Heilmittelregress in der vertragsärztlichen Versorgung wegen Überschreitung des entsprechenden Richtgrößenvolumens im Jahr
2008; Grundsatz der "Beratung vor Regress"
Gründe:
I
Im Streit steht ein Regress wegen Überschreitung der Heilmittel-Richtgrößen im Jahr 2008.
Der Kläger nimmt seit 1990 als Orthopäde an der vertragsärztlichen Versorgung teil. Nach vorangegangenen Regressen für die
Jahre 2006 und 2007 setzte die Prüfungsstelle wegen der Überschreitung des individuellen Richtgrößenvolumens (RGVol) bei Heilmitteln
im Jahr 2008 einen weiteren Regress gegen den Kläger fest (Bescheid vom 20.12.2010). Mit Bescheid vom 19.9.2012 (Beschluss
vom 27.6.2012) half der beklagte Beschwerdeausschuss dem Widerspruch des Klägers teilweise ab und verminderte den Regressbetrag
auf 10 303,54 Euro. Im Übrigen wies er den Widerspruch zurück: Der Kläger habe 2008 das RGVol für Orthopäden - nach Berücksichtigung
von Praxisbesonderheiten und kompensatorischen Einsparungen - um 31,18 vH überschritten. Die Regelung des §
106 Abs
5e SGB V über den Vorrang der Beratung werde nicht rückwirkend angewandt, da bereits zwei bestandskräftige Regressbescheide für 2006
und 2007 vorlägen und damit ein Regress nicht erstmals festgesetzt werde.
Auf die Klage des Klägers hat das SG mit Urteil vom 20.11.2013 den Bescheid des Beklagten aufgehoben. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Festsetzung eines
Regresses sei mit dem in §
106 Abs
5e SGB V geregelten Grundsatz "Beratung vor Regress" nicht vereinbar. Nach seinem Satz 7 gelte §
106 Abs
5e SGB V auch für Verfahren, die am 31.12.2011 noch nicht abgeschlossen gewesen seien. Der Gesetzgeber habe, wie aus den Gesetzesmaterialien
hervorgehe, mit §
106 Abs
5e Satz 7
SGB V klarstellen wollen, dass der in §
106 Abs
5e SGB V verankerte Grundsatz "Beratung vor Regress" auch für bei Inkrafttreten des §
106 Abs
5e SGB V zum 1.1.2012 noch nicht abgeschlossene Richtgrößenprüfungen gelten solle. Vor Erlass des angefochtenen Bescheids habe keine
individuelle Beratung des Klägers im Sinne des §
106 Abs
5e SGB V zur Wirtschaftlichkeit seines Heilmittelverordnungsverhaltens stattgefunden. Die Regressbescheide für 2006 und 2007 stellten
keine Beratung nach §
106 Abs
5e SGB V dar.
Angesichts der Zielsetzung des §
106 Abs
5e SGB V könne dem Kläger auch nicht entgegengehalten werden, er habe das RGVol im Jahr 2008 nicht zum ersten, sondern zum dritten
Mal überschritten. Die Konzeption des §
106 Abs
5e SGB V mit dem zum 1.1.2012 neu eingeführten Grundsatz "Beratung vor Regress" sehe vor, dass der Arzt, der mit seinem Verordnungsverhalten
die Richtgrößen überschreite, ab 1.1.2012 zuerst nach näherer Maßgabe des §
106 Abs
1a SGB V beraten werden müsse. Ein Regress dürfe erst dann festgesetzt werden, wenn er in einem weiteren Prüfungszeitraum nach erfolgter
(oder abgelehnter) Beratung die Richtgrößen erneut überschreite. Für diesen Verfahrensgang sei es unerheblich, ob die Richtgrößen
in der Vergangenheit überschritten worden seien und deswegen Regressbescheide ergangen seien. Als erstmalige Überschreitung
des RGVol im Sinne des §
106 Abs
5e Satz 1
SGB V sei diejenige Überschreitung anzusehen, auf die erstmals die in der genannten Vorschrift geforderte Beratung stattfinde.
Ein Regress komme daher erst in Betracht, wenn der Kläger nach einer solchen Beratung künftig das RGVol erneut um mehr als
25 vH überschreite.
Mit seiner Revision rügt der Beklagte die Verletzung von Bundesrecht. Das SG habe §
106 Abs
5e SGB V fehlerhaft angewandt; die von ihm vorgenommene Auslegung der Norm sei mit deren klaren Wortlaut nicht zu vereinbaren. Gründe,
vom Wortlaut des Gesetzes abzuweichen, gebe es nicht. Der Gesetzeswortlaut gehe davon aus, dass nur bei einer erstmaligen
Überschreitung des RGVol die Maßnahme auf eine individuelle Beratung beschränkt sei. Hätte der Gesetzgeber gewollt, dass die
Vorschrift für jedes am Stichtag 1.1.2012 noch laufende Verfahren Geltung entfalten solle, so gebe die Formulierung "erstmalig"
im Gesetzestext keinen Sinn. Soweit der Gesetzestext - wie hier - eindeutig sei und nicht zu schlechthin unbilligen Ergebnissen
führe, bedürfe es keiner Auslegung unter Hinzunahme der Gesetzesbegründung. §
106 Abs
5e Satz 7
SGB V ordne die rückwirkende Anwendung des neuen Rechts auf frühere Sachverhalte gerade nicht in der erforderlichen Klarheit an.
Die in der Gesetzesbegründung zum Einschub des §
106 Abs
5e Satz 7
SGB V enthaltenen Überlegungen könnten keine Anwendung finden, da diese sich nicht im Gesetzeswortlaut objektiviert hätten. Hätte
der Gesetzgeber mit dem Gesetzeswortlaut tatsächlich rückwirkend alle Wirtschaftlichkeitsprüfungen und bereits festgesetzte
Regresse beseitigen und der Tätigkeit der Gremien der Wirtschaftlichkeitsprüfung damit ihre Grundlage entziehen wollen, so
hätte er damit zugleich auch in die Rechte der Krankenkassen eingegriffen, weil verfestigte Vermögenspositionen entwertet
würden. Dass er dies gewollt habe, ergebe sich weder aus dem Gesetzeswortlaut noch den Gesetzesmaterialien.
Im Übrigen verkenne das SG den systematischen Aufbau des §
106 Abs
5e SGB V: In Satz 1 aaO werde unmissverständlich eine "erstmalige Überschreitung" vorausgesetzt; alle nachfolgenden Regelungen des
§
106 Abs
5e SGB V bauten hierauf auf, setzten also eine "erstmalige Überschreitung" voraus. Daraus folge, dass eine Beratung nur bei einer
erstmaligen Überschreitung erforderlich sei, sonst nicht. Die Erstüberschreitung sei nach dem Gesetzeswortlaut jedenfalls
dann ausgeschlossen, wenn zum 31.12.2011 bereits bestandskräftige Richtgrößen-Regressbescheide aus früheren Prüfjahren gegen
den Arzt vorgelegen hätten, so wie es hier der Fall gewesen sei. Bezugszeitraum sei dabei die gesamte, in der Vergangenheit
liegende Tätigkeit des Vertragsarztes, bei der es zu Überschreitungen gekommen sei. Mit der erstmaligen Überschreitung nach
§
106 Abs
5e SGB V könne nichts anderes gemeint sein als die numerisch erstmalige Überschreitung. Die Auslegung des SG käme einem Neuanfang der Wirtschaftlichkeitsprüfung nach Richtgrößen gleich; Regresse könnten frühestens für das Jahr 2015
- zeitversetzt erst in 2016 oder 2017 - festgesetzt werden. Hätte der Gesetzgeber eine "Amnestie" in dieser Hinsicht gewollt,
hätte er dies im Gesetzestext ausdrücklich regeln müssen.
Aus der Anwendung des Leistungsfallprinzips folge, dass §
106 Abs
5e Satz 1 bis
6 SGB V lediglich auf Prüfquartale nach dem 1.1.2012 Anwendung finde. Wenn §
106 Abs
5e Satz 1
SGB V die Durchführung einer Beratung zur Voraussetzung der Festsetzung eines Regresses erkläre, so werde damit eine Tatbestandsvoraussetzung
normiert, die materiell-rechtlicher Art sei. Anspruchsbegründendes Ereignis sei die tatsächliche Verordnungspraxis in den
maßgeblichen Beurteilungsquartalen; das spätere Prüfverfahren ändere nichts an einer tatsächlichen Überschreitung, sondern
diene lediglich deren Ermittlung und Feststellung. Somit habe vorliegend zum Zeitpunkt des Ergehens des Widerspruchsbescheides
am 19.9.2012 ein abgeschlossener Sachverhalt vorgelegen. Der Grundsatz der sofortigen Anwendung des neuen Rechts sei nicht
anzuwenden, weil die Neuregelung nicht allein begünstigend wirke, sondern zugleich die Krankenkassen belaste.
Durch die Einfügung des Satzes 7 aaO mit Wirkung zum 26.10.2012 sei keine Änderung eingetreten, da es sich bei der von dieser
Vorschrift angeordneten Erstreckung des zeitlichen Geltungsbereichs auf sämtliche zum 31.12.2011 nicht abgeschlossenen Sachverhalte
um eine unzulässige und damit verfassungswidrige echte Rückwirkung handele. Der Gesetzgeber könne den Inhalt geltenden Rechts
mit Wirkung für die Vergangenheit nur in den verfassungsrechtlichen Grenzen für eine rückwirkende Rechtssetzung feststellend
oder klarstellend präzisieren; Ausführungen in der Gesetzesbegründung, dass die Vorschrift lediglich klarstellenden Charakter
habe, seien für die Gerichte nicht verbindlich. Die Voraussetzungen für eine echte Rückwirkung seien erfüllt, da durch Satz
7 aaO Regressansprüche der Krankenkassen nachträglich zum Erlöschen gebracht worden seien. Keine der Fallgruppen, in denen
eine echte Rückwirkung ausnahmsweise zulässig sei, sei vorliegend gegeben. Insbesondere fehle es an überragenden Gemeinwohlbelangen,
die dem Prinzip der Rechtssicherheit vorgingen. Die Rückwirkungsgrundsätze seien auch auf gesetzliche Krankenkassen anwendbar,
weil das Rückwirkungsverbot nicht lediglich aus Grundrechten, sondern auch aus dem Rechtsstaatsprinzip hergeleitet werde.
Vertrauensschutz ziele daher nicht lediglich auf den Schutz der Grundrechte, sondern sämtlicher einer natürlichen oder juristischen
Person zustehender Rechte.
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des SG Stuttgart vom 21.11.2013 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Das BSG gehe keineswegs in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass sich die Entstehung und der Fortbestand sozialrechtlicher Ansprüche
bzw Rechtsverhältnisse immer nach dem Recht beurteilten, das zur Zeit der anspruchsbegründenden Ereignisse oder Umstände gegolten
habe. Vielmehr sei nach den allgemeinen, für das intertemporale Sozialrecht geltenden Grundsätzen zunächst zu klären, ob das
Versicherungs- bzw Leistungsfallprinzip oder das Geltungszeitraumprinzip zur Anwendung komme. Letztlich hänge es vom Inhalt
und Zweck der konkreten neuen Regelung ab, ob diese mit Wirkung für die Zukunft auch die bereits unter dem früheren Recht
begründeten Ansprüche erfasse oder nicht.
Durch §
106 Abs
5e SGB V sei nicht die inhaltliche Beurteilung der Wirtschaftlichkeit verändert worden, sondern lediglich die Rechtsfolge bzw Sanktion,
die sich an eine festgestellte Unwirtschaftlichkeit anschließe. Auch die jüngere Rechtsprechung des BSG ordne die Beratung als Sanktion und nicht als materiell-rechtliche Regelung ein. Der gesamte rechtliche Gehalt des neuen
§
106 Abs
5e SGB V wirke sich erst nach Abschluss der materiellen Prüfung aus. Mangels einer materiell-rechtlichen Vorgabe bzw einer materiell-rechtlichen
Anspruchsvoraussetzung verbleibe hier nur die Anwendung des Geltungszeitraumprinzips mit dem Ergebnis, dass der neue §
106 Abs
5e SGB V bereits auf das laufende - hier zu beurteilende - Prüfverfahren hätte Anwendung finden müssen, da die maßgeblichen Rechtsfolgen
in den zeitlichen Geltungsbereich des neuen §
106 Abs
5e SGB V fielen. Gegen die Anwendung des Versicherungs- bzw Leistungsfallprinzips spreche auch, dass anspruchsbegründendes Ereignis
für den Regressanspruch der Krankenkassen nicht die quartalsweise getätigten Verordnungen, sondern die Überschreitung des
RGVol um mehr als 25 vH sei; dies stehe erst nach Abschluss des Verwaltungsverfahrens fest. Die Beratung habe de facto eine
Doppelnatur als Rechtsfolge und Verfahrensvoraussetzung.
