Grundsätzliche Bedeutung einer Rechtssache
Höchstrichterliche Klärung
Voraussetzungen eines Off-Label-Use
Gründe:
I
Die bei der beklagten Krankenkasse versicherte Klägerin leidet an einem Parkinsonsyndrom mit sekundärer fokaler Fußdystonie.
Die Beklagte lehnte ihren Antrag auf Versorgung mit BTX/A-haltigen Fertigarzneimitteln zur Behandlung der Fußdystonien ab.
Das SG hat die Beklagte verurteilt, "der Klägerin die Kosten für die Behandlung mit Botulinumtoxin zu erstatten" (Urteil vom 9.11.2011).
Das LSG hat das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ua ausgeführt, die begehrten Fertigarzneimittel mit dem Wirkstoff
BTX/A seien zulassungspflichtig. Weder in Deutschland noch EU-weit liege die erforderliche Arzneimittelzulassung für die Indikation
Fußdystonie oder ein übergeordnetes Indikationsgebiet vor, das diese Form einer fokalen Dystonie einschließe. Ein Anspruch
auf eine Versorgung nach den Grundsätzen des Off-Label-Use scheide aus, weil hinreichende wissenschaftliche Erkenntnisse,
die die Anwendung von BTX/A-Präparaten zur Behandlung einer Fußdystonie nach den Grundsätzen des Off-Label-Use begründen könnten,
fehlten. Eine notstandsähnliche Situation, die eine grundrechtsorientierte Erweiterung des Leistungskatalogs der gesetzlichen
Krankenversicherung rechtfertige, liege bei der bestehenden Fußdystonie auch unter Berücksichtigung der Haupterkrankung nicht
vor (Urteil vom 27.11.2014).
Die Klägerin wendet sich mit ihrer Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im LSG-Urteil.
II
Die Beschwerde der Klägerin ist unzulässig und daher gemäß §
160a Abs
4 S 1 Halbs 2
SGG iVm §
169 S 3
SGG zu verwerfen. Ihre Begründung entspricht nicht den aus §
160a Abs
2 S 3
SGG abzuleitenden Anforderungen an die Darlegung der Revisionszulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung, der Divergenz und
des Verfahrensmangels.
1. Wer sich - wie hier die Klägerin - auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§
160 Abs
2 Nr
1 SGG) beruft, muss eine Rechtsfrage klar formulieren und ausführen, inwiefern diese Frage im angestrebten Revisionsverfahren entscheidungserheblich
sowie klärungsbedürftig und über den Einzelfall hinaus von Bedeutung ist (vgl zB BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 21 S 38; BSG SozR 3-4100 § 111 Nr 1 S 2 f; BSG SozR 3-2500 § 240 Nr 33 S 151 f mwN). Die Klägerin richtet ihr Vorbringen hieran nicht aus.
Die Klägerin formuliert die Frage,
"welche qualitativen Anforderungen an außerhalb eines Zulassungsverfahrens gewonnenen Erkenntnisse zu stellen sind und ab
wann sie den qualitativen Anforderungen einer Phase III Studie entsprechen."
Der Senat lässt offen, ob die Klägerin damit eine Rechtsfrage hinreichend klar formuliert oder auf eine Tatfrage zielt. Sie
legt jedenfalls deren Klärungsbedürftigkeit nicht ausreichend dar. Ist eine Frage bereits von der höchstrichterlichen Rechtsprechung
entschieden, ist sie grundsätzlich nicht mehr klärungsbedürftig (vgl zB BSG Beschluss vom 21.10.2010 - B 1 KR 96/10 B - RdNr 7 mwN). Die Klägerin bezieht sich selbst auf die Entscheidung des erkennenden Senats zur ambulanten Versorgung mit
Fertigarzneimitteln, die das bakterielle Nervengift Clostridium botulinum Toxin Typ A (Botulinumtoxin A [BTX/A]) enthalten
(Urteil vom 8.11.2011 - B 1 KR 19/10 R - BSGE 109, 211 = SozR 4-2500 § 31 Nr 19). Dort hat der erkennende Senat ausgeführt, dass ein Off-Label-Use ua nur dann in Betracht komme,
wenn im Behandlungszeitpunkt entweder bereits eine klinische Prüfung mit Phase III-Studien veröffentlicht und ein entsprechender
Zulassungsantrag gestellt worden sei oder wenn sonst wie zuverlässige, wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen vorlägen, aufgrund
derer sich in den einschlägigen Fachkreisen ein Konsens über den voraussichtlichen Nutzen der angewendeten Methode gebildet
habe. Außerhalb und während eines Zulassungsverfahrens müsse die Qualität der wissenschaftlichen Erkenntnisse über den Behandlungserfolg,
die für eine zulassungsüberschreitende Pharmakotherapie auf Kosten der GKV nachzuweisen sei, derjenigen für die Zulassungsreife
des Arzneimittels im betroffenen Indikationsbereich entsprechen. Dies bedeute, dass der während und außerhalb eines Zulassungsverfahrens
erforderliche wissenschaftliche Nachweis durch Studien erbracht werden müsse, die die an eine Phase III-Studie zu stellenden
qualitativen Anforderungen erfüllten (unter Hinweis auf BSGE 109, 211 = SozR 4-2500 § 31 Nr 19, RdNr 17; BSGE 113, 123 = SozR 4-2500 § 106 Nr 40, RdNr 33). Der erkennende Senat hat zudem die Anforderungen an Phase III-Studien rechtlich fundiert
präzisiert (vgl grundlegend BSGE 97, 112 = SozR 4-2500 § 31 Nr 5, RdNr 20 - Ilomedin; BSG SozR 4-2500 § 31 Nr 6 RdNr 13 ff mwN - Cabaseril). Die Klägerin legt nicht ausreichend dar, wieso mit Blick auf diese Rechtsprechung des erkennenden
Senats die aufgeworfene Frage nicht bereits beantwortet sein oder darüber hinaus noch Klärungsbedarf bestehen soll. Sie behauptet
lediglich, dass das LSG die Rechtsprechung des BSG konterkariere und macht geltend, dass es die Anforderungen an die durch Studien zu erbringenden wissenschaftlichen Nachweise
überspitze. Sie wendet sich damit nur gegen die Richtigkeit der LSG-Entscheidung, ohne einen über die Rechtsprechung des erkennenden
Senats hinausgehenden Klärungsbedarf aufzuzeigen.
