Keine Kostenerstattung der gesetzlichen Krankenversicherung für eine ambulante Liposuktion im Wege der Genehmigungsfiktion
Geltung der Regelung der Genehmigungsfiktion für ab dem 26.2.2013 gestellte Anträge
Gründe:
I
Die Beteiligten streiten über Kostenerstattung von der Klägerin selbstbeschaffter Liposuktionen.
Die bei der beklagten Krankenkasse (KK) versicherte Klägerin beantragte am 23.1.2013 befundgestützt die Versorgung mit ambulanten
Liposuktionen an Armen, Beinen und Hüften. Die Beklagte beauftragte - ohne die Klägerin darüber zu unterrichten - den Medizinischen
Dienst der Krankenversicherung (MDK) mit einer Stellungnahme und forderte von der Klägerin weitere Unterlagen, die diese mit
"Nachtrag zum Antrag" vorlegte (26.3.2013). Der MDK hielt die beantragten Liposuktionen für nicht notwendig. Am 30.4.2013
beantragte die Klägerin unter Verweis auf §
13 Abs
3a SGB V erneut Kostenübernahme für die Liposuktionen. Die Beklagte lehnte es ab, die beantragte Leistung zu bewilligen (Bescheid
vom 30.4.2013, Widerspruchsbescheid vom 11.9.2013). Die Klägerin beschaffte sich die Liposuktionen am 17.10.2013 und 5.12.2013
selbst und wendete hierfür insgesamt 6560,06 Euro auf. Das SG hat die Klage abgewiesen, das LSG die Berufung der Klägerin zurückgewiesen (SG-Gerichtsbescheid vom 12.4.2016, LSG-Urteil vom 28.3.2018): §
13 Abs
3a SGB V gelte erst für ab dem 26.2.2013 gestellte Anträge. Die selbstbeschafften Liposuktionen gehörten nicht zum Leistungskatalog
der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV).
Die Klägerin rügt mit ihrer Revision die Verletzung von §
13 Abs
3a SGB V. Die Norm sei auch auf Anträge anwendbar, die vor dem 26.2.2013 gestellt worden seien.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 28. März 2018 und den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bayreuth vom
12. April 2016 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 30. April 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 11. September 2013 zu verurteilen, der Klägerin 6560,06 Euro zu zahlen,
hilfsweise,
das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 28. März 2018 aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung
an das Landessozialgericht zurückzuverweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.
II
Die zulässige Revision der Klägerin ist unbegründet (§
170 Abs
1 S 1
SGG). Zu Recht hat das LSG die Berufung der Klägerin gegen den klageabweisenden Gerichtsbescheid des SG zurückgewiesen. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Kostenerstattung der selbstbeschafften Liposuktionen. Die Voraussetzungen
der Genehmigungsfiktion nach §
13 Abs
3a SGB V sind nicht erfüllt (dazu 2.). Die Klägerin kann einen Kostenerstattungsanspruch auch nicht auf Systemversagen stützen (dazu
3.). Die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind rechtmäßig (dazu 4.).
1. Gegenstand des Rechtsstreits sind die in einer Klage im Wege der objektiven Klagehäufung (§
56 SGG) zusammen verfolgten zulässigen Klagebegehren: die kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage sowie die allgemeine Leistungsklage
auf Erstattung von 6560,06 Euro für Liposuktionen aufgewendete Kosten und die isolierte Anfechtungsklage gegen die Ablehnungsentscheidung
(stRspr, vgl zB BSG Urteil vom 26.2.2019 - B 1 KR 24/18 R - Juris RdNr 8, zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen; BSG SozR 4-2500 § 13 Nr 37 RdNr 9 ff; BSG SozR 4-2500 § 13 Nr 42 RdNr 9 ff, auch zur Veröffentlichung in BSGE vorgesehen). Die Klage ist aber nicht begründet. Denn die Klägerin hat
keinen Anspruch auf Erstattung der Kosten der selbstbeschafften Liposuktionen. Die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind
rechtmäßig.