Selbst wenn man §
106 Abs
5e SGB V als Änderung einer materiell-rechtlichen Vorgabe einstufen würde, gelte das Versicherungs- bzw Leistungsfallprinzip nur "grundsätzlich"
und auch nur dann, wenn später in Kraft gesetztes Recht "ausdrücklich oder sinngemäß" nichts anderes bestimme. Letzteres sei
der Fall. Der Gesetzgeber sei vom Geltungszeitraumprinzip ausgegangen, da er sonst die spätere Ergänzung kaum als "Klarstellung"
bezeichnet hätte. Die Neufassung der Norm solle nach ihrem Sinn und Zweck sofort gelten, dh auch laufende Prüfverfahren habe
erfassen sollen, da es sich nicht um eine grundlegend neue Regelung, sondern um die Umwandlung einer Soll- in eine Mussvorschrift
handele. Diese Umwandlung habe zum einen die Feststellung des Gesetzgebers zum Hintergrund gehabt, dass die in der Vergangenheit
ausgesprochenen Regresse das Verordnungsverhalten der Vertragsärzte nicht verändert hätten; der Gesetzgeber habe daher eine
echte Kehrtwende im Bereich der Richtgrößenprüfung vornehmen wollen. Durch eine Beratung solle ausdrücklich eine nochmalige
Überschreitung vermieden werden. Zum Weiteren hätten die hohen Regressforderungen dazu geführt, dass immer mehr junge Ärzte
die Niederlassung ablehnten und immer mehr Patienten die Sorge äußerten, wegen der Richtgrößen benötigte Medikamente nicht
mehr zu bekommen. Angesichts dessen erscheine es mehr als unwahrscheinlich, dass der Gesetzgeber noch drei Jahre habe warten
wollen, bis seine Regelungen griffen.
Da es sich bei §
106 Abs
5e SGB V um eine Regelung handle, die den Vertragsarzt begünstige, lägen auch die Voraussetzungen für die sofortige Anwendung des
neuen Rechts vor. Bei einer begünstigenden Regelung sei grundsätzlich lediglich zu prüfen, ob Grundsätze des Vertrauensschutzes
der sofortigen Einführung der Neuregelung entgegenstünden. Das Vertrauen der Krankenkassen in den Fortbestand der Rechtslage
sei jedoch ebenso wenig schutzwürdig wie deren angeblich verfestigte Vermögensposition. Der Gesetzgeber habe bewusst in Kauf
genommen, dass ihnen Rückzahlungsbeträge und Vermögenspositionen entgingen. Schließlich sei maßgeblicher Zeitpunkt für die
Beurteilung der Rechtslage bei der vorliegend erhobenen Anfechtungsklage der Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung,
wie das BSG mit Urteil vom 24.11.1993 (6 RKa 20/91 - SozR 3-2200 § 368n Nr 6) entschieden habe; der Widerspruchsbescheid sei am 19.9.2012 ergangen und damit zu einem Zeitpunkt,
als der neue §
106 Abs
5e SGB V bereits in Kraft getreten gewesen sei.
Soweit es die Anwendbarkeit des §
106 Abs
5e SGB V in der Fassung ab dem 26.10.2012 betreffe, sei das Versicherungs- bzw Leistungsfallprinzip schon deswegen nicht anwendbar,
weil später in Kraft gesetztes Recht - nämlich Satz 7 aaO - ausdrücklich oder sinngemäß etwas anderes bestimme. Der Auffassung,
dass die vermeintliche Klarstellung leerlaufe, da die Regelung einen konstitutiven Charakter habe, sei nicht zuzustimmen.
Der Gesetzgeber sei der Auffassung gewesen, dass maßgeblicher Zeitpunkt für die entscheidende Rechtslage der Zeitpunkt der
letzten Verwaltungsentscheidung sein werde. Durch die gegenteilige Auffassung werde hier die eigene Erläuterung des Gesetzgebers
in seiner Gesetzesbegründung als unbeachtlich verworfen. Zu entscheiden, was Recht sein solle, sei in einem demokratischen
Rechtsstaat grundsätzlich Sache des Gesetzgebers. §
106 Abs
5e Satz 7
SGB V sei auch nicht verfassungswidrig. Echte Rückwirkung entfalte eine Rechtsnorm nur, wenn ihre Rechtsfolge mit belastender Wirkung
für den Bürger bzw Grundrechtsträger schon vor dem Zeitpunkt ihrer Verkündung gelten solle. Vorliegend werde die Rechtsstellung
der Vertragsärzte jedoch verbessert, während die Krankenkassen und die Kassenärztlichen Vereinigungen (KÄVen) keine Grundrechtsträger
seien.
Schließlich gelte §
106 Abs
5e SGB V auch für Vertragsärzte, die ihr RGVol in der Vergangenheit bereits mehrmals um 25 vH überschritten, aber bisher noch nie
eine Beratung erhalten hätten. Zwar sei §
106 Abs
5e Satz 1
SGB V ("erstmalig") eindeutig; dies gelte grundsätzlich aber auch für Satz 2 aaO, wonach ein Erstattungsbetrag bei künftigen Überschreitungen
erstmals für den Prüfungszeitraum nach der Beratung festgesetzt werden könne. Hieraus sei zu entnehmen, dass es unerheblich
sei, ob eine erstmalige oder eine mehrmalige Überschreitung vorliege. Angesichts zweier möglicher Auslegungen komme dem subjektiven
Willen des Gesetzgebers Gewicht bei der Auslegung zu. Die Gesetzesbegründung sei dahingehend eindeutig, dass sie den Vorrang
der Beratung auf jedes noch laufende Prüfverfahren erstrecke, sofern der Vertragsarzt zuvor noch nie beraten worden sei. Die
Gesetzbegründung unterscheide an dieser Stelle nicht zwischen erstmaliger und nochmaliger Überschreitung.
Sinn und Zweck der Vorschrift sei eben nicht, nur junge Vertragsärzte zu schützen, sondern insgesamt künftige Überschreitungen
des RGVol durch gezielte und umfangreiche Beratungen zu vermeiden. Das könne nur gelingen, wenn allen Vertragsärzten, die
noch nie eine Beratung erhalten hätten, eine solche zuteil werde, und alle Vertragsärzte die Chance hätten, ihr Verordnungsverhalten
entsprechend an die Hinweise und Vorgaben der Beratung anzupassen. Eine solche Beratung habe er - der Kläger - aber unstreitig
nie erhalten; die Richtgrößenprüfungen 2006 und 2007 hätten nicht mit einer Beratung, sondern einem Regress geendet. Regressbescheide
seien nicht dazu geeignet, künftige Regresse zu vermeiden. Ein Regressbescheid lege grundsätzlich nur dar, dass der Vertragsarzt
unwirtschaftlich verordnet habe, aber nicht warum und schon gar nicht, wie er es besser machen könne. Der Vertragsarzt könne
und werde seine Verordnungsweise nur dann ändern, wenn ihm überzeugend vor Augen geführt werde, dass seine bisherige Verordnungsweise
nicht zielführend gewesen sei, und ihm gleichzeitig sinnvolle Verordnungsalternativen aufgezeigt würden. Sofern man hingegen
auf eine "erstmalige" Überschreitung abstelle, erscheine die Auffassung zielführend, dass als eine solche vor dem Hintergrund
der gesetzgeberischen Intention nur eine nach Einführung des §
106 Abs
5e SGB V eingetretene Überschreitung in Betracht komme.
Der Beigeladene zu 6. hat sich - ohne einen Antrag zu stellen - dem Vorbringen des Beklagten angeschlossen; die übrigen Beigeladenen
haben weder Anträge gestellt noch sich geäußert.
II
Die Revision des Beklagten hat im Sinne einer Zurückverweisung des Rechtsstreits an das SG Erfolg. Da das SG zu Unrecht angenommen hat, dass §
106 Abs
5e Satz 1
SGB V der Festsetzung eines Regresses entgegensteht, muss es nun in der Sache prüfen, ob der Bescheid des Beklagten rechtmäßig
ist.
1. Rechtsgrundlage der Festsetzung eines Regresses ist §
106 Abs
5a Satz 3
SGB V (in der ab dem 1.1.2004 geltenden und seither - nahezu - unveränderten Fassung des GKV-Modernisierungsgesetzes [GMG] vom
14.11.2003, BGBl I 2190). Danach hat der Vertragsarzt bei einer Überschreitung des RGVol um mehr als 25 vH nach Feststellung
durch den Prüfungsausschuss (ab 1.1.2008: die Prüfungsstelle) den sich daraus ergebenden Mehraufwand den Krankenkassen zu
erstatten, soweit dieser nicht durch Praxisbesonderheiten begründet ist. Dies gilt auch für verordnete Heilmittel (vgl § 106
Abs 2 Satz 1 Nr
1 iVm §
84 Abs
6 Satz 1, Abs
8 Satz 1
SGB V). Ob diese Voraussetzungen vorliegen, kann der Senat nicht abschließend beurteilen, da das SG hierzu - aus seiner Sicht zu Recht - keine Feststellungen getroffen hat.
2. Entgegen der Auffassung des SG ist der angefochtene Bescheid des Beklagten nicht bereits deswegen rechtswidrig, weil gemäß §
106 Abs
5e Satz 1
SGB V anstelle eines Regresses lediglich eine individuelle Beratung hätte festgesetzt werden dürfen.
Zwar bestimmt §
106 Abs
5e SGB V (idF des Art 1 Nr 38 Buchst d des GKV-Versorgungsstrukturgesetzes [GKV-VStG] vom 22.12.2011 [BGBl I 2983, 2997], gemäß Art 15 Abs 1 GKV-VStG am 1.1.2012 in Kraft getreten), dass abweichend von §
106 Abs
5a Satz 3
SGB V bei einer erstmaligen Überschreitung des RGVol um mehr als 25 vH eine individuelle Beratung nach §
106 Abs
5a Satz 1
SGB V erfolgt (Satz 1 aaO). Der hierdurch vorgegebene Vorrang der individuellen Beratung vor einer Regressfestsetzung ("Beratung
vor Regress") findet im zu beurteilenden Prüfverfahren jedoch (noch) keine Anwendung. Dies gilt ungeachtet des Umstandes,
dass §
106 Abs
5e SGB V nach seinem Satz 7 auch für (Prüf-)Verfahren gilt, die am 31.12.2011 noch nicht abgeschlossen waren. Diese Geltungsanordnung
wurde erst mit Wirkung zum 26.10.2012 eingefügt (durch Art 12b Nr 3 des Zweiten Gesetzes zur Änderung arzneimittelrechtlicher
und anderer Vorschriften vom 19.10.2012, BGBl I 2192, 2226) und betrifft nur Entscheidungen der Beschwerdeausschüsse, die nach dem 25.10.2012 ergangen sind.
a. Der Senat folgt allerdings nicht der Auffassung des Beklagten, dass der in §
106 Abs
5e SGB V bestimmte Beratungsvorrang schon deswegen keine Anwendung finden kann, weil die durch §
106 Abs
5e Satz 7
SGB V angeordnete Erstreckung der Norm auch auf vor ihrem Inkrafttreten zum 1.1.2012 liegende Prüfungszeiträume eine verfassungswidrige
Rückwirkung zu Lasten der Krankenkassen beinhaltet.
aa. Der Senat kann offenlassen, ob dieser gesetzlichen Regelung im Sinne der Terminologie des BVerfG echte Rückwirkung zukommt,
die grundsätzlich nicht mit der Verfassung vereinbar ist, oder lediglich eine unechte Rückwirkung vorliegt, die grundsätzlich
zulässig ist (s hierzu BVerfG Beschluss vom 17.12.2013 - 1 BvL 5/08 -, RdNr 40 mwN). Eine echte Rückwirkung liegt vor, wenn eine Norm nachträglich ändernd in abgewickelte, der Vergangenheit
angehörende Sachverhalte eingreift, eine unechte Rückwirkung dann, wenn eine Rechtsnorm auf gegenwärtige, noch nicht abgeschlossene
Sachverhalte und Rechtsbeziehungen für die Zukunft einwirkt und damit zugleich die betroffene Rechtsposition nachträglich
entwertet (vgl BVerfGE 132, 302, 318 mwN; s auch BVerfG Beschluss vom 17.12.2013 - 1 BvL 5/08 -, RdNr 41 mwN; BSGE 94, 50 = SozR 4-2500 § 72 Nr 2, RdNr 46; BSG Urteil vom 19.2.2014 - B 6 KA 10/13 R - RdNr 44, zur Veröffentlichung vorgesehen in SozR 4-2500 § 85 Nr 79). Bei dieser Abgrenzung ist auf den Zeitpunkt der Bekanntgabe
(Verkündung) der Norm abzustellen (vgl BVerfGE 132, 302, 318; BSGE 95, 199 = SozR 4-2500 § 106 Nr 11, RdNr 46).
