Verfahrensrüge im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren
Kein gerichtliches Hinwirken auf Stellung von Beweisanträgen
Umfang des Gehörsanspruchs
Gründe:
I
In der Hauptsache begehrt der Kläger noch einen Grad der Behinderung (GdB) von 80 anstelle eines zuerkannten GdB von 50 sowie
die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen "G" ab Juli 2007. Mit Urteil vom 18.12.2017 hat
das LSG entsprechende Ansprüche des Klägers verneint, weil unter Berücksichtigung der rechtlichen Grundsätze für die Bewertung
von Funktionsbeeinträchtigungen nach den Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht
und nach dem Schwerbehindertenrecht (AHP) und den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen (VG) kein Anspruch auf Feststellung
eines Gesamt-GdB von 80 bestehe. Der Kläger habe auch keinen Anspruch auf die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen
für das Merkzeichen "G", es gebe keinen Anhaltspunkt dafür, dass er seit Juli 2007 in seiner Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr
erheblich beeinträchtigt sei. Dass der Kläger infolge einer Einschränkung des Gehvermögens nicht ohne erhebliche Schwierigkeiten
oder nicht ohne Gefahr für sich oder andere Wegstrecken im Ortsverkehr zurückzulegen vermöge, die üblicherweise noch zu Fuß
zurückgelegt werden könnten, sei nicht bewiesen. Der Antrag des Klägers auf Anhörung eines bestimmten Arztes gemäß §
109 SGG werde abgelehnt, weil dieser grob fahrlässig zu spät eingebracht worden sei.
Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil hat der Kläger beim BSG Beschwerde eingelegt und diese mit dem Vorliegen von Verfahrensfehlern (§
160 Abs
2 Nr
3 SGG) sowie mit einer Divergenz (§
160 Abs
2 Nr
2 SGG) begründet. Das LSG habe seine Hinweispflicht aus §
106 SGG und damit den Anspruch des Klägers auf Gewährung rechtlichen Gehörs in entscheidungserheblicher Weise dadurch verletzt. Dieser
sei in der gerichtlichen Verfügung vom 30.8.2017 nicht darauf hingewiesen worden, dass er im Falle der Benennung mehrerer
Gutachter nach §
109 SGG innerhalb der gesetzten Frist eine Reihenfolge festlegen müsse, in welcher die Gutachten eingeholt werden sollten. Auch habe
das LSG sich mit den Einwendungen des Klägers gegen das Gutachten des Neurologen und Psychiaters S erkennbar nicht auseinandergesetzt.
Weiter habe das LSG den wesentlichen Vortrag des Klägers zur Zuerkennung des Pflegegrades 2 aufgrund der bei ihm bestehenden
psychischen Erkrankungen unbeachtet gelassen. Hierauf beruhe auch die angefochtene Entscheidung des LSG, da dieses bei Berücksichtigung
des klägerischen Vortrags anders entschieden hätte. Darüber hinaus weiche das Urteil des LSG in entscheidungserheblicher Weise
von dem Urteil des BSG vom 11.8.2015 (B 9 SB 1/14 R) ab, wonach auch eine psychische Erkrankung zur Zuerkennung des Merkzeichens "G" führen könne.
II
Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers ist unzulässig. Ihre Begründung genügt nicht den gesetzlichen Anforderungen. Keiner
der in §
160 Abs
2 SGG abschließend aufgeführten Zulassungsgründe ist ordnungsgemäß dargetan worden (§
160a Abs
2 S 3
SGG).
1. Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt, dass ein Verfahrensmangel vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung
beruhen könne (§
160 Abs
2 Nr
3 SGG), so müssen bei der Bezeichnung des Verfahrensmangels zunächst die diesen (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert
dargetan werden. Darüber hinaus ist die Darlegung erforderlich, dass und warum die Entscheidung des LSG - ausgehend von dessen
materieller Rechtsansicht - auf dem Mangel beruhen kann, dass also die Möglichkeit einer Beeinflussung des Urteils besteht
(vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 14, 24, 34, 36). Gemäß §
160 Abs
2 Nr
3 Halbs 2
SGG kann der geltend gemachte Verfahrensmangel allerdings nicht auf eine Verletzung der §§
109 und
128 Abs
1 S 1
SGG und auf eine Verletzung des §
103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt
ist. Den sich daraus ergebenden Anforderungen ist die Beschwerdebegründung nicht gerecht geworden.
