Wirtschaftlichkeitsprüfung in der vertragsärztlichen Versorgung, Verpflichtung der Prüfgremien zur Beiziehung der erweiterten
Arzneimitteldateien
Gründe:
I. Der Kläger wendet sich gegen einen Regress wegen unwirtschaftlicher Verordnung von Arzneimitteln.
Der Kläger war seit 1980 als Facharzt für Allgemeinmedizin zur kassen- bzw vertragsärztlichen Versorgung im Bezirk der zu
1. beigeladenen Kassenärztlichen Vereinigung (KÄV) zugelassen (bis ihm im Juni 2005 die Zulassung entzogen und dies im Juni
2006 bestandskräftig wurde). Sein Arzneiverordnungsaufwand je Behandlungsfall lag im Quartal IV/2000 um 139 % über dem Durchschnitt
der Fachgruppe der Allgemein- und Praktischen Ärzte, bei einer Fallzahl, die den Fachgruppendurchschnitt um ca 11 % überschritt,
während seine Honoraranforderungen in diesem Quartal - um 7 % - unter dem Durchschnitt lagen. Das bei den Vorinstanzen zunächst
auch anhängig gewesene Verfahren hinsichtlich einer Honorarkürzung wegen Unwirtschaftlichkeit für das Quartal I/2002 ist nach
Rücknahme der Berufung durch den Beklagten nicht mehr im Streit.
Auf Antrag der Krankenkassen befasste sich der Prüfungsausschuss mit der Wirtschaftlichkeit der vom Kläger im Quartal IV/2000
praktizierten Verordnungsweise. Das Angebot des Prüfungsausschusses, Akteneinsicht zu nehmen, nahm der Kläger nicht wahr.
Der Prüfungsausschuss setzte einen Regress von 78.071,82 Euro fest, dessen Berechnung Rückforderungsbeträge von 149 DM je
Fall zur Grundlage hatte.
Der vom Kläger angerufene beklagte Beschwerdeausschuss zog Behandlungsscheine und Verordnungsblätter von den Krankenkassen
bei - nach seinen Angaben entsprechend der Vorgabe von § 12 Abs 8 Prüfvereinbarung (PrüfV) mindestens ein Drittel -. Außerdem
lag ihm eine Verordnungsübersicht vor, aus der lediglich die Fallwerte der Arzneimittelverordnungen des geprüften Arztes je
Versichertengruppe (Mitglieder/Familienangehörige/Rentner) im Vergleich zu den Fallwerten der Fachgruppe ersichtlich waren;
die sog erweiterte Arzneimitteldatei war in den Akten nicht enthalten. Der Beklagte reduzierte den Regressbetrag - unter Berücksichtigung
eines Sicherheitsabschlags - auf einen Ausgangswert je Fall von 91,75 DM (betr Mitglieder) bzw 67,25 DM (Familienangehörige)
bzw 149 DM (Rentner) und in der Gesamtsumme auf 108.573 DM = 55.512 Euro. Weder Praxisbesonderheiten noch kompensierende Einsparungen
könnten anerkannt werden (Bescheid vom 8.4.2004).
Der Kläger hat Klage beim Sozialgericht (SG) erhoben. Dieses hat den Beklagten zur erneuten Entscheidung über den Verordnungsregress verpflichtet (Urteil vom 9.11.2005).
Zwar habe der Beklagte auf der Grundlage der von ihm beigezogenen Unterlagen und der sich daraus ergebenden Verordnungsweise
zu Recht Unwirtschaftlichkeit angenommen; der Kläger habe mit seinen Überschreitungswerten die Grenze zum offensichtlichen
Missverhältnis deutlich überschritten, und zutreffend habe der Beklagte weder Praxisbesonderheiten noch kompensierende Einsparungen
anerkannt. Die der Annahme der Unwirtschaftlichkeit zugrunde liegende Datengrundlage sei aber nicht ausreichend. Es sei davon
auszugehen, dass der Kläger seine bisher nicht substantiierten Einwendungen gegen die Richtigkeit der dem Regress zugrunde
gelegten Verordnungskosten in rechtlich erheblicher Weise ergänzen könne, wenn er einen entsprechenden Hinweis erhalte oder
ihm weitere Unterlagen zugänglich gemacht würden. Daher müsse der Beklagte weitere Unterlagen beziehen und ihm dann Gelegenheit
zur Akteneinsicht geben, damit er sein Vorbringen konkretisieren könne.
Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung des Beklagten zurückgewiesen (Urteil vom 23.5.2007). Zwar müssten nicht sämtliche
Originalverordnungsblätter bzw die davon angefertigten Printimages beigezogen werden; denn einen Anspruch darauf habe der
Kläger nicht, der nur pauschal und ohne konkrete Darlegungen die Richtigkeit der zugrunde gelegten Verordnungsdaten bestritten
habe. Die Prüfgremien müssten aber, um dem Kläger Gelegenheit zur Konkretisierung seines Vorbringens zu geben, weitere Unterlagen
beiziehen, nämlich die von allen Krankenkassen zu erstellenden erweiterten Arzneimitteldateien, und diese dem geprüften Arzt
- von Amts wegen - zugänglich machen. Es reiche nicht aus, dass dem Arzt lediglich bereits zusammengefasste Verordnungsübersichten
- ohne Einzeldaten und nur Fallwerte bestimmter Verordnungen je Versichertengruppe im Vergleich zur Fachgruppe - vorlägen
bzw zugänglich gemacht würden. Die Beiziehung der erweiterten Arzneimitteldateien sei nicht etwa deshalb entbehrlich, weil
der Beklagte eine ergänzende Einzelfallprüfung mit anschließender Hochrechnung vorgenommen habe. Damit der Beklagte die erweiterten
Arzneimitteldateien noch beiziehen und dem Kläger zugänglich machen könne, seien die Prüfgremien zur Neubescheidung zu verpflichten.
Mit seiner Revision macht der Beklagte geltend, die Aufhebung seines Bescheides durch das LSG verletze Bundesrecht. Die von
den Vorinstanzen geforderte Beiziehung der erweiterten Arzneimitteldateien lasse sich weder aus §
106 SGB V noch aus § 20 SGB X rechtfertigen, und sie lasse sich auch nicht aus dem Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 2.11.2005 (BSGE 95, 199 = SozR 4-2500 § 106 Nr 11) ableiten. Da der Kläger die Richtigkeit der ihm elektronisch zugeordneten Verordnungskosten lediglich
unsubstantiiert bestritten habe, sei der Anscheinsbeweis, den die von den Krankenkassen elektronisch erfassten Verordnungskosten
begründeten, nicht erschüttert, zumal er trotz Anerbietens durch die Prüfgremien nicht Einsicht in die Verwaltungsakten genommen
habe.
Eine Pflicht der Prüfgremien zur Beiziehung der erweiterten Arzneimitteldateien könne auch nicht aus der PrüfV abgeleitet
werden. Die Hessische PrüfV enthalte keine Bestimmung über eine solche Beiziehung. Darin sei lediglich - wie dies gemäß §
106 Abs
2 Satz 4 und Abs
3 Satz 2 ff
SGB V vorgesehen werden könne - festgelegt, dass die Krankenkassen mindestens ein Drittel der Behandlungsausweise und Verordnungsblätter
ihrem Antrag beifügen und einander zuordnen müssten, wie dies im Prüfverfahren betreffend den Kläger auch erfolgt sei. Die
von den Vorinstanzen angenommene Pflicht zur Beiziehung weiterer Unterlagen könne ferner nicht auf den Vertrag über den Datenaustausch
auf Datenträgern (Datenaustauschvertrag) gestützt werden. Denn dieser Vertrag lege zwar fest, dass erweiterte Arzneimitteldateien
zu erstellen seien, sehe aber keine Beiziehung oä vor. Im Übrigen entfalte dieser Vertrag Wirkung allein im Verhältnis zwischen
den Vertragspartnern (den Spitzenverbänden der Krankenkassen und der Kassenärztlichen Bundesvereinigung) und begründe keine
Beiziehungs- und/oder Vorlagepflicht der Prüfgremien gegenüber den geprüften Ärzten.
