Vergütung stationärer Krankenhausleistungen durch die gesetzliche Krankenversicherung; Zulässigkeit einer Fallzusammenführung
nach Wiederaufnahme des Versicherten
Gründe:
I
Streitig ist ein Anspruch der klagenden Krankenkasse gegen die beklagte Gesellschaft als Trägerin des Kreiskrankenhauses G.
auf Erstattung von Behandlungskosten in Höhe eines Teilbetrages von 388,79 Euro, den die Klägerin aus einer ihrer Ansicht
nach gebotenen Fallzusammenführung nach § 8 Abs 5 S 1 Krankenhausentgeltgesetz (KHEntgG) ableitet.
In dem Krankenhaus wurde der bei der Klägerin versicherte Patient S. wegen eines linksseitigen Leistenbruchs zunächst vom
23. bis zum 24.12.2009 und sodann vom 28.12.2009 bis zum 5.1.2010 vollstationär behandelt. Für die erste Behandlung mit der
Hauptdiagnose gemäß ICD K 40.90 (Hernia inguinalis, einseitig oder ohne Seitenangabe, ohne Einklemmung und ohne Gangrän, nicht
als Rezidivhernie bezeichnet) setzte die Beklagte nach dem auf Diagnosis Related Groups (DRGs; diagnosebezogene Fallgruppen)
basierenden Fallpauschalen-Katalog der G-DRG-Version 2009 die DRG G 24 Z (Eingriffe bei Bauchwandhernien, Nabelhernien und
anderen Hernien, Alter > 0 Jahre oder beidseitige Eingriffe bei Leisten- und Schenkelhernien, Alter > 0 Jahre und < 56 Jahre
oder Eingriffe bei Leisten- und Schenkelhernien, Alter > 55 Jahre) mit einer Vergütung von 1528,96 Euro an (Rechnung vom 29.12.2009).
Die wegen eines Hämatoms notwendig gewordene zweite Behandlung mit der Hauptdiagnose gemäß ICD T 81.0 (Blutung und Hämatom
als Komplikation eines Eingriffs, anderenorts nicht klassifiziert) wurde auf der Basis der DRG X 62 Z (Vergiftungen/toxische
Wirkungen von Drogen, Medikamenten und anderen Substanzen oder Folgen einer medizinischen Behandlung) mit 1727,95 Euro berechnet
(Rechnung vom 6.1.2010). Die Klägerin beglich zunächst beide Rechnungen nach Abzug der vom Versicherten zu leistenden Zuzahlungen
von 10 Euro pro Tag des Aufenthalts gemäß §
39 Abs
4 iVm §
61 S 2
SGB V (20 bzw 90 Euro) in Höhe von 1508,96 Euro und 1637,95 Euro, vertrat aber nach Einholung einer Stellungnahme des Medizinischen
Dienstes der Krankenversicherung (MDK) vom 22.2.2010 die Auffassung, nach § 2 Abs 3 der Fallpauschalenvereinbarung für das
Jahr 2009 (FPV 2009) müssten beide Behandlungsfälle zu einem Fall zusammengeführt werden, weil die Zweitbehandlung der Beseitigung
einer auf die Erstbehandlung zurückzuführenden typischen Komplikation gedient habe und die Wiederaufnahme noch innerhalb der
oberen Grenzverweildauer (8 Tage) der DRG G 24 Z erfolgt sei. Bei der Fallzusammenführung hätte dem Krankenhaus nach der Hauptdiagnose
ICD K 40.90 und der Nebendiagnose ICD T 81.0 auf der Basis der DRG G 24 Z eine Gesamtvergütung von 2758,12 Euro zugestanden.
Daraus ergebe sich eine Überzahlung von 388,79 Euro (1508,96 + 1637,95 = 3146,91 Euro, abzüglich berechtigter 2758,12 Euro
= 388,79 Euro), die einen öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch auslöse.
Im Klageverfahren hat die Klägerin den Erstattungsanspruch anfangs irrtümlich auf 1848,78 Euro beziffert (Klageschrift vom
14.10.2010), ihn dann aber auf 388,79 Euro reduziert (Schriftsatz vom 27.12.2010). Die Beklagte tritt dem Erstattungsbegehren
entgegen: Eine Fallzusammenführung sei nach der zum 1.1.2008 vereinbarten Änderung der entsprechenden Regelung (vgl § 2 Abs
3 FPV 2009, ebenso schon § 2 Abs 3 FPV 2008) nur noch möglich, wenn die Wiederaufnahme eines Patienten auf einer Komplikation
beruhe, die in den Verantwortungsbereich des Krankenhauses falle. Dies scheide bei Komplikationen aus, die sich erst nach
abgeschlossener Erstbehandlung des Patienten und dessen Entlassung aus dem Krankenhaus gezeigt hätten und auf einem unvermeidbaren,
schicksalhaften Verlauf beruhten. Nur bei Komplikationen, die auf Fehlern bei der ärztlichen Behandlung oder Pflege im Krankenhaus
basierten und deshalb für das Krankenhaus vermeidbar seien, komme eine Fallzusammenführung in Betracht. Demgegenüber meint
die Klägerin, eine Fallzusammenführung scheide nur aus, wenn die Komplikation auf einem unvernünftigen Verhalten ("mangelnde
Compliance") des Patienten oder einer Behandlung durch einen anderen Arzt, zB den Hausarzt, beruhe. Zeige sich dagegen - wie
hier - noch vor Ablauf der oberen Grenzverweildauer eine Komplikation, die typischerweise bei einer bestimmten Krankheit oder
einem konkreten Eingriff auftrete und praktisch unvermeidbar sei, falle die Komplikation in den Verantwortungsbereich des
Krankenhauses.
