Vergütung einer Krankenhausbehandlung durch die gesetzliche Krankenversicherung; Zulässigkeit einer Fallzusammenführung nach
der Fallpauschalenvereinbarung für das Jahr 2008
Gründe:
I
Streitig ist ein Anspruch auf restliche Vergütung einer Krankenhausbehandlung in Höhe von 423,13 Euro nebst Zinsen, nachdem
die beklagte Krankenkasse eine unstreitige Krankenhausrechnung über 1750,46 Euro um jenen Betrag wegen eines zur Aufrechnung
gestellten Erstattungsanspruchs aus einem früheren Behandlungsfall gekürzt hatte.
Die klagende Gesellschaft betreibt ein zur Versorgung der Versicherten zugelassenes Krankenhaus (§
108 SGB V), in dem die bei der Beklagten versicherte Patientin M. R. wegen einer Geschwulst an der Gebärmutter zunächst vom 1. bis
zum 8.7.2008 sowie erneut vom 11. bis zum 14.7.2008 vollstationär behandelt worden ist. Für die erste Behandlung mit der Hauptdiagnose
ICD D 25.9 (Leiomyom des Uterus, nicht näher bezeichnet) setzte die Klägerin nach dem auf Diagnosis Related Groups (DRGs;
diagnosebezogene Fallgruppen) basierenden Fallpauschalen-Katalog der G-DRG-Version 2008 die DRG N 21 Z (Hysterektomie außer
bei bösartiger Neubildung, ohne äußerst schwere oder schwere Komplikationen oder Komorbiditäten [CC], ohne komplexen Eingriff)
mit einer Vergütung von 3434,51 Euro (DRG-Preis 3374,93 Euro nebst diversen Zu- und Abschlägen nach dem KHEntgG sowie abzüglich
80 Euro Zuzahlung der Versicherten nach §
39 Abs
4 iVm §
61 S 2
SGB V) an (Rechnung vom 17.7.2008 über 3436,19 Euro, abzüglich 1,68 Euro für die Förderung der integrierten Versorgung). Die zweite
Behandlung mit der Hauptdiagnose ICD T 81.0 (Blutung und Hämatom als Komplikation eines Eingriffs, anderenorts nicht klassifiziert)
wurde auf der Basis der DRG X 62 Z (Vergiftungen/toxische Wirkungen von Drogen, Medikamenten und anderen Substanzen oder Folgen
einer medizinischen Behandlung) mit 1557,01 Euro berechnet (Rechnung vom 23.7.2008 über 1597,75 Euro, abzüglich 40 Euro Zuzahlung
der Versicherten und 0,74 Euro für die Förderung der integrierten Versorgung). Die Beklagte beglich zunächst beide Rechnungen,
vertrat aber nach Einholung mehrerer Stellungnahmen des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) vom 3. und 15.9.
sowie 1.10.2008 die Auffassung, nach § 8 Abs 5 KHEntgG iVm § 2 Abs 3 der Fallpauschalenvereinbarung für das Jahr 2008 (FPV
2008) müssten beide Behandlungsfälle zu einem Fall zusammengeführt werden, weil die Zweitbehandlung der Beseitigung einer
auf die Erstbehandlung zurückzuführenden typischen Komplikation gedient habe und die Wiederaufnahme noch vor Ablauf der oberen
Grenzverweildauer (11 Tage) der DRG N 21 Z erfolgt sei. Bei der Fallzusammenführung hätte dem Krankenhaus nach der Hauptdiagnose
ICD D 25.9 und der Nebendiagnose ICD T 81.0 auf der Basis der DRG N 04 Z (Hysterektomie außer bei bösartiger Neubildung, mit
äußerst schweren oder schweren CC oder komplexem Eingriff) ein DRG-Preis von 4485,38 Euro und unter Berücksichtigung der diversen
Zu- und Abschläge sowie der Zuzahlung der Versicherten von 80 Euro eine Vergütung von 4568,39 Euro zugestanden. Statt der
Vergütung für die Zweitbehandlung von 1557,01 Euro hätte die Klägerin daher für die "Gesamtbehandlung" noch einen "Aufpreis"
von 1133,88 Euro (4568,39 - 3434,51 = 1133,88) berechnen können, woraus sich ein Erstattungsanspruch der Beklagten von 423,13
Euro (1557,01 - 1133,88 = 423,13) errechne. Da die Klägerin die Rückzahlung dieses Differenzbetrages ablehnte, erklärte die
Beklagte am 4.6.2009 die Aufrechnung gegen einen unstreitigen Vergütungsanspruch über 1750,46 Euro aus der Behandlung einer
anderen Versicherten (M. K.), sodass am 19.6.2009 nur noch der Restbetrag von 1327,33 Euro überwiesen wurde.
