Elterngeld
Grundsatzrüge
Klärungsbedürftige und klärungsfähige Rechtsfrage
Sozialrechtlicher Herstellungsanspruch
Ausschlussfrist
Keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand
1. Grundsätzliche Bedeutung iS des §
160 Abs
2 Nr
1 SGG hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die - über den Einzelfall hinaus - aus Gründen der Rechtseinheit
oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist.
2. Ein Beschwerdeführer muss daher anhand des anwendbaren Rechts sowie unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung
und des Schrifttums angeben, welche Rechtsfragen sich stellen, dass diese noch nicht geklärt sind, weshalb eine Klärung aus
Gründen der Rechtseinheit oder Rechtsfortbildung erforderlich ist, und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine Klärung
erwarten lässt.
3. Um seiner Darlegungspflicht zu genügen, muss der Beschwerdeführer mithin Folgendes aufzeigen: (1.) eine bestimmte Rechtsfrage,
(2.) ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, (3.) ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit sowie (4.) die über den Einzelfall hinausgehende
Bedeutung der von ihm angestrebten Entscheidung, also eine Breitenwirkung.
4. Die Ausschlussfrist des § 44 Abs 4 SGB X ist von Amts wegen zu beachten und findet auch Anwendung auf den sozialrechtlichen Herstellungsanspruch, ohne dass eine Wiedereinsetzung
in den vorigen Stand nach § 27 SGB X möglich ist.
Gründe:
I
Mit Urteil vom 15.11.2016 hat das LSG Baden-Württemberg einen Anspruch des Klägers auf weiteres Elterngeld anlässlich der
Geburt der Zwillinge S. und S. am 18.4.2009 im Wege eines Überprüfungsverfahrens nach § 44 SGB X verneint. Zum Zeitpunkt der Antragstellung sei die rückwirkende Erbringung von Leistungen nach § 44 Abs 4 SGB X bereits ausgeschlossen gewesen, da maximal für vier Jahre, also längstens bis zum 1.1.2011 rückwirkend Leistungen erbracht
werden könnten. Zu diesem Zeitpunkt sei der mögliche Bezugszeitraum für Elterngeld (1. bis 14. Lebensmonat) nach der Geburt
der Zwillinge am 18.4.2009 bereits abgelaufen gewesen. Nach der Rechtsprechung des BSG, der sich der Senat anschließe, werde die Regelung des § 44 Abs 4 S 1 SGB X über ihren engen Wortlaut hinaus dahin ausgelegt, dass bereits die Rücknahme des belastenden Verwaltungsaktes bei Eingreifen
der Verfallklausel des § 44 Abs 4 SGB X schlechthin ausgeschlossen sei. Nach ständiger Rechtsprechung des BSG gelte in entsprechender Anwendung des § 44 Abs 4 SGB X eine Ausschlussfrist von vier Jahren, wenn aufgrund eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs eine Leistung rückwirkend
verlangt werde. Daher komme vorliegend auch eine rückwirkende Leistungsgewährung über den sozialrechtlichen Herstellungsanspruch
nicht in Betracht. Darüber hinaus liege kein treuwidriges Verhalten der Beklagten vor und sei die Behörde nicht verpflichtet
gewesen, aufgrund einer geänderten Rechtslage alle Akten von sich aus auf Rücknahmemöglichkeiten durchzuarbeiten. Aus der
Formulierung "im Einzelfall" im Gesetzestext ergebe sich vielmehr, dass sich konkret in der Bearbeitung eines Falles ein Anhaltspunkt
für eine Aufhebung ergeben haben müsse. Einen derartigen konkreten Anhalt habe es bezogen auf den Kläger vorliegend nicht
gegeben.
Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil hat der Kläger beim BSG Beschwerde eingelegt, die er mit dem Vorliegen einer grundsätzlichen Bedeutung begründet.
II
Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers ist unzulässig. Ihre Begründung genügt nicht den gesetzlichen Anforderungen (§
160a Abs
2 S 3
SGG). Keiner der in §
160 Abs
2 SGG abschließend aufgeführten Zulassungsgründe ist ordnungsgemäß dargetan worden.
Grundsätzliche Bedeutung iS des §
160 Abs
2 Nr
1 SGG hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die - über den Einzelfall hinaus - aus Gründen der Rechtseinheit
oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Ein Beschwerdeführer muss
daher anhand des anwendbaren Rechts sowie unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung und des Schrifttums
angeben, welche Rechtsfragen sich stellen, dass diese noch nicht geklärt sind, weshalb eine Klärung aus Gründen der Rechtseinheit
oder Rechtsfortbildung erforderlich ist, und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine Klärung erwarten lässt (vgl BSG SozR 1500 § 160 Nr 17; BSG SozR 1500 § 160a Nr 7, 13, 31, 59, 65). Um seiner Darlegungspflicht zu genügen, muss der Beschwerdeführer mithin Folgendes aufzeigen: (1.) eine bestimmte
Rechtsfrage, (2.) ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, (3.) ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit sowie (4.) die über den Einzelfall
hinausgehende Bedeutung der von ihm angestrebten Entscheidung, also eine Breitenwirkung. Diesen Anforderungen genügt die vorliegende
Beschwerdebegründung nicht.
