Vertragsarztrecht
Teilnahme an der Vereinbarung über die qualifizierte Versorgung krebskranker Patienten (Onkologie-Vereinbarung - Anlage 7
zum BMV-Ä)
Vertretungszwang vor dem BSG
Grundsatzrüge
Bereits geklärte Rechtsfrage
Keine rückwirkende Erteilung qualifikationsbezogener Genehmigungen im vertragsärztlichen System
1. Die Verpflichtung der Beteiligten, sich im Verfahren vor dem BSG durch Prozessbevollmächtigte vertreten zu lassen, bezieht sich auf die Wirksamkeit von Prozesshandlungen und -erklärungen.
2. Soweit solche für eine Entscheidung des BSG nicht mehr zwingend erforderlich sind, ist das Fehlen eines Prozessbevollmächtigten für das weitere Verfahren ohne Belang.
3. Eine Rechtsfrage ist nicht erst geklärt, wenn eine höchstrichterliche Entscheidung sie unmittelbar beantwortet, sondern
bereits dann, wenn vorliegende Rechtsprechung hinreichende Anhaltspunkte für eine Antwort bietet.
4. Der Senat hat bereits entschieden, dass qualifikationsbezogene Genehmigungen im vertragsärztlichen System vor der Leistungserbringung
vorliegen müssen und deshalb nicht rückwirkend erteilt werden können.
Gründe:
I
Streitig ist, in welchem Umfang der Kläger im Jahr 2011 zur Teilnahme an der Vereinbarung über die qualifizierte Versorgung
krebskranker Patienten (Onkologie-Vereinbarung - Anlage 7 zum BMV-Ä) berechtigt war.
Der Kläger, ein HNO-Arzt, ist seit 1996 zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen. Er erhielt im Juli 1997 die Anerkennung
als onkologisch verantwortlicher Arzt. Nach Inkrafttreten der Onkologie-Vereinbarung vom 13.7.2009 (DÄ A-1680) zum 1.10.2009,
die strengere Teilnahmevoraussetzungen insbesondere hinsichtlich der erforderlichen Patientenzahlen als bislang aufstellte,
aber in § 3 Abs 7 aus Gründen der Sicherstellung eine Modifizierung der Patientenzahlen ermöglichte, wurde der Kläger mit
Bescheid der Beklagten vom 29.6.2010 auf der Grundlage von § 2 der in Rheinland-Pfalz von den Gesamtvertragspartnern abgeschlossenen
Ergänzungsvereinbarung zur Onkologie-Vereinbarung befristet bis zum 31.12.2010 als onkologisch qualifizierter Arzt anerkannt.
Er erhielt die Berechtigung zur Abrechnung der Kostenpauschalen Nr 86512E, 86514, 86516 und 86518.
Die Beklagte widerrief die Anerkennung zum 31.12.2010. Auf Einwendungen des Klägers erklärte sie, dass der von ihr ausgesprochene
Widerruf im Hinblick auf die Befristung der Anerkennung unwirksam sei. Die Beklagte deutete das Vorbringen des Klägers aber
als erneuten Antrag auf Teilnahme und verfügte mit Bescheid vom 14.2.2011, dass er bis zum 31.12.2011 weiterhin berechtigt
sei, die Kostenpauschalen Nr 86512E und 86514 abzurechnen. Mit seinem Widerspruch forderte der Kläger eine Änderung des Bescheids
vom 14.2.2011 dahingehend, dass ihm die Befugnis zur Abrechnung auch der Kostenpauschalen Nr 86510, 86516 und 86518 erteilt
werde. Die Beklagte wies den Rechtsbehelf zurück (Widerspruchsbescheid vom 12.3.2012).
