Parallelentscheidung zu BSG B 14 AS 67/19 B v. 29.08.2019
Gründe:
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG vom 17.4.2018 ist zulässig, soweit er mit
ihr eine Verletzung von §
60 SGG und zugleich einen Verstoß gegen das grundrechtsgleiche Recht auf den gesetzlichen Richter nach Art
101 Abs
1 Satz 2
GG hinreichend bezeichnet hat (§
160a Abs 2 Satz 3 iVm §
160 Abs
2 Nr
3 SGG).
Die Beschwerde ist insoweit auch begründet. Der gerügte Verfahrensmangel der unzulässigen Mitwirkung abgelehnter Richter liegt
vor. Das LSG war bei seinem aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 17.4.2018 ergangenen Urteil nicht vorschriftsmäßig besetzt
(§
547 Nr 1
ZPO iVm §
202 Satz 1
SGG). Denn an diesem Urteil haben Berufsrichter mitgewirkt, die der Kläger zuvor eingangs der vorangegangenen mündlichen Verhandlung
im Verfahren L 9 AS 3758/15 (B 14 AS 67/19 B) zwar erfolglos abgelehnt hatte, deren Mitwirkung am Urteil aber gleichwohl das Recht auf den gesetzlichen Richter verletzt
hat. Die Verwerfung der den Vorsitzenden Richter und die Mitberichterstatterin betreffenden Ablehnungsgesuche als unzulässig
unter Mitwirkung beider abgelehnten Richter und die Zurückweisung des den Berichterstatter betreffenden Ablehnungsgesuchs
als unbegründet ohne dessen Mitwirkung haben jeweils Bedeutung und Tragweite der Verfassungsgarantie des Art
101 Abs
1 Satz 2
GG grundlegend verkannt (vgl zu den Maßstäben zuletzt BVerfG [Kammer] vom 21.11.2018 - 1 BvR 436/17 - juris RdNr 19 mwN; vgl auch BSG vom 9.4.2014 - B 14 AS 363/13 B - juris; BSG vom 16.12.2015 - B 14 AS 191/15 B - juris), weshalb der Senat an die Verwerfung und Zurückweisung der Ablehnungsgesuche vorliegend entgegen §
557 Abs
2 ZPO iVm §
202 Satz 1
SGG nicht gebunden ist (vgl letztens nur BSG vom 21.9.2017 - B 13 R 230/17 B - juris RdNr 12 unter Hinweis auf BSG vom 5.8.2003 - B 3 P 8/03 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 1 und BSG vom 2.11.2007 - B 1 KR 72/07 B - SozR 4-1100 Art 101 Nr 3).
Ausweislich der Verfahrensakten und insbesondere der Protokolle der mündlichen Verhandlungen in den Verfahren L 9 AS 3758/15 (B 14 AS 67/19 B) und L 9 AS 214/18 (B 14 AS 68/19 B) war zur Verhandlung im Verfahren L 9 AS 3758/15 von den Beteiligten nur der Kläger erschienen, der nach deren Eröffnung beide Verfahren betreffende schriftliche, mehrseitig
begründete Ablehnungsgesuche gegen die jeweils namentlich benannten drei Berufsrichter des Senats übergab und anschließend
den Saal verließ mit der Erklärung, er habe nun eine Prozesshandlung vorgenommen und das Ganze werde seinen Gang gehen nach
dem Prozessrecht. Einen Hinweis auf das vom LSG beabsichtigte weitere Verfahren erhielt der rechtskundig nicht vertretene
Kläger zuvor nicht. Nach Unterbrechung der mündlichen Verhandlung und Wiedereintritt in diese verkündete der Senat in der
Besetzung mit dem abgelehnten Vorsitzenden, der abgelehnten Mitberichterstatterin, einer Vertreterin für den abgelehnten Berichterstatter
und den beiden ehrenamtlichen Richtern die Beschlüsse, dass in beiden Verfahren die Ablehnungsgesuche gegen den Vorsitzenden
und die Mitberichterstatterin als offensichtlich unzulässig verworfen und gegen den Berichterstatter als unbegründet zurückgewiesen
werden. Anschließend wurden die Beschlüsse vom Vorsitzenden mündlich begründet, wobei von den Beteiligten niemand anwesend
war. Der Inhalt der Begründungen ist im Protokoll nicht wiedergegeben. Nach erneuter Unterbrechung der mündlichen Verhandlung
wurde diese unter Mitwirkung des Berichterstatters fortgeführt. Das aufgrund der mündlichen Verhandlung ergangene, die Berufung
des Klägers zurückweisende Urteil im Verfahren L 9 AS 3758/15 enthält keine Begründungen für die Verwerfung und Zurückweisung der Ablehnungsgesuche. Die Einholung einer dienstlichen Stellungnahme
vom abgelehnten Berichterstatter lässt sich dieser Verfahrensakte nicht entnehmen.
