Honorierung vertragsärztlicher Leistungen; Zulässigkeit der Einbeziehung von Leistungen in das Regelleistungsvolumen; Statthaftigkeit
von Honorarkürzungen bei Fallwertsteigerungen
Gründe:
I
Im Streit steht die Höhe vertragsärztlichen Honorars für die Quartale II/2005, I/2006 und II/2006.
Die Klägerin ist eine Gemeinschaftspraxis zweier zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassener Fachärzte für Allgemeinmedizin,
die aufgrund ihres phlebologischen Schwerpunkts ausschließlich an der fachärztlichen Versorgung teilnehmen. Im Rahmen der
Honorarverteilung sind sie der Gruppe der "sonstigen Ärzte" zugeteilt, für die keine Regelleistungsvolumina (RLV) bestimmt
worden sind. Mit Honorarbescheid vom 23.1.2006 (idF des Bescheides vom 29.6.2006) setzte die beklagte Kassenärztliche Vereinigung
(KÄV) das Honorar der Klägerin für das Quartal II/2005, mit Bescheid vom 21.1.2007 für das Quartal I/2006 und mit weiterem
Bescheid vom 4.2.2007 für das Quartal II/2006 fest. Dabei wandte sie ihren Honorarverteilungsvertrag (HVV) an, welcher zeitgleich
mit dem neu gefassten Einheitlichen Bewertungsmaßstab für ärztliche Leistungen (EBM-Ä) zum 1.4.2005 in Kraft getreten war.
Dieser HVV enthielt ua in Ziffer 7.5 eine "Regelung zur Vermeidung von Honorarverwerfungen nach Einführung des EBM 2000plus".
Danach erfolgte nach Feststellung der Punktwerte und Quoten gemäß Ziffer 7.2 HVV ein Vergleich des für das aktuelle Abrechnungsquartal
berechneten fallbezogenen Honoraranspruchs der einzelnen Praxis mit der fallbezogenen Honorarzahlung im entsprechenden Abrechnungsquartal
des Jahres 2004 (beschränkt auf Leistungen, die dem budgetierten Teil der Gesamtvergütung unterliegen). Zeigte der Fallwertvergleich
eine Fallwertminderung oder - erhöhung von jeweils mehr als 5 %, so erfolgte eine Begrenzung auf den maximalen Veränderungsrahmen
von 5 % (Ziffer 7.5.1 HVV). Unter Anwendung der Ausgleichsregelung nach Ziffer 7.5 HVV gelangte die Beklagte für das Quartal
II/2005 zu einem Korrekturbetrag von 109,3456 Euro je Fall; hieraus resultierte bei 1613 Fällen eine Honorarkürzung in Höhe
von 176 374,43 Euro. Für das Quartal I/2006 ergab sich ein Korrekturbetrag von 44,0254 Euro je Fall und damit bei 1773 Fällen
eine Honorarkürzung in Höhe von 78 056,98 Euro, sowie für das Quartal II/2006 ein Korrekturbetrag von 7,5599 Euro je Fall
und damit bei 1790 Fällen eine Honorarkürzung in Höhe von 13 532,25 Euro.
Während die Widersprüche der Klägerin erfolglos blieben, hat das SG auf ihre Klage die Beklagte unter Abänderung ihrer Bescheide zur Neubescheidung nach Maßgabe seiner - des SG - Rechtsauffassung verpflichtet (Urteil des SG vom 27.8.2008). Das LSG hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen (Urteil des LSG vom 29.4.2009). Zur Begründung hat
es ausgeführt, die angefochtenen Honorarbescheide seien insoweit rechtswidrig, als eine auf Ziffer 7.5 HVV gestützte Honorarkürzung
erfolgt sei. Diese Regelung verstoße gegen zwingende Vorgaben des Beschluss des Bewertungsausschusses (BewA) zur Festlegung
von RLV durch die KÄVen gemäß §
85 Abs
4 SGB V vom 29.10.2004 (nachfolgend als BRLV bezeichnet) und sei nicht durch die Ermächtigungsgrundlage in §
85 Abs
4 SGB V iVm Art
12 GG gedeckt. Nach Sinn und Zweck der Neufassung des §
85 Abs 4
SGB V durch das GKV-Modernisierungsgesetz (GMG) sei die Gestaltungsfreiheit der KÄVen und ihrer Vertragspartner bei der Honorarverteilung
nunmehr insoweit eingeschränkt, als RLV nach arztgruppenspezifischen Grenzwerten und eine Vergütung der den Grenzwert überschreitenden
Leistungen mit abgestaffelten Punktwerten für alle HVV verbindlich vorgegeben worden seien. Die in Ziffer 7.5 HVV geregelte
Honorarkürzung sei nicht mit dem in §
85 Abs
4 SGB V idF des GMG sowie im BRLV als Teil des HVV verbindlich vorgegebenen System der RLV vereinbar und stelle auch keine zulässige
Ergänzung dieses Systems dar. Zum einen bewirke die Regelung für die von Kürzungen betroffenen Praxen praktisch eine Vergütung
nach einem praxisindividuellen Individualbudget; Individualbudgets seien jedoch mit dem System der RLV nicht vereinbar. Zum
anderen sei eine Honorarverteilungsregelung, durch die der Honoraranspruch bei Praxen mit hohem Fallwert vermindert werde,
wegen des alleinigen Anknüpfens an den Fallwert durch §
85 Abs
4 SGB V nicht gedeckt. Auch §
85 Abs
4 Satz 6
SGB V biete keine Rechtsgrundlage dafür, dass von besonders ertragreichen Praxen ein bestimmter Übermaßbetrag abgezogen und anderen
Praxen zugewiesen werde; vielmehr solle durch die gesetzliche Vorgabe bereits das Entstehen solcher Übermaßbeträge durch übermäßige
Ausdehnung der Tätigkeit des Arztes verhindert werden.