Das SG hat die Zahlungsklage abgewiesen (Urteil vom 16.8.2011). Es ist der Rechtsauffassung der Beklagten gefolgt und hat die Fallzusammenführung
abgelehnt, weil nach dem von ihm eingeholten medizinischen Gutachten des Sachverständigen Dr. K. vom 6.4.2011 die Ursache
für die zu dem ausgeprägten Hämatom führende Nachblutung nicht feststellbar und deshalb eine fehlerhafte Durchführung des
Eingriffs vom 23.12.2009 nicht nachzuweisen sei. Daher sei von einem schicksalshaften Verlauf auszugehen, sodass die zur Wiederaufnahme
in das Krankenhaus zwingende Komplikation nicht in den Verantwortungsbereich des Krankenhauses falle. Die für den Fall der
Abweisung der Zahlungsklage erhobene Widerklage auf Zahlung der Aufwandspauschale von 300 Euro nach §
275 Abs
1c S 3
SGB V sei begründet, weil der Prüfauftrag der Klägerin an den MDK nicht zu einer Minderung des Abrechnungsbetrages geführt habe.
Mit der vom SG zugelassenen Sprungrevision rügt die Klägerin die Verletzung materiellen Rechts (§
8 Abs
5 KHEntgG iVm §
2 Abs
3 FPV 2009, §
275 Abs
1c SGB V). Sie hält die Fallzusammenführung nach wie vor für rechtmäßig und beantragt,
das Urteil des SG Köln vom 16.8.2011 zu ändern und die Beklagte unter Abweisung der Widerklage zu verurteilen, an sie 388,79
Euro nebst Zinsen in Höhe von zwei Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 15.10.2010 zu zahlen.
Die Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil, hält die Revision bezüglich der Widerklage bereits für unzulässig und beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
II
Die Sprungrevision der Klägerin ist zulässig und begründet. Das SG hat den geltend gemachten Erstattungsanspruch der Klägerin zu Unrecht als unbegründet erachtet. Der Klägerin steht ein Erstattungsanspruch
über 388,79 Euro zu, weil die Beklagte zu einer Fallzusammenführung nach § 8 Abs 5 KHEntgG iVm § 2 Abs 3 FPV 2009 verpflichtet
gewesen wäre, die zu einer Gesamtvergütung für beide Krankenhausbehandlungen von nur 2758,12 Euro geführt hätte. Die Widerklage
der Beklagten war abzuweisen.
1. Die Sprungrevision ist zulässig (§
161 SGG). Die Klägerin hat die vom SG in dem Urteil vom 16.8.2011 zugelassene Sprungrevision am 17.10.2011 eingelegt. Damit hat sie die einmonatige Frist zur Revisionseinlegung
(§
164 Abs
1 SGG) gewahrt, weil ihr das Urteil des SG am 22.9.2011 zugestellt worden war. Die von der Klägerin gewählte Revisionseinlegung durch Telefax wahrt die Schriftform
(§
164 Abs
1 SGG), weil die auf dem Original-Schriftsatz vom 13.10.2011 enthaltene Unterschrift einer dazu befugten Mitarbeiterin mit Befähigung
zum Richteramt (§
73 Abs
4 SGG) durch das Telefax wiedergegeben wird (Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
SGG, 10. Aufl 2012, §
151 RdNr 3a - 3d mwN). Dass der Original-Schriftsatz nicht per Post nachgesandt worden ist, ist unerheblich, weil die Übermittlung
per Telefax ausreicht (Leitherer, aaO, § 151 RdNr 3d am Ende). Die erforderliche Zustimmung der Beklagten zur Einlegung der
Sprungrevision (§
161 Abs
1 S 3
SGG) liegt vor, weil dem Telefax der Klägerin die Zustimmungserklärung vom 14.10.2011 beigefügt war. Dabei reicht es aus, dass
die Zustimmungserklärung der Beklagten mittels eines die Unterschrift ihres Prozessbevollmächtigten wiedergebenden Telefaxes
an die Klägerin übermittelt und dieses Telefax ebenfalls in Form eines - von der Klägerin veranlassten - Telefaxes dem BSG zugeleitet worden ist (Leitherer, aaO, § 161 RdNr 4a mwN; BSG SozR 3-1500 § 161 Nr 13).
2. Die Sprungrevision der Klägerin erfasst nicht nur ihr Klagebegehren, also den Erstattungsanspruch, sondern auch die Widerklage.
Schon durch den Antrag im Revisionsschriftsatz vom 13.10.2011 auf vollständige Aufhebung des SG-Urteils wird auch der Ausspruch erfasst, die Klägerin werde auf die Widerklage hin verurteilt, an die Beklagte 300 Euro nebst
Zinsen in Höhe von 8 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen. Der zusätzliche Antrag, die Widerklage
abzuweisen, stellt sich insoweit nur als Klarstellung des von vornherein mit der Revision beabsichtigten Überprüfungsbegehrens
dar. Der Einwand der Beklagten, das Revisionsbegehren der Klägerin sei durch die Nichterwähnung der Widerklage in der Fassung
des Antrages vom 13.10.2011 auf das Klagebegehren beschränkt und die "Erweiterung" des Revisionsbegehrens auf die Abweisung
der Widerklage in der Revisionsbegründung vom 20.10.2011 damit unzulässig, ist schon von daher unbegründet.