Das SG hat die Klage abgewiesen, weil der Kläger Fortbildungsnachweise gemäß § 3 Abs 2 der Ergänzungsvereinbarung nicht erbracht habe (Urteil vom 28.9.2016). Das LSG hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen
(Urteil vom 22.6.2017). Die Klage sei bereits unzulässig, da sich die angefochtene, bis zum 31.12.2011 befristete Genehmigung
durch Zeitablauf erledigt habe. Eine rückwirkende Erteilung der qualifikationsbezogenen Genehmigung sei ausgeschlossen (Hinweis
auf BSG Urteil vom 30.1.2002 - B 6 KA 73/00 R - SozR 3-2500 § 135 Nr 21 S 108 = Juris RdNr 16); einen Fortsetzungsfeststellungsantrag habe der Kläger nicht gestellt.
Der Kläger macht mit seiner Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache
geltend (Zulassungsgrund gemäß §
160 Abs
2 Nr
1 SGG). Sein Prozessbevollmächtigter hat nach Begründung der Beschwerde das Mandat niedergelegt.
II
Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Ihrer Zulässigkeit steht nicht entgegen, dass der Prozessbevollmächtigte des Klägers nach
Einlegung und Begründung der Beschwerde die Vertretung niedergelegt hat. Die Verpflichtung der Beteiligten, sich im Verfahren
vor dem BSG durch Prozessbevollmächtigte vertreten zu lassen (§
73 Abs
4 S 1
SGG), bezieht sich auf die Wirksamkeit von Prozesshandlungen und -erklärungen (BSG Beschluss vom 17.12.2009 - B 2 U 7/09 C - SozR 4-1500 § 73 Nr 5 RdNr 4). Soweit solche - wie hier - für eine Entscheidung des BSG nicht mehr zwingend erforderlich sind, ist das Fehlen eines Prozessbevollmächtigten für das weitere Verfahren ohne Belang
(vgl B. Schmidt in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt,
SGG, 12. Aufl 2017, §
73 RdNr 43 f). Es kann dahinstehen, ob die Beschwerdebegründung die Darlegungsanforderungen für den Zulassungsgrund der grundsätzlichen
Bedeutung in jeder Hinsicht erfüllt (vgl §
160a Abs
2 S 3
SGG). Die Beschwerde ist jedenfalls unbegründet, weil eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache nicht vorliegt.
Die grundsätzliche Bedeutung einer Rechtssache setzt eine Rechtsfrage voraus, die in dem angestrebten Revisionsverfahren klärungsfähig
(entscheidungserheblich), klärungsbedürftig sowie über den Einzelfall hinaus von Bedeutung ist (stRspr, zB BSG Beschluss vom 28.10.2015 - B 6 KA 12/15 B - SozR 4-2500 § 116 Nr 11 RdNr 5 mwN). Die Klärungsbedürftigkeit fehlt, wenn die aufgeworfene Frage bereits geklärt ist oder
wenn sich die Antwort ohne Weiteres aus den Rechtsvorschriften und/oder aus bereits vorliegender höchstrichterlicher Rechtsprechung
klar beantworten lässt (BSG Beschluss vom 11.10.2017 - B 6 KA 29/17 B - Juris RdNr 4).
Der Kläger hält folgende Frage für grundsätzlich bedeutsam:
"Handelt es sich bei der Genehmigung nach der Onkologievereinbarung (Anlage 7 BMV-Ä) um eine qualitätsgebundene Genehmigung, die zwingend vor der Leistungserbringung erteilt werden muss?"
Er meint, die rechtliche Qualität der "Vergütungsgenehmigung" nach der Onkologie-Vereinbarung sei bislang ungeklärt, weil
hierzu weder höchstrichterliche Rechtsprechung noch Stellungnahmen in der Literatur vorlägen und sich die Frage auch aus dem
Gesetz nicht ohne weiteres beantworten lasse. Die Frage sei in dem vorliegenden Verfahren klärungsfähig, da im Falle ihrer
Verneinung "eine Abrechnungsbefugnis für die in der Vergangenheit erbrachten Leistungen" nicht versagt werden könne.
Es kann offenbleiben, ob der Kläger die Klärungsfähigkeit der von ihm aufgeworfenen Frage ausreichend aufgezeigt hat. Zweifel
daran - insbesondere am Vorliegen eines Rechtsschutzbedürfnisses - ergeben sich, weil aus seinem Vortrag nicht ersichtlich
wird, dass er die hier allein noch streitigen Kostenpauschalen nach Nr 86516 und 86518 der Onkologie-Vereinbarung im Jahr
2011 tatsächlich in Ansatz gebracht hat und dass zudem die ihm von der Beklagten für 2011 erteilten Honorarbescheide noch
nicht bestandskräftig geworden sind.