Die in Ziffer 7.5 HVV geregelte Honorarkürzung entspreche auch nicht den inhaltlichen Anforderungen an eine wirksame Berufsausübungsregelung.
So könne nicht ohne Weiteres davon ausgegangen werden, dass ein erheblich über dem Durchschnitt liegender Fallwert ein Indiz
dafür sei, dass der betreffende Arzt seine Leistungen über das medizinisch Erforderliche hinaus ausgedehnt habe. Das ausschließliche
Anknüpfen an die Höhe der durchschnittlichen Vergütung pro Behandlungsfall führe auch zu einer Stützung von Praxen mit hoher
Fallzahl, sofern die Punktzahl je Behandlungsfall unter dem Durchschnitt der Fachgruppe gelegen habe, und umgekehrt zu weiteren
Honorarbegrenzungen bei Praxen mit geringer Fallzahl, bei denen der Fallwert wegen Spezialisierung über dem Durchschnittswert
gelegen habe, ungeachtet der möglicherweise schlechteren Ertragssituation. Zudem griffen derartige Regelungen in den freien
Wettbewerb zwischen den Ärzten ein. Die Beklagte könne sich auch nicht auf den "Beschluss des Erweiterten Bewertungsausschusses
nach §
87 Abs.
4 SGB V in seiner 9. Sitzung am 15. Januar 2009 zur Umsetzung und Weiterentwicklung der arzt- und praxisbezogenen Regelleistungsvolumen
nach §
87b Abs.
2 und
3 SGB V mit Wirkung zum 1. Januar 2009" (DÄ 2009, A 308 f; nachfolgend als "Beschluss vom 15.1.2009" bezeichnet) berufen, wonach
die KÄVen und die Krankenkassenverbände im Rahmen einer so genannten "Konvergenzphase" eine schrittweise Anpassung der RLV
beschließen könnten, denn der Beschluss sei weder im Hinblick auf seinen Geltungszeitraum noch inhaltlich auf den vorliegenden
Sachverhalt anwendbar. Die Regelung könne schließlich auch nicht unter dem Gesichtspunkt einer Anfangs- und Erprobungsregelung
Geltung beanspruchen.
Mit ihrer Revision rügt die Beklagte die Verletzung von Bundesrecht. Die Ausgleichsregelung nach Ziffer 7.5 HVV sei rechtmäßig;
insbesondere verstoße sie nicht gegen zwingende Vorgaben des BewA. Dies werde durch den Beschluss des BewA vom 15.1.2009 bestätigt,
der den Partnern der Gesamtverträge die Möglichkeit eröffne, im Rahmen eines so genannten Konvergenzverfahrens eine schrittweise
Anpassung des RLV zu beschließen und prozentuale Grenzwerte für die Höhe der Umsatzveränderungen im Vergleich zum Vorjahresquartal
festzustellen, sofern durch die Umstellung der Mengensteuerung auf die neue Systematik Honorarverluste begründet worden seien.