Zur anschließenden Verhandlung im Verfahren L 9 AS 214/18 war von den Beteiligten niemand erschienen. Die auch dieses Verfahren betreffenden Ablehnungsgesuche des Klägers finden im
Protokoll dieser mündlichen Verhandlung keine Erwähnung. Das aufgrund der mündlichen Verhandlung ergangene Urteil im Verfahren
L 9 AS 214/18, durch das die Erledigung des Berufungsverfahrens L 9 AS 3757/15 durch eine zuvor vom Kläger erklärte Berufungsrücknahme festgestellt wurde, enthält keine Begründungen für die Verwerfung
und Zurückweisung der Ablehnungsgesuche. Die Einholung einer dienstlichen Stellungnahme vom abgelehnten Berichterstatter lässt
sich auch dieser Verfahrensakte nicht entnehmen.
Zu Recht rügt die Beschwerde, dass mangels Kenntnis der Gründe für die Entscheidungen des LSG über die Ablehnungsgesuche eine
Auseinandersetzung mit diesen im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde gegen das Berufungsurteil verwehrt sei und dies nicht
zu Lasten des Klägers gehen könne. Weder die Einhaltung oder Überschreitung der Grenzen der zulässigen Selbstentscheidung
noch die Einhaltung oder Überschreitung der verfassungsrechtlichen Grenzen für die Zurückweisung von Ablehnungsgesuchen lassen
sich durch den rechtsschutzsuchenden Kläger wie das daraufhin zur Entscheidung aufgerufene BSG prüfen. Die Beachtung dieser rechtlichen Grenzen kann grundsätzlich nur durch die Begründung für die Entscheidung über ein
Ablehnungsgesuch dokumentiert und anhand dieser überprüft werden (vgl Flint in jurisPK-
SGG, §
60 RdNr 144, Stand 12.8.2019; zur Angabe von Gründen zur Ermöglichung von Kontrolle vgl auch BVerfG [Kammer] vom 30.8.2010 -
1 BvR 1631/08 - juris RdNr 49; BVerfG [Kammer] vom 7.9.2015 - 1 BvR 1863/12 - juris RdNr 14; BVerfG [Kammer] vom 8.10.2015 - 1 BvR 1320/14 - juris RdNr 16 ff).
Durch seine den Rechtsschutz erschwerende Verfahrensweise hat das LSG vorliegend entgegen den Anforderungen des Art
19 Abs
4 GG die Überprüfung seiner Entscheidungen über die Ablehnungsgesuche auf Beachtung der für diese geltenden rechtlichen Grenzen
im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde vor dem BSG verhindert (zu den Gewährleistungsinhalten der Garantie eines wirkungsvollen gerichtlichen Rechtsschutzes vgl letztens nur
BVerfG vom 24.7.2018 - 2 BvR 1961/09 - Juris RdNr 33 ff mwN). Damit hat es zugleich die Bedeutung und Tragweite der Verfassungsgarantie des Rechts auf den gesetzlichen
Richter nach Art
101 Abs
1 Satz 2
GG grundlegend verkannt.
Bei seiner Entscheidung durch Urteil darüber, ob das Berufungsverfahren L 9 AS 3757/15 erledigt ist, war das LSG nicht vorschriftsmäßig besetzt. Denn eine grundlegende Verkennung von Bedeutung und Tragweite der
Verfassungsgarantie des Art
101 Abs
1 Satz 2
GG führt ebenso wie Willkür bei der Behandlung von Ablehnungsgesuchen zur nicht vorschriftsmäßigen Besetzung des Gerichts mit
den abgelehnten Berufsrichtern und damit zum Vorliegen eines absoluten Revisionsgrundes (§
547 Nr 1
ZPO iVm §
202 Satz 1
SGG), bei dem eine Entscheidung stets als auf einer Verletzung des Rechts beruhend anzusehen ist. Dieser die angefochtene Entscheidung
des LSG insgesamt betreffende absolute Revisionsgrund führt zur Aufhebung und Zurückverweisung (§
160a Abs
5 SGG). Die Verweisung an einen anderen Senat des LSG (§
563 Abs
1 Satz 2
ZPO iVm §
202 Satz 1
SGG) ist nicht geboten.
Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens bleibt der Entscheidung des LSG vorbehalten.