Der Beklagte und die Beigeladene zu 1., die sich den Ausführungen des Beklagten anschließt und diese vertieft, beantragen,
die Urteile des Hessischen Landessozialgerichts vom 23.5.2007 und des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 9.11.2005 aufzuheben
und die Klage abzuweisen.
Der Beklagte beantragt außerdem
hilfsweise, das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 23.5.2007 aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung
und Entscheidung an dieses Gericht zurückzuverweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er hält die Entscheidungen der Vorinstanzen für zutreffend. Dafür bezieht er sich auf seine Ausführungen in den Vorinstanzen.
Die Beigeladenen zu 2. bis 9. haben sich im Revisionsverfahren nicht geäußert.
II. Die Revision des Beklagten ist begründet. Die vorinstanzlichen Urteile sind zu ändern und die Klage gegen den Regressbescheid
des Beklagten ist abzuweisen. Der Regressbescheid ist rechtmäßig. Die Feststellung einer unwirtschaftlichen Verordnungsweise
des Klägers beruht auf einer statistischen Vergleichsprüfung nach Durchschnittswerten, die weder von der Rechtsgrundlage her
noch von der Art und Weise der Durchführung her zu beanstanden ist.
Rechtsgrundlage des Arzneikostenregresses ist - wie bereits im angefochtenen Bescheid vom 8.4.2004 angegeben - §
106 Abs
2 SGB V (hier zugrunde zu legen in der Fassung des Gesundheitsstrukturgesetzes vom 21.12.1992, BGBl I 2266). Danach wird die Wirtschaftlichkeit
der Versorgung durch arztbezogene Prüfungen ärztlicher und ärztlich verordneter Leistungen nach Durchschnittswerten oder anhand
von Richtgrößen (aaO Satz 1 Nr 1) und/oder auf der Grundlage von Stichproben (aaO Satz 1 Nr 2) geprüft. Über diese Prüfungsarten
hinaus können die Landesverbände der Krankenkassen mit den KÄVen gemäß §
106 Abs
2 Satz 4
SGB V andere arztbezogene Prüfungsarten vereinbaren (s zusammenfassend BSG, Urteil vom 27.6.2007 - B 6 KA 44/06 R - SozR 4-2500 § 106 Nr 17 RdNr 12 f mwN). Die Auswahl unter den verschiedenen Prüfmethoden liegt grundsätzlich im Ermessen
der Prüfgremien. Dabei war nach der im maßgeblichen Zeitpunkt geltenden Rechtslage davon auszugehen, dass die Prüfung nach
Durchschnittswerten wegen ihres hohen Erkenntniswerts bei verhältnismäßig geringem Verwaltungsaufwand die Regelprüfmethode
darstellt (vgl BSG, aaO, RdNr 13; ebenso BSG, Urteil vom 27.6.2007 - B 6 KA 27/06 R - SozR 4-1500 § 141 Nr 1 RdNr 19). Bei dieser Prüfmethode wird der Aufwand des geprüften Arztes je Fall mit dem durchschnittlichen
Aufwand der Arztgruppe, der der Arzt angehört, verglichen. Dem liegt die Annahme zugrunde, dass die Vergleichsgruppe im Durchschnitt
insgesamt wirtschaftlich handelt (BSG SozR 3-2500 § 106 Nr 55 S 307 f; SozR 4-2500 § 106 Nr 2 RdNr 14, 15; Nr 3 RdNr 14).