Dass der Beschluss für die Konvergenzphase einen Zeitraum vom 1.4.2009 bis 31.12.2010 vorsehe, stehe einer Anwendung auch
für den Zeitraum ab dem Quartal II/2005 nicht entgegen, da Sinn und Zweck einer solchen Konvergenzphase die schrittweise Anpassung
der vertragsärztlichen Vergütung an die RLV sei. Inhaltlich gehe es, wie der Beschluss ausdrücklich klarstelle, um die "Umstellung
der Mengensteuerung auf die neue Systematik". Diese Umstellung sei bei ihr - der Beklagten - früher als bei anderen KÄVen
bereits im Quartal II/2005 erfolgt. Die Notwendigkeit einer Anpassungs- bzw Übergangsregelung habe daher in ihrem Bereich
bereits im Jahr 2005 bestanden und nicht erst - wie bei der Mehrzahl der KÄVen - im Jahr 2009. Es sei rechtmäßig und einzig
praktikabel, die Konvergenzphase an dem Zeitpunkt der Einführung der RLV zu orientieren, da eine schrittweise Anpassung nur
in diesem Zusammenhang Sinn mache. Es liege für sie - die Beklagte - nahe, dass die aus der neuen Systematik resultierenden
Verwerfungen vom BewA zunächst nicht in vollem Umfang bedacht und daher im BRLV nicht geregelt worden seien. Dies stelle eine
planwidrige Regelungslücke in den Beschlüssen des BewA dar und spreche für einen von den Vertragspartnern des HVV rechtskonform
genutzten Gestaltungsspielraum zur Einführung von Ausgleichsregelungen.
Bei der Ausgleichsregelung nach Ziffer 7.5 HVV handele es sich nicht um eine Honorarbegrenzungsregelung zum Zwecke der Mengensteuerung,
sondern um eine Maßnahme, die die Auswirkungen des zum Quartal II/2005 eingeführten EBM-Ä für bereits bestehende Praxen habe
abfedern und den Arztpraxen eine Umstellung auf die neuen Honorarstrukturen habe ermöglichen sollen. Ausgleich und Kürzung
dürften nicht losgelöst voneinander betrachtet werden; vielmehr sei eine mit der Ausgleichsregelung verfolgte Vermeidung von
Honorarverwerfungen sowohl im Falle eines Ausgleichs als auch im Falle einer Kürzung denkbar. Ein Widerspruch zum Beschluss
des BewA könne somit bereits aufgrund unterschiedlicher Regelungsziele nicht vorliegen. Die Ausgleichsregelung sei im Übrigen
auch mit den Vorgaben des BRLV vereinbar, denn dieser sehe in Teil III 2.2 für eine Übergangszeit bis zum 31.12.2005 die Fortführung
bereits vorhandener, in ihren Auswirkungen mit der gesetzlichen Regelung in §
85 Abs
4 SGB V vergleichbarer, Steuerungsinstrumente vor. Arztgruppenspezifische Grenzwerte auf der Grundlage praxisindividueller Punktzahl-Obergrenzen
genügten diesen Anforderungen, so dass keinesfalls vergleichbare Bestimmungen über eine (abgestaffelte) Regelleistungsvergütung
hätten eingeführt werden müssen. Entscheidend sei, dass es sich bei den vor dem 1.4.2005 geltenden Steuerungsinstrumenten
um solche gehandelt habe, die in ihren Auswirkungen vergleichbar gewesen seien. Es genüge eine Orientierung am gesetzgeberischen
Ziel der Punktwertstabilisierung und Kalkulationssicherheit; einzig diese Zielsetzung sei entscheidend.
Des Weiteren sei die Ausgleichsregelung nach Ziffer 7.5 HVV - auch soweit Honorarkürzungen vorgesehen seien - zumindest unter
dem Gesichtspunkt einer Anfangs- und Erprobungsregelung rechtmäßig. Der Honorarverteilung ab dem Quartal II/2005 hätten aufgrund
des Inkrafttretens des EBM-Ä 2005 neue Rahmenbedingungen zugrunde gelegen, deren Auswirkungen nur schwer einzuschätzen gewesen
seien. Dies gelte umso mehr, als zeitgleich die Vorgaben des BRLV betreffend die RLV in Kraft getreten seien. Sie - die Beklagte
- sei auch ihrer Verpflichtung zur Beobachtung und ggf Nachbesserung der Regelung mit Wirkung für die Zukunft dadurch nachgekommen,
dass der HVV ab dem 1.4.2007 im Falle von Fallwertveränderungen nur noch eine Honorarstützung vorsehe. Die Ausgleichsregelung
sei schließlich bereits dem Grunde nach nicht mit der "Segeberger Wippe" vergleichbar, weil ihr eine gänzlich andere Systematik
zugrunde liege; insbesondere stelle sie durch den Rückgriff auf praxisindividuelle Werte in der Vergangenheit keine Subvention
dar.