Selbst wenn aber in dem Schriftsatz der Klägerin vom 13.10.2011 eine nur beschränkte Einlegung der Revision gesehen werden
könnte, ist zu berücksichtigen, dass die Revisionsbegründung vom 20.10.2011 noch innerhalb der am 22.9.2011 beginnenden und
am 24.10.2011 (Montag) ablaufenden einmonatigen Revisionseinlegungsfrist beim BSG eingegangen ist, nämlich am 24.10.2011. Es wäre dann von einer noch fristgerecht erfolgten Erweiterung der Revision auszugehen.
3. Die auch im Revisionsverfahren von Amts wegen zu beachtenden Sachurteilsvoraussetzungen sind erfüllt. Eines Vorverfahrens
iS von §
78 SGG bedurfte es nicht, weil die Klage zu Recht als allgemeine Leistungsklage (§
54 Abs
5 SGG) erhoben worden ist. Da sich der Krankenhausträger und die Krankenkasse bei der Frage, wie die stationäre Behandlung eines
gesetzlich gegen Krankheit Versicherten zu vergüten ist, im Gleichordnungsverhältnis gegenüberstehen, kommt eine Regelung
durch Verwaltungsakt nicht in Betracht. Es war auch keine Klagefrist zu beachten (stRspr, vgl zB BSGE 90, 1 f = SozR 3-2500 § 112 Nr 3; BSGE 100, 164 = SozR 4-2500 § 39 Nr 12, RdNr 10; BSGE 102, 172 = SozR 4-2500 § 109 Nr 13, RdNr 9; BSGE 104, 15 = SozR 4-2500 § 109 Nr 17, RdNr 12).
4. Rechtsgrundlage des von der Beklagten abgerechneten und von der Klägerin durch Zahlung erfüllten Vergütungsanspruchs aus
der Ende 2009/Anfang 2010 erfolgten stationären Behandlung des Versicherten S. ist §
109 Abs
4 S 3
SGB V (idF des Fallpauschalengesetzes [FPG] vom 23.4.2002, BGBl I, 1412) iVm § 7 S 1 Nr 1 und § 9 Abs 1 S 1 Nr 1 KHEntgG (jeweils
idF des 2. Fallpauschalenänderungsgesetzes vom 15.12.2004, BGBl I 3429) sowie § 17b KHG (idF der 9. Zuständigkeitsanpassungsverordnung vom 31.10.2006, BGBl I 2407) iVm der Anlage 1 Teil a) des Fallpauschalen-Katalogs
der G-DRG-Version 2009 sowie der zwischen der Krankenhausgesellschaft Nordrhein-Westfalen eV und den Krankenkassen bzw ihren
Verbänden geschlossene Vertrag nach §
112 Abs
2 Nr
1 SGB V über die Allgemeinen Bedingungen der Krankenhausbehandlung (KBV-NRW) vom 6.12.1996 sowie die Pflegesatzvereinbarung der Beteiligten
für das Jahr 2009. Obgleich der Versicherte erst am 5.1.2010 wieder aus dem Krankenhaus entlassen worden ist, richtet sich
der Vergütungsanspruch noch nach dem Fallpauschalen-Katalog der G-DRG-Version 2009, weil gemäß § 1 Abs 1 S 1 FPV 2009 die
Fallpauschalen nach dem am Tag der voll- oder teilstationären Aufnahme geltenden Fallpauschalen-Katalog und den dazu gehörenden
Abrechnungsregeln abzurechnen sind. Hier fand die Erstaufnahme am 23.12.2009 und die Wiederaufnahme am 28.12.2009 statt. Die
Frage der Fallzusammenführung richtet sich nach § 8 Abs 5 KHEntgG iVm § 2 Abs 3 FPV 2009.
Nach §
109 Abs
4 S 3
SGB V entsteht die Zahlungsverpflichtung einer Krankenkasse unabhängig von einer Kostenzusage unmittelbar mit der Inanspruchnahme
der Leistung durch den Versicherten, wenn die Versorgung in einem zugelassenen Krankenhaus (§
108 SGB V) durchgeführt wird und iS des §
39 Abs
1 S 2
SGB V erforderlich ist. Der Behandlungspflicht zugelassener Krankenhäuser (§
109 Abs
4 S 2
SGB V) steht ein Vergütungsanspruch gegenüber, der auf der Grundlage der gesetzlichen Ermächtigung in den §§ 16, 17 KHG in der Pflegesatzvereinbarung zwischen Krankenhausträger und Krankenkasse festgelegt wird (BSGE 86, 166, 168 = SozR 3-2500 § 112 Nr 1; BSGE 90, 1, 2 = SozR 3-2500 § 112 Nr 3). Hiernach hat die Beklagte für die beiden Behandlungen des Versicherten S. Vergütungen in Höhe
von 1508,96 Euro und 1637,95 Euro berechnet, hätte dafür aber nur einen Behandlungsfall mit einer Gesamtvergütung von 2758,12
Euro in Ansatz bringen dürfen.
5. Rechtsgrundlage der von der Klägerin mit Schreiben vom 23.2.2010 geltend gemachten Forderung auf Rückzahlung des überzahlten
Betrages von 388,79 Euro ist ein öffentlich-rechtlicher Erstattungsanspruch (BSGE 93, 137 = SozR 4-2500 § 137c Nr 2, RdNr 9 f; BSGE 69, 158, 160 = SozR 3-1300 § 113 Nr 1).