Im Klageverfahren hat die Klägerin geltend gemacht, die Aufrechnung sei zu Unrecht erfolgt. Eine Fallzusammenführung sei nach
der Änderung der entsprechenden Regelung in § 2 Abs 3 FPV 2008 nur noch möglich, wenn die Wiederaufnahme eines Patienten auf
einer Komplikation beruhe, die in den Verantwortungsbereich des Krankenhauses falle. Dies scheide bei Komplikationen aus,
die sich erst nach abgeschlossener Erstbehandlung des Patienten und dessen Entlassung aus dem Krankenhaus gezeigt hätten und
auf einem unvermeidbaren, schicksalhaften Verlauf beruhten. Nur bei Komplikationen, die auf Fehlern bei der ärztlichen Behandlung
oder der Pflege im Krankenhaus basierten und deshalb für das Krankenhaus vermeidbar seien, komme eine Fallzusammenführung
in Betracht. Demgegenüber meint die Beklagte, eine Fallzusammenführung scheide nur aus, wenn die Komplikation auf einem unvernünftigen
Verhalten ("mangelnde Compliance") des Patienten oder einer Behandlung durch einen anderen Arzt, zB den Hausarzt, beruhe.
Zeige sich dagegen - wie hier - noch vor Ablauf der oberen Grenzverweildauer eine Komplikation, die typischerweise bei einer
bestimmten Krankheit oder einem konkreten Eingriff auftrete und praktisch unvermeidbar sei, falle die Komplikation in den
Verantwortungsbereich des Krankenhauses.
Das SG hat die Zahlungsklage abgewiesen (Urteil vom 9.11.2010) und das LSG die Berufung der Klägerin zurückgewiesen (Urteil vom
4.8.2011): Eine Fallzusammenführung wegen einer in den Verantwortungsbereich des Krankenhauses fallenden Komplikation sei
nicht auf Fälle vorwerfbaren Handelns oder Unterlassens von Ärzten oder Pflegekräften des Krankenhauses beschränkt, sondern
setze lediglich eine Ursache-Folge-Verknüpfung zwischen der vom Krankenhaus durchgeführten medizinischen oder pflegerischen
Leistung und dem Eintritt einer zur Wiederaufnahme des Patienten führenden unerwünschten Folge der Behandlung ("Komplikation")
voraus, die allerdings dann unterbrochen werde, wenn für die Komplikation ein nicht vom Krankenhaus gesetzter weiterer Umstand
ausschlaggebend sei, zB ein den Anweisungen des Krankenhauses widersprechendes Verhalten des Patienten nach der Entlassung
aus dem Krankenhaus, ein fehlerhaftes Behandlungsverhalten des ambulant weiterbehandelnden Arztes oder ein Verkehrsunfall.
Da hier eine solche Ausnahmesituation nicht vorgelegen habe, weil mit dem Scheidenstumpfhämatom eine für die Erkrankung der
Versicherten typische, unvermeidbare Komplikation aufgetreten sei, und die erneute stationäre Aufnahme der Versicherten am
11.7.2008 noch vor Ablauf der oberen Grenzverweildauer der DRG N 21 Z erfolgt sei, hätte die Klägerin beide Behandlungen abrechnungstechnisch
zusammenführen müssen.
Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Klägerin die Verletzung materiellen Rechts (§ 8 Abs 5 KHEntgG iVm § 2 Abs 3
FPV 2008). Sie hält die Fallzusammenführung nach wie vor für rechtswidrig und beantragt,
die Urteile des LSG Rheinland-Pfalz vom 4.8.2011 und des SG Koblenz vom 9.11.2010 zu ändern und die Beklagte zu verurteilen,
an sie 423,13 Euro nebst Zinsen in Höhe von zwei Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 20.6.2009 zu zahlen.