Die Beklagte beantragt,
die Urteile des Hessischen Landessozialgerichts vom 29. April 2009 sowie des Sozialgerichts Marburg vom 27. August 2008 aufzuheben
und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend. Die Vertragspartner des HVV seien an die Beschlüsse des BewA in der
Weise gebunden, dass sie keine abweichenden Regelungen treffen dürften, sofern dies nicht ausdrücklich zugelassen sei. Zudem
sei die Honorarverteilungsmaßnahme schon wegen des alleinigen Anknüpfens an den Fallwert mit §
85 Abs
4 SGB V iVm Art
12 Abs
1 GG nicht vereinbar. Eine Kürzung höherer Fallwerte zugunsten einer Stützung niedriger Fallwerte bei existenzgefährdeten Praxen
in der Honorarverteilung sei unzulässig. Die Wirkungen des EBM-Ä 2005, insbesondere die ihr - der Klägerin - zugute kommenden
neuen Leistungsbewertungen würden konterkariert. Die Regelung in Ziffer 7.5 HVV sei auch nicht durch den Beschluss des BewA
vom 15.1.2009 gedeckt, denn dieser sei auf den vorliegenden Sachverhalt inhaltlich nicht anwendbar und entfalte zudem keine
Rückwirkung. Die Beklagte habe mit der Regelung in Ziffer 7.5 HVV auch nicht in zulässiger Weise Steuerungselemente fortgeführt,
da diese Regelung mit dem System der RLV nicht einmal im Ansatz vergleichbar sei; sie führe zu einer Fallwertbegrenzung ohne
Restleistungsvergütung. Schließlich lasse sich die Regelung auch nicht unter dem Gesichtspunkt einer Anfangs- und Erprobungsregelung
halten, denn eine bereits im Ansatz systemwidrige Regelung sei vom Gestaltungsspielraum nicht gedeckt. Für die Regelung in
Ziffer 7.5 HVV fehle es bereits an einer Ermächtigungsgrundlage.
II
Die Revision der Beklagten ist nicht begründet.
Das SG und das LSG haben in der Sache zu Recht entschieden, dass die Beklagte erneut über den Honoraranspruch der Klägerin zu entscheiden
hat. Die Honorarbescheide der Beklagten sind rechtswidrig, weil die ihnen zugrunde liegenden Bestimmungen des HVV in der hier
maßgeblichen, ab dem 1.4.2005 geltenden Fassung unwirksam sind, soweit sie im Streit stehen. Dies betrifft vorliegend die
Regelung in Ziffer 7.5 HVV, soweit diese bei der Überschreitung von Fallwertsteigerungsgrenzen Honorarkürzungen vorsieht.
1. Die Ausgleichsregelung in Ziffer 7.5 HVV ist unwirksam, soweit sie eine Honorarkürzung bei einer Fallwerterhöhung im Vergleich
zum Referenzquartal um mehr als 5 % bestimmt.
Die Regelung entsprach insoweit weder den gesetzlichen Vorgaben nach §
85 Abs
4 SGB V noch den zu deren Umsetzung erlassenen Regelungen im BRLV. Der Gesetzgeber des GMG hat sich für das System der Vergütung
nach RLV entschieden, weil er dieses für sachgerecht gehalten hat. Die damit ggf verbundenen Vorteile für die Vertragsärzte
dürfen nicht ohne normative Grundlage im Bundesrecht durch die Partner der HVV so begrenzt werden, dass anstelle der RLV faktisch
praxisindividuelle Budgets - bezogen auf die von den einzelnen Praxen im Referenzquartal erreichte Vergütung - zur Anwendung
kommen. Entsprechendes gilt für die mit der grundlegenden Umgestaltung des EBM-Ä ggf verbundenen Honorarzuwächse. Eine zur
Abweichung von diesen Vorgaben ermächtigende normative Grundlage liegt nicht vor.
a) Kernpunkt der gesetzlichen Neuregelung sind, wie der Senat bereits in seinem Urteil vom 17.3.2010 (BSG SozR 4-2500 § 85
Nr 54 RdNr 14 ff, auch zur Veröffentlichung in BSGE vorgesehen) dargelegt hat, nach §
85 Abs
4 Satz 7
SGB V zwei Vorgaben, nämlich die Festlegung arztgruppenspezifischer Grenzwerte und fester Punktwerte, sowie - gemäß §
85 Abs
4 Satz 8
SGB V - für darüber hinausgehende Leistungen abgestaffelte Punktwerte. Dabei kommt den festen Punktwerten besonderes Gewicht zu
(BSG aaO RdNr 15). Diesen Vorgaben entsprachen die - maßgeblich durch Ausgleichsregelung nach Ziffer 7.5 HVV geprägten - Honorarverteilungsregelungen
in dem ab 1.4.2005 geltenden HVV nicht.