2. Die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Kostenerstattung aufgrund fingierter Genehmigung nach §
13 Abs
3a S 7
SGB V sind nicht erfüllt. Entscheidet eine KK über den Antrag eines Berechtigten nicht innerhalb der gesetzlichen Frist von grundsätzlich
drei Wochen nach Antragseingang, ohne ihm vor Fristablauf hinreichende Gründe schriftlich mitzuteilen, warum sie die Frist
nicht einhalten kann und wann die Nachfrist taggenau endet, gilt die beantragte Leistung als genehmigt (vgl §
13 Abs
3a S 6
SGB V und statt vieler BSGE 121, 40 = SozR 4-2500 §
13 Nr 33). Gilt eine beantragte Leistung als genehmigt, erwächst dem Antragsteller hieraus ein Naturalleistungsanspruch als
eigenständig durchsetzbarer Anspruch und bei Selbstverschaffung der genehmigten Leistung ein Kostenerstattungsanspruch (stRspr,
vgl grundlegend BSGE 121, 40 = SozR 4-2500 § 13 Nr 33, RdNr 25). Diese Regelung ist auf den Antrag der Klägerin aus Januar 2013 zeitlich nicht anwendbar.
a) Der zeitliche Anwendungsbereich der Regelung ist nicht eröffnet. Sie greift lediglich für Anträge auf künftig zu erbringende
Leistungen, die Berechtigte ab dem 26.2.2013 stellen (BSG Urteil vom 26.2.2019 - B 1 KR 24/18 R - Juris RdNr 11, zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen; BSGE 121, 40 = SozR 4-2500 § 13 Nr 33, RdNr 9; BSGE 123, 293 = SozR 4-2500 § 13 Nr 36, RdNr 15 mwN). Daran fehlt es: Die Klägerin stellte ihren Antrag bereits am 23.1. 2013. Nach dem
maßgeblichen intertemporalen Recht (vgl hierzu zB BSGE 99, 95 = SozR 4-2500 § 44 Nr 13, RdNr 15; BSG SozR 4-2500 § 275 Nr 4 RdNr 13 f mwN) ist eine Regelung, soweit keine abweichende Übergangsvorschrift gilt, nur auf solche Sachverhalte anwendbar,
die sich vollständig nach Inkrafttreten des neuen Rechts verwirklicht haben. Insoweit wirken die für im Sozialrecht verankerte
Leistungsansprüche geltenden Grundsätze (sog Leistungsfallprinzip im Gegensatz zum reinen Geltungszeitraumprinzip, vgl dazu
zB allgemein BSG SozR 4-4300 § 335 Nr 1 RdNr 13 mwN; BSG SozR 4-4300 § 118 Nr 5 RdNr 13 mwN) und die Beachtung des Regelungsschwerpunkts des Gesamtregelungskomplexes (vgl dazu Kopp, SGb 1993, 593, 599) zusammen. Der Gesetzgeber will nach dem Grundsatz des Regelungsschwerpunkts im Zweifel das Recht angewandt sehen, bei
dem der Schwerpunkt der Regelung liegt (BSG SozR 4-2500 § 275 Nr 4 RdNr 14).
§
13 Abs
3a SGB V macht einen klaren Schnitt zwischen Anträgen, die bis zum Ablauf des 25.2.2013 gestellt wurden, und solchen, die ab dem 26.2.2013
gestellt werden. Schon der Wortlaut macht deutlich, dass die Vorschrift erst für Anträge gelten kann, die nach Inkrafttreten
der Vorschrift am 26.2.2013 gestellt werden. Denn die Vorschrift normiert verschiedene Verhaltenspflichten, so die Pflichten
der KK zur zügigen Entscheidung über Anträge, spätestens bis zum Ablauf von drei, fünf bzw sechs Wochen (S 1 und 4), zur Unterrichtung
des Versicherten von der Einholung einer gutachtlichen Stellungnahme (S 2) oder zur Darlegung der Gründe, aus denen die KK
Fristen nach S 1 oder S 4 nicht einhalten kann (S 5). Die KK kann diesen Pflichten erst nachkommen, wenn sie wirksam bestehen,
dh ab Inkrafttreten der Regelung. Für dieses Verständnis sprechen auch Sinn und Zweck der Norm, insbesondere deren Sanktionscharakter
(vgl zum Ganzen BSGE 121, 40 = SozR 4-2500 § 13 Nr 33, RdNr 25; BSGE 123, 293 = SozR 4-2500 § 13 Nr 36, RdNr 12 mwN und BT-Drucks 17/10488 S 32 zu Art 2 Nr 1). Primärer Gesetzeszweck ist nicht die Ausweitung
des Leistungskatalogs der GKV zugunsten einzelner Versicherter, sondern die Beschleunigung der Bewilligungsverfahren (vgl
BT-Drucks 17/10488 S 32 zu Art 2 Nr 1).