Der im öffentlichen Recht auch ohne ausdrückliche Normierung seit langem anerkannte öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch
(vgl nur BSGE 16, 151, 156 = SozR Nr 1 zu § 28 BVG mwN zur älteren Rspr und Literatur), der aus allgemeinen Grundsätzen des Verwaltungsrechts, insbesondere aus dem Prinzip
der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung hergeleitet wird (BSGE 102, 10 = SozR 4-2500 § 264 Nr 2, RdNr 27), setzt voraus, dass im Rahmen eines öffentlichen Rechtsverhältnisses Leistungen ohne rechtlichen
Grund erbracht oder sonstige rechtsgrundlose Vermögensverschiebungen vorgenommen worden sind (BSGE 16, 151, 156 = SozR Nr 1 zu § 28 BVG; BSGE 69, 158, 160 = SozR 3-1300 § 113 Nr 1; BSGE 93, 137 = SozR 4-2500 § 137c Nr 2, RdNr 8; BSG SozR 4-2500 § 264 Nr 3 RdNr 15). Seine Anspruchsvoraussetzungen und Rechtsfolgen entsprechen zwar, soweit sie nicht spezialgesetzlich geregelt
sind, denen des zivilrechtlichen Bereicherungsanspruchs nach den §§
812 ff
BGB (vgl BSGE 102, 10 = SozR 4-2500 §
264 Nr 2, RdNr 27 mwN zu Rspr des BVerwG). Es scheidet aber ein Rückgriff auf die zivilrechtlichen Normen aus, soweit der vom
öffentlichen Recht selbstständig entwickelte Erstattungsanspruch reicht (vgl BSGE 38, 46, 47 = SozR 2200 § 1409 Nr 1). Dies gilt namentlich für die Nichtanwendbarkeit der bereicherungsrechtlichen Vorschriften,
denen öffentlich-rechtliche Wertungszusammenhänge entgegenstehen (vgl zB zur Nichtanwendbarkeit des §
818 Abs
3 BGB bei der Rückforderung von Berufsausbildungsbeihilfe wegen des Vorrangs von § 152 Abs 3 AFG aF BSGE 45, 38, 47 = SozR 4100 § 40 Nr 17 S 54, mwN; vgl auch BVerwGE 71, 85, 88; 112, 351, 353 f).
6. Die Klägerin hat die Kostenrechnungen der Beklagten vom 29.12.2009 und 6.1.2010 für die beiden stationären Aufenthalte
des Versicherten S. in Höhe eines Teilbetrages von 388,79 Euro ohne Rechtsgrund beglichen. Die Beklagte hätte nach § 8 Abs
5 KHEntgG iVm § 2 Abs 3 FPV 2009 beide Behandlungsfälle zu einem Fall mit einer Gesamtvergütung von 2758,12 Euro zusammenfassen
müssen; daraus ergibt sich die Überzahlung von 388,79 Euro.
a) § 8 Abs 5 KHEntgG (idF des 2. Fallpauschalenänderungsgesetzes) lautet seit dem 21.12.2004: "Werden Patientinnen oder Patienten,
für die eine Fallpauschale abrechenbar ist, wegen einer Komplikation im Zusammenhang mit der durchgeführten Leistung innerhalb
der oberen Grenzverweildauer wieder aufgenommen, hat das Krankenhaus eine Zusammenfassung der Falldaten zu einem Fall und
eine Neueinstufung in eine Fallpauschale vorzunehmen. Näheres oder Abweichendes regeln die Vertragsparteien nach § 17b Abs 2 Satz 1 KHG oder eine Rechtsverordnung nach § 17 Abs 7 KHG." Diese Fassung der Vorschrift ist auf die Abrechnungen der um die Jahreswende 2009/2010 erfolgten beiden Krankenhausaufenthalte
des Versicherten S. anzuwenden. Aufgrund der Ermächtigung in § 8 Abs 5 S 2 KHEntgG haben die damaligen Spitzenverbände der
Krankenkassen, der Verband der Privaten Krankenversicherung und die Deutsche Krankenhausgesellschaft als Selbstverwaltungspartner
nach § 17b Abs 2 KHG am 21.9.2007 die zum 1.1.2008 in Kraft getretene FPV 2008 vereinbart, um eine verbesserte Handhabung der Regelungen zur Fallzusammenführung
bei Wiederaufnahme wegen Komplikationen zu erreichen. Die insoweit maßgebliche Regelung des § 2 Abs 3 FPV 2008 ist unverändert
in die hier einschlägige FPV 2009 übernommen worden.
§ 2 Abs 3 FPV 2009 lautet: "Werden Patienten oder Patientinnen, für die eine Fallpauschale abrechenbar ist, wegen einer in
den Verantwortungsbereich des Krankenhauses fallenden Komplikation im Zusammenhang mit der durchgeführten Leistung innerhalb
der oberen Grenzverweildauer, bemessen nach der Zahl der Kalendertage ab dem Aufnahmedatum des ersten unter diese Vorschrift
zur Zusammenfassung fallenden Aufenthalts, wieder aufgenommen, hat das Krankenhaus eine Zusammenfassung der Falldaten zu einem
Fall und eine Neueinstufung in eine Fallpauschale vorzunehmen. Eine Zusammenfassung und Neueinstufung wird nicht vorgenommen
bei unvermeidbaren Nebenwirkungen von Chemotherapien und Strahlentherapien im Rahmen onkologischer Behandlungen. Die Absätze
1 und 2 gehen den Vorgaben nach den Sätzen 1 und 2 vor. Die Sätze 1 und 2 ergänzen die Vorgaben nach § 8 Abs. 5 des Krankenhausentgeltgesetzes."