Zwar sah der HVV unter Ziffer 6.3 HVV die Bildung praxisindividueller RLV sowie unter Ziffer 6.4 HVV die Bewertung der innerhalb
des RLV liegenden Honoraranforderungen mit einem festen Punktwert vor. Diese in Erfüllung der gesetzlichen und vertraglichen
Vorgaben erlassenen Bestimmungen des HVV wurden jedoch durch die Ausgleichsregelung nach Ziffer 7.5 HVV korrigiert bzw konterkariert.
Danach erfolgte nach Feststellung der Punktwerte und Quoten gemäß Ziffer 7.2 HVV ein Vergleich der für das aktuelle Abrechnungsquartal
berechneten fallbezogenen Honoraranforderung der einzelnen Praxis mit der fallbezogenen Honorarzahlung im entsprechenden Abrechnungsquartal
des Jahres 2004, in dessen Folge Fallwertsteigerungen von mehr als 5 % gekappt und Fallwertverluste von mehr als 5 % ausgeglichen
wurden. Somit bestimmte sich die Höhe des der Arztpraxis zustehenden Honorars im Ergebnis nicht nach arztgruppenspezifischen
Grenzwerten und festen Punktwerten, sondern primär nach dem im Referenzquartal maßgeblichen praxisindividuellen Fallwert.
Je größer das durch die Ausgleichsregelung vorgegebene Ausmaß der Honorarkürzung im Falle einer Fallwertsteigerung war, desto
mehr entfernte sich der Honoraranspruch der einzelnen Arztpraxis von dem nach den gesetzlichen und vertraglichen Vorgaben
ermittelten Anspruch. Die Ausgleichsregelung führte im Ergebnis dazu, dass die von einer Arztpraxis abgerechneten Leistungen
in einer Form vergütet wurden, die einem praxisindividuellen Individualbudget weitgehend vergleichbar war. Denn auch eine
Praxis, deren Leistungsumfang sich innerhalb des vorgegebenen RLV hielt, erhielt diese Leistungen nur dann mit dem vorgesehenen
festen Punktwert vergütet, wenn es - im Vergleich zum Referenzquartal - nicht zu einer Fallwertveränderung um mehr als 5 %
gekommen war. Eine Erhöhung des Fallwerts wirkte sich hingegen auf den Honoraranspruch der Praxis nicht aus, soweit der im
Referenzquartal erzielte Fallwert um mehr als 5 % überschritten war. Dann wurde das - im ersten Schritt nach RLV und festem
Punktwert berechnete - Honorar in einem zweiten Schritt um den übersteigenden Betrag gekürzt, mit der Folge, dass sich der
"feste" Punktwert faktisch entsprechend dem Ausmaß der durch die Ausgleichsregelung bedingten Honorarkürzung verringerte.
b) Das LSG hat zutreffend dargelegt, dass sich die Beklagte zur Rechtfertigung der Ausgleichsregelung nach Ziffer 7.5 HVV
nicht auf den Beschluss des Erweiterten BewA vom 15.1.2009 berufen kann. Die dort - in Teil A - den Partnern der Gesamtverträge
eingeräumte Möglichkeit einer schrittweisen Anpassung der RLV im Rahmen eines so genannten "Konvergenzverfahrens" betrifft
zum einen inhaltlich allein die sich aus der gesetzlichen Umgestaltung des vertragsärztlichen Vergütungsrecht (§§ 87a ff
SGB V idF des GKV-WSG vom 26.3.2007, BGBl I 378) zum 1.1.2009 sowie den hierzu ergangenen Beschlüssen des BewA ergebenden Konsequenzen. Hinzu kommt,
dass sich die Ermächtigung zu einer schrittweisen Anpassung auf die RLV bezieht, nicht hingegen auf die Normierung von Ausgleichsregelungen
außerhalb der Vergütung nach RLV. Zum anderen ergibt sich aus Teil A Ziffer 1 des Beschlusses eindeutig, dass die Regelung
allein für die Zeit ab Inkrafttreten dieser gesetzlichen Änderungen (sowie begrenzt auf die Zeit bis Ende 2010) Geltung beansprucht.
Rückwirkung kommt dem Beschluss nicht zu (s hierzu schon BSG SozR 4-2500 § 85 Nr 50 RdNr 25).
c) Eine Befugnis, anstelle von RLV andere Steuerungsinstrumente vorzusehen, haben die Partner der HVV grundsätzlich nicht.