Die Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil und beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
II
Die zulässige Revision der Klägerin ist unbegründet. Die Vorinstanzen haben zutreffend entschieden, dass der Beklagten aus
der Begleichung der Kostenrechnungen für die stationäre Behandlung der Patientin M. R. wegen der Unterlassung der gebotenen
Fallzusammenführung ein öffentlich-rechtlicher Erstattungsanspruch in Höhe von 423,13 Euro zustand, mit dem sie wirksam gegen
einen Vergütungsanspruch über 1750,46 Euro aus der späteren stationären Behandlung der Versicherten M. K. aufgerechnet hat,
sodass dieser Vergütungsanspruch nur noch in Höhe von 1327,33 Euro Bestand hatte. Diesen Betrag hat die Beklagte an die Klägerin
überwiesen.
1. Die auch im Revisionsverfahren von Amts wegen zu beachtenden Sachurteilsvoraussetzungen sind erfüllt. Eines Vorverfahrens
iS von §
78 SGG bedurfte es nicht, weil die Klage zu Recht als allgemeine Leistungsklage (§
54 Abs
5 SGG) erhoben worden ist. Da sich der Krankenhausträger und die Krankenkasse bei der Frage, wie die stationäre Behandlung eines
gesetzlich gegen Krankheit Versicherten zu vergüten ist, im Gleichordnungsverhältnis gegenüberstehen, kommt eine Regelung
durch Verwaltungsakt nicht in Betracht. Es war auch keine Klagefrist zu beachten (stRspr, vgl zB BSGE 90, 1 f = SozR 3-2500 § 112 Nr 3; BSGE 100, 164 = SozR 4-2500 § 39 Nr 12, RdNr 10; BSGE 102, 172 = SozR 4-2500 § 109 Nr 13, RdNr 9; BSGE 104, 15 = SozR 4-2500 § 109 Nr 17, RdNr 12).
2. Rechtsgrundlage des mit der Klage geltend gemachten weiteren Vergütungsanspruchs aus der in der Zeit vom 27. bis zum 30.5.2009
erfolgten stationären Behandlung der Versicherten M. K., die das Krankenhaus mit einem - in der Höhe nicht streitigen - Betrag
von 1750,46 Euro in Rechnung gestellt hat, ist §
109 Abs
4 S 3
SGB V (idF des Fallpauschalengesetzes [FPG] vom 23.4.2002, BGBl I 1412) iVm § 7 S 1 Nr 1 und § 9 Abs 1 S 1 Nr 1 KHEntgG (jeweils
idF des 2. Fallpauschalenänderungsgesetzes vom 15.12.2004, BGBl I 3429) sowie § 17b KHG (idF der 9. Zuständigkeitsanpassungsverordnung vom 31.10.2006, BGBl I 2407) in Verbindung mit der Anlage 1 Teil a) des Fallpauschalen-Katalogs
der G-DRG-Version 2009 sowie der zwischen der Krankenhausgesellschaft Rheinland-Pfalz eV und den Krankenkassen bzw ihren Verbänden
geschlossene Vertrag nach §
112 Abs
2 Nr
1 SGB V über die Allgemeinen Bedingungen der Krankenhausbehandlung (KBV-RP) und die Pflegesatzvereinbarung der Beteiligten für das
Jahr 2009. Rechtsgrundlage des - von der Beklagten beglichenen - Vergütungsanspruchs aus den stationären Behandlungen der
Versicherten M. R. von Mitte 2008 ist §
109 Abs
4 S 3
SGB V iVm §
7 S 1 Nr
1 und § 9 Abs 1 S 1 Nr 1 KHEntgG, § 17b KHG der KBV-RP und die Pflegesatzvereinbarung für das Jahr 2008. Die Frage der Fallzusammenführung richtet sich nach § 8 Abs
5 KHEntgG iVm § 2 Abs 3 der Fallpauschalenvereinbarung für das Jahr 2008 (FPV 2008).
Nach §
109 Abs
4 S 3
SGB V entsteht die Zahlungsverpflichtung einer Krankenkasse unabhängig von einer Kostenzusage unmittelbar mit der Inanspruchnahme
der Leistung durch den Versicherten, wenn die stationäre Versorgung in einem zugelassenen Krankenhaus (§
108 SGB V) durchgeführt wird und iS des §
39 Abs
1 S 2
SGB V erforderlich ist. Der Behandlungspflicht zugelassener Krankenhäuser (§
109 Abs
4 S 2
SGB V) steht ein Vergütungsanspruch gegenüber, der auf der Grundlage der gesetzlichen Ermächtigung in den §§ 16, 17 KHG in der Pflegesatzvereinbarung zwischen Krankenhausträger und Krankenkasse festgelegt wird (BSGE 86, 166, 168 = SozR 3-2500 § 112 Nr 1; BSGE 90, 1, 2 = SozR 3-2500 § 112 Nr 3). Hiernach hat die Klägerin für die Behandlung der Versicherten K. zu Recht eine Vergütung von
1750,46 Euro berechnet.