Allerdings spricht nach der Rechtsprechung des Senats zur Maßgeblichkeit des im jeweils zu prüfenden Zeitraum geltenden Rechts
(s hierzu 2.b.aa.) viel dafür, dass §
106 Abs
5e Satz 7
SGB V echte Rückwirkung entfaltet, indem die Norm die Anwendung des zum 1.1.2012 in Kraft getretenen Beratungsvorrangs auch auf
bereits abgeschlossene Prüfungszeiträume anordnet. Die Annahme des Klägers, dass es sich bei der Wirtschaftlichkeitsprüfung
nicht um einen bereits in der Vergangenheit abgeschlossenen Sachverhalt im Sinne der zitierten Rechtsprechung handele, sondern
ein solcher erst nach Berücksichtigung von Praxisbesonderheiten und der Festsetzung des Regressbetrages durch die Prüfungsstelle
vorliege, überzeugt nicht. Zwar ist der Satzteil "nach Feststellung durch die Prüfungsstelle" in §
106 Abs
5a Satz 3
SGB V in dem Sinne zu verstehen, dass sich die Erstattungspflicht nicht unmittelbar aus dem Gesetz ergibt, sondern die Festsetzung
eines entsprechenden Regressbetrages durch einen Verwaltungsakt der Prüfgremien voraussetzt. Für das Vorliegen eines "abgeschlossenen
Sachverhalts" ist dies jedoch ohne Bedeutung, denn die Umstände, die zu einer Regressverpflichtung geführt haben, liegen sämtlich
in der Vergangenheit und sind abgeschlossen. Dies gilt nicht allein für die den Regress "auslösende" Handlung - die Verordnung
von Arznei- oder Heilmitteln in einem das RGVol weit überschreitenden Umfang -, sondern auch für alle anderen maßgeblichen
Umstände, insbesondere solche, die - wie Praxisbesonderheiten - den Umfang der Verordnungen begründen bzw rechtfertigen könnten.
So treffen die Prüfgremien zwar erst im Prüfverfahren die Entscheidung, ob und welche Praxisbesonderheiten sie anerkennen,
doch betrifft dies lediglich die Würdigung der Umstände; der zu prüfende Sachverhalt selbst einschließlich der Umstände bzw
Tatsachen, die zur Begründung des Vorliegens einer Praxisbesonderheit herangezogen werden können, liegt - abgeschlossen -
in der Vergangenheit. Im Rahmen der Prüfung zu berücksichtigende Umstände können nur solche sein, die im jeweiligen Prüfungszeitraum
vorgelegen haben. Im Übrigen ist auch der Senat davon ausgegangen, dass Prüfungszeiträume vor Inkrafttreten einer Gesetzesänderung
"abgeschlossen" waren (vgl BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 18 RdNr 15).
bb. Auch bei Annahme einer echten Rückwirkung wäre diese jedoch zulässig, weil sich der Umstand, dass die nach bisherigem
Recht zwingende Festsetzung eines Regresses auch in Bezug auf bereits abgeschlossene Prüfungszeiträume durch eine bloße Beratung
ersetzt wird, allein zu Lasten der Krankenkassen auswirkt. Zwar führt die Regelung dazu, dass diese Erstattungsbeträge nicht
erhalten, mit denen sie bei Zugrundelegung der bisherigen Rechtslage rechnen konnten. Krankenkassen können sich als Körperschaften
des öffentlichen Rechts und damit als Teil der mittelbaren Staatsverwaltung jedoch nicht darauf berufen, dass einer sie belastenden
Norm unzulässige Rückwirkung zukommt (offengelassen von BSGE 90, 231, 258 = SozR 4-2500 § 266 Nr 1, RdNr 80 im Zusammenhang mit der Korrektur von Zahlungen aus dem Risikostrukturausgleich).
Die Grenzen zulässiger Rückwirkung von Gesetzen hat das BVerfG aus dem grundrechtlich verorteten Vertrauensschutz und dem
Rechtsstaatsprinzip abgeleitet (vgl zB BVerfGE 109, 133, 181; BVerfGE 126, 369, 393 = SozR 4-5050 § 22b Nr 9 RdNr 75; BVerfGE 131, 20, 38; zuletzt BVerfG Beschluss vom 17.12.2013 - 1 BvL 5/08 -, RdNr 63). Das Verbot rückwirkender belastender Gesetze schützt das Vertrauen in die Verlässlichkeit und Berechenbarkeit
der unter der Geltung des
Grundgesetzes geschaffenen Rechtsordnung und der auf ihrer Grundlage erworbenen Rechte (BVerfGE 132, 302, 317 mwN; zuletzt BVerfG Beschluss vom 17.12.2013 - 1 BvL 5/08 -, RdNr 63). Wenn der Gesetzgeber die Rechtsfolge eines der Vergangenheit zugehörigen Verhaltens nachträglich belastend ändert,
bedarf dies einer besonderen Rechtfertigung vor dem Rechtsstaatsprinzip und den Grundrechten des
Grundgesetzes, unter deren Schutz Sachverhalte "ins Werk gesetzt" worden sind (BVerfGE 127, 1, 16; BVerfGE 132, 302, 317 mwN; zuletzt BVerfG Beschluss vom 17.12.2013 - 1 BvL 5/08 -, RdNr 63).
Auf Grundrechte können sich Krankenkassen jedoch nicht berufen. Nach ständiger Rechtsprechung des BVerfG sind die Grundrechte
(grundsätzlich) ihrem Wesen nach nicht auf juristische Personen des öffentlichen Rechts anwendbar, soweit diese öffentliche
Aufgaben wahrnehmen (BVerfGE 39, 302, 312 f - Krankenkassen; BVerfGE 62, 354, 369 = SozR 2200 § 368n Nr 25 S 70 f - KÄVen; BVerfGE 68, 193, 206 - Zahntechnikerinnungen; BVerfGE 70, 1, 15 = SozR 2200 §376d Nr 1 S 1; BVerfG [Kammer] Beschluss vom 7.6.1991 - 1 BvR 1707/88 - Juris, RdNr 2 - Krankenkassenverbände; BVerfG [Kammer] SozR 4-2500 § 266 Nr 7 RdNr 14 - Krankenkassen; BVerfG [Kammer]
BVerfGK 3, 300 - Krankenkassen; BVerfG SozR 4-2500 § 4 Nr 1 RdNr 3 - Krankenkassen; zuletzt BVerfG [Kammer] Nichtannahmebeschluss
vom 11.12.2008 - 1 BvR 1665/08 - Juris, RdNr 4 = NVwZ-RR 2009, 361 - Krankenkassen). Die Grundrechtsberechtigung hängt namentlich von der Funktion ab, in der die juristische Person von dem
beanstandeten Akt der öffentlichen Gewalt betroffen wird; besteht diese Funktion in der Wahrnehmung gesetzlich zugewiesener
und geregelter Aufgaben, so kann eine juristische Person sich insoweit nicht auf Grundrechte berufen (BVerfGE 68, 193, 208; BVerfGE 70, 1, 15 = SozR 2200 § 376d Nr 1 S 1; BVerfG [Kammer], SozR 4-2500 § 266 Nr 7 RdNr 14; zuletzt BVerfG [Kammer] Nichtannahmebeschluss
vom 11.12.2008 - 1 BvR 1665/08 - Juris, RdNr 4).
Dies ist vorliegend der Fall. Die gesetzlichen Krankenkassen sind durch den mit Rückwirkung angeordneten Vorrang der Beratung
vor einer Regressfestsetzung in ihrer Funktion als Träger öffentlicher, vom Staat durch Gesetz übertragener und geregelter
Aufgaben betroffen. Sie sind "dem Staat eingegliederte Körperschaften des öffentlichen Rechts, die Aufgaben in mittelbarer
Staatsverwaltung wahrnehmen" (BVerfGE 39, 302, 313). Die Hauptaufgabe der gesetzlichen Krankenkassen besteht im Vollzug einer zwecks Erfüllung der staatlichen Grundaufgabe
"Schutz in Fällen von Krankheit" geschaffenen detaillierten Sozialgesetzgebung (BVerfGE 39, 302, 313; BVerfG [Kammer] SozR 4-2500 § 266 Nr 7 RdNr 17; BVerfG [Kammer], Nichtannahmebeschluss vom 11.12.2008 - 1 BvR 1665/08 - Juris, RdNr 6). Sie besteht darin, als Teil der mittelbaren Staatsverwaltung öffentlich-rechtlich geregelten Krankenversicherungsschutz
für die Versicherten zu gewähren (BVerfG [Kammer] SozR 4-2500 § 266 Nr 7 RdNr 20; BVerfG [Kammer] Nichtannahmebeschluss vom
11.12.2008 - 1 BvR 1665/08 - Juris, RdNr 6). Untrennbarer Teil dieser Aufgabe sind auch die sich aus dem Leistungserbringungsrecht ergebenden Rechte
und Pflichten der Krankenkassen. Für Krankenkassen gibt es - anders als für Universitäten und öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten
- keine besondere Zuordnung zu dem durch Grundrechte geschützten Lebensbereich (BVerfGE 39, 302, 314; BVerfG [Kammer] SozR 4-2500 § 266 Nr 7 RdNr 28; BVerfGK 3, 300 mwN). Auch sind sie nicht schon deshalb einem grundrechtlich
geschützten Lebensbereich zugeordnet, weil ihnen Selbstverwaltungsrechte (vgl §
4 Abs
1 SGB V sowie §
29 Abs
1 SGB IV) zustehen (vgl BVerfGE 68, 193, 207; BVerfG [Kammer] SozR 4-2500 § 266 Nr 7 RdNr 24; BVerfG [Kammer] Nichtannahmebeschluss vom 11.12.2008 - 1 BvR 1665/08 - Juris, RdNr 6).
Entgegen der Auffassung des Beklagten sind die Rückwirkungsgrundsätze auch nicht deswegen auf gesetzliche Krankenkassen anwendbar,
weil das Rückwirkungsverbot nicht allein aus Grundrechten, sondern auch aus dem Rechtsstaatsprinzip hergeleitet wird. Die
Annahme, dass aus der Geltung des Rechtsstaatsprinzips grundsätzlich für "jedermann" (vgl zB BVerfGE 87, 48, 63, mwN: "Die rechtsstaatlichen Grundsätze der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes, die für jedermann gelten ..."),
zugleich folge, dass sich auch juristische Personen des öffentlichen Rechts hierauf berufen können, geht fehl. In Bezug auf
die Zulässigkeit von Verfassungsbeschwerden hat das BVerfG ausdrücklich klargestellt, dass unter dem gemäß Art
93 Abs
1 Nr
4a GG, § 90 Abs 1 BVerfGG zur Erhebung der Verfassungsbeschwerde berechtigten "jedermann" nur derjenige zu verstehen ist, der Träger von Grundrechten
und grundrechtsgleichen Rechten - also grundrechtsfähig - ist (BVerfGK 16, 449, 454 f = Juris RdNr 17).
Auch dem Gesamtzusammenhang der Rechtsprechung des BVerfG zum Rückwirkungsverbot ist zu entnehmen, dass sich nur (natürliche
oder juristische) Personen hierauf berufen können, wenn - bzw soweit - diese auch Träger von Grundrechten sind. Das BVerfG
hat in Bezug auf das Rückwirkungsverbot immer wieder auf die "Freiheitssphäre" des Bürgers abgehoben, in die durch rückwirkende
Gesetze eingegriffen werde: "Die Grundrechte wie auch das Rechtsstaatsprinzip garantieren im Zusammenwirken die Verlässlichkeit
der Rechtsordnung als wesentliche Voraussetzung für die Selbstbestimmung über den eigenen Lebensentwurf und damit als eine
Grundbedingung freiheitlicher Verfassungen. Es würde Einzelne in ihrer Freiheit erheblich gefährden, dürfte die öffentliche
Gewalt an ihr Verhalten oder an sie betreffende Umstände ohne Weiteres im Nachhinein belastendere Rechtsfolgen knüpfen, als
sie zum Zeitpunkt ihres rechtserheblichen Verhaltens galten" (BVerfGE 127, 1, 16 mwN; BVerfGE 131, 20, 38 f; BVerfGE 132, 302, 317; zuletzt BVerfG Beschluss vom 17.12.2013 - 1 BvL 5/08 -, RdNr 63). Zudem hat das Gericht ausdrücklich betont, dass vorrangiger Prüfungsmaßstab bei einer echten Rückwirkung die
Grundrechte sind, und dass "in die insoweit erforderliche grundrechtliche Bewertung die allgemeinen rechtsstaatlichen Prinzipien
des Vertrauensschutzes, der Rechtssicherheit, aber auch der Verhältnismäßigkeit grundsätzlich in der Weise ein(fließen), wie
dies allgemein bei der Auslegung und Anwendung von Grundrechten im Hinblick auf die Fragen des materiellen Rechts geschieht"
(BVerfGE 76, 256, 347). Im dargelegten Rahmen sei das Rechtsstaatsprinzip zu beachten, hinter dem letztlich der Gedanke der Freiheitsgewähr
stehe (BVerfGE aaO; in diesem Sinne auch BVerfGE 109, 133, 180, in dem ausdrücklich der "(Staats-)Bürger" angesprochen wird).