Die im BRLV gemachten Vorgaben des BewA zur Bildung von RLV sind für die Beklagte verbindlich, wie der Senat bereits mit Urteil
vom 3.2.2010 (B 6 KA 31/08 R - BSGE 105, 236 = SozR 4-2500 § 85 Nr 53) entschieden hat. Dies folgt daraus, dass in §
85 Abs
4 Satz 6 bis 8 iVm Abs
4a Satz 1 letzter Teilsatz
SGB V vorgesehen ist, dass "der Bewertungsausschuss ... den Inhalt der nach Absatz 4 Satz 4, 6, 7 und 8 zu treffenden Regelungen"
bestimmt. Zudem ist in §
85 Abs
4 Satz 10
SGB V normiert, dass "die vom Bewertungsausschuss nach Absatz 4a Satz 1 getroffenen Regelungen ... Bestandteil der Vereinbarungen
nach Satz 2" sind. Durch diese beiden Bestimmungen ist klargestellt, dass der Inhalt des HVV sich nach den vom BewA normierten
Vorgaben zu richten hat und dass diese Regelungen des BewA Bestandteil des HVV sind. Aus beidem folgt jeweils, dass die Bestimmungen
des HVV nachrangig gegenüber den Vorgaben des BewA sind, sodass der HVV zurücktreten muss, soweit ein Widerspruch zwischen
ihm und den Vorgaben des BewA vorliegt, es sei denn, dieser hätte Spielräume für die Vertragspartner des HVV gelassen.
Die Beklagte kann sich auch nicht auf die Ausnahmeregelung nach Teil III 2.2 BRLV berufen, da deren Voraussetzungen nicht
gegeben sind. Wie der Senat ebenfalls mit Urteil vom 3.2.2010 (aaO unter RdNr 22 f) entschieden hat, ließen die Regelungen
des BewA keine Spielräume für abweichende Regelungen zu, sondern waren von den Partnern des HVV strikt zu beachten. Ausdrückliche
Abweichungen von den Vorgaben des BewA waren nur insoweit gestattet, als die Übergangsregelung in Teil III Nr 2.2 BRLV zuließ,
dass bisherige Steuerungsinstrumente fortgeführt wurden, deren Auswirkungen mit den Vorgaben des §
85 Abs
4 SGB V vergleichbar waren. Die vom BRLV abweichende Ausgleichsregelung nach Ziffer 7.5 HVV stellte indessen - soweit sie zu Honorarkürzungen
führte - keine gemäß Nr 2.2 aaO zulässige Abweichung dar.
Wie der Senat in seinem Urteil vom 3.2.2010 (BSGE 105, 236 = SozR 4-2500 § 85 Nr 53, RdNr 23), das ebenfalls den hier maßgeblichen HVV der Beklagten in der ab dem 1.4.2005 geltenden
Fassung betraf, bereits im Einzelnen dargelegt hat, fehlte es bereits vom Inhalt der Honorarverteilungsregelungen her an der
Fortführung solcher "Steuerungsinstrumente, die in ihren Auswirkungen mit der gesetzlichen Regelung in §
85 Abs
4 SGB V vergleichbar sind": Die Honorarverteilung war bis Anfang 2005 auf der Grundlage praxisindividueller Punktzahl-Obergrenzen
geregelt, wie in dem vom BSG (aaO) in Bezug genommenen Urteil des Hessischen LSG vom 23.4.2008 (L 4 KA 69/07) zum HVV der Beklagten ausgeführt worden ist. Diese Regelungsstrukturen stellen keine Steuerungsinstrumente dar, deren Auswirkungen
mit den Vorgaben des §
85 Abs
4 SGB V vergleichbar sind. Überdies fehlte es auch an einer "Fortführung" von entsprechenden Steuerungsinstrumenten. Denn insgesamt
wurden zum Quartal II/2005 im Vergleich zu den vorher geltenden Honorarverteilungsregelungen sehr viele Änderungen vorgenommen,
wie sich aus der Zusammenstellung der Beklagten in ihrem Rundschreiben "Die Honorarverteilung ab dem 2. Quartal 2005" ergibt
(BSGE 105, 236 = SozR 42500 § 85 Nr 53, aaO unter Hinweis auf "info.doc" Nr 2, 2005, S 37-45). Im Übrigen steht der Annahme, die Beklagte
habe mit der Ausgleichsregelung nach Ziffer 7.5 HVV lediglich bisherige, vergleichbare Steuerungsinstrumente fortgeführt,
schon entgegen, dass der vorangegangene HVM keine derartige Ausgleichsregelung enthielt, sondern diese vielmehr in Reaktion
auf die zum 1.4.2005 in Kraft getretenen Neuregelungen ausdrücklich neu geschaffen wurde.