§
13 Abs
3a SGB V trifft keine Regelung für bereits zuvor gestellte, bei Inkrafttreten der Norm aber noch nicht beschiedene Anträge, etwa mit
der Folge einer Genehmigungsfiktion nach Ablauf von drei, fünf oder sechs Wochen. Für ein solches Verständnis lassen sich
dem Wortlaut, Entstehungsgeschichte, Regelungssystem und Zweck der Vorschrift keinerlei Anhaltspunkte entnehmen.
b) Der allgemeine Gleichheitssatz des Art
3 Abs
1 GG steht dem nicht entgegen. Ungleichheiten, die durch einen Stichtag eintreten, müssen hingenommen werden, wenn die Einführung
eines solchen notwendig und die Wahl des Zeitpunkts, orientiert am gegebenen Sachverhalt, vertretbar ist (BVerfGE 75, 78, 106 = NZA 1988, 139; BVerfGE 87, 1, 43 = NJW 1992, 2213; BVerfGE 101, 239, 270 f = NJW 2000, 413, 417). Kern der Regelung des §
13 Abs
3a SGB V sind Verhaltenspflichten für die KKn sowie deren Sanktionierung durch Eintritt einer Genehmigungsfiktion bei Verletzung dieser
Pflichten. Einer solchen Regelung ist eine rückwirkende Geltung fremd, da Pflichten erst dann erfüllt werden können, wenn
sie dem Rechtsunterworfenen gegenüber wirksam sind. Das Regelungskonzept ist durch das gesetzgeberische Ziel der Beschleunigung
der Bewilligungsverfahren sachlich gerechtfertigt.
c) Die Klägerin kann nichts für sie Günstigeres aus dem Umstand ableiten, dass sie am 26.3.2013 (dh nach Inkrafttreten des
§
13 Abs
3a SGB V) mit einem "Nachtrag zum Antrag" weitere Unterlagen übersandte. Gleiches gilt für den Antrag auf Kostenübernahme der Liposuktionen
unter Verweis auf §
13 Abs
3a SGB V vom 30.4.2013. Mit diesen Schreiben hat die Klägerin keinen "Antrag auf Leistungen" iS von §
13 Abs
3a S 1
SGB V gestellt. Vielmehr hat sie sich jeweils auf den bereits am 23.1.2013 gestellten und noch nicht erledigten Antrag auf Liposuktionen
bezogen. Am 26.3.2013 hat sie zu ihrem Antrag von der Beklagten angeforderte weitere Unterlagen vorgelegt und nicht etwa erneut
einen Antrag auf Leistung gestellt. In ihrem Schreiben vom 30.4.2013 hat sie sich ebenfalls auf den bereits am 23.1.2013 gestellten
Antrag bezogen und die Auffassung vertreten, dieser gelte inzwischen als genehmigt.
3. Ein Anspruch auf Kostenerstattung folgt auch nicht aus einer anderen Rechtsgrundlage.
a) Die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Kostenerstattung wegen Systemversagens (§
13 Abs
3 S 1 Fall 2
SGB V idF durch Art 5 Nr
7 Buchst b
SGB IX - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen vom 19.6.2001, BGBl I 1046) sind nicht erfüllt. Die Norm bestimmt: Hat
eine KK "eine Leistung zu Unrecht abgelehnt und sind dadurch Versicherten für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden,
sind diese von der Krankenkasse in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war." Der Kostenerstattungsanspruch
reicht nicht weiter als ein entsprechender Sachleistungsanspruch; er setzt daher voraus, dass die selbstbeschaffte Behandlung
zu den Leistungen gehört, welche die KKn allgemein in Natur als Sach- oder Dienstleistung zu erbringen haben (stRspr; vgl
zB BSGE 124, 1 = SozR 4-2500 § 27 Nr 29, RdNr 8; BSGE 111, 137 = SozR 4-2500 § 13 Nr 25, RdNr 15; BSGE 100, 103 = SozR 4-2500 § 31 Nr 9, RdNr 13; vgl zum Ganzen: E Hauck in H Peters, Handbuch der Krankenversicherung, Bd 1, 19. Aufl,
Stand Januar 2019, §
13 SGB V RdNr 233 ff). Die Klägerin hatte weder zur Zeit der Ablehnung noch im Zeitpunkt der Selbstbeschaffung (vgl zur Maßgeblichkeit
zB BSG SozR 3-2500 § 135 Nr 12 S 56; BSGE 97, 112 = SozR 4-2500 § 31 Nr 5, RdNr 25) einen Anspruch auf Versorgung mit ambulant durchgeführten Liposuktionen als Naturalleistung.
aa) Liposuktionen - wie die hier von der Klägerin selbstbeschafften - können von Versicherten nicht beansprucht werden. Welche
Leistungen Versicherte von ihrer KK beanspruchen können, richtet sich nach einem Zusammenspiel von Leistungs- und Leistungserbringerrecht.