Da die Krankenkassen wie auch die KÄVen an dieser grundrechtlich geschützten Freiheitsphäre nicht partizipieren, sind sie
nicht nur prozessual gehindert, die Beachtung des Rückwirkungsverbotes über die Verfassungsbeschwerde durchzusetzen, sondern
sie haben auch materiell keine Rechtsposition inne, die verfassungsrechtlich gegen rückwirkende Verschlechterungen geschützt
wäre.
Entgegen der Auffassung des Beklagten berührt die Regelung auch nicht die Finanzierung der gesetzlichen Krankenkassen, wobei
dahingestellt bleiben kann, ob bzw unter welchen Voraussetzungen die Krankenkassen verfassungsrechtlich gegen rückwirkende
Änderungen der Grundlagen ihrer Finanzierung geschützt sind. Anders als die Bestimmungen über die Degression (vgl BSGE 80,
223, 226 f = SozR 3-2500 § 85 Nr 22 S 136 f; BSG SozR 4-2500 § 85 Nr 48 RdNr 12), dienen die Regresse wegen der Überschreitung des RGVol nicht vorrangig der Sicherung der finanziellen Stabilität
der gesetzlichen Krankenversicherung durch Erzielung von Einsparungen. Ihr Zweck ist nicht die Refinanzierung der von den
Krankenkassen zu tragenden Arzneimittelkosten, sondern sie haben in erster Linie Lenkungscharakter, weil sie die Vertragsärzte
veranlassen sollen, die in den RGVol konkretisierten Vorgaben des Wirtschaftlichkeitsgebotes zu beachten. Wenn der Gesetzgeber
den schon seit Jahren im Gesetz niedergelegten Grundsatz "Beratung vor Regress" (§
106 Abs
5 Satz 2
SGB V), den die Rechtsprechung des Senats bisher als Sollvorschrift angesehen hat (stRspr, zB BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 21 RdNr 27 mwN; BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 26 RdNr 23), strikter ausgestaltet und einen ausnahmslos greifenden Vorrang der Beratung vor einem Regress bei erstmaliger
Überschreitung der RGVol normiert, schwächt das deutlich die Position der Kassen und der Prüfgremien bei der Durchsetzung
des Wirtschaftlichkeitsgebotes bei der Verordnung von Arznei- und Heilmitteln; auf verfassungsrechtliche Grenzen stößt der
Gesetzgeber insoweit jedoch nicht.
b. Ungeachtet der verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit der Norm steht §
106 Abs
5e SGB V vorliegend jedoch schon deswegen einer Regressfestsetzung nicht entgegen, weil die Regelung auf Entscheidungen der Beschwerdeausschüsse,
die - wie hier - vor dem 26.10.2012 ergangen sind, noch keine Anwendung findet. Hierfür sind folgende Gesichtspunkte maßgebend:
§
106 Abs
5e SGB V in der vom 1.1.2012 bis zum 25.10.2012 geltenden Fassung war nur für Prüfverfahren maßgeblich, die Prüfungszeiträume nach
dem Inkrafttreten der Norm betrafen, weil nach der Rechtsprechung des Senats grundsätzlich das im Prüfungszeitraum geltende
Recht maßgeblich ist (aa.). Etwas anderes gilt nur, wenn es ausdrücklich angeordnet ist; derartiges war §
106 Abs
5e SGB V in der bis zum 26.10.2012 geltenden Fassung nicht zu entnehmen (bb.). Eine solche ausdrückliche Geltungsanordnung in Bezug
auf zurückliegende Prüfungszeiträume enthält (erst) der nachträglich (durch Art 12b Nr 3 des Zweiten Gesetzes zur Änderung
arzneimittelrechtlicher und anderer Vorschriften vom 19.10.2012, BGBl I 2192, 2226) angefügte und gemäß Art 15 Abs 1 des Gesetzes am 26.10.2012 in Kraft getretene §
106 Abs
5e Satz 7
SGB V; dieser bestimmt, dass Abs
5e aaO auch für Verfahren gilt, die am 31.12.2011 noch nicht abgeschlossen waren (cc.). Dem Ergebnis, dass erst Satz 7 aaO eine
Rückbezüglichkeit der Regelungen des §
106 Abs
5e SGB V bewirkt hat, stehen auch die Grundsätze des intertemporalen Rechts nicht entgegen (dd.). §
106 Abs
5e Satz 7
SGB V war allerdings zum Zeitpunkt der Entscheidung des Beklagten noch nicht in Kraft getreten und daher noch nicht zu beachten
(ee.).
aa. Für die rechtliche Beurteilung, welche Rechtsfolgen sich aus einer Überschreitung des RGVol um mehr als 25 vH ergeben,
ist grundsätzlich das im jeweiligen Prüfungszeitraum geltende Recht maßgeblich; bis zum Inkrafttreten des §
106 Abs
5e Satz 7
SGB V galt dies auch für die Anwendung des §
106 Abs
5e SGB V.
(1) Die Rechtmäßigkeit von Regressfestsetzungen und anderen Maßnahmen der Wirtschaftlichkeitsprüfung beurteilt sich nach ständiger
Rechtsprechung des Senats nach dem im jeweiligen Prüfungszeitraum geltenden Recht. Danach sind für die Prüfung der Wirtschaftlichkeit
der Verordnungs- oder Behandlungsweise in Prüfungszeiträumen, die vor Inkrafttreten einer Gesetzesänderung abgeschlossen waren,
die zum früheren Zeitpunkt geltenden Rechtsvorschriften maßgeblich, wenn diese ohne Übergangsbestimmungen in Kraft getreten
sind (BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 18 RdNr 15). Jedenfalls soweit es die materiell-rechtlichen Vorgaben der Wirtschaftlichkeitsprüfung betrifft, es also
um die Frage geht, nach welchen Grundsätzen diese Prüfung stattfindet und was ihr Gegenstand ist, richtet sich dies nach den
Vorschriften, die im jeweils geprüften Zeitraum gegolten haben (BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 18 RdNr 16). Etwas anderes kommt nur dann in Betracht, wenn es gesetzlich ausdrücklich angeordnet ist.
Auf diese Entscheidung hat der Senat nachfolgend Bezug genommen und - konkret auf §
106 Abs
5e SGB V bezogen - ausgeführt, dass diese Vorschrift nur für Prüfverfahren gilt, die Zeiträume nach ihrem Inkrafttreten betreffen
(BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 36 RdNr 12). Zu ergänzen ist, dass der Senat in zahlreichen Entscheidungen zu §
106 SGB V auf das für den jeweiligen Prüfungszeitraum maßgebliche Recht abgestellt hat, auch ohne dies näher zu begründen (vgl aus
jüngerer Zeit zB BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 30 RdNr 10; BSGE 113, 123 = SozR 4-2500 § 106 Nr 40, RdNr 15; BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 41 RdNr 12).
(2) Etwas anderes gilt nach der Senatsrechtsprechung lediglich dann, wenn es um die Gestaltung des Prüfverfahrens als solches
geht, etwa wenn der Normgeber ohne Erlass von Übergangsbestimmungen die Vorschriften über die Zusammensetzung der für die
Wirtschaftlichkeitsprüfung zuständigen Verwaltungsstelle (BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 18 RdNr 15 unter Bezugnahme auf BSGE 92, 283 = SozR 4-2500 § 106 Nr 5, RdNr 9) oder andere Vorschriften über das formelle Verfahren ändert. Dies betrifft etwa Regelungen
über die Zuständigkeit, die Besetzung von Verwaltungsstellen, das Verfahren bzw die Form von Entscheidungen. Verfahrensvorschriften
werden nach allgemeinen Grundsätzen mit ihrem Inkrafttreten unmittelbar wirksam (BSGE 92, 283 = SozR 4-2500 § 106 Nr 5, RdNr 9).
Bei der in §
106 Abs
5e Satz 1
SGB V normierten Suspendierung von Regressen, denen keine Beratung vorangegangen ist, handelt es sich jedoch nicht um derartige
Verfahrensvorschriften. Vielmehr betrifft die Regelung die Durchführung des Prüfverfahrens als solches und damit materielles
Recht (so auch Scholz in Becker/Kingreen,
SGB V, 3. Aufl 2012, §
106 RdNr 33; zur Annahme einer materiell-rechtlichen Regelung neigt auch Weinrich, GesR 2014, 390, 394; vgl auch Clemens in jurisPK-
SGB V, 2. Aufl 2012, §
106 RdNr 238): Der Grundsatz "Beratung vor Regress" lässt sich den in der (zitierten) Senatsrechtsprechung angesprochenen "Grundsätzen"
zuordnen, "nach welchen ... diese Prüfung stattfindet". Das ergibt sich schon daraus, dass die "Beratung" nach Überschreitung
des RGVol eine Maßnahme der Wirtschaftlichkeitsprüfung darstellt, die der Arzt gerichtlich überprüfen lassen kann (s hierzu
BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 41 RdNr 10 f), die also ersichtlich nicht nur verfahrenstechnische Bedeutung hat. Unabhängig davon, ob man §
106 Abs
5e Satz 1
SGB V als Regelung der Voraussetzungen für die Festsetzung von Regressen versteht (nur bei mehrmaliger Überschreitung zulässig)
oder als Regelung der Voraussetzungen für die Durchführung einer Beratung (nur bei erstmaliger Überschreitung), bestimmt die
Norm die Voraussetzungen, unter denen eine Maßnahme der Wirtschaftlichkeitsprüfung erfolgen kann bzw muss. Versteht man §
106 Abs
5e Satz 1
SGB V hingegen allein als Regelung einer Rechtsfolge, indem vorgegeben wird, dass unter bestimmten Voraussetzungen die Rechtsfolge
"Regressfestsetzung" durch die Rechtsfolge "Beratung" ersetzt wird, ändert sich nichts: Die Rechtsfolge ist - quasi als "Kehrseite"
der Tatbestandsvoraussetzungen - Teil des materiellen Rechts.
(3) Der Maßgeblichkeit des im Prüfungszeitraum geltenden Rechts steht auch nicht entgegen, dass üblicherweise bei einer Anfechtungsklage
als maßgebender Zeitpunkt für die Beurteilung ihrer Begründetheit die Sach- und Rechtslage bei Erlass des Verwaltungsaktes
bzw des Widerspruchsbescheides angenommen wird (vgl die Nachweise bei Keller in MeyerLadewig/Keller/Leitherer,
SGG, 11. Aufl 2014, §
54 RdNr 33). Zunächst ist dem geltenden Recht kein "allgemeiner Grundsatz" zu entnehmen, wonach für die Beurteilung von Anfechtungsklagen
(zwingend) die zum Zeitpunkt der Verwaltungsentscheidung geltende Rechtslage maßgeblich ist (so schon BSG SozR 3-4100 § 152 Nr 7 S 17). Der Rückgriff auf die Klageart zur Bestimmung des anzuwendenden Rechts entspricht lediglich einer "Faustregel"
mit praktisch einleuchtenden Ergebnissen (BSG SozR 3-4100 § 152 Nr 7 S 17; BSG SozR 4-4300 § 335 Nr 1 RdNr 12 mwN; in diesem Sinne auch BSG SozR 4-1500 § 54 Nr 1 RdNr 5 = Juris 10).
Zudem kommt für die materiell-rechtlichen Regelungen der Wirtschaftlichkeitsprüfung der Zeitpunkt der (letzten) Verwaltungsentscheidung
als maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Rechtslage schon aus Sachgründen nicht in Betracht. Bei den im Falle eines
Verstoßes gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot verhängten Prüfmaßnahmen handelt es sich um Reaktionen auf ein nicht den gesetzlichen
(konkret den §§
12 Abs
1,
70 Abs
1 Satz 2,
72 Abs
2 SGB V) und den vertraglichen Anforderungen entsprechendes Verhalten des Arztes. Daher muss der Vertragsarzt bereits zu Beginn des
jeweiligen Prüfungszeitraums erkennen können, welche Regelungen für ihn insoweit maßgeblich sind, da er nur so sein Verhalten
darauf einstellen kann. Es liegt auf der Hand, dass das Behandlungs- oder Verordnungsverhalten eines Arztes nicht nach Maßstäben
beurteilt werden kann, die erst im Laufe des Verwaltungsverfahrens in Kraft getreten sind, bei Vornahme der - den Gegenstand
der Prüfung bildenden - Verordnungen aber noch nicht galten. Soweit der Senat in einer Entscheidung vom 24.11.1993 für die
rechtliche Beurteilung einer auf die Behandlungsweise bezogenen Wirtschaftlichkeitsprüfung auf den Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung
abgestellt hat (s BSG SozR 3-2200 § 368n Nr 6 S 13 f), hält er hieran nicht mehr fest.
bb. Nach der Rechtsprechung des Senats wie auch nach den Grundsätzen des intertemporalen Rechts (s 2.b.dd) kommt die Anwendung
anderer Vorschriften als derjenigen, die im Prüfungszeitraum gegolten haben, nur dann in Betracht, wenn dies gesetzlich ausdrücklich
angeordnet ist (BSG SozR 4-2500 §
106 Nr
18 RdNr
16). Dass §
106 Abs
5e SGB V in der bis zum 25.10.2012 geltenden Fassung auch für Prüfverfahren Geltung besitzen sollte, die vor dem Inkrafttreten der
Norm am 1.1.2012 liegende Prüfungszeiträume betreffen, ist jedoch weder der Norm selbst noch den Gesetzesmaterialien zu entnehmen.
