Entscheidung im sozialgerichtlichen Verfahren ohne mündliche Verhandlung, Einverständnis des Beteiligten, Hinweispflicht des
Gerichts
Gründe:
I. Im vorinstanzlichen Verfahren lud das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg den Kläger am 26.2.2008 mit Zustellungsurkunde
zur mündlichen Verhandlung am 13.3.2008.
Zugleich bat es diesen mitzuteilen, ob er mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden sei. Mit einem am
9.3.2008 per Telefax beim LSG eingegangenen Schriftsatz äußerte sich der Kläger daraufhin ua wie folgt:
"Mit Entscheidungen des Gerichts ohne mündliche Verhandlung erkläre ich mich einverstanden. Es ist somit davon auszugehen,
dass der angesetzte Verhandlungstermin am 13.3.2008 entfällt." Ohne weitere Mitteilung an den Kläger führte das LSG am 13.3.2008
eine mündliche Verhandlung durch, zu der der Kläger nicht erschien. Im Anschluss daran verkündete es nach geheimer Beratung
das die Berufung des Klägers zurückweisende Urteil. Darin ist die Auffassung der Beklagten und der Erstinstanz bestätigt worden,
dass dem Kläger kein Anspruch auf Ausgleich nach dem Soldatenversorgungsgesetz (SVG) wegen der Folgen einer Wehrdienstbeschädigung zustehe. Soweit der Kläger die Gewährung von Unfallruhegehalt nach § 27 SVG begehrt, ist seine Berufung als unzulässig angesehen worden.
Gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG hat der Kläger beim Bundessozialgericht (BSG) Beschwerde eingelegt.
Er beruft sich auf grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache.
Außerdem macht er als Verfahrensmängel Verletzungen der Amtsermittlungspflicht (§
103 SGG) sowie seines Anspruchs auf rechtliches Gehör (§
62 SGG) geltend. Einen Gehörsverstoß sieht er darin, dass er als nicht anwaltlich Vertretener vom LSG nicht gemäß §
106 Abs
1 SGG darauf hingewiesen worden sei, dass trotz seiner Einverständniserklärung eine mündliche Verhandlung durchgeführt werde. Wäre
das LSG seiner Mitteilungspflicht nachgekommen, wäre es ihm, dem Kläger, im Rahmen der mündlichen Verhandlung möglich gewesen,
aus eigener sachkundiger Sicht die Wahrscheinlichkeit eines Ursachenzusammenhangs zwischen der Dienstverrichtung und der Schädigung
darzulegen und ggf zu beweisen.
II. Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers ist zulässig und begründet. Dieser hat zutreffend eine Verletzung seines Anspruchs
auf rechtliches Gehör (§§
62,
128 Abs
2 SGG iVm §
106 Abs
1 SGG) geltend gemacht.
Das LSG hat den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör (Art
103 Abs
1 GG; §
62 SGG) verletzt, indem es diesen nicht darauf hingewiesen hat, eine mündliche Verhandlung werde trotz seines Einverständnisses
mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung durchgeführt. Der nicht rechtskundig vertretene Kläger wurde
dadurch in seinem Irrtum belassen, dass wegen seines Einverständnisses der angesetzte Termin entfalle.
Infolgedessen hatte er praktisch keine Gelegenheit, an der mündlichen Verhandlung, dem Kernstück des gerichtlichen Verfahrens
(BSGE 44, 292 = SozR 1500 § 124 Nr 2; BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 33 S 57; BSG SozR 4-1500 § 62 Nr 1 RdNr 6; BSG SozR 4-1500 § 112 Nr 2 RdNr
11), teilzunehmen.
Nach §
124 Abs
1 SGG entscheiden die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit grundsätzlich aufgrund mündlicher Verhandlung. Die Beteiligten haben ein
Recht darauf, zur mündlichen Verhandlung zu erscheinen und dort mit ihren Ausführungen gehört zu werden. Eine Ausnahme vom
Grundsatz der Mündlichkeit enthält §
124 Abs
2 SGG; danach kann das Gericht mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entscheiden. Es steht
demnach bei Vorliegen eines solchen Einverständnisses im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts, ob es tatsächlich ein Urteil
ohne mündliche Verhandlung erlässt. Es ist also durch den Verzicht der Beteiligten auf eine mündliche Verhandlung nicht gezwungen,
von dieser Abstand zu nehmen (so schon BSGE 44, 292, 293 = SozR 1500 § 124 Nr 2 S 2).