3. Rechtsgrundlage der von der Beklagten mit Schreiben vom 4.6.2009 geltend gemachten und durch die Überweisung von nur 1327,33
Euro am 19.6.2009 realisierten Aufrechnung ist ein öffentlich-rechtlicher Erstattungsanspruch (BSGE 93, 137 = SozR 4-2500 § 137c Nr 2, RdNr 9 f; BSGE 69, 158, 160 = SozR 3-1300 § 113 Nr 1). Dadurch ist der Vergütungsanspruch der Klägerin über 1750,46 Euro in Höhe eines Teilbetrages
von 423,13 Euro durch Aufrechnung gemäß §
69 S 2 und 3
SGB V (idF des FPG) iVm §§
387,
389 BGB erloschen.
Der im öffentlichen Recht auch ohne ausdrückliche Normierung seit langem anerkannte öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch
(vgl nur BSGE 16, 151, 156 = SozR Nr 1 zu § 28 BVG mwN zur älteren Rspr und Literatur), der aus allgemeinen Grundsätzen des Verwaltungsrechts, insbesondere aus dem Prinzip
der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung hergeleitet wird (BSGE 102, 10 = SozR 4-2500 § 264 Nr 2, RdNr 27), setzt voraus, dass im Rahmen eines öffentlichen Rechtsverhältnisses Leistungen ohne rechtlichen
Grund erbracht oder sonstige rechtsgrundlose Vermögensverschiebungen vorgenommen worden sind (BSGE 16, 151, 156 = SozR Nr 1 zu § 28 BVG; BSGE 69, 158, 160 = SozR 3-1300 § 113 Nr 1; BSGE 93, 137 = SozR 4-2500 § 137c Nr 2, RdNr 8; BSG SozR 4-2500 § 264 Nr 3 RdNr 15). Seine Anspruchsvoraussetzungen und Rechtsfolgen entsprechen zwar, soweit sie nicht spezialgesetzlich geregelt
sind, denen des zivilrechtlichen Bereicherungsanspruchs nach den §§
812 ff
BGB (vgl BSGE 102, 10 = SozR 4-2500 §
264 Nr 2, RdNr 27 mwN zu Rspr des BVerwG). Es scheidet aber ein Rückgriff auf die zivilrechtlichen Normen aus, soweit der vom
öffentlichen Recht selbstständig entwickelte Erstattungsanspruch reicht (vgl BSGE 38, 46, 47 = SozR 2200 § 1409 Nr 1). Dies gilt namentlich für die Nichtanwendbarkeit der bereicherungsrechtlichen Vorschriften,
denen öffentlich-rechtliche Wertungszusammenhänge entgegenstehen (vgl zB zur Nichtanwendbarkeit des §
818 Abs
3 BGB bei der Rückforderung von Berufsausbildungsbeihilfe wegen des Vorrangs von § 152 Abs 3 AFG aF BSGE 45, 38, 47 = SozR 4100 § 40 Nr 17 S 54, mwN; vgl auch BVerwGE 71, 85, 88; 112, 351, 353 f).
4. Die Beklagte hat die auf 3434,51 Euro und 1557,01 Euro bezifferten Kostenrechnungen der Klägerin vom 17.7. und 23.7.2008
für die beiden stationären Aufenthalte der Versicherten R. in Höhe eines Teilbetrages von 423,13 Euro ohne Rechtsgrund beglichen.