d) Auch die Erwägung, die Kosten für die Stützung derjenigen Praxen, die infolge der RLV unzumutbare Honorareinbußen hinnehmen
müssen, seien von den Praxen aufzubringen, die von den RLV besonders profitieren, rechtfertigt die Regelung in Ziffer 7.5
HVV nicht. Zwar hält der Senat die Partner der HVV grundsätzlich für berechtigt, im HVV zumindest für eine Übergangzeit Vorkehrungen
zu treffen, dass die Umstellung der Vergütung auf das System der RLV nicht zu existenzbedrohenden Honorarminderungen für bestehende
Praxen trotz unveränderten Leistungsangebots führt. Außer Frage steht, dass eine KÄV aufgrund des ihr nach §
75 Abs
1 SGB V obliegenden Sicherstellungsauftrags berechtigt ist, zwar nicht anstelle, jedoch ergänzend zu den RLV mit den Krankenkassenverbänden
im HVV Maßnahmen zu vereinbaren, die eine Stützung gefährdeter Praxen beinhalten (vgl schon BSGE 81, 86, 102 = SozR 3-2500 § 87 Nr 18 S 98). Ob die Grenze unzumutbarer Honorarminderungen schon bei 5 % zu ziehen ist, bedarf keiner
Entscheidung, weil die begünstigende Wirkung der Ziffer 7.5 HVV nicht Gegenstand des vorliegenden Revisionsverfahrens ist.
Ebenso ist die KÄV weiterhin nicht nur berechtigt, sondern - wie zuletzt im Urteil vom 3.2.2010 (B 6 KA 1/09 R - SozR 4-2500 § 85 Nr 50 RdNr 13 ff) ausdrücklich zum hier in Rede stehenden HVV der Beklagten entschieden - sogar verpflichtet,
auch im Rahmen von RLV unterdurchschnittlich abrechnende Praxen wie auch so genannter "Anfänger- oder Aufbaupraxen" zu stützen.
Allerdings ist die KÄV gehalten, sich die für einen Ausgleich benötigten Geldmittel in rechtlich zulässiger Form zu beschaffen.
Insofern greift das Argument der Beklagten zu kurz, dass die Ausgleichsregelung bei Fallwertminderungen nach Ziffer 7.5 HVV
zwingend die Rechtmäßigkeit der zu ihrer Finanzierung erforderlichen Regelung zur Honorarkappung bei Fallwertsteigerungen
bedinge. Eine Art "Schicksalsgemeinschaft" der von den RLV besonders begünstigten und besonders belasteten Praxen besteht
nicht. Es kann auch nicht ausgeschlossen werden, dass deutliche Honorarzuwächse einzelner Arztgruppen oder Praxen infolge
der RLV vom Normgeber ausdrücklich gewollt sind, zB weil bestimmte Vergütungsanreize gesetzt werden sollten oder das bisherige
Honorarniveau als unzureichend angesehen wurde. Schon deshalb ist eine pauschale Inpflichtnahme aller "Gewinnerpraxen" zur
Finanzierung der von den Partnern des HVV für erforderlich gehaltenen Verlustbegrenzung ausgeschlossen.
Erst recht gilt dies, wenn - wie die niedrigen Eingreifschwellen von minus 5 % für Stützungsmaßnahmen und von plus 5 % für
Honorarkürzungen nahe legen - die Regelung eher den Charakter einer Bestandsschutzmaßnahme zugunsten etablierter Praxen denn
einer Stützungsmaßnahme zugunsten gefährdeter Praxen hatte. Die Auffüllbeträge und Honorarkürzungen nach Ziffer 7.5. HVV glichen
offenbar nicht nur extreme, ausreißerähnliche Verluste aus und begrenzten extreme Gewinne als Folge der neuen RLV bzw des
neuen EBM-Ä, sondern schrieben faktisch gewachsene Vergütungsstrukturen fort.
Die für die Stützung erforderlichen Auffüllbeträge müssen vielmehr gegebenenfalls aus der Gesamtvergütung - also zu Lasten
aller Vertragsärzte - aufgebracht werden. Die Beklagte hätte daher erforderlich werdende Ausgleichszahlungen durch entsprechende
Vorab-Einbehalte bei den Gesamtvergütungen bzw durch anteilige Honorarabzüge bei allen an der Honorarverteilung teilnehmenden
Vertragsärzten bzw Praxen finanzieren müssen. Hierzu wäre sie - ebenso wie zu Sicherstellungseinbehalten oder zur Bildung
von Rückstellungen im Falle von Rechtsstreitigkeiten (s hierzu BSG Urteil vom 9.12.2004, B 6 KA 84/03 R = USK 2004-146 S 1067) - auch berechtigt gewesen.