2. Eine Divergenz bezeichnet die Klägerin ebenfalls nicht ausreichend. Wer sich auf den Zulassungsgrund der Divergenz beruft,
muss entscheidungstragende abstrakte Rechtssätze im Urteil des Berufungsgerichts einerseits und in einem Urteil des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG andererseits gegenüberstellen und Ausführungen dazu machen, weshalb beide miteinander unvereinbar
sein sollen (vgl zB BSG Beschluss vom 19.9.2007 - B 1 KR 52/07 B - Juris RdNr 6). Die Klägerin behauptet zwar eine Abweichung zum Urteil des erkennenden Senats vom 8.11.2011 - B 1 KR 19/10 R - (aaO), bezeichnet aber keine entscheidungstragenden, voneinander abweichenden abstrakten Rechtssätze des Senats oder des
LSG. Sie trägt lediglich vor, dass sich das LSG zwar auf die Entscheidung des erkennenden Senats gestützt, dessen Vorgaben
aber nicht beachtet habe. Dies genügt nicht den Anforderungen an die Bezeichnung einer Divergenz. Eine Divergenz liegt nicht
schon dann vor, wenn das LSG einen Rechtssatz nicht beachtet oder unrichtig angewandt hat, sondern erst dann, wenn es diesem
Rechtssatz widersprochen, also einen anderen Rechtssatz aufgestellt und angewandt hat; nicht die Unrichtigkeit der Entscheidung
im Einzelfall, sondern die Nichtübereinstimmung im Grundsätzlichen begründet die Zulassung der Revision wegen Divergenz (vgl
zB BSG SozR 1500 § 160a Nr 14, 21, 29 und 67, s ferner BSG Beschluss vom 7.10.2009 - B 1 KR 15/09 B - RdNr 8).
3. Auch einen Verfahrensmangel bezeichnet die Klägerin nicht entsprechend den Anforderungen an die Begründung einer Nichtzulassungsbeschwerde.
Sie rügt zwar die Verletzung der Amtsermittlungspflicht (§
103 SGG), legt aber die erforderlichen Umstände einer Pflichtverletzung nicht hinreichend dar. Nach §
160 Abs
2 Nr
3 SGG ist die Revision nur zuzulassen, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen
kann; der geltend gemachte Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung der §§
109 und
128 Abs
1 S 1
SGG und auf eine Verletzung des §
103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt
ist. Wer sich - wie hier - auf eine Verletzung der Amtsermittlungspflicht nach §
103 SGG stützt, muss ua einen für das Revisionsgericht ohne Weiteres auffindbaren Beweisantrag (zur ausreichenden Wiedergabe nicht
protokollierter Beweisanträge in den Urteilsgründen vgl BSG Beschluss vom 23.7.2013 - B 1 KR 84/12 B - RdNr 5 mwN) bezeichnen, die Rechtsauffassung des LSG wiedergeben, aufgrund der bestimmte Tatsachen als klärungsbedürftig
hätten erscheinen müssen und die von dem betreffenden Beweisantrag berührten Tatumstände darlegen, die zu weiterer Sachaufklärung
Anlass gegeben hätten (vgl zB BSG Beschluss vom 20.7.2010 - B 1 KR 29/10 B - RdNr 5 mwN; BSG Beschluss vom 1.3.2011 - B 1 KR 112/10 B - Juris RdNr 3 mwN). Die Klägerin legt schon nicht dar, dass sie einen (förmlichen) Beweisantrag vor oder in der mündlichen
Verhandlung beim LSG gestellt hat.
4. Der Senat sieht von einer weiteren Begründung ab (§
160a Abs
4 S 2 Halbs 2
SGG).
5. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des §
193 SGG.