Das Gesetz enthält insoweit keinerlei Regelungen, die die Anwendung der Norm auf in der Vergangenheit liegende Sachverhalte
anordnen; auch der Gesetzesbegründung zum GKV-VStG lässt sich kein dahingehender Wille des Gesetzgebers entnehmen, dass das neue Recht mit sofortiger Wirkung auf alle noch
"offenen" Prüfverfahren Anwendung finden sollte, da sie sich hierzu überhaupt nicht verhält. Die im Zusammenhang mit der nachträglichen
Einfügung des §
106 Abs
5e Satz 7
SGB V geäußerte gegenteilige Auffassung des Gesetzgebers ("Klarstellung") vermag hieran nichts zu ändern (s hierzu 2.b.cc.(1)).
cc. Eine gesetzliche Anordnung des Inhalts, dass der Beratungsvorrang auch auf Prüfverfahren Anwendung finden soll, die bereits
abgeschlossene Prüfungszeiträume betreffen, enthält erst der am 26.10.2012 in Kraft getretene §
106 Abs
5e Satz 7
SGB V. Dieser bestimmt, dass der in §
106 Abs
5e SGB V geregelte Vorrang einer individuellen Beratung vor einer Regressfestsetzung für alle Verfahren der Richtgrößenprüfung gilt,
die nicht bis zum 31.12.2011 durch einen Bescheid des Beschwerdeausschusses abgeschlossen waren.
(1) §
106 Abs
5e Satz 7
SGB V enthält allerdings keine bloße Klarstellung, sondern eine Änderung der Rechtslage in Form einer ausdrücklichen - konstitutiven
- gesetzlichen Geltungsanordnung (in diesem Sinne bereits Engelhard in Hauck/Noftz,
SGB V, Stand September 2014, §
106 RdNr 218b; s auch SG Marburg Beschluss vom 16.12.2013 - S 12 KA 565/13 ER - Juris, RdNr 18: "rückwirkend ... in Kraft gesetzt ..."; zweifelnd auch BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 36 RdNr 12: "(unterstellt) klarstellende Neuregelung"; aA Weinrich, GesR 2014, 390, 394; Christophers, ZMGR 2014, 11,
13). Zwar heißt es in der Satz 7 aaO betreffenden Gesetzesbegründung (Ausschussbericht zum Gesetz vom 19.10.2012, BT-Drucks
17/10156, S 95): "Klarstellung zur Rechtslage. Der Grundsatz 'Beratung vor Regress' gilt ab dem Zeitpunkt des Inkrafttretens
des GKV-VStG am 1. Januar 2012 für alle laufenden und nachfolgenden Verfahren der Prüfgremien - auch soweit sie zurückliegende Prüfungszeiträume
betreffen." Diese Annahme geht jedoch fehl.
Eine Klarstellung setzt voraus, dass etwas dem Grunde nach bereits angelegt ist und nur vorsorglich noch einmal verdeutlicht
werden soll, dass dies so ist. Dies ist in Bezug auf die in Satz 7 aaO getroffene Regelung, dass §
106 Abs
5e SGB V auch für Verfahren gilt, die am 31.12.2011 noch nicht abgeschlossen waren, jedoch nicht der Fall. §
106 Abs
5e SGB V fand - vor Einfügung des Satzes 7 aaO als einer ausdrücklichen Geltungsanordnung - gerade keine Anwendung auf Verfahren,
welche vor dem 1.1.2012 liegende Prüfungszeiträume betreffen, weil nach der Rechtsprechung des Senats für Wirtschaftlichkeitsprüfungen
das im jeweiligen Prüfungszeitraum geltende Recht maßgeblich ist und §
106 Abs
5e SGB V in der bis zum 26.10.2012 geltenden Fassung keinerlei Anhaltspunkte für eine rückbezügliche Wirkung der Norm enthielt.
Die Auffassung des Gesetzgebers, eine Vorschrift habe lediglich klarstellenden Charakter, ist für die Gerichte nicht verbindlich
(BVerfG Beschluss vom 17.12.2013 - 1 BvL 5/08 -, RdNr 47, unter Hinweis auf BVerfGE 126, 369, 392). Sie schränkt weder die Kontrollrechte und -pflichten der Fachgerichte und des BVerfG ein noch relativiert sie die
für sie maßgeblichen verfassungsrechtlichen Maßstäbe, denn zur verbindlichen Auslegung einer Norm ist letztlich allein die
rechtsprechende Gewalt berufen (BVerfGE 126, 369, 392 = SozR 4-5050 § 22b Nr 9 RdNr 73; BVerfGE 131, 20, 37). Eine vom Gesetzgeber beanspruchte Befugnis zur "authentischen" Interpretation wird daher von der Verfassungsgerichtsbarkeit
nicht anerkannt (vgl BVerfGE 65, 196, 215; BVerfGE 111, 54, 107; BVerfGE 126, 369, 392 = SozR 4-5050 § 22b Nr 9 RdNr 73; BVerfGE 131, 20, 37; BVerfG Beschluss vom 17.12.2013, aaO RdNr 48). Dies gilt auch für die Frage, ob eine Regelung konstitutiv ist oder nur
klarstellt, was nach Ansicht des Gesetzgebers ohnedies gegolten hat (BVerfGE 126, 369, 392 = SozR 4-5050 § 22b Nr 9 RdNr 73). Dabei genügt für die Beantwortung der Frage, ob eine rückwirkende Regelung konstitutiven
Charakter hat, die Feststellung, dass die geänderte Norm von den Gerichten nach den anerkannten Methoden der Gesetzesauslegung
in einem Sinn ausgelegt werden konnte und ausgelegt worden ist, die mit der Neuregelung ausgeschlossen werden soll (BVerfGE
131, 20, 37 f; BVerfG Beschluss vom 17.12.2013 - 1 BvL 5/08 -, RdNr 52, 55 f). Dies ist vorliegend der Fall.
(2) Regelungsinhalt des §
106 Abs
5e Satz 7
SGB V ist es, anzuordnen, dass die in den vorangehenden Sätzen des Abs 5e aaO enthaltenen Regelungen auch für (Prüf-)Verfahren
gelten, die am 31.12.2011 noch nicht abgeschlossen waren. Unter "Verfahren" im Sinne des §
106 Abs
5e Satz 7
SGB V ist das Verwaltungsverfahren zu verstehen. Zwar ließe der Gesetzeswortlaut eine Auslegung dahingehend zu, dass Verfahren
jeder Art - dh sowohl das Verwaltungsverfahren als auch das Gerichtsverfahren - erfasst werden sollen. Jedoch ergibt sich
aus dem Regelungszusammenhang in Verbindung mit der Gesetzesbegründung, dass die Geltungsanordnung nicht bereits bei Gericht
anhängige Verfahren erfassen soll (ebenso LSG Baden-Württemberg Beschluss vom 19.2.2013 - L 5 KA 222/13 ER-B - MedR 2013, 758, 761 = Juris, RdNr 36; Engelhard in Hauck/Noftz,
SGB V, Stand September 2014, §
106 RdNr 218c; s auch Weinrich, GesR 2014, 390). Dass mit dem Begriff "Verfahren" im Sinne des §
106 Abs
5e Satz 7
SGB V allein das Verwaltungsverfahren gemeint ist, folgt bereits daraus, dass sich die Regelung an die Prüfgremien - dh an die
"Verwaltung" - richtet (Engelhard aaO). Zudem hat der Gesetzgeber in der Gesetzesbegründung (Ausschussbericht zum Gesetz vom
19.10.2012, BT-Drucks 17/10156, S 95) verdeutlicht, dass die Neuregelung für ein bereits vor dem Inkrafttreten abgeschlossenes
Widerspruchsverfahren nicht gilt, "auch wenn eine Klage gegen die Entscheidung des Beschwerdeausschusses noch anhängig ist".
Soweit der Gesetzgeber in diesem Zusammenhang darauf verwiesen hat, dass "insoweit" die allgemeinen verfahrensrechtlichen
Grundsätze gelten, dürfte der Gesetzgeber den "Grundsatz" (bzw die "Faustregel") im Blick gehabt haben, dass der Zeitpunkt
der letzten Verwaltungsentscheidung für die Beurteilung der Rechtslage maßgeblich ist; dies bestätigen die weiteren Ausführungen
in der Gesetzesbegründung (aaO), dass die Prüfgremien "das zum Zeitpunkt ihrer abschließenden Entscheidung geltende Recht"
anzuwenden hätten. Dies bestätigt ebenfalls die Annahme, dass mit "Verfahren" nur das Verwaltungsverfahren gemeint ist. Das
Verwaltungsverfahren wiederum umfasst sowohl das Verfahren vor der Prüfungsstelle als auch das Verfahren vor dem Beschwerdeausschuss,
da es sich bei dem Beschwerdeverfahren um ein eigenständiges und umfassendes Verwaltungsverfahren in einer zweiten Verwaltungsinstanz
handelt (BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 42 RdNr 22 mwN).
"Abgeschlossen" ist das Verfahren mit seiner "Beendigung", im verfahrensrechtlichen Sinne also - sofern es sich nicht anderweitig
erledigt oder beendet wird - mit Erlass des Verwaltungsaktes (Vogelsang in Hauck/Noftz, SGB X, Stand Juni 2014, § 8 RdNr 13 und § 18 RdNr 1), das Widerspruchsverfahren entsprechend mit Erlass des Widerspruchsbescheides. Darauf, ob das Verfahren "bestandskräftig"
abgeschlossenen ist, kommt es nicht an (so zutreffend Mutschler in Kasseler Komm, Stand 1.6.2014, § 8 SGB X RdNr 11, unter Hinweis darauf, dass die Behörde nach dem Erlass des Verwaltungsaktes nichts mehr tun kann; ebenso Vogelsang
in Hauck/Noftz, SGB X, Stand Juni 2014, § 8 RdNr 13). Somit findet die Neuregelung dann keine Anwendung, wenn ein - verwaltungsverfahrensrechtlich vor dem in §
106 Abs
5e Satz 7
SGB V genannten Zeitpunkt abgeschlossenes - Verfahren durch gerichtliche Entscheidung zur erneuten Entscheidung an den Beschwerdeausschuss
zurückverwiesen wird (Engelhard in Hauck/Noftz,
SGB V, Stand September 2014, §
106 RdNr 218d), da es allein darauf ankommt, ob das Widerspruchsverfahren bei Inkrafttreten der Neuregelung abgeschlossen war
oder nicht.
dd. Eine Heranziehung der Grundsätze des intertemporalen Rechts führt entgegen der Auffassung des Klägers zu keiner anderen
Beurteilung.