Zwar stellt die Beschwerde drei vermeintliche vom LSG aufgestellte Rechtssätze zur Auslegung der Vorschrift des § 44 Abs 4 SGB X durch das LSG dar, auf denen die Entscheidung beruhe. Ungeachtet der Frage, ob der Kläger damit allerdings bereits hinreichend
klärungsbedürftige Rechtsfragen formuliert hat, die auf die Auslegung von Tatbestandsmerkmalen abzielen, hat er allerdings
deren höchstrichterliche Klärungsbedürftigkeit nur behauptet, nicht jedoch schlüssig dargelegt. Hierzu hätte er im Einzelnen
darstellen müssen, inwiefern die vermeintlichen Rechtsfragen vom BSG bisher noch nicht entschieden sind (vgl BSG SozR 1500 § 160 Nr 51; BSG SozR 1500 § 160a Nr 13 und 65) und warum sich für die Beantwortung der Fragen nicht bereits ausreichende Anhaltspunkte in vorliegenden Entscheidungen finden
lassen (vgl BSG SozR 3-1500 § 146 Nr 2 und § 160 Nr 8). Allein der von dem Kläger zur Begründung der Klärungsbedürftigkeit angeführte Umstand, dass die von ihm aufgeworfenen
Fragen betreffend die Gewährung von Elterngeld im Rahmen eines Überprüfungsverfahrens bisher nicht entschieden seien und die
Beklagte vor dem Hintergrund einer Verletzung ihrer Beratungs- und Informationspflicht iS von § 44 Abs 4 SGB X nicht schützenswert sei, reicht zur Darlegung der Klärungsbedürftigkeit nicht aus. Insoweit hätte es zunächst unter Auseinandersetzung
mit der vom LSG durchgeführten Prüfung der gesetzlichen Voraussetzungen einer konkreten Darlegung bedurft, wie die von dem
Kläger benannten Rechtsfragen nach dem Wortlaut des Gesetzes zu beantworten sind und ob sich das von dem Kläger begehrte Ergebnis
ggf erst aus dem Verfassungsrecht ergeben soll. Wie bereits das LSG in seiner angefochtenen Entscheidung ausgeführt hat, ist
die Ausschlussfrist des § 44 Abs 4 SGB X von Amts wegen zu beachten und findet auch Anwendung auf den sozialrechtlichen Herstellungsanspruch, ohne dass eine Wiedereinsetzung
in den vorigen Stand nach § 27 SGB X möglich ist (vgl hierzu insgesamt Steinwedel in Kasseler Komm, Stand Einzelkommentierung Dezember 2015, § 44 SGB X RdNr 50 ff). Entsprechende Darlegungen des Klägers, insbesondere zur Rechtsprechung, fehlen ebenso wie eine Auseinandersetzung
mit den einschlägigen verfassungsrechtlichen Kriterien zu Art
3 Abs
1 und Art
6 Abs
1 GG nebst der hierzu vom BSG und BVerfG ergangenen Rechtsprechung, insbesondere betreffend den gesetzgeberischen Gestaltungsspielraum im Bereich der gewährenden
Staatstätigkeit (vgl auch BVerfG Beschluss vom 29.10.2002 - 1 BvL 16/95 ua - BVerfGE 106, 166, 175 f = SozR 3-5870 § 3 Nr 4 S 13 f). Hierzu müssen der Bedeutungsgehalt der infrage stehenden einfachgesetzlichen Norm
aufgezeigt, die Sachgründe ihrer jeweiligen Ausgestaltung erörtert und die Verletzung der konkreten Regelung des
GG dargelegt werden. Diesen Anforderungen entspricht die Beschwerdebegründung insgesamt nicht.
Der Senat sieht von einer weiteren Begründung ab (§
160a Abs
4 S 2 Halbs 2
SGG).
Die Verwerfung der nicht formgerecht begründeten Beschwerde erfolgt gemäß §
160a Abs
4 S 1 Halbs 2 iVm §
169 SGG ohne Zuziehung ehrenamtlicher Richter.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.