e) Schließlich ergibt sich eine Rechtfertigung auch nicht aus dem Gesichtspunkt einer Anfangs- und Erprobungsregelung, denn
das kommt nach der Rechtsprechung des Senats regelmäßig nicht in Betracht, wenn eine Regelung schon von ihrer Struktur her
mit höherrangigen Vorgaben nicht übereinstimmt (vgl BSG SozR 3-2500 § 85 Nr 16 S 106 f; BSGE 88, 126, 137 f = SozR 3-2500 § 87 Nr 29 S 157; BSGE 96, 1 = SozR 4-2500 § 85 Nr 22, RdNr 35; zuletzt BSGE 105, 236 = SozR 4-2500 § 85 Nr 53, RdNr 31; sowie BSG SozR 4-2500 § 85 Nr 54 RdNr 29, auch zur Veröffentlichung in BSGE vorgesehen).
Dies ist hier der Fall, wie der Senat bereits in seiner - die Einbeziehung von Dialyseleistungen in die RLV durch den HVV
der Beklagten betreffenden - Entscheidung vom 3.2.2010 (BSGE 105, 236 = SozR 4-2500 § 85 Nr 53, RdNr 31) festgestellt hat. Der Einbeziehung der streitbefangenen Leistungen in die RLV standen
verbindliche Vorgaben des BewA entgegen. Die Beklagte verkennt insoweit, dass der ihr im Rahmen einer Anfangs- und Erprobungsregelung
eingeräumte erweiterte Gestaltungsspielraum nicht pauschal von der Beachtung der rechtlichen Vorgaben entbindet (vgl BSG SozR
4-2500 § 85 Nr 50 RdNr 24). Dieser besondere Gestaltungsspielraum wird entgegen der Auffassung der Beklagten auch nicht dadurch
obsolet, dass er nicht zum Erlass von Regelungen ermächtigt, die von vornherein den gesetzlichen oder vertraglichen Bestimmungen
zuwiderlaufen.
Im Übrigen war die Ausgleichsregelung nach Ziffer 7.5 HVV keineswegs als vorübergehende Regelung gedacht, sondern von vornherein
als Dauerregelung konzipiert. Dafür spricht auch, dass die Regelung hinsichtlich ihres belastenden Teils erst ab dem Quartal
II/2007 außer Kraft trat, und dies auch nur deswegen, weil durch die fortlaufende Absenkung der Eingriffsschwelle auf jeweils
95 % pro Quartal ein zu finanzierender Ausgleichsbedarf weitgehend entfallen ist. Die Beklagte hat sich erst im Zuge der rechtlichen
Auseinandersetzungen darauf berufen, dass es sich bei der Ausgleichsregelung nach Ziffer 7.5 HVV um eine zu erprobende Regelung
handele.
Die Beklagte kann sich - wie dargestellt - auch nicht darauf berufen, zu einer Modifizierung - vergleichbar den vom BewA getroffenen
Übergangsregelungen (etwa im Rahmen einer so genannten Konvergenzphase") - berechtigt gewesen zu sein. Denn der Gestaltungsspielraum
des vorrangigen Normgebers ist ein anderer als der eines nachrangigen - zur Umsetzung verpflichteten - Normgebers. Während
etwa dem BewA das Recht zuzugestehen ist, eine allmähliche Anpassung an die Vorgaben des §
85 SGB V genügen zu lassen und übergangsweise noch Abweichungen zu tolerieren (s hierzu BSG SozR 4-2500 § 85 Nr 54 RdNr 21, auch zur
Veröffentlichung in BSGE vorgesehen), gilt dies nicht im gleichen Maße auch für die KÄVen, da andernfalls nicht sichergestellt
wäre, dass bundeseinheitlich geltende Vorgaben umgesetzt würden.
f) Da die Ausgleichsregelung nach Ziffer 7.5 HVV, soweit sie Honorarkürzungen bei Fallwerterhöhungen bestimmt, bereits aus
den dargestellten Gründen unwirksam ist, kann offenbleiben, ob dies auch unter Berücksichtigung der Entscheidung des Senats
zur sog "Segeberger Wippe" (BSGE 75, 37 = SozR 3-2500 § 85 Nr 7) der Fall wäre.
2. Nach der erforderlichen Anpassung des HVV wird die Beklagte neu über die Honoraransprüche der Klägerin zu entscheiden haben.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
197a Abs
1 Satz 1 Halbsatz 3
SGG iVm einer entsprechenden Anwendung der §§
154 ff
VwGO. Danach hat die Beklagte die Kosten des erfolglos eingelegten Rechtsmittels zu tragen (§
154 Abs
2 VwGO).