Ergibt die Prüfung, dass der Behandlungs- oder Verordnungsaufwand des Arztes in offensichtlichem Missverhältnis zum durchschnittlichen
Aufwand der Vergleichsgruppe steht, ihn nämlich in einem Ausmaß überschreitet, das sich im Regelfall nicht mehr durch Unterschiede
in der Praxisstruktur und in den Behandlungsnotwendigkeiten erklären lässt, so hat dies die Wirkung eines Anscheinsbeweises
der Unwirtschaftlichkeit (stRspr, s dazu zB BSG SozR 4-1500 § 141 Nr 1 RdNr 19). Dies gilt ebenso, wenn es sich - wie dies
im vorliegenden Fall in Rede steht - um Überschreitungen nur im Bereich der sog Übergangszone handelt, die Annahme der Unwirtschaftlichkeit
aber durch eine ergänzende Einzelfallprüfung - evtl mit anschließender Hochrechnung - gestützt wird (s hierzu BSG SozR 3-2500
§ 106 Nr 50 S 267 f; vgl auch BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 9 RdNr 8). Der Anscheinsbeweis der Unwirtschaftlichkeit wird allerdings
entkräftet, wenn der Arzt darlegt - und sich dies als zutreffend erweist -, dass bei ihm besondere, einen höheren Behandlungsaufwand
rechtfertigende Umstände vorliegen, die für die zum Vergleich herangezogenen Ärzte untypisch sind (BSG SozR 3-2500 § 106 Nr
54 S 298 f mwN). Eine solche Entkräftung des Anscheinsbeweises kann sich zum einen aus Praxisbesonderheiten und zum anderen
aus sog kompensierenden Einsparungen ergeben (st Rspr, vgl zB BSG SozR 3-2500 § 106 Nr 57 S 319).
Auf dieser Grundlage ist das SG, gestützt auf die vom Beklagten bei seiner Entscheidung ausgewerteten Verordnungsdaten des Klägers, zur der Beurteilung gelangt,
dass die Verordnungsweise des Klägers teilweise unwirtschaftlich war. Das SG hat in seinem Urteil ausgeführt, dass der Kläger mit seinem Verordnungsaufwand die Grenze zum sog offensichtlichen Missverhältnis
deutlich überschritten habe und weder Praxisbesonderheiten noch kompensierende Einsparungen anerkannt werden könnten. Gegen
dieses Urteil des SG hat allein der Beklagte Berufung eingelegt. Der Kläger hat die Feststellungen und Bewertungen des SG weder mittels Einlegung einer Berufung bzw Anschlussberufung noch mittels Erhebung von sog Gegenrügen im Berufungsverfahren
angegriffen, sodass diese Grundlagen im weiteren Verfahren für die Beteiligten bindend feststehen (zu dieser Bindungswirkung
s BSG, Urteil v 27.6.2007 - B 6 KA 27/06 R - SozR 4-1500 § 141 Nr 1, insbes RdNr 23).
Dementsprechend hat das LSG diese Feststellungen und Bewertungen in seinem Urteil nicht mehr überprüft, und ebenso wenig besteht
im Revisionsverfahren eine Möglichkeit, sie zu überprüfen.
Der Überprüfung im Revisionsverfahren zugänglich sind allein die Feststellungen und Bewertungen, die Gegenstand des Berufungsverfahrens
vor dem LSG gewesen und durch die Revision des Beklagten nunmehr auch Gegenstand des Revisionsverfahrens geworden sind. Mithin
ist vom Revisionsgericht nur zu überprüfen, ob der Beklagte die Verordnungsdaten, von denen er in seinem Regressbescheid ausgegangen
ist, so zugrunde legen durfte oder ob die Vorinstanzen zu Recht den Bescheid aufgehoben und den Beklagten zur Neubescheidung
verpflichtet haben.
Diese Überprüfung führt zu dem Ergebnis, dass die Verurteilung zur Neubescheidung nicht berechtigt gewesen ist. Dies ergibt
sich aus den nachfolgend dargestellten Grundsätzen, die der Senat in seinen Urteilen vom 27.4.2005 und vom 2.11.2005 herausgearbeitet
hat (BSGE 94, 273 = SozR 4-2500 § 106 Nr 9 und BSGE 95, 199 = SozR 4-2500 § 106 Nr 11) und die hier weiterentwickelt werden.
Nach der Rechtsprechung des Senats - sowohl zur sog pauschalen statistischen Vergleichsprüfung anhand von Durchschnittswerten
als auch zur Richtgrößen-Prüfung (s vorgenannte BSG-Urteile) - ist zunächst von der Richtigkeit der elektronisch ermittelten
Verordnungsvolumina auszugehen. Dies folgt aus der Konzeption der §§
284 ff iVm §§
296,
297 SGB V, wonach die elektronische Erfassung und Verarbeitung der verordnungsbezogenen Daten die Grundlage für die Verordnungsprüfung
bilden sollen (BSGE 94, 273 = SozR 4-2500 § 106 Nr 9, jeweils RdNr 12 ff; BSGE 95, 199 = SozR 4-2500 § 106 Nr 11, jeweils RdNr 26 ff). Die auf den Verordnungsblättern enthaltenen Informationen werden im Wege
elektronischer Datenverarbeitung eingelesen, den einzelnen Ärzten über die angegebene Arztnummer zugeordnet und dann weiterverarbeitet.