(1) Nach der Rechtsprechung des BSG gilt bei Rechtsänderungen grundsätzlich das Versicherungsfall- bzw Leistungsfallprinzip. Hiernach ist ein Rechtssatz nur
auf solche Sachverhalte anwendbar, die nach seinem Inkrafttreten verwirklicht werden; spätere Änderungen eines Rechtssatzes
sind danach für die Beurteilung von vor seinem Inkrafttreten entstandene Lebensverhältnisse unerheblich, es sei denn, dass
das Gesetz seine zeitliche Geltung auf solche Verhältnisse erstreckt (vgl zB BSG Urteil vom 4.9.2013 - B 10 EG 11/12 R - Juris, RdNr 42; zuletzt BSG Urteil vom 5.3.2014 - B 12 R 1/12 R - SozR 4-2400 § 26 Nr 3 RdNr 21). Dementsprechend geht das BSG in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass sich die Entstehung und der Fortbestand sozialrechtlicher Ansprüche bzw Rechtsverhältnisse
grundsätzlich nach dem Recht beurteilen, das zur Zeit des Vorliegens der anspruchsbegründenden Ereignisse oder Umstände gegolten
hat (vgl BSG SozR 4-4300 § 335 Nr 1 RdNr 13; BSG SozR 4-5910 § 111 Nr 1 RdNr 9; BSGE 111, 268 = SozR 4-2400 § 24 Nr 7, RdNr 12; BSG Urteil vom 4.9.2013 - B 10 EG 11/12 R - Juris, RdNr 42; zuletzt BSG Urteil vom 5.3.2014 - B 12 R 1/12 R - SozR 4-2400 § 26 Nr 3 RdNr 21). Das Versicherungsfall- bzw Leistungsfallprinzip ist allerdings nicht anzuwenden, soweit
später in Kraft gesetztes Recht ausdrücklich oder sinngemäß etwas anderes bestimmt; dann kommt der Grundsatz der sofortigen
Anwendung des neuen Rechts auch auf nach altem Recht entstandene Rechte und Rechtsverhältnisse zum Tragen (BSG SozR 4-4300 § 335 Nr 1 RdNr 13; BSG SozR 4-5910 § 111 Nr 1 RdNr 9; BSG Urteil vom 4.9.2013 - B 10 EG 11/12 R - Juris, RdNr 43; zuletzt BSG SozR 4-2400 § 26 Nr 3 RdNr 21). Welcher der genannten Grundsätze des intertemporalen Rechts zur Anwendung gelangt, richtet sich letztlich
danach, wie das einschlägige Recht ausgestaltet bzw auszulegen ist (BSG Urteil vom 4.9.2013 - B 10 EG 11/12 R - Juris, RdNr 44; zuletzt BSG SozR 4-2400 § 26 Nr 3 RdNr 21).
(2) Nach diesen - wegen der Besonderheiten des Vertragsarztrechts ohnehin nur sinngemäß übertragbaren - Maßstäben entspricht
die Rechtsprechung des Senats zur Anwendbarkeit des im Prüfungszeitraum geltenden Rechts dem Versicherungsfall- bzw Leistungsfallprinzip.
Den Grundsatz der sofortigen Anwendung des neuen Rechts zugrunde zu legen, kommt aus den bereits oben dargestellten Gründen
nicht in Betracht, weil dem Gesetz - vor Einfügung des Satzes 7 aaO - weder ausdrücklich noch sinngemäß zu entnehmen war,
dass die Regelungen über den Vorrang der Beratung auch auf abgeschlossene Prüfungszeiträume Anwendung finden sollten. Soweit
in einzelnen - vom Kläger herangezogenen - Entscheidungen des BSG abweichende Maßstäbe zugrunde gelegt worden sind, ist dies auf Besonderheiten des jeweiligen Rechtsgebiets zurückzuführen.
ee. §
106 Abs
5e SGB V findet jedoch auch unter Berücksichtigung seines Satzes 7 ausschließlich auf (Prüf-)Verfahren Anwendung, in denen die Entscheidung
des Beschwerdeausschusses nach dem 25.10.2012 ergangen ist. Da Satz 7 aaO mit Wirkung zum 26.10.2012 in Kraft getreten ist,
entzieht er den vor seinem Inkrafttreten nach altem Recht ergangenen Entscheidungen der Beschwerdeausschüsse nicht die Grundlage;
eine derartige Regelungsabsicht hat im Normtext in Verbindung mit der Regelung zum Inkrafttreten keinen hinreichenden Niederschlag
gefunden:
Zwar enthält §
106 Abs
5e Satz 7
SGB V eine ausdrückliche Geltungsanordnung des Inhalts, dass §
106 Abs
5e SGB V - entgegen der Rechtsprechung des Senats zum jeweils maßgeblichen Recht - auch auf Prüfungszeiträume Anwendung findet, die
vor dem Inkrafttreten des Abs 5e am 1.1.2012 liegen, sofern die betreffenden Prüfverfahren am 31.12.2011 noch nicht abgeschlossen
waren. Jedoch ist der Normbefehl insoweit nicht eindeutig, als Prüfverfahren betroffen sind, in denen die das Verwaltungsverfahren
abschließende Entscheidung des Beschwerdeausschusses zwar nach dem 31.12.2011, jedoch vor Inkrafttreten des Satzes 7 aaO am
26.10.2012 - dem auf die Verkündung im Bundesgesetzblatt folgenden Tag (vgl Art 15 Abs 1 des Zweiten Gesetzes zur Änderung
arzneimittelrechtlicher und anderer Vorschriften, BGBl I 2012, 2192, 2226) - ergangen ist. Der Norm selbst kann zwar der Wille des Normgebers entnommen werden, auch diese Konstellationen in
die begünstigende Wirkung des §
106 Abs
5e Satz 1
SGB V einzubeziehen; dieser Annahme steht jedoch die Regelung zum Inkrafttreten der Geltungsanordnung am 26.10.2012 wie auch die
Gesetzesbegründung selbst entgegen.
Der Gesetzgeber hätte §
106 Abs
5e Satz 7
SGB V rückwirkend zum 1.1.2012 in Kraft setzen und damit auch solchen, das Verfahren abschließenden Entscheidungen aus der "Zwischenzeit"
die rechtliche Basis - soweit es auf die Beratung ankommt - entziehen können. Das hat er jedoch nicht getan. Zudem hat der
Gesetzgeber in der Begründung (Ausschussbericht zum Gesetz vom 19.10.2012, BT-Drucks 17/10156, S 95) darauf hingewiesen, dass
er seine Regelung auf "noch nicht abgeschlossene Verfahren" beschränken will; auch hat er betont, dass die Prüfgremien das
"zum Zeitpunkt ihrer abschließenden Entscheidung geltende Recht" anzuwenden haben. Dabei ist möglicherweise nicht hinreichend
gesehen worden, dass die Beschwerdeausschüsse bis zum Inkrafttreten des Satzes 7 aaO Verfahren "abschließen" und dabei das
zum Zeitpunkt des jeweiligen Quartals geltende Recht anwenden mussten. Eine Regelungsabsicht, auch den auf dieser Basis ergangenen
Bescheiden, die durchaus schon bestandskräftig geworden sein konnten, nachträglich rückwirkend die Grundlage zu entziehen,
hat im Normtext in Verbindung mit der Regelung zum Inkrafttreten keinen hinreichenden Niederschlag gefunden. In den Gesetzesmaterialien
fehlen Hinweise, wie insoweit mit bestandskräftig gewordenen Bescheiden umgegangen werden soll, also ob § 44 Abs 2 SGB X eingreifen oder die betroffenen Ärzte die Vollstreckung der Regresse der KÄV zu Gunsten der Krankenkassen mit vollstreckungsrechtlichen
Rechtsbehelfen abwehren können sollen, und ob schon bezahlte Regresse rückabgewickelt werden müssen. Deshalb ist Satz 7 aaO
so zu verstehen, dass der Vorrang der Beratung nach §
106 Abs
5e Satz 1
SGB V nicht für solche Verfahren gilt, die vor dem 1.1.2012 liegende Prüfungszeiträume betreffen und in denen die abschließende
Entscheidung des Beschwerdeausschusses vor dem Inkrafttreten des Satzes 7 aaO am 26.10.2012 ergangen ist. Davon ist der hier
zu entscheidende Fall erfasst, weil der Bescheid des beklagten Beschwerdeausschusses vom 19.9.2012 dem Kläger am 20.9.2012
bekanntgegeben wurde.
3. Im Übrigen fände §
106 Abs
5e SGB V selbst dann keine Anwendung, wenn die Norm auch für das vorliegend zu beurteilende Prüfverfahren Geltung besäße, weil die
tatbestandlichen Voraussetzungen der Norm nicht erfüllt sind. Angesichts vorangegangener Regresse in den Jahren 2006 und 2007
hat der Kläger sein RGVol nicht "erstmalig" im Sinne des §
106 Abs
5e Satz 1
SGB V überschritten:
a. §
106 Abs
5e Satz 1
SGB V setzt voraus, dass es sich bei der zur Beurteilung anstehenden Überschreitung des RGVol um mehr als 25 vH im Prüfungszeitraum
2008 um eine "erstmalige" Überschreitung gehandelt hat. Hierzu bedürfte es - entgegen der vom SG und vom Kläger vertretenen Auffassung - der Feststellung, dass es nicht bereits in vorangegangenen Prüfungszeiträumen mindestens
einmal oder gar wiederholt zu derartigen Überschreitungen gekommen ist (in diesem Sinne schon LSG Nordrhein-Westfalen Beschluss
vom 20.11.2013 - L 11 KA 81/13 B ER - Juris, RdNr 83; Engelhard in Hauck/Noftz,
SGB V, Stand September 2014, §
106 RdNr 213b; aA LSG Baden-Württemberg Beschluss vom 19.2.2013 - L 5 KA 222/13 ER-B - MedR 2013, 758, 761 = Juris, RdNr 39; SG Düsseldorf Urteil vom 3.4.2013 - S 2 KA 281/12 - Juris, RdNr 28; Rompf/Weinrich in Liebold/Zalewski, Kassenarztrecht, 6. Aufl, Stand April 2014, §
106 SGB V, RdNr C 106-24; Christophers, ZMGR 2014, 11, 12; Weinrich, GesR 2014, 390, 393). Der Kläger hat jedoch sein RGVol bei Heilmitteln
im streitbefangenen Jahr 2008 nicht "erstmalig" im Sinne des §
106 Abs
5e Satz 1
SGB V überschritten: Nach dem Gesamtzusammenhang der Feststellungen des SG, die im Revisionsverfahren nicht mit Verfahrensrügen angegriffen werden können (§
163 iVm §
161 Abs
4 SGG) und auch nicht angegriffen worden sind, sind gegen ihn auch für die Jahre 2006 und 2007 Regresse wegen Überschreitung des
RGVol bei Heilmitteln festgesetzt worden.
b. Die dem SG-Urteil zugrunde liegende Vorstellung, unabhängig vom Verordnungsverhalten des Vertragsarztes in vorangegangenen Prüfungszeiträumen
müsse ab dem 1.1.2012 weiteren Regressfestsetzungen immer eine förmliche Beratung vorangehen, trifft nicht zu.
Schlüssig wäre die Konzeption des SG nur, wenn anzunehmen wäre, der Gesetzgeber habe zum 1.1.2012 eine vollständige "Nullstellung" der Wirtschaftlichkeitsprüfung
nach Richtgrößen bewirken und allen Ärzten ungeachtet ihres bisherigen Verordnungsverhaltens einen regressfreien Zeitraum
verschaffen wollen (in diesem Sinne etwa Christophers, ZMGR 2014, 11, 12: "echte Kehrtwende"; Rompf/Weinrich in Liebold/Zalewski,
Kassenarztrecht, 6. Aufl, Stand April 2014, §
106 SGB V, RdNr C 106-24: "Nullstellung"). Das ist dem Gesetz indessen nicht zu entnehmen. Maßgebend für die Auslegung einer Gesetzesbestimmung
ist der in der Norm zum Ausdruck kommende objektivierte Wille des Gesetzgebers, so wie er sich aus dem Wortlaut der Vorschrift
und dem Sinnzusammenhang ergibt, in den sie hineingestellt ist (BVerfGE 105, 135, 157; BVerfGE 133, 168, 205 f; BFHE 243, 287). Diese Auslegung bestätigt die Rechtsauffassung des Senats.
aa. Der Wortlaut des §
106 Abs
5e Satz 1
SGB V, der Ausgangspunkt der Auslegung ist (BVerfGE 133, 168, 205), ist in dem Sinne eindeutig, dass das Tatbestandsmerkmal einer "erstmaligen" Überschreitung nur dann gegeben ist, wenn
der Vertragsarzt sein RGVol nicht bereits in vorangegangenen Prüfungszeiträumen überschritten hat. Der Begriff "erstmalig"
- gleichbedeutend mit "erstmals" oder "zum ersten Mal" - meint schon nach allgemeinem Sprachgebrauch einen Vorgang, der zuvor
noch nicht eingetreten ist, ist also im Sinne von "zum ersten Mal geschehend" zu verstehen (so auch LSG Nordrhein-Westfalen
Beschluss vom 20.11.2013 - L 11 KA 81/13 B ER - Juris, RdNr 72); er bezieht sich auf das numerische Moment im Sinne einer zum ersten Mal geschehenden Überschreitung
(LSG Nordrhein-Westfalen aaO RdNr 83). Ebenso eindeutig ist, dass sich der Begriff "erstmalig" auf den Umstand einer Überschreitung
des RGVol bezieht ("erstmaligen Überschreitung des Richtgrößenvolumens um mehr als 25 Prozent"). Die Annahmen, dass sich die
"Erstmaligkeit" stattdessen - temporal - auf den Umstand einer "erstmaligen Beratung" oder auf das Inkrafttreten der Regelung
über den Beratungsvorrang beziehen könnte, findet daher schon im Gesetzeswortlaut keine Stütze.