Nach §
27 Abs
1 S 1
SGB V (idF durch Art 1 Nr 14 Buchst a des Gesetzes zur Sicherung und Strukturverbesserung der gesetzlichen Krankenversicherung - Gesundheitsstrukturgesetz [GSG] vom 21.12.1992, BGBl I 2266 mWv 1.1.1993) haben Versicherte einen Anspruch (vgl zum Individualanspruch Versicherter
BSG Beschluss vom 7.11.2006 - B 1 KR 32/04 R - Juris RdNr 54 = GesR 2007, 276; BSGE 113, 241 = SozR 4-2500 § 13 Nr 29, RdNr 11 mwN; BSGE 117, 1 = SozR 4-2500 § 28 Nr 8, RdNr 14 mwN; E Hauck in H Peters, Handbuch der Krankenversicherung, Bd 1, 19. Aufl, Stand Januar
2019, §
13 SGB V RdNr 53 f) auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung
zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Krankenbehandlung umfasst ua ärztliche Behandlung (§
27 Abs
1 S 2 Nr
1 SGB V idF des Art 2 Nr
1 des Gesetzes über die Berufe des Psychologischen Psychotherapeuten und des Kinder- und Jugendpsychotherapeuten, zur Änderung
des
Fünften Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze vom 16.6.1998, BGBl I 1311 mWv 1.1.1999). Die ärztliche Behandlung ihrerseits umfasst die Tätigkeit des
Arztes, die zur Verhütung, Früherkennung und Behandlung von Krankheiten nach den Regeln der ärztlichen Kunst ausreichend und
zweckmäßig ist (§
28 Abs
1 S 1
SGB V). Welche Tätigkeiten des Arztes iS von §
28 Abs
1 S 1
SGB V zur Verhütung, Früherkennung und Behandlung von Krankheiten nach den Regeln der ärztlichen Kunst ausreichend und zweckmäßig
sind, konkretisieren Richtlinien des Gemeinsamen Bundesauschusses (GBA) auf der Grundlage des §
92 Abs
1 S 2 Nr
1 SGB V (vgl BSG SozR 4-2500 § 28 Nr 4 RdNr 15; BSGE 124, 1 = SozR 4-2500 § 27 Nr 29; BSG SozR 4-2500 § 13 Nr 19 RdNr 14; BSG SozR 4-2500 § 60 Nr 4 RdNr 27 mwN). Neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden dürfen in der vertragsärztlichen und vertragszahnärztlichen
Versorgung zu Lasten der KKn nur erbracht werden, wenn der GBA in Richtlinien nach §
92 Abs
1 S 2 Nr
5 SGB V Empfehlungen abgegeben hat ua über die Anerkennung des diagnostischen und therapeutischen Nutzens der neuen Methode sowie
deren medizinische Notwendigkeit und Wirtschaftlichkeit - auch im Vergleich zu bereits zu Lasten der KKn erbrachte Methoden
- nach dem jeweiligen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse in der jeweiligen Therapierichtung (§
135 Abs
1 S 1 Nr
1 SGB V). Daran fehlt es. Bei Liposuktionen handelt es sich um eine neue, nicht im Einheitlichen Bewertungsmaßstab (EBM) enthaltene
Behandlungsmethode, für die der GBA bislang keine Empfehlungen abgegeben hat.