Die Klägerin hätte nach § 8 Abs 5 KHEntgG iVm § 2 Abs 3 FPV 2008 beide Behandlungsfälle zu einem Fall mit einer Gesamtvergütung
von 4568,39 Euro zusammenfassen müssen; daraus ergibt sich die Überzahlung von 423,13 Euro.
a) § 8 Abs 5 KHEntgG (idF des 2. Fallpauschalenänderungsgesetzes) lautet seit dem 21.12.2004: "Werden Patientinnen oder Patienten,
für die eine Fallpauschale abrechenbar ist, wegen einer Komplikation im Zusammenhang mit der durchgeführten Leistung innerhalb
der oberen Grenzverweildauer wieder aufgenommen, hat das Krankenhaus eine Zusammenfassung der Falldaten zu einem Fall und
eine Neueinstufung in eine Fallpauschale vorzunehmen. Näheres oder Abweichendes regeln die Vertragsparteien nach § 17b Abs 2 Satz 1 KHG oder eine Rechtsverordnung nach § 17b Abs 7 KHG." Diese Fassung der Vorschrift ist auf die Abrechnungen der im Juli 2008 erfolgten beiden Krankenhausaufenthalte der Versicherten
R. anzuwenden. Aufgrund der Ermächtigung in § 8 Abs 5 S 2 KHEntgG haben die damaligen Spitzenverbände der Krankenkassen, der
Verband der Privaten Krankenversicherung und die Deutsche Krankenhausgesellschaft als Selbstverwaltungspartner nach § 17b Abs 2 KHG am 21.9.2007 die zum 1.1.2008 in Kraft getretene FPV 2008 vereinbart, um eine verbesserte Handhabung der Regelungen zur Fallzusammenführung
bei Wiederaufnahme wegen Komplikationen zu erreichen.
§ 2 Abs 3 FPV 2008 lautet: "Werden Patienten oder Patientinnen, für die eine Fallpauschale abrechenbar ist, wegen einer in
den Verantwortungsbereich des Krankenhauses fallenden Komplikation im Zusammenhang mit der durchgeführten Leistung innerhalb
der oberen Grenzverweildauer, bemessen nach der Zahl der Kalendertage ab dem Aufnahmedatum des ersten unter diese Vorschrift
zur Zusammenfassung fallenden Aufenthalts, wieder aufgenommen, hat das Krankenhaus eine Zusammenfassung der Falldaten zu einem
Fall und eine Neueinstufung in eine Fallpauschale vorzunehmen. Eine Zusammenfassung und Neueinstufung wird nicht vorgenommen
bei unvermeidbaren Nebenwirkungen von Chemotherapien und Strahlentherapien im Rahmen onkologischer Behandlungen. Die Absätze
1 und 2 gehen den Vorgaben nach den Sätzen 1 und 2 vor. Die Sätze 1 und 2 ergänzen die Vorgaben nach § 8 Abs. 5 des Krankenhausentgeltgesetzes."
b) Zur Auslegung dieser Vorschriften ist die historische Entwicklung des Rechts zur Fallzusammenführung bedeutsam.
aa) Vor der Einführung des DRG-Systems sah bereits die
Bundespflegesatzverordnung eine solche Regelung vor. Bis zum 31.12.2003 galt nach §
14 Abs
2 S 5
BPflV ein Sanktionsmechanismus, wonach tagesgleiche Pflegesätze für die Kalendertage innerhalb der Grenzverweildauer der Fallpauschale
(§
11 BPflV) nicht berechnet werden durften, sofern ein Fallpauschalenpatient wegen Komplikationen in dasselbe Krankenhaus wieder aufgenommen
wurde. Hintergrund dieser Regelung war nach der Gesetzesbegründung (BR-Drucks 381/94, S 35), dass insbesondere bei Fallpauschalenpatienten,
die nach sehr kurzer Verweildauer entlassen werden, zusätzlich tagesgleiche Pflegesätze abgerechnet wurden, wenn die bereits
mit der Fallpauschale bezahlte Verweildauer noch nicht abgelaufen ist. Dies sollte nach Möglichkeit verhindert werden.
bb) Für das DRG-System hat der Gesetzgeber die Fallzusammenführung wegen Komplikationen in § 8 Abs 5 KHEntgG geregelt. In
seiner Ursprungsfassung sah der Satz 1 dieser Vorschrift vor: "Wird ein Patient wegen Komplikationen wieder in dasselbe Krankenhaus
aufgenommen, für den zuvor eine Fallpauschale berechnet wurde, darf für die Kalendertage innerhalb der Grenzverweildauer dieser
Fallpauschale die Fallpauschale nicht erneut berechnet werden." Die Fassung durch das Fallpauschalenänderungsgesetz vom 17.7.2003
(BGBl I 1461), in Kraft ab 22.7.2003, lautete: "Wird ein Patient, für den zuvor eine Fallpauschale berechnet wurde, im Zeitraum
von der Entlassung bis zur Grenzverweildauer der abgerechneten Fallpauschale wegen einer Komplikation im Zusammenhang mit
der durchgeführten Leistung wieder in dasselbe Krankenhaus aufgenommen, darf eine Fallpauschale nicht erneut berechnet werden."