b) Zur Auslegung dieser Vorschriften ist die historische Entwicklung des Rechts zur Fallzusammenführung bedeutsam.
aa) Vor der Einführung des DRG-Systems sah bereits die
Bundespflegesatzverordnung eine solche Regelung vor. Bis zum 31.12.2003 galt nach §
14 Abs
2 S 5
BPflV ein Sanktionsmechanismus, wonach tagesgleiche Pflegesätze für die Kalendertage innerhalb der Grenzverweildauer der Fallpauschale
(§
11 BPflV) nicht berechnet werden durften, sofern ein Fallpauschalenpatient wegen Komplikationen in dasselbe Krankenhaus wieder aufgenommen
wurde. Hintergrund dieser Regelung war nach der Gesetzesbegründung (BR-Drucks 381/94, S 35), dass insbesondere bei Fallpauschalenpatienten,
die nach sehr kurzer Verweildauer entlassen werden, zusätzlich tagesgleiche Pflegesätze abgerechnet wurden, wenn die bereits
mit der Fallpauschale bezahlte Verweildauer noch nicht abgelaufen ist. Dies sollte nach Möglichkeit verhindert werden.
bb) Für das DRG-System hat der Gesetzgeber die Fallzusammenführung wegen Komplikationen in § 8 Abs 5 KHEntgG geregelt. In
seiner Ursprungsfassung sah der Satz 1 dieser Vorschrift vor: "Wird ein Patient wegen Komplikationen wieder in dasselbe Krankenhaus
aufgenommen, für den zuvor eine Fallpauschale berechnet wurde, darf für die Kalendertage innerhalb der Grenzverweildauer dieser
Fallpauschale die Fallpauschale nicht erneut berechnet werden." Die Fassung durch das Fallpauschalenänderungsgesetz vom 17.7.2003
(BGBl I 1461), in Kraft ab 22.7.2003, lautete: "Wird ein Patient, für den zuvor eine Fallpauschale berechnet wurde, im Zeitraum
von der Entlassung bis zur Grenzverweildauer der abgerechneten Fallpauschale wegen einer Komplikation im Zusammenhang mit
der durchgeführten Leistung wieder in dasselbe Krankenhaus aufgenommen, darf eine Fallpauschale nicht erneut berechnet werden."
Seit dem 21.12.2004 gilt die bereits zitierte Fassung des 2. Fallpauschalenänderungsgesetzes. Dabei ist der Begriff der Komplikation
stets unverändert geblieben. Er umfasst negative Folgen einer medizinischen Behandlung wie zB Nachblutungen, Hämatome, Thrombosen,
Infektionen und auch deren unerwünschte Nebenwirkungen (van der Ploeg, NZS 2011, 808, 809).
c) Mit der Umstellung auf das DRG-System wurde also zunächst vorgesehen, dass für die Kalendertage innerhalb der Grenzverweildauer
einer abgerechneten Fallpauschale diese Fallpauschale nicht erneut berechnet werden durfte, sofern ein Patient wegen Komplikationen
wieder in dasselbe Krankenhaus aufgenommen wurde. Bei Anwendung dieser Regelung ist es im Jahr 2003 zu erheblichen Problemen
gekommen, da die Norm von Krankenhaus- und Kostenträgerseite unterschiedlich ausgelegt wurde. Zum 22.7.2003 wurde die Vorschrift
insoweit geändert, als nunmehr ausdrücklich nur auf "Komplikationen in Zusammenhang mit der durchgeführten Leistung" abgestellt
wurde, um den Anwendungsbereich der Regelung zur Fallzusammenführung einzugrenzen. Dies wurde durch die zum 21.12.2004 in
Kraft getretene neue Fassung der Vorschrift bekräftigt. Dennoch bestanden in der Folgezeit zwischen den Leistungserbringern
und der Kostenträgerseite weiterhin erhebliche Auslegungsunterschiede. Diese Differenzen sollten über den Weg der vertraglichen
Abweichungsmöglichkeit nach § 8 Abs 5 S 2 KHEntgG endgültig durch die FPV für das Jahr 2008 beseitigt werden, indem in § 2
Abs 3 FPV 2008 nicht mehr nur, wie bis dahin, auf "Komplikationen im Zusammenhang mit der durchgeführten Leistung" abgestellt
wurde, sondern zusätzlich gefordert wurde, dass die zur Wiederaufnahme führende Komplikation "in den Verantwortungsbereich
des Krankenhauses" fallen muss.