Die Annahme, dass sich das Tatbestandsmerkmal "erstmalig" auf einen nach Inkrafttreten der Regelung eingetretenen Umstand
beziehen könnte, käme nur dann in Betracht, wenn es sich bei dem Umstand, auf dessen erstmaliges Auftreten es ankommt, um
einen solchen handelt, dem bislang keine rechtliche Bedeutung zukam. Dies gilt etwa für den Begriff der "erstmaligen Besetzung"
der Zulassungsgremien mit Vertretern der Psychotherapeuten (§
95 Abs
13 Satz 2
SGB V), welcher sich naturgemäß auf die Zeit nach der Einbeziehung der psychologischen Psychotherapeuten in die Vertragsärztliche
Versorgung bezieht. Demgegenüber nimmt der Begriff der "erstmaligen Überschreitung" Bezug auf die seit mehr als einem Jahrzehnt
in §
106 Abs
5a Satz 3
SGB V (bzw Satz 4 aaO aF) normierte Regelung (mit einer seit 1.1.1993 geltenden Vorläuferregelung in §
106 Abs
5a Satz 1 Halbsatz 2
SGB V aF), wonach bei einer Überschreitung des RGVol um mehr als 25 vH der Mehraufwand vom Arzt zu erstatten ist, sofern er nicht
durch Praxisbesonderheiten begründet ist. Bezugspunkt ist daher hier ein Umstand, der seit langem Tatbestandsvoraussetzung
für einen Regress ist. Neu ist allein, dass §
106 Abs
5e Satz 1
SGB V - bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen - eine vom bisherigen Recht abweichende Rechtsfolge normiert, nämlich eine individuelle
Beratung anstelle eines Regresses. Hierauf bezieht sich der Begriff "erstmalig" jedoch nicht.
Hätte der Gesetzgeber die Absicht verfolgt, den Begriff der "erstmaligen" Überschreitung vom Wortsinn bzw allgemeinen Sprachgebrauch
abweichend auf das Inkrafttreten des §
106 Abs
5e SGB V (mithin auf nachfolgend eingetretene Überschreitungen) zu beziehen, wäre es zu erwarten gewesen, dass er dies ausdrücklich
geregelt hätte. Die Absicht, ab Inkrafttreten der Neuregelung sowohl alle "künftigen" Überschreitungen als auch alle noch
nicht abgeschlossenen Prüfverfahren einem Beratungsvorrang zu unterwerfen, hätte dann bereits in der "Grundnorm" zum Ausdruck
kommen müssen (etwa: "Abweichend von Abs 5a Satz 3 erfolgt für alle zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieser Regelung noch
nicht abgeschlossenen Prüfverfahren ...").
bb. Unabhängig davon lässt sich den Gesetzesmaterialien kein Wille des Gesetzgebers entnehmen, den Grundsatz "Beratung vor
Regress" ungeachtet des Tatbestandsmerkmals der "Erstmaligkeit" der Überschreitung auf alle ab dem 1.1.2012 (bzw dem 26.10.2012)
von den Prüfgremien zu entscheidenden Regressverfahren anzuwenden. Vielmehr sollen nur "erstmalige" Überschreitungen in dem
hier verstandenen Sinne privilegiert werden (so zutreffend LSG Nordrhein-Westfalen Beschluss vom 20.11.2013 - L 11 KA 81/13 B ER - Juris, RdNr 83).
(1) Sinn und Zweck der Einfügung des §
106 Abs
5e SGB V war es, Ärzte nach erstmaligem Überschreiten des RGVol nicht unmittelbar einem - trotz der betragsmäßigen Begrenzung durch
§
106 Abs
5c Satz 7
SGB V wirtschaftlich belastenden - Regress auszusetzen, sondern ihnen über eine eingehende "Beratung" zunächst ohne finanzielle
Konsequenzen für die Praxis die Möglichkeit zu geben, ihr Verordnungsverhalten bei Arznei- und Heilmitteln zu modifizieren.
Zwar lässt sich den Gesetzesmaterialien zur Einfügung des §
106 Abs
5e SGB V durch das GKV-VStG wenig zu den Motiven des Gesetzgebers entnehmen; die Gesetzesbegründung erwähnt allein, dass im Bereich der Richtgrößen und
der Wirtschaftlichkeitsprüfungen "Deregulierungen und Flexibilisierungen" erfolgten, die das Prinzip "Beratung vor Regress"
stärkten und Versorgungsverbesserungen für die Versicherten bedeuteten (BT-Drucks 17/6906 S 46 unter "A. Allgemeiner Teil
II.2.8. Weitere Maßnahmen des Gesetzes"). Jedoch hat der Gesetzgeber an anderer Stelle zu erkennen gegeben, welche Motive
er mit derartigen Regelungen verfolgt: So hat er in der Gesetzesbegründung zum vorangegangenen Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz
(vom 22.12.2010, BT-Drucks 17/2413 S 29 zu Doppelbuchstabe bb = §
106 Abs
5c Satz 7) die in §
106 Abs
5c Satz 7
SGB V nF geregelte Begrenzung des Erstattungsbetrages auf 25 000 Euro im Falle erstmaliger Überschreitung damit begründet, dass
diese Regelung sachgerecht sei, weil damit insbesondere junge Ärzte, die ihre Tätigkeit in der vertragsärztlichen Versorgung
aufnehmen oder neue Versorgungsformen übernehmen, mehr Zeit hätten, sich auf die spezifischen Anforderungen des
SGB V an die Notwendigkeit, Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit der Verordnungen einzustellen.
Eines derartigen "Einstellens" auf die Anforderungen des
SGB V bedarf es bei seit längerem in der vertragsärztlichen Versorgung tätigen Ärzten nicht. Selbst wenn man davon ausginge, dass
der Gesetzgeber den Druck der Regressverfahren nicht allein in Bezug auf junge Ärzte, sondern in Bezug auf die Ärzteschaft
insgesamt abmildern wollte, berechtigt dies nicht zu der Annahme, dass der Gesetzgeber auch Vertragsärzte privilegieren wollte,
die seit längerem nicht im Einklang mit dem Wirtschaftlichkeitsgebot tätig sind. Ärzte, die ggf schon seit Jahren ihr RGVol
überschreiten und hinlänglich wissen, welcher Verordnungsumfang von der zuständigen Prüfungsstelle als wirtschaftlich angesehen
wird, bedürfen einer solchen "Beratung" nicht; diese wäre vielmehr bloße Förmelei.
Die Annahme, dass der Gesetzgeber mit der Einfügung des §
106 Abs
5e SGB V eine völlige "Nullstellung" der Richtgrößenprüfung beabsichtigt habe, findet weder im Gesetzeswortlaut einen Anhalt noch
lässt sich den Gesetzesmaterialien ein derart weitgehender Wille des Gesetzgebers entnehmen. Es darf nicht aus dem Blick geraten,
dass der Gesetzgeber mit den durch das GKV-VStG und dem nachfolgenden Gesetz vom 19.10.2012 normierten Änderungen nicht die Grundzüge der Richtgrößenprüfung in Frage gestellt
oder diese Prüfmethode gar suspendiert, sondern mit der Einfügung des §
106 Abs
5e SGB V lediglich deren Folgen (weiter) abgeschwächt hat. Durch die Einfügung des Wortes "erstmalig" als Tatbestandsvoraussetzung
für die Anwendung des §
106 Abs
5e Satz 1
SGB V hat er zudem verdeutlicht, dass diese Privilegierung allein den Ärzten zugutekommen soll, die bislang noch keine Veranlassung
zu Prüfmaßnahmen gegeben haben.
Die vom SG vertretene Auffassung, eine "erstmalige" Überschreitung könne frühestens nach dem Inkrafttreten des §
106 Abs
5e SGB V - oder sogar erst nach einer vorangegangenen Beratung, dh erst bei zweimaliger Überschreitung des RGVol nach Inkrafttreten
der Regelung - liegen, hätte nicht allein zur Folge, dass alle "zukünftigen" Überschreitungen zunächst lediglich eine Beratung
nach sich zögen. Sie hätte darüber hinaus die Konsequenz, dass alle noch bei den Prüfgremien anhängigen Verfahren ohne Festsetzung
eines Regresses zu beenden wären - selbst dann, wenn der betreffende Arzt sein RGVol in der Vergangenheit regelmäßig überschritten
hätte, ohne dass dies durch Praxisbesonderheiten gerechtfertigt gewesen wäre. Da die Vertragsärzte seit vielen Jahren Richtgrößen
zu beachten haben, mithin seit langem die Möglichkeit (bzw die Gewissheit) besteht, dass einzelne von ihnen das RGVol überschreiten,
würde die auf das Inkrafttreten der Neuregelung bezogene Erstmaligkeit einen "amnestie"-ähnlichen Charakter erhalten, weil
damit sämtliche vorangegangenen Gesetzesverstöße bzw ihre Folgen suspendiert würden. Ein - sich aus einer derartigen Interpretation
ergebenden - vollständiger Verzicht auf Regressfestsetzungen für sämtliche noch nicht abgeschlossenen Verfahren hätte einer
ausdrücklichen Regelung bedurft.
(2) Auch aus der Gesetzesbegründung zum nachgeschobenen Satz 7 der Vorschrift ergibt sich nichts anderes. Diese verhält sich
überhaupt nicht zur Frage der "Erstmaligkeit" der Überschreitung und musste dies auch nicht, weil Satz 7 aaO allein bestimmt,
dass der Abs 5e "auch" für Verfahren gilt, die am 31.12.2011 noch nicht abgeschlossen waren. Gegenstand der (vermeintlichen)
"Klarstellung" - und damit auch der entsprechenden Gesetzesbegründung - ist daher die generelle Frage, auf welche Verfahren
§
106 Abs
5e SGB V überhaupt Anwendung findet, dh ob die Regelung nur zukünftige oder auch bereits laufende oder gar bereits durch Bescheide
der Prüfgremien abgeschlossene Verfahren erfasst. Dass der Gesetzgeber mit Satz 7 aaO zugleich die tatbestandlichen Voraussetzungen
der Norm ändern wollte, hat weder im Gesetzeswortlaut noch in der Gesetzesbegründung seinen Niederschlag gefunden.
Im Übrigen steht der in der Gesetzesbegründung (Ausschussbericht zum Gesetz vom 19.10.2012, BT-Drucks 17/10156, S 95) geäußerte
Wille, ab dem 1.1.2012 den Grundsatz "Beratung vor Regress" für alle laufenden und nachfolgenden Verfahren anzuwenden, auch
wenn sie zurückliegende Zeiträume betreffen, nicht im Widerspruch zum Wortlaut des §
106 Abs
5e Satz 1
SGB V bzw zum Tatbestandsmerkmal "erstmalig" im hier verstandenen Sinne. Die Anwendung des "Grundsatzes" erfolgt in dem Rahmen,
den er durch seine Konkretisierung bzw Präzisierung durch die gesetzlichen Vorgaben erhalten hat. Die tatbestandlichen Voraussetzungen
für die Anwendung des Grundsatzes "Beratung vor Regress" bestimmen sich nach §
106 Abs
5e Satz 1
SGB V: Er gilt mithin für alle Verfahren - aber auch nur für diese -, in denen es "erstmalig" zu einer Überschreitung gekommen
ist.
c. Erst recht vermag der Senat nicht der vom Kläger vertretenen Auffassung zu folgen, dass dem Tatbestandsmerkmal "erstmalig"
deswegen keinerlei eigenständige Bedeutung zukomme, weil die Regelungsgehalte der Sätze 1 und 2 des §
106 Abs
5e SGB V (einerseits Beratungsvorrang nur bei erstmaliger Überschreitung, andererseits Regress erstmals nach Beratung) einander widersprächen
und daher angesichts zweier möglicher Auslegungen dem subjektiven Willen des Gesetzgebers, den Beratungsvorrang auf jedes
noch laufende Prüfverfahren zu erstrecken, durchschlagende Bedeutung zukomme (in diesem Sinne auch Weinrich, GesR 2014, 390,
392; Christophers, ZMGR 2014, 11, 12). Denn §
106 Abs
5e Satz 2
SGB V steht nicht im Widerspruch zu Satz 1 aaO. Nach §
106 Abs
5e Satz 1
SGB V erfolgt abweichend von Abs
5a Satz 3 aaO bei einer erstmaligen Überschreitung des RGVol um mehr als 25 vH eine individuelle Beratung nach Abs 5a Satz 1.
Hieran schließt Satz 2 aaO an, der bestimmt: "Ein Erstattungsbetrag kann bei künftiger Überschreitung erstmals für den Prüfungszeitraum
nach der Beratung festgesetzt werden." Beide Regelungen knüpfen damit an unterschiedliche Tatbestandsvoraussetzungen unterschiedliche
Rechtsfolgen: Während Satz 1 aaO für den Fall einer "erstmaligen Überschreitung" die Rechtsfolge "individuelle Beratung" vorgibt,
bestimmt Satz 2 aaO, wann im Falle einer "künftigen Überschreitung" erstmals ein Regress festgesetzt werden darf.