Seit dem 21.12.2004 gilt die bereits zitierte Fassung des 2. Fallpauschalenänderungsgesetzes. Dabei ist der Begriff der Komplikation
stets unverändert geblieben. Er umfasst negative Folgen einer medizinischen Behandlung wie zB Nachblutungen, Hämatome, Thrombosen,
Infektionen und auch deren unerwünschte Nebenwirkungen (van der Ploeg, NZS 2011, 808, 809).
c) Mit der Umstellung auf das DRG-System wurde also zunächst vorgesehen, dass für die Kalendertage innerhalb der Grenzverweildauer
einer abgerechneten Fallpauschale diese Fallpauschale nicht erneut berechnet werden durfte, sofern ein Patient wegen Komplikationen
wieder in dasselbe Krankenhaus aufgenommen wurde. Bei Anwendung dieser Regelung ist es im Jahr 2003 zu erheblichen Problemen
gekommen, da die Norm von Krankenhaus- und Kostenträgerseite unterschiedlich ausgelegt wurde. Zum 22.7.2003 wurde die Vorschrift
insoweit geändert, als nunmehr ausdrücklich nur auf "Komplikationen im Zusammenhang mit der durchgeführten Leistung" abgestellt
wurde, um den Anwendungsbereich der Regelung zur Fallzusammenführung einzugrenzen. Dies wurde durch die zum 21.12.2004 in
Kraft getretene neue Fassung der Vorschrift bekräftigt. Dennoch bestanden in der Folgezeit zwischen den Leistungserbringern
und der Kostenträgerseite weiterhin erhebliche Auslegungsunterschiede. Diese Differenzen sollten über den Weg der vertraglichen
Abweichungsmöglichkeit nach § 8 Abs 5 S 2 KHEntgG endgültig durch die FPV für das Jahr 2008 beseitigt werden, indem in § 2
Abs 3 FPV 2008 nicht mehr nur, wie bis dahin, auf "Komplikationen im Zusammenhang mit der durchgeführten Leistung" abgestellt
wurde, sondern zusätzlich gefordert wurde, dass die zur Wiederaufnahme führende Komplikation "in den Verantwortungsbereich
des Krankenhauses" fallen muss.
d) Daraus ergeben sich folgende Konsequenzen: In den Verantwortungsbereich des Krankenhauses fallen unstreitig alle Komplikationen,
die auf irgendwie geartete Fehler und Mängel bei der ärztlichen Behandlung oder bei der Pflege im Krankenhaus zurückzuführen
sind. Nicht in den Verantwortungsbereich des Krankenhauses fallen unstreitig alle Komplikationen, die zwar auch im Zusammenhang
mit der durchgeführten Leistung des Krankenhauses stehen, aber maßgeblich erst durch ein hinzukommendes weisungswidriges oder
sonstwie unvernünftiges Verhalten des Versicherten nach seiner Entlassung aus dem Krankenhaus, durch ein Behandlungsverhalten
des ambulant weiterbehandelnden Arztes, zB des Hausarztes, oder durch ein sonstiges, nicht vom Krankenhaus zu beeinflussendes
Ereignis wie zB einen Verkehrsunfall hervorgerufen worden sind. Streitig geblieben ist trotz der Neufassung der FPV zum 1.1.2008,
ob all jene Komplikationen, die bei bestimmten Krankheiten bzw Eingriffen typischerweise oder auch nur in Ausnahmefällen auftreten
und nicht (bzw nicht beweisbar) auf ein irgendwie geartetes fehlerhaftes Verhalten der Krankenhausärzte oder des Pflegepersonals
zurückzuführen sind, also unvermeidbar erscheinen und einem schicksalhaften Verlauf entsprechen, in den Verantwortungsbereich
des Krankenhauses fallen - so die Ansicht der Krankenkassen - oder dem Verantwortungsbereich der Kostenpflichtigen, also der
Krankenkassen und der Versicherten zuzurechnen sind - so die Auffassung der Krankenhausträger. Diese Streitfrage ist zugunsten
der Krankenkassen und der Versicherten zu entscheiden, weil sowohl nach dem Wortlaut als auch nach Sinn und Zweck der Vergütungsregelungen
für stationäre Behandlungen diese unvermeidbaren Komplikationen in den Verantwortungsbereich des Krankenhauses fallen, sofern
sie vor Ablauf der oberen Grenzverweildauer zur Wiederaufnahme des Versicherten führen.