Hierdurch wird nicht nur die rationelle Bewältigung der massenhaft in Apotheken im gesamten Bundesgebiet anfallenden Datenmengen
ermöglicht, sondern zugleich auch gewährleistet, dass möglicherweise sensible Gesundheitsdaten ohne unmittelbaren Versichertenbezug
übermittelt und für Zwecke der Wirtschaftlichkeitsprüfung ausgewertet werden. Die im Rahmen einer solchen elektronischen Datenverarbeitung
möglichen Fehlerquellen sind dabei qualitativ nicht grundsätzlich anders als Fehlerfassungen, wie sie bei der Zusammenführung,
Sortierung und Saldierung von in Papierform vorliegenden Verordnungsblättern auftreten können. Deshalb ist nicht zu beanstanden,
dass der Gesetzgeber als Basis für die Wirtschaftlichkeitsprüfung der Verordnungsweise die aufgrund elektronischer Übermittlung
und IT-gesteuerter Zusammenfassung gewonnenen Verordnungsdaten des jeweiligen Arztes und seiner Arztgruppe vorgegeben hat.
Ergibt sich allerdings für die Prüfgremien der Verdacht von Fehlern bei der Berechnung des dem geprüften Arzt zugeordneten
Verordnungsvolumens oder macht der geprüfte Arzt substantiierte Zweifel geltend - dh konkrete und plausible Angaben, die die
Richtigkeit der elektronisch ermittelten Ergebnisse zweifelhaft erscheinen lassen -, so müssen die Prüfgremien dem nachgehen
und erforderlichenfalls weitergehende Ermittlungen anstellen (BSGE 95, 199 = SozR 4-2500 § 106 Nr 11, jeweils RdNr 31 iVm RdNr 33). Führt dies zur Feststellung von Fehlern, so sind in dementsprechendem
Umfang Verordnungsbeträge in Abzug zu bringen. Dies gilt auch dann, wenn sich die substantiiert geltend gemachten Zweifel
nicht aufklären lassen, weil die davon betroffenen Verordnungsblätter bzw. Printimages nicht mehr vorgelegt werden können
(BSG, aaO, RdNr 33).
Betrifft der Korrekturbedarf ein erhebliches Verordnungsvolumen - dh mindestens 5 % der Verordnungskosten -, so ist der Anscheinsbeweis
der Vermutung der Richtigkeit, den die elektronisch erfassten und verarbeiteten Verordnungsdaten begründen, erschüttert. Dann
müssen sämtliche einzelnen Verordnungsblätter bzw. Printimages des Arztes herangezogen werden, und die vom Arzt tatsächlich
veranlassten Verordnungskosten sind durch individuelle Auswertung sämtlicher noch vorhandener Verordnungsblätter bzw Printimages
zu ermitteln. Soweit die vollständige Beiziehung der Verordnungsblätter bzw Printimages nicht gelingt, haben die Prüfgremien
einen entsprechenden Sicherheitsabschlag von dem ggf festzusetzenden Regress vorzunehmen (BSG, aaO, RdNr 33).
In Fortführung dieser Grundsätze ist die im vorliegenden Verfahren im Vordergrund stehende Frage, ob bzw unter welchen Voraussetzungen
die Prüfgremien sich von den Krankenkassen die sog erweiterten Arznei- bzw Heilmitteldateien vorlegen lassen und sie dem geprüften
Arzt zur Einsicht zur Verfügung stellen müssen, dahingehend zu beantworten, dass die Prüfgremien hierzu - entgegen der Auffassung
des LSG - nicht in jedem Fall von Amts wegen verpflichtet sind. Dies ist vielmehr nur dann im Sinne des § 21 Abs 1 Satz 1 SGB X erforderlich, wenn die Prüfvereinbarung dies vorschreibt (was im streitgegenständlichen Zeitraum in Hessen anders als in
anderen KÄV-Bezirken nicht der Fall war) oder aber der geprüfte Arzt substantiierte Zweifel gegenüber dem elektronisch ermittelten
Verordnungsvolumen vorbringt und zur weiteren Aufklärung die Heranziehung der erweiterten Arznei- bzw Heilmitteldateien verlangt.