Dass beide Regelungen einander nicht widersprechen, sondern vielmehr Satz 2 auf Satz 1 aaO aufbaut, bestätigt neben der systematischen
Stellung des Satzes 2 aaO auch der Sachzusammenhang. So schließt der Begriff "künftig" in Satz 2 aaO an den Begriff "erstmalig"
in Satz 1 aaO an: Eine "künftige" Überschreitung nach Satz 2 aaO ist mithin eine solche, die zeitlich später eintritt als
die "erstmalige" Überschreitung im Sinne des Satzes 1 aaO. Zudem stellt Satz 2 aaO auf den Prüfungszeitraum "nach der Beratung"
ab. Mit der dort genannten "Beratung" ist zweifelsfrei die Beratung gemeint, die nach Satz 1 aaO durchzuführen ist. Dies folgt
zum einen aus der Verwendung des bestimmten Artikels ("der" Beratung) in Satz 2 aaO; wäre jedwede Beratung gemeint, wäre die
Formulierung "nach einer Beratung" zu erwarten gewesen. Zum anderen entspricht allein diese Interpretation dem offensichtlichen
Zweck der Regelung in Satz 2 aaO, sicherzustellen, dass die nach Satz 1 aaO vorgeschriebene individuelle Beratung sich auswirken
kann: Der Vertragsarzt soll zunächst Gelegenheit bekommen, sein Verhalten gemäß dem Inhalt der Beratung umzustellen. Dies
schließt es aus, nachfolgende ("künftige") Überschreitungen des RGVol zum Anlass für eine Regressfestsetzung zu nehmen, wenn
es dabei um einen Prüfungszeitraum geht, der zeitlich vor dieser Beratung liegt oder der zum Zeitpunkt der Beratung jedenfalls
noch nicht abgeschlossen ist.
4. Da der Kläger im streitbefangenen Jahr 2008 sein RGVol ersichtlich nicht "erstmalig" überschritten hat, bedarf es hier
keiner abschließenden Klärung, welche Anforderungen im Einzelnen an das Vorliegen einer "vorangegangenen" Überschreitung zu
stellen sind. Der Senat weist jedoch auf Folgendes hin:
a. Außer Frage steht, dass §
106 Abs
5e Satz 1
SGB V zunächst eine Prüfung erfordert, ob eine Überschreitung des RGVol um mehr als 25 vH vorliegt - und zwar zum einen bezogen
auf den aktuell zur Prüfung anstehenden Zeitraum, weil sich andernfalls die Frage einer regressersetzenden Beratung überhaupt
nicht stellte, zum anderen in Bezug auf vorangegangene Prüfungszeiträume, weil dies für die Frage der "Erstmaligkeit" von
Bedeutung ist. Dabei reicht es nach der gesetzlichen Systematik sowohl in Bezug auf die "erstmalige" als auch auf die "vorangegangene"
Überschreitung allerdings nicht aus, dass rein statistisch das Verordnungsvolumen um mehr 25 vH überschritten worden ist,
sondern es bedarf zusätzlich der Feststellung, dass die Überschreitungen (jeweils) nicht durch Praxisbesonderheiten begründet
sind.
Zwar stellt §
106 Abs
5e Satz 1
SGB V seinem Wortlaut nach allein auf die Überschreitung des RGVol um 25 vH ab, doch ist den Grundsätzen einer nach statistischen
Vergleichsgrößen bzw nach Durchschnittswerten durchgeführten Wirtschaftlichkeitsprüfung, zu denen auch die Richtgrößenprüfung
gehört (BSG SozR 4-2500 § 84 Nr 2 RdNr 38: "basiert jedoch letztlich auch auf einem Durchschnittswert"), immanent, dass Sanktionen nur dann gerechtfertigt
sind, wenn die "statistische" Abweichung nicht durch Praxisbesonderheiten begründet bzw gerechtfertigt ist. Liegen Praxisbesonderheiten
im Sinne eines spezifischen, vom Durchschnitt der Vergleichsgruppe signifikant abweichenden Behandlungs- bzw Verordnungsbedarfs
des Patientenklientels (BSG SozR 4-2500 § 87 Nr 10 RdNr 35; BSG SozR 4-2500 § 84 Nr 2 RdNr 38) vor, entfällt die statistisch begründete Vermutung der Unwirtschaftlichkeit.
Für das zur Beurteilung anstehende (aktuelle) Prüfverfahren stellt die Berücksichtigung von Praxisbesonderheiten eine Selbstverständlichkeit
dar. Einer "regressersetzenden" Beratung nach §
106 Abs
5e Satz 1
SGB V bedürfte es überhaupt nicht, wenn die Überschreitung des RGVol - im zur Prüfung anstehenden Zeitraum - weitgehend oder vollständig
durch Praxisbesonderheiten begründet wäre. Dies verdeutlicht die Inbezugnahme des §
106 Abs
5a Satz 3
SGB V ("abweichend von Absatz
5a Satz 3"): Dort ist ausdrücklich bestimmt, dass der Vertragsarzt bei einer Überschreitung des RGVol um mehr als 25 vH nach
Feststellung durch die Prüfungsstelle den sich daraus ergebenden Mehraufwand zu erstatten hat, soweit dieser nicht durch Praxisbesonderheiten
begründet ist.
Für die Frage, ob es bereits zuvor zu Überschreitungen gekommen ist, die einer "Erstmaligkeit" entgegenstehen, kann nichts
anderes gelten. Zum einen korrespondieren "erstmalige" und "wiederholte" Überschreitungen miteinander. Zum anderen ist nicht
erkennbar, dass der Grundsatz, dass nur eine nicht durch Praxisbesonderheiten begründete Überschreitung Anlass zu Sanktionen
geben kann, durch §
106 Abs
5e SGB V außer Kraft gesetzt werden sollte. Dagegen spricht schon der mit der Begrenzung der Privilegierung auf erstmalige Überschreitungen
verfolgte Zweck: So wird ein Arzt, der wegen einer unumstrittenen und auch von der Prüfungsstelle nicht in Frage gestellten
speziellen Praxisausrichtung die Werte des RGVol regelmäßig um zB 50 vH überschreitet, durch den Umstand einer Überschreitung
um mehr als 25 vH nicht "gewarnt" und zu nichts "veranlasst". Erst wenn die Prüfungsstelle ihm mitteilt, dass keine Besonderheiten
mehr gesehen werden, hat er Anlass, im Rahmen einer Beratung über sein Verordnungsverhalten nachzudenken.
b. Im Übrigen muss es sich bei der vorangegangenen Überschreitung um eine solche handeln, die von der Prüfungsstelle "förmlich"
festgestellt wurde. Der bloße Hinweis auf eine Überschreitung des RGVol - etwa durch die Geschäftsstelle der Prüfungsstelle
- oder entsprechende Erkenntnisse des Arztes aufgrund seiner Praxissoftware genügen nicht. Für die Notwendigkeit einer "förmlichen"
Feststellung der Überschreitung durch die Prüfgremien spricht bereits der Gesichtspunkt, dass eine im Sinne des §
106 Abs
5e Satz 1
SGB V relevante "vorangegangene" Überschreitung nur dann vorliegt, wenn sie auch nach Berücksichtigung von Praxisbesonderheiten
mehr als 25 vH beträgt. Dies erfordert eine entsprechende Meinungsbildung durch die Prüfgremien, weil sich Praxisbesonderheiten
und ihre Auswirkungen - anders als Überschreitungsgrade - regelmäßig nicht allein "objektiv" ermitteln lassen; vielmehr gehört
die Anerkennung von Praxisbesonderheiten zu den Aufgaben der Prüfgremien, bei deren Feststellung diesen ein Beurteilungsspielraum
zusteht.
In welcher Form die Prüfgremien die Feststellung treffen, dass eine relevante Überschreitung vorliegt, und in welcher Form
sie diese dokumentieren, gibt das Gesetz nicht vor. Regelmäßig dürfte diese Feststellung zwar durch einen Regressbescheid
erfolgen, doch benennt §
106 Abs
5e Satz 1
SGB V als Tatbestandsvoraussetzung allein eine "erstmalige Überschreitung des Richtgrößenvolumens um mehr als 25 Prozent", stellt
also auf den Umstand einer (nicht gerechtfertigten) Überschreitung als solchen, nicht hingegen auf die hierauf gegründete
förmliche Festsetzung eines Regresses ab. Entscheidend ist daher die "Feststellung" des Umstandes, dass eine - nicht durch
Praxisbesonderheiten gerechtfertigte - Überschreitung des RGVol um mehr als 25 vH gegeben ist. Aus Gründen des Rechtsschutzes
und der Rechtssicherheit ist jedoch in anderen Fällen als der einer Festsetzung eines Regresses durch einen entsprechenden
Bescheid geboten, dass der Vertragsarzt die Möglichkeit hatte, der Feststellung einer ungerechtfertigten Überschreitung des
RGVol mit Rechtsmitteln entgegenzutreten.
Wenn die Prüfgremien - bei Vorliegen der Voraussetzungen für die Festsetzung eines Regresses im Übrigen - allein deswegen
von einer Regressfestsetzung absehen, weil ihr die Versäumung der Ausschlussfrist entgegenstand, sind diese Voraussetzungen
nicht gegeben, weil der Vertragsarzt durch diese Entscheidung nicht beschwert ist und daher gegebenenfalls im Bescheid enthaltene
Feststellungen zur Überschreitung des RGVol nicht angreifen kann. Die Prüfgremien sind allerdings nicht gehindert, durch gesonderten
- rechtsmittelfähigen - Bescheid festzustellen, dass der Vertragsarzt sein RGVol um mehr als 25 vH überschritten hat, ohne
dass dies durch Praxisbesonderheiten begründet ist.
Der Annahme einer (vorangegangenen) Überschreitung im Sinne des §
106 Abs
5e Satz 1
SGB V steht es nicht entgegen, wenn das Verfahren durch eine vergleichsweise Regelung beendet worden ist, sofern dies die Tatsache
einer Überschreitung des RGVol (nach Berücksichtigung von Praxisbesonderheiten) um mehr als 25 vH als solche unangetastet
lässt. Namentlich gilt dies für Vereinbarungen auf der Grundlage des §
106 Abs
5a Satz 4
SGB V ("Vertrag statt Verwaltungsakt"), welche lediglich eine Verringerung des an sich festzusetzenden Regressbetrages um maximal
ein Fünftel beinhalten. Etwas anderes gilt hingegen dann, wenn Inhalt des "Vergleiches" die Anerkennung von Praxisbesonderheiten
mit der Folge ist, dass die danach verbleibende Überschreitung weniger als 25 vH beträgt.
c. Schließlich setzt die Annahme einer vorangegangenen Überschreitung voraus, dass der Arzt tatsächlich unwirtschaftlich verordnet
hat. Stellt sich nachträglich - im Verfahren vor dem Beschwerdeausschuss oder im Gerichtsverfahren - heraus, dass die von
den Prüfgremien festgestellte Überschreitung nicht unwirtschaftlich war, ist das Tatbestandsmerkmal "erstmalig" bei einer
Überschreitung in Folgejahren nicht in Frage gestellt. Das bedeutet allerdings nicht, dass die Prüfgremien alle Prüfverfahren,
in denen §
106 Abs
5e SGB V Anwendung findet, so lange offenhalten müssen, bis das rechtliche Schicksal vorangegangener Prüfmaßnahmen, die zur Verneinung
der "Erstmaligkeit" der Überschreitung geführt haben, geklärt ist. Vielmehr haben sie die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt
ihrer Entscheidung zugrunde zu legen. Wird jedoch nachfolgend der Feststellung der Prüfgremien, dass bereits zuvor eine nicht
durch Praxisbesonderheiten gerechtfertigte Überschreitung des RGVol um mehr als 25 vH vorgelegen hat, die Grundlage entzogen,
wirkt sich dies auf Bescheide, in denen die Anwendung des §
106 Abs
5e Satz 1
SGB V wegen fehlender Erstmaligkeit verneint wurde, in dem Sinne aus, dass diese Bescheide nunmehr rechtswidrig geworden sind und
daher - sofern keine Bestandskraft eingetreten ist - aufzuheben sind. Die fehlende Bestandskraft vorangegangener Regressbescheide
hindert daher die Prüfgremien nicht an einer Entscheidung über das Vorliegen der in §
106 Abs
5e Satz 1
SGB V normierten Voraussetzungen, sondern birgt allein das Risiko, dass die Entscheidung nachträglich unrichtig werden könnte.
5. Ob der angefochtene Bescheid in der Sache rechtmäßig ist, kann der Senat nicht entscheiden, da das SG hierzu keine Feststellungen getroffen hat.
6. Die Kostenentscheidung für das Revisionsverfahren bleibt dem SG überlassen.