Ungeachtet dessen fehlt es jedenfalls an der Klärungsbedürftigkeit der genannten Frage. Eine Rechtsfrage ist nicht erst geklärt,
wenn eine höchstrichterliche Entscheidung sie unmittelbar beantwortet, sondern bereits dann, wenn vorliegende Rechtsprechung
hinreichende Anhaltspunkte für eine Antwort bietet (BSG Beschluss vom 31.3.1993 - 13 BJ 215/92 - SozR 3-1500 § 146 Nr 2 S 6; BSG Beschluss vom 28.2.2017 - B 12 R 21/16 B - Juris RdNr 12). So verhält es sich hier. Der Senat hat in der vom LSG zitierten Entscheidung bereits entschieden, dass
qualifikationsbezogene Genehmigungen im vertragsärztlichen System vor der Leistungserbringung vorliegen müssen und deshalb
nicht rückwirkend erteilt werden können (BSG Urteil vom 30.1.2002 - B 6 KA 73/00 R - SozR 3-2500 § 135 Nr 21 S 108 = Juris RdNr 16; s auch BSG Beschluss vom 3.2.2010 - B 6 KA 20/09 B - Juris RdNr 6; vgl auch Trieb in Schiller [Hrsg], BMV-Ä, 2014, §
11 RdNr 93; Ihle in juris-PK
SGB V, 3. Aufl 2016, §
135 RdNr 65). Um eine solche qualifikationsbezogene Genehmigung zur Leistungserbringung handelt es sich offenkundig bei der hier
streitbefangenen Genehmigung zur Teilnahme an der Vereinbarung über die qualifizierte ambulante Versorgung krebskranker Patienten.
Die Befugnis zur Abrechnung bestimmter Kostenpauschalen ist lediglich eine Folge der Genehmigung zur Erbringung der spezifischen
Leistungen nach der Onkologie-Vereinbarung. Diese Vereinbarung ist als Anlage 7 Bestandteil des BMV-Ä. Damit bedarf gemäß § 11 Abs 2a S 1 BMV-Ä die Erbringung der darin beschriebenen Leistungen einer Genehmigung der KÄV, sofern in der Anlage selbst nichts anderes geregelt
ist. Das entspricht der Ermächtigungsgrundlage in §
135 Abs
2 S 1
SGB V ("Voraussetzungen für die Ausführung und Abrechnung dieser Leistungen") und ebenso dem Regelungsauftrag in §
85 Abs
2 S 4
SGB V. Die Anlage 7 zum BMV-Ä enthält keine abweichende Regelung; § 2 Abs 1 S 1 Onkologie-Vereinbarung bestimmt vielmehr gleichfalls, dass die Teilnahme an dem Vertrag erst mit Erteilung einer Genehmigung
durch die KÄV möglich ist. Somit ergibt sich aus den zugrunde liegenden normativen Bestimmungen hinreichend klar, dass die
Abrechnung der besonderen Kostenpauschalen nach der Onkologie-Vereinbarung nur statthaft ist, wenn die KÄV die entsprechende
Genehmigung bereits vor der Leistungserbringung erteilt hat. Der Durchführung eines Revisionsverfahrens bedarf es insoweit
nicht.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
197a Abs
1 S 1 Teils 3
SGG iVm §
154 Abs
2 VwGO. Danach fallen die Kosten eines erfolglos eingelegten Rechtsmittels dem Rechtsmittelführer zur Last. Die Festsetzung des
Streitwerts hat ihre Grundlage in §
197a Abs
1 S 1 Teils 1
SGG iVm §
63 Abs
2 S 1, § 52 Abs 1 und 2, § 47 Abs 1 und 3 GKG. Sie entspricht der Festsetzung der Vorinstanzen, die von keinem der Beteiligten in Frage gestellt worden ist.