5. a) Vergütungsregelungen sind grundsätzlich streng nach ihrem Wortlaut auszulegen; nur so sind sie für die routinemäßige
Anwendung in zahlreichen Behandlungsfällen handhabbar (vgl allgemein zur Funktion von Vergütungsregelungen: BSG SozR 3-5565 § 14 Nr 2; BSG SozR 3-5565 § 15 Nr 1; BSG SozR 4-2500 § 109 Nr 11, RdNr 18). Da das DRG-basierte Vergütungssystem vom Gesetzgeber als jährlich weiterzuentwickelndes (§ 17b Abs 2 S 1 KHG) und damit "lernendes" System angelegt ist, sind bei zutage tretenden Unrichtigkeiten, Unbilligkeiten oder Fehlsteuerungen
in erster Linie die Vertragsparteien berufen, diese Mängel mit Wirkung für die Zukunft zu beseitigen (BSGE 107, 140 = SozR 4-2500 § 109 Nr 21, RdNr 18 mwN). Der Begriff "Verantwortungsbereich" knüpft an die Begriffe "Verantwortung" und "verantworten"
an. Im hier maßgeblichen Zusammenhang der rechtlichen (also nicht der politischen, moralischen, sozialen oder religiösen)
Verantwortung bedeutet der Begriff die (gesetzliche oder vertragliche) Verpflichtung, für "etwas Geschehenes" einzustehen
(vgl Duden, Deutsches Universal-Wörterbuch, 5. Aufl 2003, Stichworte "Verantwortung" und "verantworten"), und zwar unabhängig
davon, ob das "Geschehene" auf einem vorwerfbaren Verhalten des Verantwortungsträgers beruht oder für ihn unvermeidbar ist.
Beide Alternativen fallen in die "Risikosphäre" des Verantwortungsträgers und damit in seinen Verantwortungsbereich (ebenso
van der Ploeg, NZS 2011, 808, 809). Die von der Klägerin vertretene Rechtsauffassung liefe dagegen auf eine Gleichsetzung der Begriffe Verantwortung und
Schuld hinaus. Dies kann nicht gemeint sein, weil das Vorliegen von Schuld voraussetzt, dass der Verantwortungsträger oder
die für ihn handelnde Person vorsätzlich oder fahrlässig gegen Rechtsnormen, vertragliche Verpflichtungen oder - hier von
besonderem Interesse - gegen medizinische oder pflegerische Standards bzw Leitlinien verstoßen hat. Darum geht es vorliegend
aber nicht, sondern vielmehr um die Frage, ob jemanden die Verantwortung für eine negative Folge auch dann treffen kann, wenn
zwar korrekt gehandelt worden ist, daraus aber gleichwohl eine negative Folge erwachsen ist. Deshalb schließt sich der Senat
der Rechtsauffassung der Beklagten an.