Dabei brauchen die Zweifel allerdings nicht ein erhebliches Verordnungsvolumen von mindestens 5 % der Verordnungskosten zu
betreffen, sondern es reicht aus, wenn sie sich nur auf einzelne Verordnungsbeträge beziehen und zur Behebung der Zweifel
die Heranziehung der erweiterten Arznei- bzw Heilmitteldateien möglicherweise hilfreich sein kann. Die Anforderungen daran,
von welchen Voraussetzungen die Heranziehung der erweiterten Arznei- bzw Hilfsmitteldateien abhängig gemacht wird, dürfen
nicht überspannt werden. Denn diesen Statistiken kann - vergleichbar den Häufigkeitsstatistiken im Honorarbereich - im Rahmen
der Wirtschaftlichkeitsprüfung erhebliche Bedeutung zukommen. Ihre Erstellung ist gemäß §
295 Abs
3 SGB V iVm den dazu getroffenen näheren Vereinbarungen vorgesehen, und sie enthalten eine für die Prüfpraxis ggf aufschlussreiche
Zusammenstellung zahlreicher Daten (vgl dazu §
295 Abs
3 SGB V und BSGE 95, 199 = SozR 4-2500 §
106 Nr
11, jeweils RdNr 32 f).
Soweit die Prüfgremien auf entsprechende Darlegungen des Arztes hin verpflichtet gewesen wären, sich von den Krankenkassen
die erweiterten Arznei- bzw Heilmitteldateien vorlegen zu lassen und sie dem Arzt zur Einsicht zur Verfügung zu stellen, stellt
ihre Nichteinbeziehung zur Sachverhaltsaufklärung einen Verfahrensfehler dar, der grundsätzlich zur Aufhebung des Bescheides
des Beschwerdeausschusses führt. Die ergänzende Beiziehung von Unterlagen mit anschließender Feststellung der daraus zu entnehmenden
Tatsachen und deren Bewertung sind im Rahmen von Wirtschaftlichkeitsprüfungen grundsätzlich den Prüfgremien vorbehalten, weil
diese bei der Entscheidung über die Wirtschaftlichkeit oder Unwirtschaftlichkeit einen Beurteilungsspielraum haben, es sei
denn, es wären lediglich rechnerische oä Fragen betroffen (vgl dazu umfassend BSGE 95, 199 = SozR 4-2500 § 106 Nr 11, jeweils RdNr 36 mwN). Erübrigen würde sich die an sich erforderliche Beiziehung weiterer Unterlagen
- und dementsprechend die gerichtliche Aufhebung des angefochtenen Bescheides - nur dann, falls es im Sinne des § 42 Satz 1 SGB X offensichtlich wäre, dass der Fehler die Entscheidung des Beschwerdeausschusses in der Sache nicht beeinflusste. Dies könnte
etwa dann in Betracht kommen, wenn im Gerichtsverfahren die erweiterten Arznei- bzw Heilmitteldateien vorgelegt worden sind
und anhand dieser Unterlagen vom Beklagten bzw von den Krankenkassen nachvollziehbar dargestellt wird, dass die vom geprüften
Arzt erhobenen Einwendungen gegen die Richtigkeit des ihm elektronisch zugeordneten Verordnungsvolumens nicht durchgreifen.
Ohne solche Darlegungen kann jedoch nicht angenommen werden, es sei offensichtlich, dass das Fehlen dieser Dateien die Entscheidung
in der Sache nicht beeinflusst habe (zum notwendig engen Verständnis des Merkmals der Offensichtlichkeit vgl zB Sachs in Stelkens/Bonk/Sachs,
VwVfG, 7. Aufl 2008, § 46 RdNr 78 ff; s auch Steinwedel in Kasseler Kommentar, Sozialversicherungsrecht, SGB X, Stand Mai 2006, § 42 RdNr 8 ff).