a) Einen prozessordnungsgemäß gestellten Beweisantrag behauptet die Beschwerdebegründung nicht. Der geltend gemachte Verstoß
gegen die Hinweisverpflichtung nach §
106 SGG durch den Vorsitzenden ist nicht ausreichend dargelegt. Die Tatsachengerichte sind nicht verpflichtet, auf die Stellung von
Beweisanträgen hinzuwirken oder im Rahmen von Beweisanträgen sonstige Formulierungshilfen zu geben. Hält das Tatsachengericht
eine Beweisaufnahme für notwendig, so hat es keinen entsprechenden Beweisantrag herbeizuführen, sondern den Beweis von Amts
wegen auch ohne Antrag zu erheben. Lehnt es die Beweiserhebung dagegen ab, so muss es nicht kompensatorisch auf einen Beweisantrag
hinwirken und damit helfen, eine Nichtzulassungsbeschwerde vorzubereiten (vgl BSG Beschluss vom 5.5.2010 - B 5 R 26/10 B - Juris RdNr 10 mwN). Insoweit hätte sich die Beschwerdebegründung damit beschäftigen müssen, wieso das Hinwirken auf eine
Vervollständigung des Beweisantrags nach §
109 SGG überhaupt Gegenstand einer Hinweispflicht nach §
106 SGG gewesen sein könnte. Sinngemäß rügt der Kläger eine Verletzung der Hinweispflichten nach §
112 Abs
2 S 2
SGG und damit die von ihm direkt behauptete Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör (§
62 SGG; Art
103 Abs
1 GG). Insoweit reichen jedoch die Darlegungen des Klägers in seiner Beschwerdebegründung ebenfalls nicht aus. Denn tatsächlich
rügt der Kläger damit eine falsche Anwendung von §
109 SGG durch das LSG, womit der Kläger nach §
160 Abs
2 Nr
3 Halbs 2
SGG von vornherein keine Revisionszulassung erreichen kann. Dieser Ausschluss gilt uneingeschränkt für jede fehlerhafte Anwendung
des §
109 SGG (BSG SozR 1500 § 160 Nr 34 S 31) und kann nicht umgangen werden mit der Rüge der Verletzung des Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs oder
wegen Verstoßes gegen andere Verfahrensvorschriften (vgl BSG Beschluss vom 12.7.2012 - B 13 R 463/11 B - Juris RdNr 12; BSG Beschluss vom 8.5.2012 - B 5 R 48/12 B - Juris RdNr 8).
b) Schließlich hat es die Beschwerde insgesamt versäumt, den behaupteten Gehörsverstoß hinreichend substantiiert darzulegen.
Der Anspruch der Beteiligten auf rechtliches Gehör verpflichtet das Prozessgericht grundsätzlich nicht, die für die richterliche
Überzeugungsbildung möglicherweise leitenden Gesichtspunkte vorher mit den Beteiligten zu erörtern (vgl BSG SozR 3-1500 § 112 Nr 2 S 3 mwN). Etwas anderes gilt allerdings dann, wenn das Gericht seine Entscheidung auf einen rechtlichen Gesichtspunkt
stützt, mit dem auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter selbst unter Berücksichtigung der Vielfalt vertretbarer
Rechtsauffassungen nicht zu rechnen brauchte (vgl BVerfGE 86, 133, 144 f). Dies ist nach der Beschwerdebegründung nicht anzunehmen.
Ein Beteiligter kann mit seiner Beschwerde zudem nur durchdringen, wenn er vor dem LSG alle prozessualen Möglichkeiten ausgeschöpft
hat, um sich rechtliches Gehör zu verschaffen. Weshalb der Kläger hieran gehindert gewesen sein sollte, legt er nicht dar.