d) Daraus ergeben sich folgende Konsequenzen: In den Verantwortungsbereich des Krankenhauses fallen unstreitig alle Komplikationen,
die auf irgendwie geartete Fehler und Mängel bei der ärztlichen Behandlung oder bei der Pflege im Krankenhaus zurückzuführen
sind. Nicht in den Verantwortungsbereich des Krankenhauses fallen unstreitig alle Komplikationen, die zwar auch im Zusammenhang
mit der durchgeführten Leistung des Krankenhauses stehen, aber maßgeblich erst durch ein hinzukommendes weisungswidriges oder
sonstwie unvernünftiges Verhalten des Versicherten nach seiner Entlassung aus dem Krankenhaus, durch ein Behandlungsverhalten
des ambulant weiterbehandelnden Arztes, zB des Hausarztes, oder durch ein sonstiges, nicht vom Krankenhaus zu beeinflussendes
Ereignis wie zB einen Verkehrsunfall hervorgerufen worden sind. Streitig geblieben ist trotz der Neufassung der FPV zum 1.1.2008,
ob all jene Komplikationen, die bei bestimmten Krankheiten bzw Eingriffen typischerweise oder auch nur in Ausnahmefällen auftreten
und nicht (bzw nicht beweisbar) auf ein irgendwie geartetes fehlerhaftes Verhalten der Krankenhausärzte oder des Pflegepersonals
zurückzuführen sind, also unvermeidbar erscheinen und einem schicksalhaften Verlauf entsprechen, in den Verantwortungsbereich
des Krankenhauses fallen - so die Ansicht der Krankenkassen (ebenso van der Ploeg, NZS 2011, 808) - oder dem Verantwortungsbereich der Kostenpflichtigen, also der Krankenkassen und der Versicherten zuzurechnen sind - so
die Auffassung der Krankenhausträger (ebenso Leber, Das Krankenhaus 2011, 1010). Diese Streitfrage ist zugunsten der Krankenkassen und der Versicherten zu entscheiden, weil sowohl nach dem Wortlaut als
auch nach Sinn und Zweck der Vergütungsregelungen für stationäre Behandlungen diese unvermeidbaren Komplikationen in den Verantwortungsbereich
des Krankenhauses fallen, sofern sie vor Ablauf der oberen Grenzverweildauer zur Wiederaufnahme des Versicherten führen.
7. a) Vergütungsregelungen sind grundsätzlich streng nach ihrem Wortlaut auszulegen; nur so sind sie für die routinemäßige
Anwendung in zahlreichen Behandlungsfällen handhabbar (vgl allgemein zur Funktion von Vergütungsregelungen: BSG SozR 3-5565 § 14 Nr 2; BSG SozR 3-5565 § 15 Nr 1; BSG SozR 4-2500 § 109 Nr 11 RdNr 18). Da das DRG-basierte Vergütungssystem vom Gesetzgeber als jährlich weiterzuentwickelndes (§ 17b Abs 2 S 1 KHG) und damit "lernendes" System angelegt ist, sind bei zutage tretenden Unrichtigkeiten, Unbilligkeiten oder Fehlsteuerungen
in erster Linie die Vertragsparteien berufen, diese Mängel mit Wirkung für die Zukunft zu beseitigen (BSGE 107, 140 = SozR 4-2500 § 109 Nr 21, RdNr 18 mwN). Der Begriff "Verantwortungsbereich" knüpft an die Begriffe "Verantwortung" und "verantworten"
an. Im hier maßgeblichen Zusammenhang der rechtlichen (also nicht der politischen, moralischen, sozialen oder religiösen)
Verantwortung bedeutet der Begriff die (gesetzliche oder vertragliche) Verpflichtung, für "etwas Geschehenes" einzustehen
(vgl Duden, Deutsches Universal-Wörterbuch, 5. Aufl 2003, Stichworte "Verantwortung" und "verantworten"), und zwar unabhängig
davon, ob das "Geschehene" auf einem vorwerfbaren Verhalten des Verantwortungsträgers beruht oder für ihn unvermeidbar ist.
Beide Alternativen fallen in die "Risikosphäre" des Verantwortungsträgers und damit in seinen Verantwortungsbereich (ebenso
van der Ploeg, NZS 2011, 808, 809). Die von der Beklagten vertretene Rechtsauffassung liefe dagegen auf eine Gleichsetzung der Begriffe Verantwortung
und Schuld hinaus. Dies kann nicht gemeint sein, weil das Vorliegen von Schuld voraussetzt, dass der Verantwortungsträger
oder die für ihn handelnde Person vorsätzlich oder fahrlässig gegen Rechtsnormen, vertragliche Verpflichtungen oder - hier
von besonderem Interesse - gegen medizinische oder pflegerische Standards bzw Leitlinien verstoßen hat. Darum geht es vorliegend
aber nicht, sondern vielmehr um die Frage, ob jemanden die Verantwortung für eine negative Folge auch dann treffen kann, wenn
zwar korrekt gehandelt worden ist, daraus aber gleichwohl eine negative Folge erwachsen ist. Deshalb schließt sich der Senat
der Rechtsauffassung der Klägerin an.
b) Bestätigt wird diese am Wortlaut orientierte Auslegung des § 2 Abs 3 FPV 2008/2009 durch den Sinn und Zweck der Regelung.