Bei Anwendung dieser Grundsätze ergibt sich, dass der Beklagte davon absehen durfte, die erweiterten Arzneimitteldateien beizuziehen.
Es fehlt an ausreichenden Anhaltspunkten, um entgegen der Bewertung des LSG davon auszugehen, der Kläger habe substantiierte
Zweifel an der Richtigkeit der elektronisch erfassten Verordnungskosten geltend gemacht. Die Beurteilung des LSG, die vom
Kläger dagegen erhobenen Einwendungen seien nur pauschal und ohne konkrete Darlegungen, ist nicht erschüttert. Der Hinweis
des Klägers, Mängel bei den zugrunde gelegten Verordnungsdaten seien bei anderen Ärzten und in früheren Quartalen auch bei
ihm selbst festgestellt worden, kann nicht die Notwendigkeit ersetzen, bezogen auf die eigene Verordnungstätigkeit im konkret
in Frage stehenden Quartal (hier IV/2000) substantiierte Zweifel an der Richtigkeit der elektronisch erfassten Verordnungskosten
darzutun (zum Erfordernis gesonderter Beurteilung jeden Quartals s zB BSG, Urteil vom 16.7.2008 - B 6 KA 57/07 R -, zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen, und LSG Baden-Württemberg MedR 1996, 139, 142 unter 4.a).
Nach alledem sind die vorinstanzlichen Entscheidungen auf die Revision des Beklagten hin zu ändern und die Klage gegen den
Arzneikostenregress für das Quartal IV/2000 ist abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
197a Abs
1 Satz 1 Halbsatz 3
SGG iVm einer entsprechenden Anwendung der §§
154 ff
Verwaltungsgerichtsordnung (
VwGO). Danach trägt der Kläger als der unterliegende Teil die Kosten des Verfahrens (§
154 Abs
1 VwGO). Dies umfasst auch Kosten der Beigeladenen zu 1., weil von den Beigeladenen nur diese sich im Verfahren beteiligt und -
in der ersten und dritten Instanz - auch Anträge gestellt hat (§
162 Abs
3 VwGO, vgl BSGE 96, 257 = SozR 4-1300 §
63 Nr
3, jeweils RdNr 16).
Die Festsetzung des Streitwerts auf 108.573 DM = 55.512 Euro erfolgt auf der Rechtsgrundlage des §
197a Abs
1 Satz 1 Halbsatz 1
SGG iVm § 63 Abs 2 Satz 1, § 52 Abs 1 und 3, § 47, § 40 Gerichtskostengesetz. Im Falle von Honorarkürzungen oder Regressen ist der Streitwert nach dem vollen Betrag, wie dieser in dem angefochtenen
Bescheid ausgewiesen bzw im Instanzenzug noch streitbefangen ist, zu bemessen (so auch Wenner/Bernard, NZS 2001, 57, 64; 2003, 568, 572; 2006, 1, 7; jeweils unter IV. 2.). Die vom LSG vorgenommene Halbierung, wie sie von den Verwaltungsgerichten
bei Verpflichtungs-Neubescheidungen praktiziert wird, passt nicht auf Neubescheidungen, die - wie vorliegend - im Rahmen der
Anfechtung eines belastenden Verwaltungsakts begehrt und ausgesprochen werden. Bei Anfechtungsklagen wird - auch von den Verwaltungsgerichten
- anerkannt, dass der mit dem Verwaltungsakt angeforderte Betrag stets in voller Höhe als Streitwert zugrunde zu legen ist.
Dabei ist unerheblich, dass nach der Rechtsprechungspraxis des BSG in Angelegenheiten der Wirtschaftlichkeitsprüfung verfahrenstechnisch
im Rahmen von Anfechtungsklagen Neubescheidungsurteile ergehen und dementsprechend auch die Sachanträge der Beteiligten typischerweise
nur auf eine Neubescheidung gerichtet sind (s hierzu insbesondere Wenner/Bernard NZS 2001, 57, 64).