b) Bestätigt wird diese am Wortlaut orientierte Auslegung des § 2 Abs 3 FPV 2008 durch den Sinn und Zweck der Regelung. Ziel
der Fallzusammenführung ist es, im Hinblick auf mögliche Komplikationen zu frühe Entlassungen der Patienten zu vermeiden,
zumindest keinen finanziellen Anreiz in diese Richtung zu geben. Da mit der Fallpauschale die Behandlung eines Patienten bis
zur festgelegten oberen Grenzverweildauer vergütet wird, muss das Krankenhaus auch bei der Wiederaufnahme eines Patienten
wegen einer Komplikation in diesem Zeitraum seine Leistungen grundsätzlich ohne Abrechnung eines zweiten Behandlungsfalls
erbringen, kann dann aber die Gesamtleistung durch die Fallzusammenführung regelmäßig nach einer anderen, höher vergüteten
DRG abrechnen. Das Krankenhaus trägt somit das Risiko von innerhalb der oberen Grenzverweildauer auftretenden Komplikationen
(vgl die Begründung zu § 8 Abs 5 S 1 KHEntgG, BT-Drucks 15/994, S 22), soweit sie nicht auf das Verhalten des Versicherten
oder Dritter zurückzuführen sind. Stellt sich folglich ein konkreter stationärer Behandlungsbedarf als spezifische Folge einer
Erkrankung bzw deren Behandlung dar, auf die sich der Behandlungsauftrag des Krankenhauses bereits während des vorangegangenen
Krankenhausaufenthalts erstreckt hat, und erfolgt wegen dieser Komplikation noch innerhalb der oberen Grenzverweildauer die
Wiederaufnahme des Versicherten, so bleibt das Krankenhaus aufgrund desselben Behandlungsauftrags auch für die weitere Krankenhausbehandlung
verantwortlich und hat Anspruch auf eine einheitliche Vergütung. Wenn die nach Beginn der Behandlung eingetretenen Komplikationen
bis zum Ablauf der oberen Grenzverweildauer auftreten und Krankenhausbehandlungsbedürftigkeit begründen, kann es keinen Unterschied
machen, ob der Patient sich ununterbrochen in der Klinik aufgehalten hat oder ob das Krankenhaus ihn zwischenzeitlich entlassen
hatte. Denn mit dem Eintritt der Komplikation verwirklicht sich gerade das spezifische Gesundheitsrisiko des Behandlungsfalles,
das zu bekämpfen das Krankenhaus gegen Zahlung der Fallpauschale beauftragt worden ist.
Trifft dies schon auf Fälle unvorhersehbarer, atypischer Komplikationen zu, so muss es für absehbare, behandlungstypische
Nebenwirkungen erst recht gelten. Nur wenn die erneute Einweisung in dasselbe Krankenhaus auf Umständen beruht, die mit der
früheren Behandlung in keinerlei Zusammenhang im Sinne direkter oder gemeinsamer Ursächlichkeit stehen, handelt es sich um
einen neuen Behandlungsfall, der zur Abrechnung einer weiteren Fallpauschale berechtigt.
c) Das Krankenhaus wird durch die Anwendung dieser Regelung nicht ungerechtfertigt aus Gründen benachteiligt, die außerhalb
seiner Verantwortung liegen. Die Verantwortung des Krankenhauses wird durch den Auftrag zur Behandlung der Erkrankung bestimmt,
welche die Veranlassung für den (ersten) Krankenhausaufenthalt gegeben oder auf die sich die Behandlung sonst erstreckt hat.
Auf ein Verschulden hinsichtlich der erneuten Behandlungsbedürftigkeit kommt es dabei nicht an. Ungerechtfertigt wäre es vielmehr,
einen zusammenhängenden Krankheits- und Behandlungsfall innerhalb der oberen Grenzverweildauer in zwei Behandlungsfälle aufzuspalten
und dem Krankenhaus so einen Anreiz zu bieten, durch die - mehr oder weniger zufällige oder sogar willkürliche - zwischenzeitliche
Entlassung des Patienten eine weitere Fallpauschale geltend zu machen, obwohl der ursprüngliche Behandlungsfall im Ganzen
betrachtet noch nicht abgeschlossen war.
d) Die grundsätzliche Zuordnung der unvermeidbaren Komplikationen zum Verantwortungsbereich der Krankenhäuser wird bestätigt
durch die ebenfalls zum 1.1.2008 in die FPV aufgenommene Regelung des § 2 Abs 3 S 2, wonach eine Fallzusammenführung und Neueinstufung
nicht vorgenommen wird bei unvermeidbaren Nebenwirkungen von Chemotherapien und Strahlentherapien im Rahmen onkologischer
Behandlungen. Diese Zusatzregelung wäre überflüssig, wenn unvermeidbare Komplikationen, zu denen nach den Internationalen
Klassifikationen der Krankheiten (ICD 10, vgl dort Nr Y 57.9) auch typische Nebenwirkungen von Arzneimitteltherapien und deren
Folgen gehören können (van der Ploeg, NZS 2011, 808), ohnehin nicht in den Verantwortungsbereich des Krankenhauses fallen würden.
7. Die Streitwertfestsetzung richtet sich nach §
197a Abs
1 S 1
SGG iVm §
63 Abs
2, § 52 Abs 3 und § 47 Abs 1 S 1, Abs 2 S 1 GKG.