Eine diesbezügliche Einverständnis- bzw Verzichtserklärung hat der Kläger hier zwar mit dem am 9.3.2008 bei Gericht eingegangenen
Schreiben abgegeben. Er hat in diesem Schreiben jedoch zugleich ausdrücklich darauf hingewiesen, dass er davon ausgehe, dass
damit der angesetzte Verhandlungstermin am 13.3.2008 entfalle. Die sich aus dem Grundrecht auf ein faires Verfahren (vgl hierzu
etwa BSG SozR 4-1500 § 62 Nr 1 RdNr 6 mwN) ergebende Fürsorgepflicht des Gerichts gegenüber rechtlich nicht bewanderten Beteiligten
hätte es jedenfalls im vorliegenden Fall geboten, dass das LSG den Kläger entsprechend §
106 Abs
1 SGG auf seinen Irrtum und das Bestehenbleiben des Termins hinwies, damit er das ihm weiterhin zustehende Recht, in der durchgeführten
mündlichen Verhandlung mit seinen Ausführungen gehört zu werden, auch in Anspruch nehmen konnte.
Auf dem gerügten Verfahrensfehler kann das angegriffene Berufungsurteil auch beruhen, denn es ist nicht ausgeschlossen, dass
das LSG bei Anhörung des Klägers in der mündlichen Verhandlung zu einem für ihn günstigeren Ergebnis gekommen wäre (hierzu
schon BSGE 17, 44, 47; vgl auch Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
SGG Komm, 9. Aufl, §
62 RdNr 11c, mwN). Insbesondere hätte der Kläger in der mündlichen Verhandlung noch einen den Vorschriften der
Zivilprozessordnung entsprechenden Beweisantrag stellen können, mit dem er dem Gericht einen weiteren Aufklärungsbedarf aufgezeigt hätte, etwa
zu Fragen, die mit der Kausalität zwischen einer dem Wehrdienst zuzuordnenden schädigenden Einwirkung (hier ionisierende Strahlen)
und den vom Kläger geltend gemachten Erkrankungen zusammenhängen. Das LSG wäre möglicherweise auch zu einer anderen Entscheidung
betreffend einen Anspruch des Klägers nach § 27 SVG gelangt, wenn der Kläger in der mündlichen Verhandlung insoweit die Verweisung an das zuständige Gericht beantragt hätte.
Nach §
160a Abs
5 SGG kann das BSG in dem Beschluss über die Nichtzulassungsbeschwerde das angefochtene Urteil aufheben und die Sache zur erneuten
Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverweisen, wenn - wie hier - die Voraussetzungen des §
160 Abs
2 Nr
3 SGG vorliegen. Der Senat macht von dieser Möglichkeit Gebrauch, denn es ist nicht zu erkennen, dass die vom Kläger für rechtsgrundsätzlich
bedeutsam gehaltenen Fragen einer weiteren Klärung durch die höchstrichterliche Rechtsprechung bedürfen. So lässt sich etwa
die vom Kläger angesprochene Frage, ob der Abschlussbericht der Radarkommission vom 2.7.2003 als sogenanntes antizipiertes
Sachverständigengutachten der Prüfung der Wehrdienstbeschädigung zu Grunde gelegt werden konnte, bereits anhand der vorhandenen
höchstrichterlichen Rechtsprechung zu Regelwerken beantworten, die auf Erkenntnissen und Erfahrungen von Fachleuten verschiedener
Fachgebiete beruhen und bei gleichen Sachverhalten einheitliche Antworten auf Gutachterfragen ermöglichen (vgl etwa zur TA Luft: BVerwGE 55, 250, 256 f; BVerwG, NVwZ 1988, 824; zu den Anhaltpunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht:
BSGE 67, 204, 208 f = SozR 3-3870 § 4 Nr 1 S 5 f; zu den Empfehlungen für die Einschätzung der MdE bei Berufskrankheiten:
BSGE 82, 212, 214 f = SozR 3-2200 § 581 Nr 5 S 16 f; BSG SozR 3-2200 § 581 Nr 8 S 40 f). Auch mit den vom Kläger weiter angesprochenen
Fragen zu Beweiserleichterungen (bis hin zur Beweislastumkehr) im sozialen Entschädigungsrecht hat sich die höchstrichterliche
Rechtsprechung bereits mehrfach befasst (hierzu BSG SozR 3-1750 § 444 Nr 1; BSGE 83, 279, 281 = SozR 3-3700 § 15 Nr 2 und zuletzt BSG SozR 4-3100 § 1 Nr 3 RdNr 22).
Das LSG wird auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu entscheiden haben.