Hierzu hätte der Kläger vorbringen müssen, dass er unter keinen Umständen mit der vom LSG getroffenen Sachentscheidung habe
rechnen können. Es besteht nämlich insbesondere gegenüber rechtskundig vertretenen Beteiligten weder eine allgemeine Aufklärungspflicht
des Gerichts über die Rechtslage noch die Pflicht, bei der Erörterung der Sach- und Rechtslage bereits die endgültige Beweiswürdigung
darzulegen, denn das Gericht kann und darf das Ergebnis der Entscheidung, die in seiner nachfolgenden Beratung erst gefunden
werden soll, nicht vorwegnehmen. Es gibt keinen allgemeinen Verfahrensgrundsatz, der das Gericht verpflichten würde, die Beteiligten
vor einer Entscheidung auf eine in Aussicht genommene Beweiswürdigung hinzuweisen oder die für die richterliche Überzeugungsbildung
möglicherweise leitenden Gründe zuvor mit den Beteiligten zu erörtern (vgl zB BSG Beschlüsse vom 31.8.1993 - 2 BU 61/93 - HVBG-Info 1994, 209; vom 13.10.1993 - 2 BU 79/93 - SozR 3-1500 § 153 Nr 1; BVerfGE 66, 116, 147; 74, 1, 5; 86, 133, 145). Art
103 Abs
1 GG gebietet vielmehr lediglich dann einen Hinweis, wenn das Gericht auf einen Gesichtspunkt abstellen will, mit dem ein gewissenhafter
und kundiger Prozessbevollmächtigter nicht zu rechnen brauchte (vgl BVerfGE 84, 188, 190). Der Kläger legt nicht substantiiert dar, dass er nach dem bisherigen Verlauf unter keinen Umständen mit der vom LSG
getroffenen Entscheidung habe rechnen können. Schließlich hat der Kläger auch nicht dargelegt, inwiefern er in der mündlichen
Verhandlung des LSG alle prozessualen Möglichkeiten ausgeschöpft hat, um sich rechtliches Gehör zu verschaffen (vgl BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 22 S 35), etwa durch prozessordnungsgemäße Beweisanträge zu Protokoll der mündlichen Verhandlung.
Schließlich fehlen auch Ausführungen dazu, weshalb die Entscheidung des LSG auf der vermeintlichen Verletzung des Anspruchs
auf rechtliches Gehör beruhen können sollte und welcher konkrete Vortrag des Klägers insoweit unberücksichtigt geblieben ist.
Hierzu wäre es insbesondere erforderlich gewesen, darzulegen, weshalb eine Berücksichtigung weiterer funktioneller Einschränkungen
die Einzel-GdB-Werte nach der Rechtsauffassung des LSG hätte höher ausfallen lassen mit der Folge, dass der Gesamt-GdB nach
der Rechtsauffassung des LSG mit über 50 einzuschätzen gewesen wäre. Insoweit hätte sich die Beschwerdebegründung ua mit den
in den VG enthaltenen Bewertungen beschäftigen und hiervon ausgehend die Entscheidungsrelevanz unberücksichtigt gebliebenen
Vorbringens aufzeigen und ggf die Feststellungen des LSG mit durchgreifenden Verfahrensrügen infrage stellen müssen. Daran
fehlt es auch. Tatsächlich kritisiert der Kläger lediglich die Beweiswürdigung des LSG (vgl §
128 Abs
1 S 1
SGG), womit er gemäß §
160 Abs
2 Nr
3 Halbs 2
SGG eine Revisionszulassung nicht erreichen kann. Entsprechendes gilt, soweit der Kläger eine unzutreffende Rechtsanwendung des
LSG rügen wollte (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 7 S 10).
2. Ebenso wenig hat der Kläger die Voraussetzungen einer Divergenz iS von §
160 Abs
2 Nr
2 SGG dargelegt. Eine solche Divergenz kommt nur dann in Betracht, wenn das LSG einen tragenden abstrakten Rechtssatz in Abweichung
von einem vorhandenen abstrakten Rechtssatz des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG aufgestellt hat. Wer eine Rechtsprechungsdivergenz entsprechend den gesetzlichen Anforderungen
darlegen will, muss daher entscheidungstragende abstrakte Rechtssätze in der Entscheidung des Berufungsgerichts einerseits
und in der herangezogenen höchstrichterlichen Entscheidung des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG andererseits gegenüberstellen und dazu ausführen, weshalb beide miteinander unvereinbar sein
sollen (vgl zB BSG Beschluss vom 16.2.2017 - B 9 V 48/16 B - RdNr 23 mwN). Daran fehlt es. Denn die Beschwerde nimmt bereits die danach erforderliche Gegenüberstellung unvereinbarer
entscheidungserheblicher Rechtssätze nicht vor.
3. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (vgl §
160a Abs
4 S 2 Halbs 2
SGG).
4. Die Beschwerde ist somit ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter zu verwerfen (§
160a Abs
4 S 1 Halbs 2, §
169 SGG).
5. Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des §
193 Abs
1 SGG.