bb) Nach der Rspr des erkennenden Senats können Leistungen ohne positive Empfehlung des GBA und Aufnahme der Methode in den
EBM wegen Systemversagens in den GKV-Leistungskatalog einbezogen werden, von den weiteren, hier nicht einschlägigen Ausnahmen
des Seltenheitsfalles und der grundrechtsorientierten Auslegung abgesehen (stRspr, vgl zB BSGE 115, 95 = SozR 4-2500 § 2 Nr 4, RdNr 27 mwN; BSG Urteil vom 28.5.2019 - B 1 KR 32/18 R - Juris RdNr 13, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen). Die Grundsätze, die die Rspr für ein Systemversagen entwickelt
hat, greifen ergänzend zur gesetzlichen Regelung bei verzögerter Bearbeitung eines Antrags auf Empfehlung einer neuen Methode
ein (vgl §
135 Abs
1 S 4 und 5
SGB V idF des Art 1 Nr 105 GKV-WSG vom 26.3.2007, BGBl I 378; BSGE 113, 241 = SozR 4-2500 § 13 Nr 29, RdNr 16 mwN; Hauck, NZS 2007, 461, 464). Eine Leistungspflicht der KK wegen Systemversagens kann nach der Rspr des erkennenden Senats ausnahmsweise ungeachtet
des in §
135 Abs
1 SGB V aufgestellten Verbots mit Erlaubnisvorbehalt für die Anwendung neuer Methoden bestehen. Zu einem solchen Systemversagen kann
es kommen, wenn das Verfahren vor dem GBA von den antragsberechtigten Stellen oder dem GBA selbst überhaupt nicht, nicht zeitgerecht
oder nicht ordnungsgemäß betrieben wird und dies auf eine willkürliche oder sachfremde Untätigkeit oder Verfahrensverzögerung
zurückzuführen ist (vgl BSGE 81, 54, 65 f = SozR 3-2500 § 135 Nr 4 - Immunbiologische Therapie; BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 10 RdNr 24 - Neuropsychologische Therapie; BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 16 RdNr 12 - ICL, jeweils mwN). Dazu gehören auch Fälle, in denen die Entscheidung des GBA trotz Erfüllung der für die
Überprüfung einer neuen Behandlungsmethode notwendigen formalen und inhaltlichen Voraussetzungen willkürlich oder aus sachfremden
Erwägungen unterblieben oder verzögert wurde (vgl BSGE 113, 241 = SozR 4-2500 § 13 Nr 29, RdNr 17 mwN; BSG SozR 3-2500 § 92 Nr 12 S 70; BSGE 86, 54, 60 f = SozR 3-2500 § 135 Nr 14 S 66 f; BSGE 88, 51, 61 f = SozR 3-2500 § 27a Nr 2 S 21). In derartigen Fällen widersprechen die einschlägigen Richtlinien einer den Anforderungen
des Qualitätsgebots (§
2 Abs
1 S 3
SGB V) genügenden Krankenbehandlung. Es fordert, dass Qualität und Wirksamkeit der Leistungen dem allgemein anerkannten Stand der
medizinischen Erkenntnisse zu entsprechen haben, welche sich wiederum in zuverlässigen, wissenschaftlich nachprüfbaren Aussagen
niedergeschlagen haben, und den medizinischen Fortschritt berücksichtigen müssen (stRspr, vgl zB BSGE 97, 190 = SozR 4-2500 § 27 Nr 12, RdNr 18 f mwN - LITT; zum Ganzen BSGE 113, 241 = SozR 4-2500 § 13 Nr 29, RdNr 18 mwN). Daran fehlt es.
Aus den den Senat bindenden Feststellungen des LSG (§
163 SGG) ergeben sich keine Anhaltpunkte dafür, dass das Verfahren zur Liposuktion beim Lipödem vor dem GBA zur Zeit der Selbstbeschaffung
der Leistungen 2013 durch die Klägerin von den antragsberechtigten Stellen oder dem GBA selbst überhaupt nicht, nicht zeitgerecht
oder nicht ordnungsgemäß betrieben wurde und dies auf eine willkürliche oder sachfremde Untätigkeit oder Verfahrensverzögerung
zurückzuführen war. Der GBA leitete erst nach der Selbstbeschaffung auf Antrag der Patientenvertretung nach §
140f SGB V vom 20.3.2014 das Beratungsverfahren ein (Beschluss vom 22.5.2014, BAnz AT 1.4.2015 B4). Auch die Klägerin trägt solche Anhaltspunkte
nicht stichhaltig vor.
b) Ein Anspruch kann auch nicht aus einer grundrechtsorientierten Leistungsauslegung (iS von §
2 Abs
1a SGB V) abgeleitet werden, da das Lipödem weder eine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödliche noch eine hiermit wertungsmäßig
vergleichbare Erkrankung ist. Die Liposuktion bei Lipödem betrifft auch keinen Seltenheitsfall (vgl zu den Anforderungen zB
BSGE 115, 95 = SozR 4-2500 § 2 Nr 4, RdNr 27 mwN; BSG Urteil vom 28.5.2019 - B 1 KR 32/18 R - Juris RdNr 13, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen).
4. Die angefochtene Ablehnungsentscheidung der Beklagten ist rechtmäßig. Denn der Klägerin steht kein Anspruch auf die Liposuktionen
zu.
5. Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.