Ziel der Fallzusammenführung ist es, im Hinblick auf mögliche Komplikationen zu frühe Entlassungen der Patienten zu vermeiden,
zumindest keinen finanziellen Anreiz in diese Richtung zu geben. Da mit der Fallpauschale die Behandlung eines Patienten bis
zur festgelegten oberen Grenzverweildauer vergütet wird, muss das Krankenhaus auch bei der Wiederaufnahme eines Patienten
wegen einer Komplikation in diesem Zeitraum seine Leistungen grundsätzlich ohne Abrechnung eines zweiten Behandlungsfalls
erbringen, kann dann aber die Gesamtleistung durch die Fallzusammenführung regelmäßig nach einer anderen, höher vergüteten
DRG abrechnen. Das Krankenhaus trägt somit das Risiko von innerhalb der oberen Grenzverweildauer auftretenden Komplikationen
(vgl die Begründung zu § 8 Abs 5 S 1 KHEntgG, BT-Drucks 15/994, S 22), soweit sie nicht auf das Verhalten des Versicherten
oder Dritter zurückzuführen sind. Stellt sich folglich ein konkreter stationärer Behandlungsbedarf als spezifische Folge einer
Erkrankung bzw deren Behandlung dar, auf die sich der Behandlungsauftrag des Krankenhauses bereits während des vorangegangenen
Krankenhausaufenthalts erstreckt hat, und erfolgt wegen dieser Komplikation noch innerhalb der oberen Grenzverweildauer die
Wiederaufnahme des Versicherten, so bleibt das Krankenhaus aufgrund desselben Behandlungsauftrags auch für die weitere Krankenhausbehandlung
verantwortlich und hat Anspruch auf eine einheitliche Vergütung. Wenn die nach Beginn der Behandlung eingetretenen Komplikationen
bis zum Ablauf der oberen Grenzverweildauer auftreten und Krankenhausbehandlungsbedürftigkeit begründen, kann es keinen Unterschied
machen, ob der Patient sich ununterbrochen in der Klinik aufgehalten hat oder ob das Krankenhaus ihn zwischenzeitlich entlassen
hatte. Denn mit dem Eintritt der Komplikation verwirklicht sich gerade das spezifische Gesundheitsrisiko des Behandlungsfalles,
das zu bekämpfen das Krankenhaus gegen Zahlung der Fallpauschale beauftragt worden ist.
Trifft dies schon auf Fälle unvorhersehbarer, atypischer Komplikationen zu, so muss es für absehbare, behandlungstypische
Nebenwirkungen erst recht gelten. Nur wenn die erneute Einweisung in dasselbe Krankenhaus auf Umständen beruht, die mit der
früheren Behandlung in keinerlei Zusammenhang im Sinne direkter oder gemeinsamer Ursächlichkeit stehen, handelt es sich um
einen neuen Behandlungsfall, der zur Abrechnung einer weiteren Fallpauschale berechtigt.
c) Das Krankenhaus wird durch die Anwendung dieser Regelung nicht ungerechtfertigt aus Gründen benachteiligt, die außerhalb
seiner Verantwortung liegen. Die Verantwortung des Krankenhauses wird durch den Auftrag zur Behandlung der Erkrankung bestimmt,
welche die Veranlassung für den (ersten) Krankenhausaufenthalt gegeben oder auf die sich die Behandlung sonst erstreckt hat.
Auf ein Verschulden hinsichtlich der erneuten Behandlungsbedürftigkeit kommt es dabei nicht an. Ungerechtfertigt wäre es vielmehr,
einen zusammenhängenden Krankheits- und Behandlungsfall innerhalb der oberen Grenzverweildauer in zwei Behandlungsfälle aufzuspalten
und dem Krankenhaus so einen Anreiz zu bieten, durch die - mehr oder weniger zufällige oder sogar willkürliche - zwischenzeitliche
Entlassung des Patienten eine weitere Fallpauschale geltend zu machen, obwohl der ursprüngliche Behandlungsfall im Ganzen
betrachtet noch nicht abgeschlossen war.
d) Die grundsätzliche Zuordnung der unvermeidbaren Komplikationen zum Verantwortungsbereich der Krankenhäuser wird bestätigt
durch die ebenfalls zum 1.1.2008 in die FPV aufgenommene Regelung des § 2 Abs 3 S 2, wonach eine Fallzusammenführung und Neueinstufung
nicht vorgenommen wird bei unvermeidbaren Nebenwirkungen von Chemotherapien und Strahlentherapien im Rahmen onkologischer
Behandlungen. Diese Zusatzregelung wäre überflüssig, wenn unvermeidbare Komplikationen, zu denen nach den Internationalen
Klassifikationen der Krankheiten (ICD 10, vgl dort Nr Y 57.9) auch typische Nebenwirkungen von Arzneimitteltherapien und deren
Folgen gehören können (van der Ploeg, NZS 2011, 808), ohnehin nicht in den Verantwortungsbereich des Krankenhauses fallen würden.
8. Der Anspruch auf Zahlung von Zinsen auf den Betrag von 388,79 Euro in Höhe von zwei Prozentpunkten über dem jeweiligen
Basiszinssatz ab 15.10.2010 beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 15 Abs 1 KBV-NRW iVm § 1 DiskonsatzÜberleitungsgesetz (DÜG = Art 1 EuroEG).
