Rechtsstreit
einen entscheidenden Unterschied aus. Es ist von Verfassungs wegen auszuschließen, dass der Beklagte sich um der daraus folgenden
Einsparung willen bewusst gesetzeswidrig verhält. Andernfalls wäre - auch insoweit zur Aufrechterhaltung der Effizienz der
Gerichtsbarkeit - ein Eingreifen der zuständigen Rechts- und Fachaufsicht geboten.
Es mag zweifelhaft sein, ob in der Zeit von Inkrafttreten des SGB II zum 1.1.2005 bis zur Änderung der Berechnungsvorschriften zum 1.4.2011 die bei Anwendung der Rundungsregelung offenkundig
gewordenen Umsetzungsprobleme von Gesetzgebung und Verwaltung ausreichend berücksichtigt worden sind (zur Notwendigkeit der
Änderung des § 41 Abs 2 aus Sicht des Gesetzgebers vgl BT-Drucks 17/3404 S 115). Zutreffend weist das LSG darauf hin, dass
offenbar in erster Linie die softwarebedingten Vorgaben zu einer Vielzahl von fehlerhaften Rundungen - auch zu Lasten der
Träger - geführt haben (dazu auch Schnitzler ZFSH/SGB 2011, 335; zur Problematik solcher softwarebedingten Vorgaben, die zur
Begrenzung von sachlichen Entscheidungsspielräumen führen, bereits BVerfGE 119, 331 = SozR 4-4200 § 44b Nr 1 RdNr 180). Vor diesem Hintergrund ist § 41 Abs 2 SGB II in seiner neuen Fassung mit übergangsweise geltenden, abweichenden Maßgaben in Kraft getreten, die ausreichend Zeit für die
technische Anpassung gewährleisten sollen (vgl § 77 Abs 14 SGB II und dazu BT-Drucks 17/3404 S 119). Dem Gesetzgeber war also offenbar nicht nur die unklare Gesetzeslage, sondern auch die
Problematik der technischen Umsetzung entsprechender Berechnungsregelungen bekannt.
Dem einzelnen Leistungsberechtigten kommt aber nicht allein deshalb ein Rechtsschutzinteresse zu, weil strukturelle Fehler
im Vollzug des Gesetzes erkennbar werden. Das macht der Ausschluss der Popularklage im
SGG ebenso wie den anderen Verfahrensordnungen deutlich. Ein Einzelner kann eine Klage nicht nur führen, um sich zum Sachwalter
der Interessen der Allgemeinheit am korrekten Vollzug der Gesetze zu machen. Im Einzelfall muss ein darüber hinausgehendes
allgemeines Rechtschutzinteresse hinzukommen um zu verhindern, dass gerade im hoch belasteten Bereich der Grundsicherung für
Arbeitsuchende nur aus Rechthaberei Prozesse geführt werden.
Schließlich bedeutet das vorliegende Ergebnis nicht, dass die entsprechenden Rechtsfragen durch Gerichte schlechterdings nicht
geklärt werden könnten. In Rechtsstreitigkeiten, die zulässigerweise auf eine höhere Leistung gerichtet sind, ist auch der
Anspruch auf Rundung zu beachten und hierüber zu entscheiden. Dementsprechend sind im Laufe des vorliegenden Rechtsstreits
eine Reihe von Entscheidungen des BSG ua auch zur Anwendung der Rundungsregelung ergangen (etwa BSG Urteil vom 10.5.2011 - B 4 AS 100/10 R - SozR 4-4200 § 21 Nr 12 RdNr 37; BSG Urteil vom 17.3.2009 - B 14 AS 63/07 R - SozR 4-4200 § 11 Nr 21 RdNr 35; BSG Urteil vom 19.3.2008 - B 11b AS 23/06 R - SozR 4-4200 § 24 Nr 3 RdNr 25; im Einzelnen zur Rechtsprechung Padé, SozSich 2009, 111).
Mit diesem Ergebnis sieht sich der Senat nicht in Widerspruch zu der vom LSG zitierten Rechtsprechung des BVerfG zur Bewilligung
von Prozesskostenhilfe ([PKH] zur Bewilligung von PKH in Angelegenheiten des SGB II insbesondere Beschlüsse vom 24.3.2011 - 1 BvR 1737/10 - NJW 2011, 2039 und - 1 BvR 2493/10 - ZFSH/SGB 2011, 475 = NZS 2011, 775). Die dortigen Beschwerdeverfahren sind zur Klärung des Umfangs der in Art
3 Abs
1 iVm Art
20 Abs
3 GG verbürgten Rechtsschutzgleichheit ergangen und lassen keine Aussage dazu erkennen, ob und in welchen Fällen ein Rechtsschutzbedürfnis
wegen eines Bagatellstreitwertes entfallen könnte. Im Übrigen liegt der mögliche Streitwert wegen der Anwendung von Rundungsregelungen
erheblich unter den Werten, die in den dortigen Verfahren von den Landessozialgerichten als Bagatellwert angesehen worden
sind (42 Euro). Dies gilt erst recht für denkbare Klagen gestützt auf die fehlerhafte Anwendung von § 41 Abs 2 SGB II nF.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.