a) Zwar gilt die Bestimmung des § 15 Abs 1 KBV-NRW ihrem Wortlaut nach nur für Vergütungsforderungen des Krankenhauses. Die
Rechnungen sind danach innerhalb von 15 Kalendertagen nach Eingang bei der Krankenkasse zu bezahlen; bei Überschreitung des
Zahlungsziels kann das Krankenhaus Verzugszinsen in Höhe von 2 % über dem jeweiligen Diskontsatz der Deutschen Bundesbank
ab dem auf den Fälligkeitstag folgenden Tag verlangen. Für die Verzinsung von Erstattungsforderungen der Krankenkassen findet
sich im KBV-NRW keine eigenständige Regelung. Dies beruht möglicherweise darauf, dass nach § 15 Abs 4 KBVNRW für Erstattungsforderungen
der Krankenkassen eine weitgehende Verrechnungsregelung getroffen worden ist. Die Vorschrift lautet: "Beanstandungen rechnerischer
oder sachlicher Art können auch nach Bezahlung der Rechnung geltend gemacht werden. Bei Beanstandungen rechnerischer Art sowie
nach Rücknahme der Kostenzusage und falls eine Abrechnung auf vom Krankenhaus zu vertretenden unzutreffenden Angaben beruht,
können überzahlte Beträge verrechnet werden." Beim Streit um eine nachträglich durchzuführende Fallzusammenführung nach §
8 Abs 5 KHEntgG iVm § 2 Abs 3 FPV 2008/2009 geht es indes um eine Beanstandung sachlicher Art durch die Krankenkasse, die
keine Verrechnungsmöglichkeit nach dieser Vorschrift auslöst, weil die Voraussetzungen der drei dort genannten Varianten nicht
erfüllt sind. Da die Krankenkassen für die in § 15 Abs 4 KBV-NRW nicht genannten Arten der Beanstandungen also auf die klageweise
Durchsetzung ihrer Erstattungsansprüche angewiesen sind und es mit Blick auf die Gleichordnung von Krankenhausträgern und
Krankenkassen und einen fairen Ausgleich ihrer Interessen keine Anhaltspunkte dafür gibt, dass die Vertragspartner des KBV-NRW
für diese Erstattungsansprüche eine Verzinsung bewusst ausschließen wollten, kann die Regelungslücke in ergänzender Vertragsauslegung
(vgl Palandt/Ellenberger,
BGB, 71. Aufl 2012, §
157 RdNr
3-4) durch die analoge Anwendung des § 15 Abs 1 KBV-NRW geschlossen werden. Der erkennende Senat ist zur eigenständigen Auslegung
dieses nur im Bezirk des LSG Nordrhein-Westfalen geltenden und daher grundsätzlich dem irrevisiblen Recht zugehörenden Landesvertrages
(§
162 SGG) befugt, weil das SG den KBV-NRW nicht selbst angewandt und ausgelegt hat (vgl Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
SGG, 10. Aufl 2012, §
162 RdNr
5-5a, 7b mwN). Die Möglichkeit, über §
69 Abs
1 S 3
SGB V zu einer entsprechenden Anwendung der §§
286,
288 BGB zu gelangen, scheidet aus, weil dies zu einem Verzugszinssatz von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz der
Europäischen Zentralbank führen würde (vgl §
288 Abs
1 BGB; ein Zinssatz von acht Prozentpunkten über dem Basiszinssatz gemäß §
288 Abs
2 BGB wäre nicht gerechtfertigt, weil eine Forderung aus einem Erstattungsanspruch keine "Entgeltforderung" iS dieser Vorschrift
darstellt, vgl Palandt/Grüneberg, aaO, § 288 RdNr 8); die Krankenkassen wären insoweit hinsichtlich der Zinshöhe besser gestellt
als die Krankenhäuser, was nach dem Prinzip der Ausgewogenheiten der beiderseitigen Rechte und Pflichten nicht zu rechtfertigen
wäre.
b) Die Klägerin kann somit einen Zinsanspruch in analoger Anwendung des § 15 Abs 1 KBVNRW geltend machen, und zwar in Höhe
von zwei Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz. Zum 1.1.1999 ist der Diskontsatz der Deutschen Bundesbank, auf
den § 15 Abs 1 S 4 KBV-NRW noch Bezug nimmt, vom Gesetzgeber generell durch den Basiszinssatz der Europäischen Zentralbank
ersetzt worden (§ 1 DÜG). Verzug ist nach § 15 Abs 1 S 4 KBV-NRW iVm §§
286,
288 BGB am 15.10.2010 eingetreten, weil die Beklagte die Frist zur Erfüllung des Erstattungsanspruchs, die bis zum 14.10.2010 gesetzt
war, hat verstreichen lassen, ohne der Mahnung Folge zu leisten.
9. Da der Prüfauftrag der Klägerin an den MDK somit zu einer Absenkung der zu zahlenden Vergütung geführt hat, kann die Beklagte
nicht die Aufwandspauschale nach §
275 Abs
1c S 3
SGB V verlangen. Der Ausspruch des SG zur Widerklage war deshalb aufzuheben.
10. Die Kostenentscheidung beruht auf §
197a Abs
1 S 1
SGG iVm §
154 Abs
1 VwGO. Sie berücksichtigt, dass die Klägerin den Erstattungsanspruch in erster Instanz zunächst zu hoch angesetzt hatte und die
Klage erst nach der Teilrücknahme in vollem Umfang begründet war.
11. Die Streitwertfestsetzung richtet sich nach §
197a Abs
1 S 1
SGG iVm §
63 Abs
2, § 52 Abs 3, § 45 Abs 1 und § 47 Abs 1 S 1, Abs 2 S 1 GKG. Die Streitwerte aus der Klage (388,79 Euro) und der Widerklage (300 Euro) waren zusammenzurechnen, obwohl die Widerklage
erstinstanzlich nur für den Fall der Abweisung der Klage - also als Eventualwiderklage - erhoben worden ist. Obgleich es zweitinstanzlich
nicht zu dieser prozessualen Bedingung gekommen ist, weil die Klage erfolgreich war, musste der erkennende Senat im Revisionsverfahren
auch über die Widerklage entscheiden, weil diese uneingeschränkter Streitgegenstand der Revision war, nachdem das SG über die Eventualwiderklage - nach seiner Rechtsauffassung folgerichtig - materiell entschieden hatte, die Beteiligten im
Revisionsverfahren widerstreitende Anträge zur Widerklage gestellt haben und der Ausspruch des SG über die Verurteilung der Klägerin zur Zahlung der Aufwandspauschale nebst Zinsen nach dem Erfolg der Klage beseitigt werden
musste.